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Neue Solidarität
Nr. 30-31, 28. Juli 2010

Ungarn schickt den IWF in die Wüste:
Gemeinwohl geht vor Bankeninteressen!

Die ungarische Regierung widersetzt sich zurecht den Forderungen des Weltwährungsfonds und der Europäischen Union, und weigert sich, der Bevölkerung weitere Sparpakete aufzuerlegen. Darin wird sie von der Slowakei und anderen Nachbarstaaten unterstützt. Aber anstatt sich diesem Vorbild anzuschließen, fordern Frankreich und Deutschland verschärfte Sanktionen bei Verstößen gegen die Stabilitätskriterien.

Europa unterwirft sich mehr oder weniger widerstandslos dem Diktat des Britischen Empire und seiner Zentren London und Wallstreet, indem die Banken gerettet und dafür die Bürger ausplündert werden, aber in Europas Mitte existiert eine kleine Nation von zehn Millionen Einwohnern, Ungarn, die sich standhaft gegen die verordnete Selbstzerstörung wehrt.

Finanzminister György Matolcsy wies am 18. Juli die von EU und IWF erhobenen Forderungen nach weiteren Haushaltskürzungen zurück. Die neue Regierung unter Premierminister Orban sei von der breiten Mehrheit der Wähler gerade deswegen gewählt worden, weil er versprochen hatte, die Austeritätspolitik der vorherigen Regierung nicht fortzuführen. Aus diesem Grund werde es keine weiteren Einschnitte geben, die die breite Bevölkerung treffen. Einen Tag danach unterstrich Matolcsy nochmals seine Haltung in einem Fernsehinterview und erklärte, die Regierung werde statt dessen durch eine Bankenabgabe zusätzliche 700 Millionen Euro pro Haushaltsjahr einnehmen.

Der IWF brach daraufhin die Gespräche mit Budapest ab und blockierte die letzte Tranche von 5,5 Mrd.$ eines 20-Milliarden-Dollar-Kredits, den die alte Regierung vor zwei Jahren ausgehandelt hatte.

Regierungschef Viktor Orban sagte daraufhin, Ungarn komme auch ohne diesen Kredit zurecht. Noch klarer äußerte sich Außenminister Janos Martonyi am 19. Juli in einem Fernsehinterview: Er sei „etwas überrascht, daß der IWF sich in dieser Frage offenbar auf die Seite der ausländischen Banken in Ungarn gestellt hat... Ich meine, die Delegation des IWF hätte etwas mehr Verständnis für die ungarische Wirtschaftspolitik zeigen sollen.“ Der Fraktionsvorsitzende von Orbans Partei FIDESZ im ungarischen Parlament, Janos Lazar, betonte: „Trotz Drucks des IWF werden wir die Armen nicht noch mehr auspressen.“

Bezeichnend für die Stimmung im Land ist auch die Antrittsrede des Premierministers nach Übernahme der Amtsgeschäfte am 9. Juni. In einfachen und sehr deutlichen Worten machte Viktor Orban dort den Unterschied zwischen der Kasinowirtschaft und einem wirklichen wirtschaftlichen Aufbau der Nation deutlich: „Ich schlage vor, daß wir bei der Errichtung dieses neuen wirtschaftlichen Systems alle Aktivitäten als Spekulation bezeichnen, bei denen jemand Geld verdient, in dem er notwendigerweise jemand anderem Schaden zufügt. Und wenn jemand Geld verdient, in dem er [reale] Werte schafft, aus denen andere und die ganze Gesellschaft Nutzen zieht, sollte das als Arbeit definiert werden... Ich meine, daß wir verstärkt und mit großer Entschlossenheit die Spekulation zurückdrängen und unsere Bemühungen in Richtung produktiven Kapitalismus verstärken müssen.“ (Weitere Auszüge aus dieser Rede finden Sie im nebenstehenden Kasten.)

Am 22. Juli verabschiedete dann das ungarische Parlament mit 301 gegen 12 Stimmen Orbans Gesetzespaket für die „nationale wirtschaftliche Revolution“; nur die oppositionellen Sozialisten boykottierten die Abstimmung. In seiner Rede vor der Abstimmung sagte Orban: „Wir wollen Ungarns verlorene wirtschaftliche Souveränität wiederherstellen, denn ohne sie gibt es kein Wirtschaftwachstum.“

Ungarn als Vorbild?

Die Finanzwelt und ihre Sprachrohre sind natürlich erbost über diese Haltung gegenüber den Banken. So warf die französische Tageszeitung Le Monde Orban eine „beleidigende Respektlosigkeit“ gegenüber den Gläubigern vor. Orban biedere sich dem ungarischen Nationalismus „schamlos“ an, die Haltung der neuen ungarischen Regierung sei „gefährlich“.

Matolcsy weiß, warum sich die Banken so sehr aufregen: „Sie fürchten, wenn Ungarn eine Bankensteuer in dieser Größenordnung einführt, werden Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rumänien und die Slowakei dem Beispiel folgen.“

Genau das bestätigte Ambrose Evans-Pritchard, ein bekanntes Sprachrohr der Londoner City, im Daily Telegraph. Er schrieb, andere könnten Ungarns Widersetzlichkeit gegenüber dem IWF und der EU folgen - beispielsweise die baltischen Staaten, wo die brutale Austeritätspolitik sämtliche Regierungen ins Wanken bringe - so habe der litauische Premierminister nur noch eine Unterstützung von 7% der Bevölkerung. Aber natürlich könnte sich auch Griechenland anschließen. Man könne davon ausgehen, daß die gegenwärtige Wirtschaftskrise sich zu einer „europäischen politischen Krise“ ausweiten werde, wenn die Regierungen zunehmend von ihren Wählern abgestraft werden.

Tatsächlich unterstützen die drei anderen Mitgliedstaaten der sogenannten Vysegrad-Gruppe - Tschechien, die Slowakei und Polen - Ungarns Haltung. Bei einem Treffen der Vierergruppe am 20. Juli forderte Orban eine stärkere Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den vier Staaten, insbesondere in den Gesprächen mit der EU-Bürokratie in Brüssel, um zu verhindern, daß ihre Volkswirtschaften durch einen „neuen Eisernen Vorhang der Finanzen“ von Westeuropa getrennt werden.

Auch die neue Premierministerin der Slowakei, Iveta Radicova, schloß am 20. Juli brutale Sparmaßnahmen, wie sie die vorhergehenden Regierungen vorgenommen hatten, kategorisch aus. Das slowakische Volk, erklärte sie, habe in den neunziger Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends schon genug gelitten und auf 10% seines Lebensstandards verzichtet, um das Bankensystem zu stützen. „Das wird nicht noch einmal geschehen... Die Bevölkerung darf nicht immer wieder das Opfer unverantwortlicher Regierungen werden.“ Statt mit Haushaltskürzungen die einfachen Bürger zu treffen und die Rolle des Staates bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu unterminieren, sollte man das Geld dort holen, wo Verbrechen und Korruption herrschen. In den Beziehungen der Slowakei zu ihren Nachbarstaaten sollten „wirklich brennende Fragen“ wie die wirtschaftliche Zusammenarbeit oder der Hochwasserschutz für die Donau-Anrainerstaaten Priorität haben, und die Politiker sollten sich nicht durch anderes davon ablenken lassen.

Die Unverbesserlichen

Wie Ambrose Evans-Pritchard richtig feststellt, bringt die brutale Austeritätspolitik sämtliche Regierungen ins Wanken. Daß das nicht nur für das Baltikum gilt, können unsere Regierungspolitiker in Deutschland an ihren eigenen Umfragewerten leicht ablesen. Aber anstatt sich von dem frischen Geist in Ungarn und der Slowakei inspirieren zu lassen, scheint die Bundesregierung nach Wegen zu suchen, wie man diesen Geist wieder in die Flasche bannen kann.

Das zeigte sich am 21. Juli beim Besuch des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble in Paris. Im Mittelpunkt seiner Gespräche standen Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich über eine Änderung der Europäischen Verträge für härtere Sanktionen gegen EU-Mitgliedstaaten, die sich nicht an die Defizit- und Verschuldungskriterien halten, und ein „Insolvenzrecht“ für Staaten, an dem in Deutschland gearbeitet wird.

Da man sich in vielen Punkten nicht einigen konnte, stellten die Minister im Kommuniqué den Punkt heraus, auf den man sich einigen konnte, nämlich die Verschärfung der Sanktionen. Die beiden Regierungen wollen der EU folgende Sanktionen vorschlagen: 1. Zahlung eines Bußgeldes in einen europäischen Fonds, 2. Reduzierung des Zugangs zu europäischen Geldern, 3. Suspendierung des Stimmrechtes der Staaten, die die Kriterien nicht einhalten.

Da man sich aber nicht darauf einigen konnte, diese Sanktionen durch eine Änderung der EU-Verträge festzuschreiben, sollen sie bloß als „zeitweilige politische Vereinbarung“ beschlossen werden, die aber rechtlich nicht bindend wäre.

Die Regierungen in Paris und Berlin machen die Rechnung jedoch ohne den Wirt. Denn jeder Versuch, der Bevölkerung die Kosten der Finanzkrise aufzuladen, wird den Zusammenbruch der Wirtschaft nur noch beschleunigen. Wenn sie nicht sehr bald - wie es Matolcsy ihnen nahelegt - selbst dem Vorbild Ungarns folgen, anstatt es bestrafen zu wollen, wird dieser Zusammenbruch auch sehr bald zum Zusammenbruch ihrer politischen Strukturen führen.

Alexander Hartmann

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