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Neue Solidarität
Nr. 37, 9. September 2009

Grippebekämpfung erfordert Ende der Sparpolitik

Die Influenza-Pandemie hat gerade erst begonnen. Wichtig ist dabei, die Lage weltweit einzuschätzen. Vor allem in den USA scheint sich mit dem Ende der Schulferien die Situation bereits zuzuspitzen.

Auch wenn die Schweinegrippe in den allermeisten Fällen nach wie vor relativ harmlos verläuft, gibt es keinen Anlaß, die Gefährlichkeit der ausgebrochenen Pandemie herunterzuspielen. Die eigentliche Entfaltung der neuen Grippe steht erst noch bevor, wenn in Herbst und Winter die Influenzasaison beginnt und sich der Erreger verändern könnte. Vor allem besteht kein Anlaß, wie es nach Umfragen über das Impfverhalten in Deutschland den Anschein hat, sich in Sicherheit zu wiegen, weil es in Deutschland bisher noch keinen Todesfall gegeben hat. Eine Pandemie kann man, wie der Name eigentlich nahelegen sollte, nur von einem weltweiten Standpunkt aus beurteilen, und man sollte dabei die Erfahrungen über den Verlauf früherer Grippepandemien berücksichtigen.

So gesehen, ist bei der jetzt beginnenden Schweinegrippe-Pandemie in Keimform bereits vieles von dem enthalten, was den Verlauf früherer Influenza-Pandemien ausgezeichnet hat. Besonders typisch war und ist, daß vor allem jüngere Menschen unter 50 Jahren infiziert werden, wohingegen bei der normalen saisonalen Grippe vor allem ältere Menschen betroffen sind. Am auffälligsten ist jedoch, daß Ärzte auf der ganzen Welt schwere Verlaufsformen der Grippe besonders bei jungen und ansonsten gesunden Personen beobachten. Bei diesen Patienten befällt das Virus direkt die Lunge und führt zu einer schweren respiratorischen Insuffizienz, die, wenn überhaupt, nur durch eine aufwendige Beatmungstechnik in besonders ausgestatteten Intensivstationen beherrscht werden kann. Außerdem scheinen besonders Minderheiten und indigene Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Ländern besonders anfällig für den H1N1-Erreger zu sein.

Alle diese Überlegungen sowie der Umstand, daß sich Influenzaviren rapide verändern und so zu wirklichen „Killern“ werden können, müssen berücksichtigt werden, um auch das individuelle Risiko hier in Deutschland beurteilen zu können. Blendet man die Gesamtsicht der Pandemieentwicklung aus, ließe sich natürlich kurzsichtig fragen, warum wird wegen so einer harmlosen Grippe solch eine „Hysterie“ entfacht, deretwegen ich mich auch noch impfen lassen soll - und das mit einem Impfstoff, der nicht genügend getestet ist und überhaupt so viele gefährliche Zusatzstoffe enthält, die von den ohnehin in Verruf geratenen Pharmakonzernen hineingemischt werden?

Diese Situation ist Ausdruck der moralischen und gesellschaftlichen Zusammenbruchskrise, in der wir heute leben. Die meisten Leute urteilen nur noch nach rein individuellen Gesichtspunkten; die Frage des Gemeinwohls oder gar die Lage der Menschheit insgesamt spielt dabei keine Rolle mehr. Paradoxerweise hat die Gefahr, daß Impfstoffe heutzutage nicht mehr so sicher erscheinen wie früher mit dem Umstand zu tun, daß weite Teile des öffentlichen Gesundheitssektors im Zuge der „Globalisierung“ privatisiert und genau jenen Konzernen überlassen wurden, die heute aus dem Gesundheitssektor nur noch Profit ziehen wollen. Staatliche Stellen haben sich - vor allem aus „Kostengründen“ - sträflich aus der Überwachung und Steuerung zentraler Aspekte des Gesundheitswesens zurückgezogen.

Wäre es da nicht viel sinnvoller, diesen Trend zu reiner Ökonomisierung des Gesundheitswesens sofort umzudrehen und die in großem Umfang abgebauten Kapazitäten im medizinischen Bereich wiederherzustellen - besonders angesichts der realen Gefahr einer Pandemie wie der jetzigen Schweinegrippe?

In diesem Zusammenhang verdient die jüngste Warnung der WHO-Direktorin Margaret Chan besondere Beachtung: Der Schweinegrippeerreger A(H1N1) breite sich viermal schneller als andere Viren aus. Der französischen Tageszeitung Le Monde gegenüber sagte sie am 29. August, daß sich das Virus „mit einer unglaublichen, fast unerhörten Geschwindigkeit“ ausbreite. Besonders auffällig sei, daß 40 Prozent der Todesfälle junge Erwachsene in guter Gesundheit betreffen, die innerhalb von 5-7 Tagen sterben. Bei den restlichen 60 Prozent lägen bereits andere Gesundheitsprobleme vor.

Das Virus führt bei den jungen Menschen direkt zu Lungenkrankheiten, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen. In manchen Städten hätten 15 Prozent der Infizierten auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Das sei vor allem für ärmere Länder ein Problem, in denen die Gesundheitssysteme nicht gut ausgestattet sind. Die Schweinegrippe habe sich mittlerweile weltweit zur dominanten Grippeinfektion entwickelt, obwohl die Sterblichkeit nach wie vor gering und die Verlaufsform der Grippe meist mild sei.

Frau Chan wies darauf hin, daß man heute erstmals die Möglichkeit habe, eine Pandemie fast von Beginn an zu beobachten. Früher sei man vom Ausbruch einer solchen weltweiten Entwicklung überrascht worden, weswegen man schlechter reagieren konnte. Alarmierend sei, daß das Schweinegrippenvirus ein neuer Erreger sei und deshalb praktisch niemand gegen ihn immun sei. Somit sei dringend zu fragen, was passieren würde, wenn 20-30 Prozent der 6,8 Milliarden Menschen auf der Welt infiziert würden und gleichzeitig die Pandemie gefährlicher würde.

Angesichts dieser Lage wäre es fahrlässig, wenn wir von vornherein die wenigen wirksamen Mittel zur Bekämpfung einer solchen Seuche wie Impfungen, Anti-Virus-Medikamente und andere eindämmende Maßnahmen aus der Hand gäben. Ganz im Gegenteil, wir sollten die Schweinegrippe zum Anlaß nehmen, das überall auf der Welt demontierte Gesundheitswesen wieder aufzubauen und Fehler wie die Globalisierung rückgängig zu machen.

Ganz besonders deutlich wird die Gefahr in den USA, wo die von der Regierung Obama geplante Gesundheitsreform massive weitere Einschnitte in der Versorgung der Bevölkerung bedeutet, da mit den Einsparungen die Rettungspakete für die Banken finanziert werden sollen. Im folgenden seien schlaglichtartig einige der Konsequenzen dargestellt, die sich aus dem katastrophalen Zustand des amerikanischen Gesundheitswesens und den bereits massiven Auswirkungen der Schweinegrippe ergeben.

Wie auf  der Achterbahn

Die Grippewelle in den USA hat gerade erst eingesetzt, und schon ist in vielen Teilen des Landes vor allem aufgrund Hunderter an der Schweinegrippe erkrankter Kinder bereits das Krisenmanagement ausgerufen worden. Die örtlichen Gesundheitsämter, Kinderarztpraxen und Krankenhäuser sind völlig überlastet. All das straft die Behauptungen der Obama-Regierung Lügen, das amerikanische Gesundheitssystem leide an einer Überinanspruchnahme medizinischer Leistungen.

Es war absehbar, daß Mitte August bestimmte Brennpunkte der neuen Grippe auftreten würden, da bereits im Sommer die Virusverbreitung deutlich angestiegen ist und jetzt nach Ende der Schulferien deutlich mehr Infektionen in den Schulen und anderen sozialen Einrichtungen stattfinden. Vor allem in den südlichen Bundesstaaten wie Alabama, Kentucky, Louisiana, Mississippi und Florida ist es bereits zu vielen lokalen Grippehäufungen gekommen.

So hat das Southeastern Alabama Medical Center Mitte August wegen der Grippe eine 25%ige Zunahme von Intensivbehandlungen gegenüber dem Vorjahr gemeldet. Sämtliche Schulen in Tuskegee, Alabama, mit über 2600 Schülern wurden vom 20.-24. August wegen eines Influenzaausbruchs geschlossen.

In Maury County, Tennesse, haben sich über 1000 Schüler nach dem vierten Schultag wegen grippeähnlicher Symptome krank gemeldet. Alle Arztpraxen der Gegend sind ausgebucht, in einer Mittelschule fehlen 25% der Schüler. „Es ist wie auf der Achterbahn; wann und wo es aufwärts oder abwärts geht, weiß niemand zu sagen“, schilderte der Kreisschulleiter Eddie Hickman die Lage gegenüber dem lokalen Fernsehen.

In Kentucky sind vor allem die Landkreise Letcher, Boyle und Oldham betroffen; mehrere Schulen wurden geschlossen.

In Baton Rouge, Louisiana, erkrankten 20 Mitglieder des Highschool-Footballteams - ein Fünftel der Mannschaft - an der Grippe, und das, noch bevor die Schule am 17. August wieder begann.

„Das ist ein neuartiges Virus. Wir haben keinen Impfstoff. Wir rechnen mit vielen kranken Menschen, mit vielen Krankenhauseinweisungen und auch mit Todesfällen. Das Virus verhält sich anders. In verschiedenen Bundesstaaten nimmt seine Aktivität zu. Es verändert sich“, lautete die eindrückliche Warnung von Dr. Mark B. Horton, Leiter des öffentlichen Gesundheitswesens von Kalifornien bei einer Anhörung über den nationalen Influenzaplan im Repräsentantenhaus am 29. Juli. Horton forderte Bundeshilfen für die Gesundheitsämter und eine verstärkte medizinische Versorgung. Doch die zuständigen Vertreter der Regierung besaßen noch nicht einmal die Höflichkeit, der Anhörung bis zum Ende beizuwohnen.

Kürzungen der Gesundheitsausgaben

Im letzten Jahr wurden in den USA aufgrund des Wirtschafts- und Finanzkrachs 12.000 Stellen im öffentlichen Gesundheitsdienst gestrichen und andere kritische Einsparungen in der Gesundheitsversorgung vorgenommen. Nach Beginn des neuen Fiskaljahres am 1. Juli gehen in vielen Ländern und Gemeinden die drakonischen Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich weiter, da die Steuereinnahmen wegbrechen. Unter diesen Umständen von „vorbildlichen Pandemievorbereitungen“ zu sprechen, ist eine herzlose Farce, doch die Regierung behauptet weiterhin, „der Aufschwung“ sei nah.

Die Lage im Landkreise Erie, Pennsylvania - ein Bundesstaat, der noch nicht in der Lage war, für das kommende Jahr einen Haushaltsplan aufzustellen - ist typisch für die allgemeine Krise. In der Erie Times vom 20. August erschien der folgende Bericht: „Der Landkreis Erie ist darauf vorbereitet, den Impfstoff gegen die Schweinegrippe zu verteilen. Doch dabei gibt es zwei Probleme: Es gibt keinen Impfstoff und kein Geld, um Personal einzustellen, das die Impfungen vornehmen könnte...

Rich Knecht, Abteilungsleiter des örtlichen Gesundheitsamtes, erklärte: ,Ich bekomme wegen der Haushaltssperre kein Geld vom Land, so daß ich für die Impfaktion mit den Lieferfirmen keine Verträge schließen kann.’

Knecht weiß auch nicht, wann der Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Das US-Gesundheitsministerium teilte am 17. August mit, daß Mitte Oktober nur 45 Millionen Dosen bereitstünden. Die Abfüllung und andere Probleme würden die Impfstoffauslieferung verzögern. Sämtliche 145 Millionen Dosen würden frühestens im Dezember geliefert. Der Impfstoff wird dringend erwartet, weil nur wenige Menschen überhaupt eine Immunität gegen das H1N1-Virus besitzen und man nicht weiß, wann es zum vollen Ausbruch der Grippe in den Vereinigten Staaten kommt.“

Im Weißen Haus in Washington tut man zwar sehr geschäftig, aber jeder, der wirkliche Notmaßnahmen fordert, wird verunglimpft. Das Gesundheitsministerium unter Kathleen Sebelius und Heimatschutz-Ministerin Janet Napolitano haben Richtlinien erlassen und die Zusammenarbeit auf allen Regierungsebenen angekündigt, doch reale logistische Maßnahmen - das Vordringlichste überhaupt - wurden nicht ergriffen.

In den am 7. August veröffentlichten Richtlinien an Länder und Gemeinden wird empfohlen, daß Schulen außer in „seltenen Fällen“, wo Schüler und Lehrer gleichzeitig an H1N1 erkranken, geöffnet bleiben sollen. Die Regierung setzt offenbar auf das Prinzip Hoffnung, daß die Schweinegrippe harmlos und kontrollierbar bleibt, wenn Ende August 55 Millionen Schüler und 7 Millionen Lehrer in die über 130.000 öffentlichen und privaten Schulen der USA zurückkehren. „Es ist jetzt schon klar, daß die Schließung von Schulen nur selten angezeigt sein wird“, erklärte CDC-Direktor Thomas R. Frieden.

Diese Hoffnung ist epidemiologisch sehr trügerisch, und Politik auf reine Hoffnung zu gründen, ist verantwortungslos.

Bisher sind Bundesgelder nur tröpfchenweise an Akutkliniken und andere Einrichtungen der Länder und Gemeinden geflossen, um vor Ort Beatmungsgeräte für Kinder, Gesichtsmasken, Vorräte an antiviralen Medikamenten u.ä. für den Fall eines Massenzuwachses von Grippepatienten zu beschaffen. Im Frühjahr hatte Präsident Obama lediglich 1,5 Mrd. $ zur Pandemiebekämpfung in Aussicht gestellt, wovon 1,1 Mrd. $ für die Entwicklung des Impfstoffs und die Vorabbestellung großer Chargen von den großen Pharmaherstellern vorgesehen waren. Nur 350 Mio. $ dienten als Kredite für Bundesstaaten, Gemeinden und Krankenhäuser zur Vorbereitung der Pandemiebekämpfung. Mitte August legte das Gesundheitsministerium weitere 248 Mio. $ nach.

Gleichzeitig verbreitet das Weiße Haus zur Begründung seiner Gesundheitsreform weiter die durchsichtige Lüge, Krankenhäuser betrieben eine „Überversorgung“ und die Chirurgen operierten zuviel, um Geld zu verdienen.

Dr. Wolfgang Lillge und Marcia Merry Baker

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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