» » » Internetforum mit Helga Zepp-LaRouche « « «
Aktuelle Ausgabe Diese Ausgabe Gehe zu ... Kernthemen Suchen Abonnieren Leserforum

Artikel als
=eMail=
weiterleiten

Aus der Neuen Solidarität Nr. 29/2007

Jetzt
Archiv-CD
bestellen!

  Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken

Gefühllosigkeit als Kastenmerkmal

Von Helga Zepp-LaRouche

Von einem klinisch-psychoanalytischen Standpunkt betrachtet, verhält sich ein Großteil der politischen Klasse und des Establishments in Deutschland in einer geradezu bestürzenden Weise verantwortungslos, obwohl oder gerade weil sie alle „ihre Pflicht” tun. Das mag paradox klingen, ist es aber nicht. Denn es ist dieses falschverstandene Pflichtgefühl, das zu tun, was von einem erwartet wird, und sich so „normal” wie möglich den „politisch korrekten” Meinungen anzuschließen, was zu den unverantwortlichsten politischen Entscheidungen oder auch zur Unterlassung jeglicher Entscheidungen führt.

So findet man dieser Tage in unserer Hauptstadt bei Personen, die im weitesten Sinne mit dem Finanzsystem beschäftigt sind, ein geradezu erstaunliches Einverständnis, daß eben dieses System hoffnungslos bankrott ist. Man stimmt zu, daß der Kollaps einiger Hedgefonds als Folge des Zusammenbruchs des US-Immobilienmarktes dabei ist, einen marktsegmentübergreifenden Krach auszulösen. Es folgt vielleicht noch eine schwache Gegenwehr, die Hedgefonds hätten aber doch auch eine positive Funktion, weil sie das Risiko durch die Derivatspekulation breiter verteilten. Aber auf den Hinweis, daß die großen Investmentbanken, die die feindlichen Übernahmen der letzten Zeit im großen Stil finanziert haben, bei einem Untergang dieser Hedgefonds auf einem großen Haufen fauler Kredite sitzen, erlischt der Protest und macht einem seufzenden Zugeständnis Platz - ja, genau das bereite auch hier in Berlin die allergrößten Sorgen. Und was geschieht dann? Eben nichts!

Es ist schon erstaunlich. 1997 mußte die damalige Bundesregierung bei der Veröffentlichung der Dokumente zu den Ereignissen der Wiedervereinigung zugeben, daß sie keinen Eventualplan für den Fall der Mauer und die Auflösung der DDR hatte, obwohl die Wiedervereinigung doch das erklärte Ziel der Politik der Bundesrepublik Deutschland war, für das es sogar ein eigenes Ministerium, nämlich das Ministerium für innerdeutsche Angelegenheiten, gab. Offensichtlich hat man nichts aus dieser Erfahrung gelernt: Jetzt stehen wir erneut vor einem Systemkrach, und wieder arbeitet niemand an einem Konzept, wie der enorme Schaden, der vor allem für den nicht wohlhabenden Teil der Bevölkerung entstehen würde, abgewendet werden könnte. Woher kommt diese scheinbare Blindheit, diese in der Konsequenz so ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit?

Das Argument, Deutschland habe ja auf dem G8-Gipfel versucht, wenigstens Transparenz bei den Hedgefonds vorzuschlagen - an Regulierung sei gar nicht erst zu denken -, aber der Widerstand Großbritanniens und der USA seien einfach zu stark gewesen, und auch sonst habe niemand Deutschland unterstützt, zählt nicht. Denn davon wird das Problem des drohenden Systemkrachs nicht um ein Jota besser.

Dieses Verhalten hat einerseits seinen Grund in einem in Berlin und Deutschland derzeit unglaublich verbreiteten Kastendenken, das an Brutalität und lähmenden Effekten dem in Indien um nichts nachsteht. Dabei gibt es die Kaste der Politiker, unterteilt in die Unterkasten der politischen Parteien und deren Flügel, dann gibt es die Kaste der Banker, der Medienvertreter, der Akademiker, der Wissenschaftler, der Unterhaltungsindustrievertreter, der Modemacher, der permanenten Bürokratie, der Manager, etc., etc. Innerhalb dieser Kasten gibt es ein jeweils politisch korrektes Verhalten, das ein vorauseilender Gehorsam gewissermaßen erahnt und deutet, so daß man in geradezu pathologischer Anpassung an die in dieser Kaste dominierende Ideologie die Mythologien, die zu ihrer Glaubensstruktur gehören, verteidigt. Darüber hinaus gibt es gewisse systemimmanente Tabus und „heilige Kühe“, die einen Konsens zwischen den verschiedenen Kasten repräsentieren und die man unausgesprochen respektiert.

Die mit den Geflogenheiten der jeweiligen Kaste verbundenen gesellschaftlichen Riten stellen sozusagen einen Wattebausch dar, der es deren Mitgliedern ermöglicht, die Realität weitgehend zu verdrängen und es sich in allerlei Nischen gemütlich einzurichten. Da man sich so bewußt oder unbewußt der Machtstruktur der jeweiligen Gruppierung unterwirft, kann man sich in der Ersatzrealität wiegen, seine Pflicht zu tun, ja „erfolgreich” zu sein und akzeptiert zu werden. Objektiv gesehen sind aber solche Personen völlig fremdbestimmt. Ironischerweise ist auch die Idee der sogenannten „Selbstverwirklichung” das Merkmal einer solchen Kaste, etwa der Ideologie, einer bestimmten Phase der Entwicklung der 68er zu entsprechen, die trotz der angeblichen Selbstverwirklichung der Fremdbestimmung unterliegt.

Dazu kommt, daß die verschiedenen, teilweise aufeinanderfolgenden ideologischen Einflüsse der Entwicklungen der Nachkriegsperiode in Deutschland die Köpfe und Gemüter ganzer Generationen gehörig in Unordnung gebracht haben. Dabei haben solche Erscheinungsformen wie die sogenannte Kritische Methode der Frankfurter Schule, der Brechtsche Entfremdungseffekt oder auch der postmoderne Dekonstruktionismus, um nur einige zu nennen, alle dazu beigetragen, bei den von diesen Ideologien Betroffenen das Denken wesentlich vom Fühlen abzutrennen.

Viele dieser Zeitgenossen haben zu einem absolut erstaunlichen Grad die Fähigkeit zum Mitgefühl verloren; ganze Kontinente können quasi vor ihren Augen untergehen, und es käme ihnen nicht in den Sinn, daß es sie betreffen könnte. Die praktische Konsequenz ist, daß man sich damit nicht nur des Mitleids entledigt hat, sondern auch der Idee der persönlichen Verantwortung für die Menschheit oder den Ausgang der geschichtlichen Periode, in der wir gerade leben; ein Gefühl der persönlichen Verantwortung, das entstehen könnte, wenn man das hätte, was Friedrich Schiller das Empfindungsvermögen nannte.

Ohne dieses, modern ausgedrückt, empathische Vermögen kann man sich dann eben vormachen, die Pflichterfüllung nach den Vorstellungen der jeweiligen Kaste, der man angehört, erfülle eigentlich auch schon das Kriterium des verantwortlichen Handelns. Nur durch diese Illusion ist erklärbar, wieso solche „pflichtbewußten” Menschen oftmals scheinbar von einem Tag auf den anderen ihre angeblich so ernstgenommene Verantwortung wie einen äußeren Mantel von sich werfen können, wenn aus irgendeinem Grund plötzlich jemand anderes die Glaubensstruktur der Kaste beeinflußt. Wenn das innere Fühlen vom Denken abgetrennt ist, gibt es auch eine abgetrennte Moral.

Deshalb gilt auch heute noch Lessings Wort, das der mitleidigste Mensch der beste Mensch ist. Nur der Mensch, der seine kognitiven und emotionalen Fähigkeiten im Sinne Schillers zu einem harmonischen Ganzen entwickelt, kann seine Autonomie des Denkens bewahren und seine persönliche Verantwortung für die Realität übernehmen. Dazu gehört auch, daß man über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszublicken lernt, daß man sich nicht nur für seine persönlichen Steckenpferde einsetzt, sondern die Fähigkeit entwickelt, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen.

Es ist auch klar, daß die Anpassung an die existierenden Machtstrukturen oder sogar die Unterwerfung unter diese Strukturen in der Bundesrepublik als besetztem Land in der Bundesrepublik in der Nachkriegsperiode „normal” waren, d.h. die Fremdbestimmung war praktisch in das politische System mit eingebaut. Es hat das Problem nicht vereinfacht, daß Deutschland, obwohl wir uns durch die friedliche Revolution von 1989 eigentlich die Wiedervereinigung und die nationale Souveränität errungen haben, um die Früchte dieses Sieges betrogen wurde. Die friedliche Revolution, die wirklich eine war, wurde flugs zur „Wende” degradiert, und das wiedervereinte Deutschland wurde dank Margaret Thatcher und François Mitterand unter das Joch von Maastricht gezwungen.

Aber die Geschichte ist voll von Beispielen, daß sich die Bevölkerung zwar manchmal sehr lange an der Nase herumführen läßt, daß aber früher oder später der Zeitpunkt kommt, wo sie ihr Joch abwirft. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die derzeit in den USA stattfindende Revolte an der Basis beider Parteien gegen Cheney. Politiker in unserem Land, die versuchen, seine Politik hier in Deutschland zu imitieren, sind offensichtlich im Tal der Ahnungslosen.

Eines ist jedenfalls gewiß, Deutschland kann in dieser äußerst gefährlichen Weltlage nur gerettet werden, wenn wir den Anteil an selbstdenkenden, von innerer Autonomie und Wahrheitsliebe bestimmten und leidenschaftlich mitfühlenden Mitmenschen dramatisch erhöhen. Genau dies hat sich die BüSo zur Aufgabe gesetzt.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Deutschland braucht neue Kernkraftwerke
- Neue Solidarität Nr. 29/2007
Die Wiedergeburt unserer Nation
- Neue Solidarität Nr. 29/2007
Raketenabwehr und Atomkriegsgefahr
- Neue Solidarität Nr. 27/2007
Nur ein Vier-Mächte-Bündnis kann einen Weltkrieg verhindern
- Neue Solidarität Nr. 23/2007
SDI ist kein alter Hut
- Neue Solidarität Nr. 13/2007
Woran der G8-Gipfel gemessen werden wird
- Neue Solidarität Nr. 23/2007
Der Entwurf einer neuen amerikanischen Nukleardoktrin
- Neue Solidarität Nr. 41/2005
Das Damoklesschwert des atomaren Präventivkriegs
- Neue Solidarität Nr. 36/2003
Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden
- Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)

 

Aktuelle Ausgabe Diese Ausgabe Kernthemen Suchen Abonnieren Leserforum