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Aus der Neuen Solidarität Nr. 33/2007 |
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Von Lyndon LaRouche
- Erster Teil -
Eine auf völlig falschen Prämissen fußende Kritik eines Buches über klassische Musik in der New York Times ist für Lyndon LaRouche Anlaß, der verbreiteten Irrationalität in der heutigen Diskussion über Musik und Kunst entgegenzutreten. Wir veröffentlichen seinen Artikel, der im Original am 3. Juli 2007 erschien, in mehreren Teilen.
Vor etwa fünf Jahrzehnten ereignete sich ein Fall, der in meinem Beruf als Unternehmensberater nicht untypisch war. Ein Arbeitskollege und ich entdeckten den schlüssigen Beweis für einen ziemlich beträchtlichen Industriediebstahl durch Betriebszugehörige, indem wir unsere Aufmerksamkeit einer Art „entwendetem Brief“ widmeten. Das betreffende Beweisstück war ein großes Depot direkt vor unseren Augen. Wie es bei Diebesgut meist der Fall ist, war es direkt dort sichtbar, wo man es hätte vermuten sollen: auf einem Schrottplatz unweit des fraglichen Firmengeländes. Ganz ähnlich könnten nun scheinbar belanglose Hinweise, wie eine scheinbar ganz gewöhnliche Buchbesprechung von Edward Rothstein in der New York Times, die Aufmerksamkeit heller Köpfe auf eine scheinbar kleine Sache lenken, die aber tatsächlich von großer Wichtigkeit ist. Der Betrug, mit dem ich mich hier beschäftige, ist ein reiner sophistischer Trick, mit dem sich, wie der Spionageabwehroffizier Edgar Allan Poe aufgezeigt hätte, Rothstein selbst zum Narren hält: Es geht um Rothsteins scheinbar nebenbei aufgestellte Behauptung, die Aufführung klassischer Musikkompositionen (schlimmstenfalls nominell „klassisch“) habe nicht mehr die soziale Rolle, die ihr selbst noch vor einer Generation zukam.1
Offensichtlich ist die Beliebtheit von Aufführungen großartiger Musik der klassischen Tradition wie von Bach, Mozart, Beethoven und Schubert, um nur einige zu nennen, stark gesunken, seit die Nachkriegsgeneration, die berühmten „68er“ oder „Babyboomer“, ins Erwachsenenalter hineinplumpste. Die Frage, die es hier zu beantworten gilt, ist, ob es die klassische Musik ist, die gescheitert ist, wie Rotstein zu verstehen gibt, oder ob es die derzeit herrschenden Meinungsmacher sind, die in der Kunst katastrophal versagt haben - so wie sie nicht nur in Wirtschaft und Wissenschaft versagt haben, sondern auch, unter sophistischer Mißachtung einfacher persönlicher Integrität, auf dem Gebiet der Ideen?
In diesem speziellen Fall stellte der Kritiker Rothstein im „Feuilleton“ der New York Times vom 2. Juli 2007 einen Kommentar unter die Überschrift: „Klassische Musik in Gefahr: Hören Sie das Achselzucken?“ (Classical Music Imperiled: Can You Hear The Shrug?) Es war sein Kommentar zum Thema eines neuen Buches von Lawrence Kramer mit dem Titel Why Classical Music Still Matters („Warum klassische Musik immer noch etwas bedeutet“). Rothstein schrieb: „Einen solchen Titel hätte man in der vorigen Generation nicht verwendet...“ Um zum entscheidenden Punkt zu kommen, den ich hier ansprechen will: Rothstein zeigt keinerlei Verständnis, um was es hier in Wirklichkeit nicht geht, und, wenn Rothstein Kramer in der Angelegenheit nicht völlig verdreht hat, hat dieser, wie viele andere seines Genres, den entscheidenden Punkt ebenfalls verfehlt.
Daher ist, wie Sie im folgenden lesen werden, das Thema hier nicht Kramers Buch, sondern das Verhalten, welches Rothstein anläßlich des durch das Buch angesprochenen Themas an den Tag legt, indem er seine eigene bemerkenswerte Narretei produzierte, die mich veranlaßt, Ihnen den wirklichen Kontext der tragischen Interaktion des Kritikers mit dem Buchautor aufzuzeigen.
AMOS KUTTEL! - Phöbus! welch ein Name -
Der soll die künft’ge Leuchte sein?
Lord Byrons Satire English Bards and Scotch Reviewers läßt grüßen! Die irrigen Meinungen über die sich wandelnde Bedeutung des „Populären“ in der europäischen musikalischen Unterhaltung, die z.B. bei Lawrence Kramer und dem New York Times-Kritiker Edward Rothstein zum Ausdruck kommen, sind ein Thema für sich. Statt uns innerhalb der Beschränkungen derartiger Torheiten zu verheddern, müssen wir das Heilmittel für ihre axiomatischen Fehltritte in der Frage des sich wandelnden Musikgeschmacks finden. Dieses Heilmittel findet man nur in den tiefen Gründen, aus denen die eigentliche, unverzichtbare Rolle der Musik in der menschlichen Existenz hervorging.
Der Fall von Rothsteins Produkt erinnert daran, daß das Leben uns eine Fülle an Zufällen, meist aber nur scheinbaren Zufällen, liefert. Es hat ein solches Element nur scheinbaren Zufalls, wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt und auf diese Weise auf Rothsteins Behauptungen antworte. Um die Prämissen der Ansichten, die ich hier zum Ausdruck bringe, sorge ich mich zwar schon seit langer Zeit. Aber erst der zusätzliche Punkt, den ich in Bemerkungen über die jüngste Beschäftigung meiner Mitarbeiter mit der Rolle der Harmonie bei Johannes Keplers Entdeckung des universellen physikalischen Prinzips der Organisation unseres Sonnensystems eingeführt habe, schuf die Arbeitsumgebung, in der jetzt eine allgemeinere Diskussion von Rothsteins Fehler zu breiterer öffentlicher Aufmerksamkeit kommen soll und muß.2
Im besonderen: Die Existenz der menschlichen Fähigkeit zu musikalischer Komposition und ihrer Aufführung liegt eingebettet in die Geometrie menschlicher Existenz, und diese wiederum in die Harmonie, die Kepler als Organisationsprinzip des Sonnensystems entdeckte. Daher spreche ich von Keplers Gründung der experimentellen Naturwissenschaft der Neuzeit, die schon darin angelegt war, daß Kardinal Nikolaus von Kues den wissenschaftlich verhängnisvollen Fehler in Archimedes’ Versuch der Quadratur des Kreises erkannte.3
Was das Thema Musik im engeren Sinne angeht: Oberflächlich betrachtet liegt die Lösung des Rätsels darin, wie die ganz außergewöhnlichen Kompositionsmethoden klassischer Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven das Wesen des besonderen Prinzips der klassischen künstlerischen Komposition berühren, das die menschliche Gattung kategorisch über alle anderen lebenden Gattungen erhebt.4 Dieser grundlegende Zusammenhang zwischen kompetenter Wissenschaft und klassischer Kunst kann kein Rätsel mehr sein, sobald der Studierende erfaßt hat, daß zwischen Keplers Harmonik des Sonnensystems und J.S. Bachs verwandter Gründung der Prinzipien des wohltemperierten Kontrapunktes in Übereinstimmung mit dem klassische Gesangsprinzip des Florentiner Belcanto eine bestimmte grundsätzliche Konvergenz besteht.
Wenn wir uns auf den Gegenstand eines rigorosen Systems musikalischer Polyphonie als solchen konzentrieren, suchen wir also die prinzipiellen Grundlagen hinter dem Entwicklungsprozeß, der bei den in Stein gehauenen Belcanto singenden Kindern beginnt, die, wenn man sie einfühlend betrachtet, unter Filippo Brunelleschis Kuppel der Santa Maria del Fiore in Florenz noch immer zu uns singen. Diese Entwicklung verläuft weiter über die erhaltenen Fragmente Leonardo da Vincis über die Musik, über Kepler bis zu Bachs Gründung des Mediums der klassischen musikalischen Komposition und Aufführung.
Wenn wir das Thema Musik per se in diese antiken (z.B. pythagoräischen) und auch modernen europäischen klassischen Begriffe eingeordnet haben, richtet sich jedoch unsere Aufmerksamkeit mit Nachdruck auf C.P. Snows berühmte These von den „zwei Kulturen“ - die übliche Trennung von Wissenschaft und Kunst. Deswegen müssen wir unseren Angriff gegen diesen weitverbreiteten dummen Aberglaubens richten, der eine vermeintliche, in Wirklichkeit nicht vorhandene kategorische Trennung der Methoden kompetenter Wissenschaft von den Prinzipien der Komposition klassischer Kunst sieht. In der englischen Sprache ist die Verteidigung der Poesie des anti-romantischen Denkers Percy Shelley beispielhaft.5
Mit anderen Worten, Rothsteins Sicht der Dekadenz des gegenwärtig herrschenden „Musikgeschmacks“ ist an sich - systemisch - untauglich, besonders in der Hinsicht, daß er sich nur auf die verschiedenen romantischen oder noch schäbigeren existentialistischen Fiktionen der dekadenten Gewohnheiten der letzten Zeit bezieht, und nicht auf die wahre, entscheidende Funktion zivilisierter Musik im modernen zivilisierten Leben. Er begeht die typische unmoralische Tat der modernen philosophischen Liberalen, die dem venezianischen Paolo Sarpi nacheifern: Ausgehend von seinem Standpunkt innerhalb der Willkürherrschaft einer gerade herrschenden öffentlichen Meinung - eine sophistische Form allgemeinen Lügens, die „Konsens“ genannt wird -, lehnt Sarpi jede Vorstellung der Existenz der Wahrheit überhaupt ab.
Die Folge dieses moralischen und auch wissenschaftlichen Fehlers in Rothsteins Artikel ist, daß seiner Argumentation jedweder Begriff wahrer Prinzipien in der klassischen Komposition fehlt. Sein Fehler sollte klinisch unter der Rubrik „alberne Kinderspiele“ eingestuft werden. Das soll nicht heißen, daß sich in dem Thema, das sie ansprechen, kein wirkliches Prinzip verbirgt; es soll nur betont werden, daß sowohl Autor als auch Kritiker ihre sophistischen persönlichen Meinungen an die Stelle der eigentlich substantiellen Frage nach den klassischen Formen gesetzt haben. Es sind klassischen Formen, die der Naturwissenschaft und der musikalischen Komposition gemeinsam sind; sie wurzeln in den Prinzipien des Florentiner Belcanto, die in der europäischen Zivilisation der Neuzeit bis auf ihre Entwicklung im Zuge des großen ökumenischen Florentiner Konzils zurückverfolgt werden können.
Auf ganz ähnliche Art und Weise wurde die Naturwissenschaft verkrüppelt, weil die Rolle der klassischen musikalischen Komposition in einer wahren Naturwissenschaft - die ich weiter unten näher beschreibe - in oft hysterischer Art und Weise ausgeklammert wird. Sophisten verbannen die klassische musikalische Komposition in einen bestimmten Bereich der Phantasie, klassische Kunst jeder Art wird in die Gedankenwelt eines Irren gesteckt, völlig außerhalb der Welt, in der wir eigentlich existieren, die auf uns einwirkt und auf die wir einwirken, um unser Schicksal zu gestalten. So bleibt die Kunst außerhalb der realen Welt, als Unterhaltung ohne jeglichen wirklichen Inhalt.
Formulieren wir diese wichtige Beobachtung noch einmal anders. Wir haben es also mit einer gegenwärtig weit verbreiteten geistigen Störung der modernen europäischen Kultur zu tun, die unter vielen Musikern und anderen herrscht, für die Rothsteins Artikel ein anschauliches Beispiel ist. Diese Störung bezeichnet man gemeinhin entweder als „liberale“ oder „empiristische“ Doktrin des venezianischen Revisionisten Paolo Sarpi. Die Meinungen über Musik, die in dieser Buchbesprechung zum Ausdruck kommen, sind typisch für das Problem: Der springende Punkt ist dabei, daß der herrschende, im wesentlichen irrationale „Konsens“ an die Stelle von Rechenschaft gegenüber der individuellen Vernunft tritt. Diese Sophisten verneinen das Prinzip der Vernunft, das bei aller kompetenten naturwissenschaftlichen Praxis herrschen muß und welches auch als Maßstab für die Beurteilung klassischer künstlerischer Komposition und Aufführung erkannt werden sollte.
Sehen wir also in Rothsteins Ansichten eine derzeit weitverbreitete Form geistiger Krankheit namens Sophismus, die darin zum Ausdruck kommt, wie Rothstein in der „Uhrwerk Orange“-artigen Phantasiewelt des gegenwärtig geförderten „Konsenses“ künstlerischen Wert ausmacht. Das ist die Wurzel des Problems: eine geistige Störung, die in den Bereich des Glaubens an Sinneswahrnehmungen fällt und mit der man sich befassen muß, wie ich es in den folgenden Seiten hier tun werde.
Wenn dann dieser ironische Punkt betreffs der Torheit von Sinnesgewißheit erfaßt ist, kann man die unterschiedlichen Meinungen zu musikalischen Prinzipien, etwa den methodischen Unterschied zwischen der klassischen und der romantischen Herangehensweise an Komposition und auch Interpretation, nicht einfach nur als Fragen des unterschiedlichen Geschmackes verschiedener Menschen betrachten. Man muß darin vielmehr Fragen der moralischen Qualitäten der Menschen sehen. Ein symptomatischer Ausdruck für das Fehlen einer solchen moralischen Qualität ist der rohe, hedonistische, affenartige Geschmack, der gegenwärtig in den „Künsten“ vorherrscht.
Ich werde das erklären. Die grundlegende Frage, mit der unsere Untersuchung beginnen soll, ist die nun folgende.
Es ist längst an die Zeit, heutige Generationen von der berüchtigten Annahme zu befreien, den Menschen zu den Affen zu zählen - eine Annahme, die T.H. Huxley, sein Zeitgenosse Friedrich Engels und der ehemalige US-Vizepräsident und fanatisch neomalthusianische „Maschinenstürmer“ Al Gore heute gemein haben.
Deshalb muß ich erneut unterstreichen, daß wir uns, wann immer spezifisch menschliches Verhalten Gegenstand der Aufmerksamkeit ist, auf diejenigen Fakten konzentrieren müssen, die den Unterschied zwischen der offenbaren potentiellen relativen Bevölkerungsdichte des Menschen auf der einen und derjenigen von Pavianen, Schimpansen, Gorillas und dergleichen auf der anderen Seite betreffen. Auf diese Weise vergleiche man die Chronik der Menschheit mit jener der Affen oder anderer Wesen, die im Anstieg der menschlichen potentiellen relativen Bevölkerungsdichte vielleicht etwas scheinbar Unnatürliches sehen, wie der fanatische Neomalthusianer Al Gore. Kurz gesagt, wir müssen Eigenschaften menschlichen Verhaltens vom Verhalten der Affen und derjenigen, die sich selbst und ihre Nächsten praktisch zu Affen machen wollen, qualitativ differenzieren.
Wir müssen also, wie es Akademieprofessor W.I. Wernadskij tat, zwischen dem menschlichen Individuum als Mitglied der Noosphäre und den niederen Lebewesen der Biosphäre unterscheiden. Dieser systematische Unterschied ist die Folge einer einzigen, wesentlichen Eigenschaft des menschlichen Individuums, die bei allen niederen Lebewesen fehlt. Dieser qualitative Unterschied liegt im Prinzip des Schöpferischen, das im Werk von Persönlichkeiten wie dem ureigensten Entdecker der universellen Gravitation, Johannes Kepler, und den großartigsten unter den klassischen Komponisten, den Meistern der von J.S. Bach gegründeten klassischen Schule, seinen Ausdruck findet.
Wie ich im folgenden erläutere, ist die entscheidende Tatsache bei dieser Angelegenheit, daß die von Kepler und Bach beispielhaft verkörperte Kraft des Schöpferischen das menschliche Individuum grundsätzlich über die niederen Lebewesen, wie etwa Menschenaffen, stellt. Dieser Unterschied findet seinen ontologischen (nicht bloß formalen) Ausdruck in der Vorstellung der ontologischen Aktualität des Infinitesimalen, dessen Entdeckung auf Nikolaus von Kues zurückgeführt werden kann, das bei Keplers Entdeckung im Mittelpunkt steht und das auch in Leibniz’ Werk das zentrale Element der Kreativität bildet; diese schöpferische Fähigkeit findet man weder in den mathematischen Erfindungen von Betrügern wie Isaac Newton noch in den empiristischen Doktrinen von D'Alembert, Lagrange, Laplace, Cauchy, Clausius und Grassmann noch in den letzten, dekadenten Jahrzehnten im Leben Eulers.
Wenn man also heute unsere Bevölkerung aus der Nähe betrachtet, kann es dem nachlässigen Beobachter, der das ontologisch Infinitesimale übersieht, so erscheinen, als ob der Unterschied zwischen Mensch und Tier gering und fast ein Zufall wäre, wenn es überhaupt einen gäbe.
Aber wenn wir die Steigerung der wirksamen, potentiellen relativen Bevölkerungsdichte pro Kopf und pro Quadratkilometer berücksichtigen, erkennen wir diese enorme Steigerung über die gesamte Zeitspanne seit dem Aufblühen der europäischen Zivilisation der Neuzeit nach 1439 bis hin zu der Verbreitung der aus ihr entstehenden technischen Verbesserungen nach Asien und anderswo. Wir sehen, daß der Unterschied zwischen dem, was Professor Wernadskij als Biosphäre bzw. Noosphäre eingeteilt hat, hochbeeindruckend ist, dezimale Größenordnungen ausmacht und, wenn man noch weiter zurückblickt, wahrhaft qualitativ ist.
Die Steigerung der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte ganzer Kulturgruppen unter den Menschen ist ein Ausdruck wirksamer Prinzipien, welche an und für sich genommen für die zunächst scheinbar bloß biologischen Sinneswahrnehmungen unsichtbar sind.6 Doch der Anstieg der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der Gesellschaft - von der einfachen Nutzung des Sonnenlichts, des vom Sonnenlicht verursachten Windes und Regens über die Einführung der Wasserkraft, der Holzverbrennung, Kohle, Koks, Benzin und nun Kernspaltung - zeigt sich symptomatisch in Begriffen von Funktionen der Steigerung der meßbaren Energieflußdichte pro Quadratzentimeter Schnittfläche des jeweiligen Prozesses. Die Entwicklung solcher vom Menschen gewählter Steigerungen der „Energieflußdichte“ und, was sehr wichtig ist, der Technik, mittels derer der Mensch Rohstoffe entwickeln und wirksam einsetzen kann, steht beispielhaft für die Rolle der menschlichen Geisteskräfte, die das auf Erkenntnis gegründete Verhalten unserer Gattung vom Verhalten der Tiere unterscheiden.
Solche Anstiege der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der menschlichen Gesellschaften, wenn sie denn stattfinden, haben ein ontologisches Merkmal, das in geometrischen Systemen der euklidischen Traditionen oder mechanistisch-statistischen Systemen kartesischer Art nicht als meßbares Objekt existiert. In anderen Worten, der wichtigste Aspekt der Existenz der menschlichen Gattung hat eine bestimmte Qualität mit wirksam ausgedrücktem ontologischem Charakter, die in physikalischen Geometrien formal-reduktionistischer Art nicht vorkommt. Diese Eigenschaft ist von derselben Beschaffenheit wie die ontologisch wirksame infinitesimale Ursache, die Johannes Kepler, Gottfried Leibniz, Gauß, Riemann u.a. in der physikalisch-elliptischen Umlaufbahn der Planeten sowie anderen astronomischen und vergleichbaren Zyklen erkannt haben.
Sofern wir versuchen, diese bedeutende, schwerwiegende Unterscheidung zwischen dem menschlichen Verhalten und dem der Tiere zu behandeln - selbst wenn wir dies bloß aus der axiomatischen Sicht einer vermuteten selbstevidenten Autorität der Sinneswahrnehmungen tun -, stoßen wir dadurch auf die Tiefen irrationaler Zustände, die typisch sind für Anhänger des anglo-holländischen Liberalismus des Venezianers Paolo Sarpi, wie Hooke, Locke, Mandeville, Quesnay, de Moivre, D'Alembert, Leonard Euler, Lagrange, Laplace, Cauchy u.a.
Im Bereich der hier angesprochenen musikalischen Prinzipien heißt das: Sofern wir versuchen, die entsprechenden Experimente zum Beweis eines Prinzips innerhalb der scheinbar selbstevidenten Grenzen entweder des Sehvermögens oder des Hörvermögens zu finden, werden wir in einen groben, gleichgültigen methodischen Irrationalismus zurückgeworfen, wie ihn die primitivsten Ströme der Materialisten der Geschichte wie auch deren heutige empiristische Apostel teilen. Tolerieren wir solche reduktionistischen Ansichten in der Philosophie, zieht es uns in den „Sumpf der Verzweiflung“ - in die tiefen Gruben eines mystischen Prinzips reinen Glücksspiels, wie es Mandeville, Quesnay, Smith und Merton-Scholes in ihrer betrügerischen, verrückten Verfälschung der Volkswirtschaft aus den Augen eines Zockers verwendeten.
Deshalb wird unter Empirikern wie Mandeville, Dr. François Quesnay, Adam Smith und ihren leichtgläubigen Bewunderern heute fälschlicherweise so getan, als ob eine Steuerung von menschlichem Verhalten, aus dem gelegentlich Anstiege der Produktivkräfte ganzer Gesellschaften hervorgehen, dem menschlichen Geist völlig verschlossen wäre.7 Sie halten den Ursprung dieser Fortschritte für etwas ganz Magisches und auch im wesentlichen Bösartiges, als sei es das Werk der Arbeit kleiner grüner Männchen mit roten Augen, die unter den Bodendielen einer kartesischen Gesellschaft Würfel spielen, um auf diese kapriziöse Art und Weise das Schicksal wirklicher Personen und Nationen zu verhandeln.
Ein geeigneter, treffender Vergleich für diese Zwickmühle sind die Wurzeln jenes geistigen Verfalls, der die altgriechische Wissenschaft von der Vortrefflichkeit der Pythagoräer und Platoniker auf einen verkommenen Zustand herabsetzte, dessen Inbegriff Euklids sophistische Neufassungen früherer gültiger Entdeckungen der Klassiker bilden. Der entscheidende Betrug hinter den apriorischen Annahmen in Euklids Elementen besteht darin, daß die Ideen von Wirkungen im physikalischen Raum und in der physikalischen Zeit auf eine pervertierte Form der früheren, gültigen Entdeckungen (etwa der Pythogräer u.a.) gegründet werden. So verwendeten die Reduktionisten Vorstellungen „selbstevidenter“ Definitionen, Axiome und Sätze, die unausgesprochen von einer naiven Interpretation der Funktion des Sehvermögens aus der barbarischen Sicht der Sinnesgewißheit abgeleitet wurden.
Bernhard Riemann erklärt die richtige Vorstellung in den ersten Absätzen seiner Habilitationsschrift von 1854: Die „selbstevidenten“ Annahmen der Reduktionisten würden verhindern, daß wir die „Fußbodendielen“ durchstoßen. Der Glauben an solche eingebildeten „Dielen“, wie man ihn bei den Opfern von Euklid und Descartes sieht, engt den Geist so ein, daß diese Leichtgläubigen zu Opfern der eingebildeten bösen Geister werden, die quasi unter dem Fußboden sitzend das selbstgewählte Schicksal des Menschen lenken.8
Beispielhaft für die bemerkenswerteste Torheit des Menschen innerhalb der bekannten Geschichte der europäischen Zivilisation ist die feige Unterwerfung der breiten Bevölkerung unter das mit dem mystischen olympischen Zeus verbundene Dogma, welches das Prinzip der Umgestaltung der Gegenwart, als Zukunft, hin zu der dem menschlichen Individuum eigentümlichen Schöpferkraft verbot. Solche Männer und Frauen können in keiner Weise als lebendiges Abbild ihres Schöpfers handeln. Das „Feuer“ in Aischylos’ Gefesseltem Prometheus ist der schöpferische Funken, der sich so ausdrückt, wie Kepler den Beweggrund für die Planetenumlaufbahnen als das „Infinitesimal“ definierte - jener Funken des infinitesimalen „Feuers“, der zur Schaffung der Infinitesimalrechnung führte, was Kepler seinen Nachfolgern wie Leibniz zur Aufgabe gemacht hatte.
Ein vergleichbarer Ausdruck des verbreiteten menschlichen Fehlers, den wir bisher aufgezeigt haben, sind die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man ein naives Verständnis des Hörens durch vermeintlich selbstverständliche Vorstellungen über das Sehen zu ersetzen versucht, oder umgekehrt.
Ein ernsthafter Denker wird daraus erkennen, daß es dringend notwendig ist, eine bessere Betrachtungsweise einer solchen paradoxen Situation zu definieren. Eine solche erforderliche moderne Sicht dieser Frage beruht auf dem Einsatz moderner Anlagen und Instrumente, welche uns in den atomaren, den subatomaren Bereich usw. hinführen. Diese Sicht läßt uns einfacher erkennen, daß unser biologischer Sinnesapparat praktisch als eine biologische Form von Meßinstrumenten behandelt werden muß, nicht als eine Kraft, die uns Gewißheiten bieten würde, wie man sie törichterweise in Äußerungen einer selbstevidenten ontologischen Sinnesgewißheit vermuten könnte.
Alle unsere Sinne sind in Verbindung mit wesentlichen experimentellen Grundlagenversuchen nützlich; sie lenken unser Augenmerk aber auch auf die Unzulänglichkeiten, die im Entwurf solcher Experimente stecken. Mit dieser Vorwarnung sind wir also gut beraten, die naive Sinnesgewißheit durch eine auf Experimente ausgerichtete Suche nach der Wahrheit zu ersetzen, die oft unvollkommen ist und die sich uns nur in Form der Paradoxe zeigt, die entstehen, wenn man den Glauben an die Sinnesgewißheit aufgibt. Wir müssen den plumpen Glauben an Sinnesgewißheit überwinden, indem wir die einander widersprechenden Eindrücke unserer verschiedenen Sinnesfunktionen, wie etwa Sehen und Hören, als eine Frage der experimentellen Methode behandeln, wie man mit unterschiedlichen angewandten Untersuchungsverfahren einen Gegenstand gleichzeitig mit „natürlichen“ und „künstlichen“ Instrumenten erfaßt.
Anders ausgedrückt: Wir sollten aus Erfahrung wissen, daß man sich selbst belügt, wenn man die Sinneserfahrung als sogenannte „Sinnesgewißheit“ akzeptiert. Jeder unserer Sinne liefert uns ein bestimmtes, spezifisches Bild des laufenden Eindrucks des gleichen Ereignisses, das von zwei oder mehreren Sinnen wahrgenommen wird, und dies stets so, daß es mit den Wahrnehmungen aller anderen Sinne jeweils qualitativ in Widerspruch steht. Deshalb muß man erkennen, daß die Wahrheit nicht in dem Abbild der Wirklichkeit liegt, das sich durch jede einzelne Art der Sinneswahrnehmung als solcher darstellt. Wahrheit liegt nicht in Wahrnehmung als solcher, sondern in ironischen Veränderungen innerhalb der Gesamtheit der abgelaufenen physikalischen Raumzeit dessen, was wir im Experiment als wichtige Zustandsänderung wahrnehmen müssen. Die Existenz einer qualitativen Zustandsänderung, besonders wenn sie sich gezielt hervorrufen läßt, spiegelt wider, welcher Art von Erfahrung die Vorstellung von Wahrnehmungen untergeordnet werden muß.
Es sollte für den vorliegenden Zweck genügen, einen solchen Ansatz auf die paradoxe Gegenüberstellung des Seh- und des Hörvermögens anzuwenden. Als Beispiel für das, was ich eben über Wahrnehmung gesagt habe, betrachte man die wichtigsten Errungenschaften von Keplers experimenteller Methode, etwa seine Entdeckung der Planetenbahnen und seine anschließende Entdeckung des harmonischen Prinzips hinter der Schwerkraft in der Organisation unseres Sonnensystems. Man betrachte Keplers Entdeckung des Infinitesimalen, das Leibniz’ ureigenste Entdeckung der Infinitesimalrechnung und die physikalische Grundlage des Prinzips der universellen geringsten Wirkung (das „Kettenlinien-Prinzip“) definiert. Man betrachte die Bedeutung von Fermats Entdeckung eines physikalischen Prinzips der „geringsten Wirkung“, das für Leibniz’ und Bernoullis Entdeckung der Bedeutung der Kettenlinien-Funktion entscheidend war. Jede solche Entdeckung entspricht qualitativ einem bestimmten experimentellen Erkenntnisstand, und durch solche gültigen Entdeckungen grundlegender Prinzipien sind einfache empirische Fakten diesem Erkenntnisstand ganz und gar untergeordnet.
Zu diesem Zweck betrachte man das Werk Bernhard Riemanns von der Zeit seiner Habilitationsschrift 1854 an und beachte dabei, welche Bedeutung diese Schrift dafür hat, wie eine kompetente Naturwissenschaft in Übereinstimmung mit Riemanns Denkweise die menschlichen Sinneskräfte behandelt. Man berücksichtige die entscheidende ontologische Bedeutung von Keplers Entdeckung des Prinzips der Gravitation als ein Prinzip, das die Wirkbeziehungen im Sonnensystem vereinheitlicht. Man betrachte die so wichtige ironische Beziehung zwischen Sehen und Hören (Harmonie), von der sich Keplers Formulierung der Rolle universeller Gravitation im Sonnensystem experimentell ableitete.9
Man vergleiche Keplers harmonische Organisation der Planetenbahnen unseres Sonnensystems mit der Funktion der wohltemperierten Organisation der musikalischen Raumzeit in J.S. Bachs wohltemperiertem Kompositionssystem - als physikalischem System.
Kepler und andere haben bewiesen, daß weder Hören noch Sehen unabhängig voneinander wahr sein können; aus dem Widerspruch zwischen den „Meinungen“ beider „Meßinstrumente“ über den gleichen Erfahrungsgegenstand entsteht in unserem Geist ein „dritter, transzendentaler Sinn“, ein kognitiver Sinn, der weder Sehen noch Hören noch irgendeine andere Sinneswahrnehmung ist: der Sinn eines universell wirkenden Prinzips. Keplers Erkenntnis der wesentlichen Funktion der Harmonie im Sonnensystem, das die Organisation des Gravitationssystems als ganzem definiert, ist hierfür beispielhaft. Deshalb erkannte Albert Einstein ganz ähnlich in dem Werk von Kepler und Riemann Marksteine eines völlig einheitlichen Entdeckungsprozesses.10
In allen vergleichbaren Fällen, die sich experimentell auf universelle Naturprinzipien gründen, welche bei den Sinneswahrnehmungen und auch den zur Verstärkung von Sinneswahrnehmungen dienenden Versuchsinstrumenten nur „zwischen den Ritzen“ zum Ausdruck kommen, erscheint ein universelles Naturprinzip als physikalisch wirksame Präsenz eines „Infinitesimals“ - als transzendentaler Ausdruck eines quasi willentlichen Motivs, das den Weg der Planetenbahn bestimmt.
Das entscheidendste der bekannten Beispiele dafür, wie in der gesamten modernen Wissenschaft derartige Gegenüberstellungen benutzt wurden, ist Keplers Verwendung der Harmonik als wichtigstes Mittel zur Vervollkommnung seiner Entdeckung der Organisation unseres Sonnensystems, die zunächst nur eine erste Annäherung war, hin zu der harmonischen Anordnung der Planetenbahnen. Die Einsicht in diesen besonderen Aspekt von Keplers Beitrag zur Gründung der modernen Wissenschaft im allgemeinen liefert dem Kritiker von Rothsteins Gerede den richtigen Ansatz, zu verstehen, warum Rothsteins Behauptungen über die klassische Musik, die ja im wesentlichen als kohärente Fortführung der Bach-Tradition entstand, falsch sind.
Den Schlüssel zu einem ersten Verständnis des bisher hier Dargestellten erhält man, wenn man Johann Sebastian Bachs Werk vom Standpunkt von Keplers Einblick in die harmonische Zusammensetzung unseres Sonnensystems untersucht. Es ist kein bloßer Zufall, daß die gesamte kompetente moderne Naturwissenschaft auf Vorstellungen universeller Prinzipien beruht, die auf der Entwicklungslinie von den Entdeckungen Keplers (und Nikolaus von Kues’ vor ihm) bis hin zum Werk des Amateurgeigers Albert Einsteins liegen. Bei sorgfältigem Nachdenken über diese Entwicklung von Kepler über Leibniz und Riemann bis Einstein wird rückblickend deutlich, daß zwei Schritte zur Vorbereitung einer solchen Untersuchung wesentlich sind.
Erstens muß man mit dem Unsinn aufräumen, Bachs Werk strikt von dem von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven zu trennen. Es gibt keinen bedeutenden Aspekt im Werk dieser Komponisten, der nicht ein integraler Ausdruck und deshalb eine nahtlose Fortführung der von Bach geschaffenen Grundlagen wäre. Besonders deutlich zeigen das die Versammlungen, die mehr oder weniger regelmäßig in der Wiener Residenz des Botschafters a.D. Gottfried van Swieten stattfanden, wo Haydn, Mozart, Beethoven und andere ihre Kunst an den Manuskripten von Händel und J.S. Bach - etwa Bachs Musikalischem Opfer - verfeinerten. Die exemplarische Bedeutung gerade dieses Bach-Werkes, zusammen mit seiner Kunst der Fuge, taucht erneut als entscheidender, hocheindrucksvoller Übergang in der Schlußaussage von Beethovens Opus 111 auf, und es findet sich mit beharrlicher Beständigkeit immer wieder bei allen großen klassischen Komponisten von Mozart über Schubert bis Brahms.
Hier wird auch deutlich, was ich oben als das „transzendentale“ Prinzip der Instrumente bezeichnet habe: Solche Musik ist nicht an sich (axiomatisch) Instrumentalmusik, sondern im wesentlichen ein erweiterter Ausdruck der Prinzipien des menschlichen Geistes und unseres Universums, wie sie auch in der klassischen Polyphonie (des Florentiner Belcanto) wurzeln, was allgemein beispielhaft in den Motetten J.S. Bachs zur Anwendung gelangt. Die Kombination der natürlichen Stimmgattungen, aus denen sich ein Chor menschlicher Belcanto-Singstimmen zusammensetzt, definiert das endliche, aber unbegrenzte (d.h. „selbstbegrenzte“) musikalische Universum der menschlichen Stimme und, wie Andras Schiff kürzlich hervorgehoben hat, der Übertragung der Singstimmen auf den Umfang von Beethovens geistigem Klavier.11 Unser Augenmerk muß sich primär auf die Funktionsbeziehungen innerhalb dieses so definierten Gesangsuniversums richten. Das Entwicklungsprinzip, das in Bachs Präludien und Fugen vorgestellt wird, bildet in einer Wissenschaft der musikalischen Kunst die wichtigste Fibel für alle sinnvollen Kompositionen seit J.S. Bach, im Grunde sogar bereits seit der Abbildung jenes Knabenchors, den ich noch kürzlich in der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz singen sehen konnte.
Bedeutet das, daß Keplers Harmonik des Sonnensystems das genaue Vorbild für Bachs wohltemperiertes Kompositionssystem ist? Nicht ganz. Das Sonnensystem in seiner Allgemeinheit steht für eine bestimmte Art des universellen Phasenraumes. Musik gehört in den Bereich der Noosphäre. Entsprechend sind die Geometrien unterschiedlich, aber die gemeinsamen universellen Harmonieprinzipien als solche bleiben dennoch bestehen: Als Teil ein und derselben Universalität wird jedes dazu neigen, das andere nachzuahmen, so, wie es eine Riemannsche Sicht der übergreifenden höheren Mannigfaltigkeit bedingen muß.
Ansonsten liegt die richtige Beziehung von klassischer Kunst zur Naturwissenschaft, an die wir uns gewöhnen sollten, in der Verfeinerung der gut plazierten menschlichen Singstimme durch richtiges Einsingen in der Stimmung des florentinischen Belcanto von c’=256 Hz, als Vorbereitung auf das Singen eines gewählten Übungsabschnitts von Bachs Jesu, meine Freude und Mozarts Ave Verum Corpus. Beim Üben muß man sich auf das Ziel konzentrieren, im bewußten Erleben des Chores eine transzendental „nahtlose“ Einheit der Aufführung als Ganzes zu erzeugen - eine einheitliche treibende Vorstellung, von einem zweckgemäßen Augenblick der Stille am Anfang bis zu einem weiteren am Ende.12 Das Ziel ist erreicht, wenn eine Gruppe, die sich gleichzeitig auf ganz ähnliche Weise mit den großen wissenschaftlichen Grundsatzentdeckungen vom Standpunkt der Pythagoräer und Platons bis hin zu Kepler, Fermat, Leibniz, Gauß und Riemann beschäftigt, diese Absicht und eine genügende Aufführungsqualität erfüllen. Auf diese Weise entsteht bei denjenigen, die entsprechende Erfahrungen mit beiden haben, ein inneres Gespür für die tiefere, transzendentale Einheit hinter den Prinzipien der klassischen Wissenschaft und jenen der Schaffung und Aufführung klassischer Kunst.
Die nötige „Geschlossenheit“ in der Aufführung jeder klassischen Komposition, die man als „abgeschlossen“ erlebt, ist Riemannisch in dem gleichen Sinn, wie unser „selbstbegrenztes“ Universum Riemannisch ist, genauso wie es Albert Einstein beschrieben hat. Alle wirklichen Ideen sind in dieser Hinsicht Riemannisch. Diese Qualität der „Selbstbegrenzung“, die schon in Bachs Methode steckt, wird in Mozarts Ave Verum Corpus auf brillante und einfache Weise klar, und man erkennt dieses leidenschaftliche Ziel auch bei Beethoven, immer mehr, wenn er zu dem abschließenden, qualitativ höheren Zustand seiner „späten“ Kompositionen fortschreitet. Entscheidend sind die Ironien einer mehr oder weniger vollkommen ausgeführten Selbstbegrenzung - wie der Selbstbegrenzung unseres Universums. Die Selbstbegrenzung einer Komposition, die der Aufführung eigene Idee, ist die Identität jedes gut aufgeführten Werks klassischer Musik oder anderen Kunstkomposition. Die Qualität der „Selbstbegrenzung“ zeichnet jede vernünftige Entwicklung einer gültigen Idee in der Naturwissenschaft oder der Schaffung und Aufführung klassischer Kunst aus. In dieser Form kann man dann zu recht von einer platonischen Idee sprechen.
Dieses gleiche Prinzip wird gerade auch in den späteren Streichquartetten Haydns, jenen Mozarts und (ganz besonders) den späten Quartetten Beethovens als praktisches Prinzip deutlich. Der Versuch, durch einen kurzen Hauch von „Unendlichkeit“ die einheitliche Wirkung des Kontrapunkts, das Gespür für den Übergang zu erzeugen, dient als Orientierung für das Aufführungsziel, was im kleineren auch bei der Bach-Motette und dem genannten Mozart-Stück deutlich wird.
Ein solches Musikwerk naiv in Begriffen eines axiomatischen blinden Vertrauens in die vermeintlich selbstevidente Wahrheit von Sehen und Hören (und manchmal vielleicht sogar Riechen) zu interpretieren, ist eine weitverbreitete Albernheit, an die auch Rothsteins Buchbesprechung anknüpft. Wahre Musik darf nicht nach dem primitiven Prinzip angenehmer Empfindungen von Sehen, Hören oder Riechen gehört oder geschaffen werden - sie muß einer höheren, spezifisch menschlichen Fähigkeit folgen, den kreativen (d.h. noetischen) Kräften einer höheren Autorität als der Sinneswahrnehmung: der Schöpferkraft des souveränen individuellen menschlichen Geistes.
Wird fortgesetzt
1. Siehe die Nachbemerkung zu Edgar Allan Poes Methode am Ende des letzten Teils.
2. „Arbeitsumgebung“ ist insbesondere eine Anspielung auf entsprechende Arbeit junger erwachsener Mitarbeiter, die sich in koordinierter Anstrengung bemühen, die antiken und späteren Grundlagen der modernen Naturwissenschaft von den Pythagoräern bis Riemann nachzuschaffen; dies überlappt sich mit Gesangsübungen im strikten Florentiner Belcanto, die notwendig sind, um zu verstehen, was man für eine angemessene Aufführung der Motetten Johann Sebastian Bachs, wie Jesu, meine Freude, und Mozarts Ave Verum Corpus braucht. Dazu gehört auch die Frage des Verhältnisses der Wissenschaft zur Rolle des Belcanto-Gesangs bei den Produkten dieser Methode bei J.S. Bach sowie seinen treuen Nachfolgern wie Wolfgang Mozart und Ludwig van Beethoven bei ihrer Weiterentwicklung der Anwendung der Bachschen Methode der Wohltemperierung. Diese gleichzeitige Mitwirkung an beiden Projekten, Kunst und Wissenschaft - nicht als zwei parallele Gleise, sondern als unteilbares Ganzes - ist eine entscheidende praktische Grundlage zur Förderung des praktischen Verständnisses der Frage der Musik, die ich hier anspreche. Man denke dabei auch an C.P. Snows These der „zwei Kulturen“.
3. Nikolaus von Kues’ Erkenntnis des Fehlers in Archimedes’ Herangehensweise ist die zentrale Entdeckung, die allen kompetenten Formen moderner Wissenschaft zugrunde liegt. Diese Entdeckung fand ein Echo in Keplers Entdeckungen des Prinzips der Erdumlaufbahn und der Gravitation, und sie bildete die Grundlage für Keplers Instruktionen an seine Nachfolger, eine Infinitesimalrechnung (Leibniz) und die Allgemeingültigkeit des physikalischen Prinzips elliptischer Funktionen auszuarbeiten. Dieselbe Konzeption ist das entscheidende ontologische Prinzip, welches der Gesamtheit meines Gedankengangs hier zugrunde liegt.
4. Als relevante musikalische Bezugspunkte aus den Klavierwerken von Bach, Mozart und Beethoven betrachte man Beethovens prometheische Vorwegnahme von Brahms in den Takten 60-86 des Adagio Sostenuto in Opus 106 und wende sich dann der Coda von Opus 111, Takte 21-49 zu. Vor allem aber nehme man Beethovens oft zitiertes prometheisches Aufgreifen von Mozarts früherem Aufgreifen von Bachs Musikalischem Opfer. Der entsprechende Aspekt von Mozarts Klavierfantasie KV 475 dient in den Takten 20-49 von Beethovens op. 111 als bedeutender Übergang ins Himmlische, wo Mozart in den Takten 38-49 äußerst wirkungsvoll zitiert wird. Hier findet man, befreit von der Obszönität des Apollo-Dionysos-Kultes, ganz typisch Beethovens einzigartige, unverwechselbare Erfahrungen mit der „verbotenen“ Macht des Feuers, nämlich der Schöpfung wahrer Ideen! Man vergleiche das, wie ich es oft getan habe, mit dem Begriff der Ironie (so wie für die englische Sprache in William Empsons Buch Seven Types of Ambiguity). Das Verständnis und die Bedeutung der scheinbaren Diskontinuitäten, die als Ausdruck der Schöpferkraft in Wissenschaft und Musik entstehen, sind heute nahezu verloren gegangen. Dies ist hauptsächlich das Resultat des Einflusses von Positivismus und Existentialismus auf die Wissenschaftler und Kunstkritiker der gegenwärtig tonangebenden Nachkriegsgeneration. Die Rolle der Imitation von Vogelstimmen im Werk Boccherinis verstärkt diesen Kontrast eher, als ihn herauszufordern.
5. Die folgende Bemerkung im Zusammenhang mit dem heute üblichen Mißbrauch des Begriffes „romantisch“ ist obligatorisch. Der Begriff „klassisch“ - die Antithese von „romantisch“ - hat seine Wurzeln in der klassischen griechischen Gegenbewegung der Pythagoräer und Platons gegen den delphischen Apollo-Dionysos-Kult und dessen formalen Sophismus. Genaugenommen wurde das klassische Erbe im Europa der Neuzeit vom Florentiner Konzil 1439 wiederbelebt; beispielhaft dafür sind Nikolaus von Kues und seine erklärten Nachfolger wie Luca Pacioli, Leonardo da Vinci und Johannes Kepler. „Klassisch“ ist das Merkmal von William Shakespeare und von Gottfried Leibniz und seinen Kreisen. „Romantisch“ im richtigen Sinne des Wortes im modernen Sprachgebrauch entspricht dem Liberalismus Paolo Sarpis und seiner Anhänger sowie den verrückten volkswirtschaftlichen Ansichten von Anhängern Sarpis und Galileo Galileis wie Mandeville, Quesnay, Adam Smith, Jeremy Bentham und dem in Paris ansässigen Venezianer Abbé Antonio Conti. Contis Nachfolger, die anglo-holländischen Liberalen, beherrschen die europäische Kultur von der Zeit der Thronbesteigung Georgs I. in England bis zum Aufstieg der deutschen Klassik um die Kreise Abraham Kästners: Gotthold Lessing, Moses Mendelssohn, Goethe (immer mal wieder), Friedrich Schiller und Anhänger Schillers wie die berühmten Gebrüder Humboldt. Die Folgen der Französischen Revolution, die Herrschaft Napoleons und der ultra-reaktionäre Wiener Kongreß entfesselten das, was man formal als die Romantik der Neuzeit definiert - Heinrich Heine, ein offener Verteidiger der klassischen Tradition, hat das im einzelnen beschrieben. Daher sind Bach, Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert sowie Schiller typisch für die nahtlose Entwicklung des Klassischen in Musik und Dichtung, während Heine selbst, wie auch Schumann und seine Zeitgenossen, Verteidiger des klassischen Erbes innerhalb einer Welt waren, die durch den Irrationalismus des 19. Jahrhunderts, die sog. „Romantische Schule“, korrumpiert war. Der Verfechter der Amerikanischen Revolution, Shelley, schlägt mit seinem Werk die Brücke zwischen Schiller und Heine. Die Unabhängigkeitserklärung und Verfassung der Vereinigten Staaten verkörpern den klassischen Standpunkt als Echo der griechischen Klassik der Pythagoräer, Sokrates’, Platons u.a. gegen den sophistischen Verfall um den delphischen Apollo-Dionysos-Kultes. Präsident Franklin Roosevelt steht für die klassische Tradition gegen die typischen Sophisten um Namen wie Teddy Roosevelt, Woodrow Wilson und Calvin Coolidge wie auch gegen Harry Truman, Nixon u.a. Die Generation der „68er“, deren Genesis und Charakter ich im einzelnen seziert habe, bietet Beispiele für die „Romantische Schule“.
6. Ein besser gewählter Begriff wäre statt „unsichtbar“: „infinitesimal“. Der betrügerische Angriff gegen Leibniz’ Infinitesimalrechnung seitens de Moivre, D'Alembert, Euler, Lagrange, Cauchy u.a. stützte sich auf die ontologisch betrügerische Annahme dieser Reduktionisten, Kepler und Leibniz wollten mit dem „Infinitesimal“ einen unendlich kleinen Punkt andeuten statt eine Wirkung, wo sich ein „Vektor“ in einem kontinuierlichen Vorgang auf geordnete Weise ständig verändert. Man siehe in diesem Zusammenhang die Briefe an eine deutsche Prinzessin von Leonard Euler, 1761. Euler, der ein Schüler Jean Bernoullis gewesen war, ist Mitte des 18. Jahrhunderts aus politischem Opportunismus „zur anderen Seite übergelaufen“. Als einer der fähigsten in dem ganzen Haufen um D’Alembert, Voltaire, Lagrange und deren Anhängern muß Euler in seinem Vorstoß, die Prinzessin in das neokartesische Lager zu locken, selbst sicherlich nur einen billigen Trick gesehen haben.
7. Man nehme als Beispiel das entsprechende Kernargument Adam Smiths, etwa aus seiner Theorie der moralischen Empfindungen (1759), oder Bernard Mandevilles auffällige Begeisterung für das Glücksspiel. Derselbe Schwindel wie bei ihnen liegt der physiokratischen Lehre des Dr. François Quesnay zugrunde. Er geht systematisch davon aus, daß die Bauern eines Landgutes bloß eine Art Vieh seien, und so erwachse der Gewinn auf magische Weise aus der Besitzurkunde, die dem untätigen Gutsbesitzer die Zauberkraft verleiht, aus dem Gut mehr herauszuholen als hereinzustecken. Derselbe Betrug bildet das Hauptargument bei Turgot, bei dem der zutiefst anti-amerikanische Adam Smith in seinem Werk Wohlstand der Nationen sehr großzügig abschrieb.
8. Ein anschauliches Beispiel für dieses „satanische Prinzip“ ist die Argumentation der leichtgläubigen Anhänger der römischen imperialistischen Tradition, die behaupteten, wenn der Schöpfer allmächtig wäre, dann wäre seine Schöpfung so vollkommen, daß er sich in das, was nach der ursprünglichen Schöpfung im Universum weiter geschehe, nicht mehr einmischen dürfte. Ein befreundeter, kürzlich verstorbener Rabbiner hat Philo treffend gegen diese Aristoteliker verteidigt: „Der Messias wird kommen, wenn der Schöpfer sich entscheidet, ihn zu senden.“
9. Man könnte vermuten, das Sehen sei linear, wie es das Dogma von Euklids Elementen nahelegt, aber schon Leonardo da Vinci widerlegte diese Annahme, unter anderem mit seinen Landschaftsgemälden. Linearität des Sehens existiert nur in der idealisierten visuellen Projektion bei Euklid etc.
10. Die als Glauben an Isaac Newton verbreitete Täuschung ist weitgehend dafür verantwortlich, daß sogar unter sonst bedeutenden, fähigen Wissenschaftlern, sogar bei führenden Vertretern meiner eigenen Generation, Keplers und verwandte Entdeckungen unbekannt sind. Die verderbliche Wirkung des radikalen Empirismus (z.B. des Positivismus), wie sie sich in den Angriffen auf Max Planck während des Ersten Weltkriegs in Deutschland und auf den Solvay-Konferenzen in den 20er Jahren zeigten, haben zu diesem Verfall ganz wesentlich beigetragen. Die Hauptursache für die Korrumpierung in der wissenschaftlichen Ausbildung ist und bleibt, daß die Schüler mit euklidischen und kartesischen Grundannahmen gehirngewaschen werden; sie werden in Kindheit und Jugendzeit mit radikal reduktionistischen Theorien indoktriniert, die auf den Sophismus des euklidischen Apriorismus hinauslaufen.
11. In Beethovens Geist wurde damit Einsteins Beschreibung des Kepler-Riemannschen Universums als das endliche, aber unbegrenzte Universum, in dem wir alle leben, bereits vorweggenommen. Diese Vorstellung ist spezifisch Riemannisch.
12. „Nahtlos“ in einem höheren Sinn, aber gegründet auf die Nichtlinearität eines Mozartschen Ave Verum Corpus, das durch eine Folge lydischer Intervalle geordnet ist! Anders ausgedrückt: „Nahtlosigkeit einer höheren Ordnung“ der physikalischen Raumzeit. Die so erzeugte Spannung treibt den Entwicklungsprozeß voran, der das vereinheitlichende Konzept der Komposition ist. Die gleiche Absicht sollte auch die Aufführung (und die Konzentration der Zuschauer) eines wirklich klassischen Dramas - etwa geeignet ausgewählte klassische griechische Tragödien und aus der Neuzeit Shakespeare oder Schiller - vom ersten bis zum letzten Vorhang leiten.
Lesen Sie hierzu bitte auch:
Schriften von Lyndon H. LaRouche 1981-2006 - Internetseite des Schiller-Instituts Was Lyndon LaRouche wirklich sagt - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) Internetseite des LaRouche-Aktionskomitees - in englischer Sprache |
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