[an error occurred while processing this directive]
Aktuelle Ausgabe Diese Ausgabe Gehe zu ... Kernthemen Suchen Abonnieren Leserforum

Artikel als
=eMail=
weiterleiten

Aus der Neuen Solidarität Nr. 5/2005

Jetzt
Archiv-CD
bestellen!

  Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken

Ein zweiter Westfälischer Friede für die kommende eurasische Welt

Von Lyndon LaRouche
- 4. Teil -

Im vorangegangenen Teil befaßte sich LaRouche mit dem Unterschied zwischen dem europäischen und dem amerikanischen System: In den USA hat laut Verfassung die Nation Souveränität über ihr Währungs- und Finanzsystem, während in Europa diese Macht bei sog. "unabhängigen" Zentralbanken liegt, hinter denen sich meist die privaten Interessen der Finanzoligarchie verbergen.


3. Die Unterschiede zwischen Europa und Asien
Die europäischen Wurzeln

3. Die Unterschiede zwischen Europa und Asien

Wenn wir die oben beschriebenen und verwandte Komplikationen mitberücksichtigen, erkennen wir die wesentlichen Unterschiede und Ähnlichkeiten der Wirtschaftssysteme Amerikas und Europas, indem wir den Teppich von Währung und Finanzen hochheben, um die darunterliegenden Bodenbretter der nichtmonetären Realwirtschaft zu betrachten. Ist die währungs- und finanzpolitische Verpackung einmal weggelegt, kommen bestimmte entscheidende Ähnlichkeiten der Prinzipien und Praxis der amerikanischen und west- und mitteleuropäischer Volkswirtschaften zum Vorschein. Die dann noch verbleibenden Unterschiede zwischen dem Hamiltonischen Amerikanischen System der politischen Ökonomie und den vom liberalen Denken beherrschten europäischen Systemen sind im wesentlichen ein Ausdruck davon, daß ihnen währungs- und finanzpolitische Systeme übergestülpt sind, die dem venezianischen Prinzip folgen, wie es sich in den angeblich "unabhängigen" Zentralbanken ausdrückt. Die Ähnlichkeiten, auf die ich später noch zurückkommen werde, spiegeln die realwirtschaftlichen Abläufe wider, denen das venezianische Prinzip in Form der anglo-holländischen Vorherrschaft über die wesentlichen Bestandteile des Weltfinanz- und Währungssystems aufgezwungen wurde.

Weiter unten in diesem Kapitel werde ich bestimmte Merkmale des europäischen Systems und seine wichtigsten Komplikationen aus der Sicht der physischen Wirtschaftswissenschaft beschreiben. Wir wollen nicht im geistigen Treibsand versinken, indem wir versuchen, eine physische Wirtschaft aus axiomatisch monetär-finanzieller Sicht zu beschreiben.

Legen wir aber die monetär-finanzielle Verpackung bei einer typischen asiatischen Volkswirtschaft ab, so enthüllt das noch deutlicher als zuvor die Hauptunterschiede zwischen dem Amerikanischen System und europäischen Volkswirtschaften auf der einen und den asiatischen Volkswirtschaften auf der anderen Seite. Ich fahre nun entsprechend fort. Ich behandele mehrere scheinbar unterschiedliche Merkmale europäischer und asiatischer Volkswirtschaften nacheinander im einzelnen, um deutlich zu machen, wie sich diese Punkte zu einer einzigen Gesamtwirkung verbinden, wenn man sie in ihrer Wechselbeziehung betrachtet.

Die Ursprünge des venezianischen Systems, das unmittelbar aus dem antiken Rom herstammt, lassen sich anhand objektiver archäologischer Forschungen noch viel weiter zurückverfolgen, bis hin zu der ruinösen, räuberischen Wucherpraxis im alten Mesopotamien, die wiederholt zum Zusammenbruch des Systems der Verbindung von Landpacht und Kriegsdienst im unteren Zweistromland führte. Ähnliche Praktiken sind mit dem Einfluß der internationalen "Kredithaie" des delphischen Apollokultes verbunden.23

Bei der Erforschung der Ursprünge der Gedankenwelt Süd-, Südost- und Ostasiens muß man Einflüsse aus der Zeit vor den bedeutenden mittelalterlichen und neuzeitlichen europäischen Einflüssen in diesen Teilen der Welt berücksichtigen. Doch hinsichtlich der neuzeitlichen Einflüsse sprechen die Tatsachen überwältigend dafür, daß der stärkste Einfluß auf die heutigen Volkswirtschaften Asiens und Afrikas auf die Verbreitung des venezianischen Finanzmodells durch die europäischen Kolonisten bei der iberischen und anglo-holländisch liberalen Kolonisierung in diesen Regionen zurückgeht. Es gibt offensichtlich spezifisch asiatische Kulturfaktoren, die mitgeprägt haben, in welcher Weise sich die Bevölkerungen dieser Regionen an die Einflüsse der europäischen Kolonisten anpaßten. Aber die Folgen der neuzeitlichen Finanzpraktiken, die in den letzten fünf Jahrhunderten in diesen Regionen Eingang fanden - das, worauf diese Kulturen vor Ort reagierten - , sind bis heute im wesentlichen die Auswirkungen der anglo-holländischen liberalen Wucherpolitik und ihrer verrückten physiokratischen Geisteshaltung als triumphierender Nachfolger der Portugiesen und Spanier.

Wenn wir die bekannte Geschichte der europäischen Zivilisation aus der Sicht meiner eigenen Beiträge zur physischen Wirtschaftswissenschaft betrachten, wird folgendes deutlich. Im Fall der Entstehung der europäischen Zivilisation der Neuzeit richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf einen Impuls für Entwicklung, der sich leicht auf den Einfluß des antiken Ägyptens auf eine klassische Strömung der griechischen Zivilisation zurückführen läßt, welcher schließlich im 15. Jh. als unabdingbares Merkmal der Entwicklung des modernen europäischen Nationalstaates auftaucht. Demgegenüber haben wir es im Fall der asiatischen Kultur, wie wir sie heute erleben, im wesentlichen mit den Folgen einer Vergewaltigung durch venezianische und ähnliche Piraten zu tun.

In dem Ringen um Fortschritt, das hauptsächlich innerhalb der europäischen Kultur stattfand, war die Hauptstoßrichtung, daß man mit der Realwirtschaft des neuzeitlichen Europa versuchte, das Joch des brutalen venezianischen Wuchers abzuwerfen - das Joch des Römischen Reiches und seiner venezianisch-normannischen Nachfolger aus dem Mittelalter. Im Falle der asiatischen Kulturen heute führt ihr Verlangen nach Unabhängigkeit vom gegenwärtigen Joch der Venezianischen Partei in Form des wucherischen IWF-Weltbank-Systems zwangsläufig dazu, daß sie sich die Mittel der modernen Realwirtschaft (wie etwa Kernenergie) nutzbar machen möchten, um ihre Ketten zu zerreißen.

G.W. Leibniz oder Bernhard Riemann würden zu diesem Unterschied vielleicht ergänzen: "Agro-industrielle Entwicklung" ist "agro-industrielle Entwicklung", ob in den transatlantischen europäischen Kulturen oder in den asiatischen Kulturen, aber wenn wir beide Fälle vergleichen, stehen wir vor einer Frage der Analysis situs.24 Der gleiche Begriff "agro-industrielle Entwicklung" hat unterschiedliche funktionelle Bedeutung, wenn man ihn auf die beiden Situationen anwendet. Wie ich zeigen werde, ist die Analysis situs für das Verständnis der tatsächlichen funktionellen Beziehung zwischen den transatlantischen und den asiatischen bzw. afrikanischen Kulturen heute unverzichtbar. Im einen Fall, bei der modernen europäischen Zivilisation, hat die wirtschaftliche Entwicklung ihren Ursprung in dieser Kultur selbst; im anderen Fall, der modernen wirtschaftliche Entwicklung beispielsweise in Asien - bzw. dem Mangel solcher Entwicklung - wurde sie im wesentlichen von außen eingeführt, ohne jede angemessene Beachtung der Ironien dieses entscheidenden Problems der Analysis situs.

Aus meinen Erfahrungen mit asiatischen Kulturen, die ich seit 1945-46 immer wieder hatte, weiß ich, daß man aus Europa oder den USA die sprichwörtliche Tür nach Asien nicht durchschreiten kann, ohne daß einen das starke Gefühl überkommt, wie groß der Unterschied zwischen beiden Situationen ist, wenn man über die Gespräche mit dem dortigen Gesprächspartner nachdenkt. In Asien sind selbst Menschen, von denen man sagen kann, sie wissen viel von Europa, anders. Nur ein hirnloses Produkt europäischer Kultur könnte das übersehen.

Um zu verstehen, woher das Unbehagen kommt, das einen empfindsamen Menschen aus der europäischen Kultur beim Kontakt mit asiatischer Kultur jedesmal befällt, bringt man das Gespräch am besten auf Fragen im Zusammenhang mit der technologischen Seite der modernen industriellen und verwandten Entwicklung einer asiatischen Volkswirtschaft. Die erfolgreichste europäische Technik für wirtschaftliche Entwicklung kommt in Asien in vieler Hinsicht an wie ein Einwanderer in einem Land, wo nicht ganz sicher ist, ob man als Europäer wirklich willkommen ist oder nicht.25

Ich bin mir dessen bewußt, aber ich sorge mich schon seit langem nicht mehr darum, wenn ich damit zu tun habe. Meine Herangehensweise ist, von einem höheren Standpunkt als der europäischen wie auch der asiatischen Kultur auszugehen. Ich versuche, auf der Ebene einer spezifisch "eurasischen" Kultur zu stehen, die sich meiner Ansicht nach notwendig herausbilden wird. Wir müssen diese Kultur aufbauen, sozusagen als "planetarische Kultur", das muß unsere Aufgabe sein. Diese Sichtweise werde ich hoffentlich im Verlaufe dieses Berichtes verständlich machen, zumindest in einer ersten Annäherung.

Wir werden darauf an entsprechender Stelle zurückkommen. Um nun das gerade angesprochene Problem der Analysis Situs zu lösen, müssen wir einen Abstecher unternehmen. Richten wir vorher unsere Aufmerksamkeit noch einmal auf das Amerikanische System, seine Wirkung auf die Entwicklung der Welt und seinen Vorteil gegenüber Europa.

Die europäischen Wurzeln

Der grundsätzliche Vorteil des Amerikanischen Systems läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Der neuzeitliche souveräne Nationalstaat in Europa entsprang einer langen Geschichte des Widerstandes gegen das oligarchische Dogma des olympischen Zeus. Dieser Widerstand ist insbesondere ein Erbe des Widerstandes in Athen, wie man ihn vor allem mit Solon, Sokrates und Platon in Verbindung bringt, der sich für das am Menschen einsetzte - die unsterbliche Seele des einzelnen - , was allein den Menschen vom Affen unterscheidet.

Dieses Erbe, zu dem christliche Apostel wie insbesondere Johannes und Paulus gehören, aber auch Philo von Alexandria und andere, erkennt die menschliche Identität - die unsterbliche Seele jedes einzelnen, wie Sokrates und Platon sie definierten - in der Schöpferkraft des einzelnen menschlichen Geistes - der sokratisch-platonischen Fähigkeit der Hypothesenbildung - , die den Tieren grundsätzlich fehlt. Gemeint ist die unsterbliche Schöpferkraft, die wir mit einer bestimmten Auffassung von Wissenschaft verbinden, die in der europäischen Kultur zwei Wurzeln hat: die pythagoreische Schule im Altertum, welche die ägyptischen Sphären als Maßstab übernahm (d.h. die Wissenschaft, wie sie die Ägypter aus Entdeckungen in der physischen Astronomie ableiteten) und eine antireduktionistische Musikauffassung, wie etwa bei Bach, im Gegensatz zur armseligen empirischen Oberflächlichkeit eines Rameau.

Als die Renaissance, u.a. durch die Beschäftigung und Verbreitung des Werks der klassischen griechischen Humanisten, die große Masse der Menschen aus dem Zustand eines gehüteten oder gejagten Menschenviehs befreite, rief das revolutionäre Fortschritte in der Arbeitsproduktivkraft des neuzeitlichen Europas hervor. Wie die Anwendung dieser verbesserten Kräfte wirkte, läßt sich physisch an der Produktion je Quadratkilometer Landfläche einer bestimmten relativen Güte messen (daher der Begriff potentielle relative Bevölkerungsdichte). Das sind die Kräfte, die klassische Griechen wie die Pythagoreer mit dem Begriff des "universellen physikalischen Prinzips" verbanden, wie es in der Neuzeit mit Johannes Keplers Entdeckung des Prinzips der universellen Gravitation beispielhaft definiert ist. Heute definiert man diese Messungen von Kräften - im Gegensatz zu bloßen mathematischen Formeln - am besten in Begriffen von Wernadskijs "Riemannscher" Definition der Noosphäre. Ich werde darauf zurückkommen.

Diese Messungen - im Sinne der Methoden der Sphärik, wie sie die Pythagoreer aufgriffen - sind der Schlüssel, um zu verstehen, warum die neuzeitliche europäische Wissenschaft und ihre physische Wirtschaft anderen Gesellschaftsformen überlegen sind. Physikalisch betrachtet, d.h. ohne das Geld an sich zu berücksichtigen, erklären sie die den großen physischen Vorsprung der europäischen Zivilisation, wie etwa in den USA oder den führenden europäischen Nationen, vor anderen Kulturen, wie man dies sowohl pro Kopf als auch pro Quadratkilometer messen kann.

Der Vorteil der neuzeitlichen europäischen Kultur war im wesentlichen, daß durch die Förderung von Freiheit und Bildung des einzelnen - vor allem, wenn man dabei klassischen europäischen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt vorantreibt - das entwickelte schöpferische Potential des einzelnen vergrößert wird. Eine Gesellschaft, die so organisiert ist, daß sie diese Steigerung der schöpferischen Fähigkeiten praktisch aller ihrer Mitglieder fördert und nutzt, hat notwendigerweise große Vorteile gegenüber einer Gesellschaft, die eine entgegengesetzte oder auch nur andere Politik praktiziert. Diese Methode, wofür die Arbeit der Platonischen Akademie in Athen bis in die Zeit nach Eratosthenes beispielhaft ist, war der große methodische Vorteil der neuzeitlichen europäischen Kultur gegenüber den typischen Gesellschaften des Altertums oder des Mittelalters in Europa.

Daß insbesondere die Vereinigten Staaten von dem Stand, den sie von 1933-64 erreicht und gehalten hatten, wieder abstürzten, war daher vor allem eine Folge davon, daß man all das in der amerikanischen Politik und kulturellen Entwicklung, was das Land zur führenden Produktionsgesellschaft mit dem höchsten Lebensstandard der Welt gemacht hatte, ablehnte und aufgab. Unter dem Einfluß der unter der Schirmherrschaft des Kongresses für Kulturelle Freiheit verbreiteten Gegenkultur bildeten sich die jungen Menschen, die ab Mitte der 60er Jahre in die Universitäten eintraten, moralisch und intellektuell zurück - die jugendliche Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur ist dafür nur das extremste Beispiel. Diese Verirrung der Babyboomer oder 68er-Generation in Nordamerika und Europa führte zu einem politischen Wandel dieser Kulturen: Sie nahmen immer mehr den parasitären Charakter einer dekadenten Brot-und-Spiele-Kultur an, einer Unterhaltungsgesellschaft, ein Nachäffen des Verfalls des alten Rom nach dem zweiten Punischen Krieg, das ein räuberischer Parasit mit Brot und Spielen für die Massen wurde. Der inzwischen gewaltige Umfang der Unterhaltung der Massen durch Gegenkultur - eingeschlossen die Glücksspielmanie in den USA und Westeuropa - ist typisch dafür, wie moralischer Verfall in verheerenden wirtschaftlichen Verfall führt, wie in Amerika und Europa heute.

Der Vorteil der europäischen Kultur in ihrer langen Entfaltung bis 1964 wurzelte im Prinzip der Hypothese, wie es Platons Dialoge definieren; dem entspricht der klassische griechische Begriff der Kräfte, den Empiristen wie Francis Bacon und Thomas Hobbes in ihrer Verachtung der klassischen Ironie eines Shakespeare so roh und dumm zurückwiesen. Die gleiche Torheit bewiesen auch jene Anhänger der Schwarzen Magie, Isaac Newton mit seinem albernen Hypotheses non fingo, oder Bertrand Russell, der zusammen mit seinen Jüngern wie Norbert Wiener und John von Neumann aus dem Abstreiten desjenigen im Menschen, was ihn vom Affen unterscheidet, noch ein riesiges, geistig steriles und abiotisches System machte. Alle diese Narren wollen bestreiten, daß es das, was Wernadskij die Noosphäre nannte, überhaupt gibt.

Alle tatsächlichen relativen Leistungen in der Entwicklung der europäischen Zivilisation kamen aus der Entwicklung dieser Fähigkeit - des Prinzips der Hypothese, der noetischen Kraft - , die den Menschen von selbsterklärten Affen wie Thomas Huxley, Friedrich Engels oder Empiristen, Positivisten und Existentialisten oder auch den griechischen Reduktionisten im Altertum unterscheidet.

Die wesentliche historische Schwierigkeit, die den langen Bogen der Entfaltung der neuzeitlichen europäischen Gesellschaft immer wieder hemmte, bestand also darin, daß die Fähigkeit des einzelnen, erfolgreich Hypothesen aufzustellen, oft systematisch unterdrückt wurde. Beispielhaft dafür, auf welche Weise diese Unterdrückung immer mehr oder weniger ablief, ist die bösartige Erklärung des französischen liberalen Empiristen - und mutmaßlichen Sympathisanten der Fronde - François Quesnay für ein Prinzip der Schwarzen Magie, das er laissez-faire nannte.

Wie der Amerikaner Frederick Douglass betonte: Der einfachste Weg, Menschen in eine Herde menschlichen Viehs zu verwandeln, besteht darin, ihnen das Recht zu verweigern, Hypothesen so aufzustellen, wie das in Platons Dialogen beschrieben ist. Verleite Menschen dazu, ihr Verhalten auf die Fähigkeiten in sich zu beschränken, die der Mentalität von Viehherden entsprechen, dann werden sie sich auch für dummes Vieh halten und genauso handeln. Man kann einen Sklaven oder ein Opfer sklavischer Gewohnheiten nicht befreien, ohne ihn von den Auswirkungen einer gewaltsamen Abrichtung zum Vieh zu befreien - etwa der erzwungenen Angewohnheit, sich niemals dabei erwischen zu lassen, daß man mehr tut, als menschlichem Vieh angemessen ist. Zu den bis heute nachwirkenden Methoden, mit denen diese Erniedrigung vieler Amerikaner afrikanischer Herkunft erzwungen wurde, gehörten der Beschluß der Sklavenhaltercliquen in den Südstaaten, es sei ein Kapitalverbrechen, wenn ein Sklave lesen und schreiben lerne, und später, nach der Sklavenbefreiung, die Erziehungspolitik der Liberalen, die verhindern sollte, daß Nachkommen der Sklaven danach streben, über den ihnen zugewiesenen Status einfacher Arbeiter hinaus aufzusteigen. (Im heutigen Amerika wird dies auf noch auf andere Art bewirkt. Die daraus resultierende Denkunfähigkeit rationalisiert man damit - z.B. unter Präsident George W. Bush - , das sei eben "ihre Kultur".)

In dem Maß, wie die neuzeitliche europäische Kultur ihren klassischen Vorteil nutzte, gewann sie Vorsprung vor den nichteuropäischen Kulturen, die diese Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Praxis nicht mitmachten. Dies läßt sich leicht veranschaulichen, indem man die geschätzte relative physische Produktivität Europas pro Kopf und pro Quadratkilometer beispielsweise mit der in Indien und China vergleicht: Man vergleiche beispielsweise das Leben in Europa von der Volkszählung unter Karl dem Großen bis ins 14. Jh. mit dem in Indien und China in vergleichbaren Zeiträumen. Dann betrachte man die Veränderung im Vergleich Europas mit dem heutigen Indien und China, gemessen an der schätzbaren relativen Produktivität pro Kopf und pro Quadratkilometer in der Zeit von 1400-1964. Danach schaue man zurück auf den demographischen und sonstigen Verfall des Römischen Reiches im Westens und später in Byzanz.

Zugegeben, bis die neuzeitliche europäischen Kultur mit der Renaissance des 15. Jh. entstand, hatten wir noch nicht einmal damit angefangen, das Volk aus dem Status menschlichen Viehs zu befreien - aber wir strebten dieses Ziel an, und wo immer an dieser Absicht festgehalten wurde, machte das die ganze europäische Kultur anders. Man könnte sogar sagen, schon ein einziger Mensch in einer Kultur kann, indem er das verkörpert und entsprechend handelt, eine Besonderheit liefern, die Teil dieser ganzen Kultur wird, ja ein Weg zur Erlösung einer Kultur, die ansonsten in jeder anderen Hinsicht viehisch ist. Man kann der Ansicht sein, daß Gott um des Lebens und Wirkens eines einzigen guten Menschen willen einem ganzen, fehlgeleiteten Volk seine schreckliche, gerechte Strafe erläßt.

Wir, die wir für den moralisch notwendigen Vorrang des klassischen Menschenbildes vor anderen Kulturen gekämpft haben - manchmal als einsame Streiter, wenn andere dafür zu ängstlich waren - , haben diese Tradition durch Jahrtausende hindurch aufrechterhalten. Das Ziel lebte fort, weil so viele von uns für diesen Dienst an der Zukunft der Menschheit ihr sterbliches Leben aufs Spiel setzten, wie z.B. Reverend Martin Luther King in jüngerer Zeit, oder wie Jeanne d'Arc, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Jeannes Hingabe an ihre Aufgabe rüttelte das Gewissen der Kirchenkonzile auf und trieb die Franzosen an, ihren normannischen Unterdrückern die Freiheit abzuringen. So kämpften wir, oft mit großem, mal mit weniger großem Risiko, um dieses Prinzip in der Zivilisation am Leben zu erhalten. Diese unsterbliche Entschlossenheit, geheiligt durch die Opfer, die so viele Generationen brachten, hat dieses Prinzip als Besonderheit in der europäischen Zivilisation gerettet. Das ist heute nicht nur für uns entscheidend: Die ganze weitere Existenz der Zivilisation hängt nun von diesem Erbe ab.

Deshalb sind wir in den Vereinigten Staaten heute - auch wenn die meisten als einzelne in letzter Zeit ziemlich wenig getan haben, auf das sie stolz sein könnten - immer noch eine besondere unter den Nationen, dank der Helden, die unser Land früher zeitweilig anführten, und der anderen, die dafür arbeiteten und oft große Opfer brachten, um der ganzen heutigen Welt das einzigartige Geschenk unserer Republik zu bringen - denn nur mit Hilfe dieser Republik kann dieser Planet vor der auf uns zueilenden Gefahr eines langen, finsteren Zeitalters gerettet werden.

Wir mußten viele Übel ertragen, um das Grundprinzip der Unabhängigkeitserklärung und der Präambel und des Präsidialsystems unserer Verfassung zu erhalten. Wie ich schon oben sagte: Typisch für den bösartigen Gegendruck, gegen den wir kämpfen mußten, um das klassisch-humanistische Prinzip zu verteidigen, ist der Fall der physiokratischen Lehre des Franzosen Dr. François Quesnay, eines erklärten Gegners des klassisch-humanistischen Prinzips.

Quesnays Begründung für das laissez-faire (das der ähnlich verkommene Adam Smith abschrieb und "Freihandel" nannte) beruht auf zwei Grundannahmen. Erstens dem Aberglauben, daß der Gewinn eines Landgutes nicht von den Beschäftigten auf dem Gut erarbeitet wird, sondern aus übernatürlichen Eigenschaften der Besitzurkunde des Eigentümers entsteht.26 Und zweitens der Annahme, daß die Funktion des Arbeiters vergleichbar sei mit einer Kuh, die man ausreichend füttern muß, damit sie Milch und Fleisch gibt, die sonst aber keinen Anspruch auf einen Anteil am Einkommen hat. Allgemein wird behauptet, das Einkommen der Gesellschaft entstehe allein daraus, daß der Besitzer bereits vorhandene Rohstoffe besitzt und ausbeutet - der Gedanke, daß der Mensch durch seine Arbeit qualitativ zur Erhaltung und Vermehrung dieser Rohstoffe beiträgt, wird abgelehnt.

Diese physiokratische Täuschung von Quesnay, Turgot und Adam Smith, der von den beiden anderen abschrieb, bildet heute die Grundannahme sowohl von "Umweltschutz" und Globalisierung als auch der wahrhaften Sklavenhaltermethoden des Weltfinanzsystems unter IWF und Weltbank. Während insbesondere die Realwirtschaft Amerikas und Europas ausgeplündert wird, bis es dort negative reale Wachstumsraten gibt, sind die Finanzoligarchen der heutigen Welt besessen von dem Gedanken, den Zugriff auf die natürlichen Rohstoffe wie Erdöl oder andere Minerale zu erlangen, weil das die Grundlage für eine Weltherrschaft auf Generationen (besser gesagt, "Degenerationen") hinaus wäre. Die gewaltige Spekulation mit Finanzderivaten zur Übernahme solcher Rohstoffe und die immer raschere Inflation der entsprechenden Rohstoffpreise als Folge der spekulativen Pyramide von Ansprüchen auf die Rohstofflager ist nicht nur ein Merkmal der Trends auf den Weltmärkten in letzter Zeit; tatsächlich ist es ein Symptom und gleichzeitig auch mit eine der wesentlichen Ursachen des heranstürmenden Zusammenbruchs dieses Weltsystems.

wird fortgesetzt


Anmerkungen

23. Archäologische Forschungen zur erneuten Verwendung von Tontafeln im Handel zwischen Mesopotamien und der eiserne Waffen verwendenden Hethiterkultur vor ihrem Verfall in ein finsteres Zeitalter liefern uns Einsichten in die zunächst überraschende Modernität der Finanzpraktiken in der Zeit von 1600-1400 v.Chr. Forschungen am Standort des Tempels von Delphi liefern stumme Zeugnisse der Verbindung zwischen dem Apollokult und den "Kredithaien" des antiken Mittelmeerraums, die wesentliche Mitschuld am Zustandekommen des Peloponnesischen Krieges und seiner Nachwirkungen trugen. Archäologische Studien über die mutmaßliche Verbreitung der "Harappa"-Kultur in einer Zeit, als der Meeresspiegel aufgrund des Klimas niedriger lag, so daß die Ruinen der antiken Küstenstädte heute unter Wasser liegen, zwingen uns, die idyllischen Illusionen der britischen Ausgräber des 19. Jh. aufzugeben, die in ihrem Eifer, als erste die genaue Anschrift Abrahams in der Stadt Ur festzustellen, Berge wertvoller archäologischer Relikte (u.a. Keilschrifttafeln) völlig durcheinanderwarfen. Die von Herodot erwähnte Verbindung zwischen der Seefahrerkultur der drawidischen Sprachgruppe, die in Sumer und anderen Teilen des heutigen sog. "Nahen Ostens" ansässig war, muß eingehend studiert werden, bevor wir definitive Schlüsse über den Ursprung des Wuchers und anderer Praktiken im antiken Zweistromland ziehen.

Meine eigenen Entdeckungen im Bereich der physischen Ökonomie datieren in die Jahre 1948-1953 zurück. Aber als ich mich damit befaßte, wie sich diese Entdeckungen auf prähistorische und andere Kulturen anwenden ließen, widmete ich beträchtliche Aufmerksamkeit der offensichtlichen Rolle der transozeanischen Kulturen bei der Entwicklung der Küstenkulturen nach dem Wegschmelzen der Gletscher der letzten Eiszeit, die einen großen Teil der Landmasse der nördlichen Halbkugel bedeckt hatten. Spätere Arbeiten zeigten, daß eine genaue Beschäftigung mit den astronomischen Systemen der Antike, insbesondere Ägyptens und Chinas, von entscheidender Bedeutung ist, wenn man die Wurzeln der vielen Strömungen der asiatischen Kulturen besser verstehen will. Entsprechende Anmerkungen folgen am angemessenen Ort im Text.

24. Siehe G.W. Leibniz, "Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel, Band 2 (1676-1679), in: Sämtliche Schriften und Briefe III. Reihe, Akademie-Verlag, 1987, sowie Bernhard Riemann, "Theorie der Abel'schen Funktionen", in Riemanns gesammelte mathematische Werke, Hg. H. Weber.

25. Wie seine Ratschläge an Präsident John F. Kennedy zeigen, hatte Gen. Douglas MacArthur dies sowohl strategisch als auch sonst verstanden, Robert McNamara und seine wilden und räuberischen Utopier dagegen offensichtlich nicht - weder damals, noch heute.

26. Wenn man glaubt, Quesnay und Smith seien schon schlimm genug, wird man von dem für seine "Bienenfabel" berüchtigten teuflischen Bernhard Mandeville, der heute von von Hayeks und Milton Friedmans Mont-Pèlerin-Gesellschaft so verehrt wird, schlichtweg angeekelt sein. Der fanatische Gnostiker Mandeville bestand auf einem, wie man heute sagen könnte, "Enron-Prinzip", wonach das Gute im Großen eine Folge des Bösen im Kleinen sei. Großer Reichtum weniger entsteht dadurch, daß sie viele kleine Leute bestehlen. Die Förderung von Glücksspiel als Ersatz für produktive Industrie ist ein Beispiel dieser abstoßenden Lehre.

 

Aktuelle Ausgabe Diese Ausgabe Kernthemen Suchen Abonnieren Leserforum