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In Frickenhausen im Allgäu versammelten sich 600 Milchbauern, um über die Lage der Milchbauern und das weitere Vorgehen zu diskutieren.
Bei den europäischen Milchbauern stehen die Zeichen auf Sturm. Mehr und mehr Bauern in Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Italien, Schweiz und Österreich liefern keine Milch mehr an die Molkereien aus, sondern kippen sie in den Gully, verfüttern sie an die Kälber, kippen sie auf die Felder oder sprühen sie sogar weithin sichtbar von Brücken, wie dies am 11. September im Deutsch sprechenden Teil Ostbelgiens geschah.
Die Streikwelle ging diesmal von Frankreich aus, wo am 14. September bereits die Hälfte der Höfe keine Milch mehr lieferten, um so gegen die Dumpingpreise von 18-24 Cent je kg Milch zu protestieren, die für die Bauern den wirtschaftlichen Tod bedeuten. Ein für die Bauern kostendeckender Preis läge bei 40 Cent und somit etwa doppelt so hoch wie die aktuell von der Milchwirtschaft gezahlten Preise.
Dem Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM), der Interessenvertretung der deutschen Milchbauern, wurde es allerdings vom Kartellamt untersagt, zum Streik aufzurufen, um sich gegen die Kartelle aus Molkereien, Einzelhandel und Exportlobby zu wehren. Das heißt allerdings nicht, daß die deutschen Bauern die Hände in den Schoß legen.
Dies wurde bei einem Milchbauernabend am 14. September in Frickenhausen (Allgäu) mehr als deutlich. Etwa 600 Bauern versammelten sich, um über die Situation zu sprechen und sich über das weitere Vorgehen zu beraten.
Der BDM-Vorsitzende Romuald Schaber gab zunächst einen Bericht über die Lage der Bauern. Die Bauern seien jetzt ganz unten, befänden sich in der schwersten Krise seit dem 2. Weltkrieg und würden von der Bundesregierung unter ihrer Würde behandelt, so Schaber. Auf den Höfen stapeln sich unbezahlte Rechnungen. Es sei für die Familien entwürdigend und eine schwere emotionale Belastung, daß Rechnungen liegenbleiben oder erst nach der 3. Mahnung bezahlt werden. Überall, von Irland bis an die Grenze der Ukraine, würden nur 18-24 Cent/kg Milch gezahlt. Für dieses Geld könne kein Hof seine Kosten decken. Schaber bezeichnete die Situation als Skandal, gegen den sich die Bauern wehren müssen. Denn die aktuelle Krise sei kein Unfall und auch nicht unabwendbar gewesen, sondern vielmehr bewußt herbeigeführt und von langer Hand vorbereitet worden. Eine Übersättigung des Marktes von 0,5% hätte bereits einen Preisverfall ins Bodenlose zur Folge. Die Politik in Berlin und Brüssel sei unfähig, auf die Situation angemessen zu reagieren, da sie sich von Hintermännern und Lobbyisten zu viel ins Ohr flüstern lassen. Die Politik würde perfekte Arbeit für die Konzerne leisten.
Man muß die Frage stellen, wer von der aktuellen Situation profitiert. Da die global agierenden Konzerne Produkte weltweit transportieren und somit gezielt Druck ausüben können auf Erzeuger und Verbraucher, die trotz Globalisierung lokal gebunden bleiben, bleibt am Ende nur der übrig, der sich an die Spielregeln der Konzerne hält. Das alte Motto des Freihandels lautet „Billig kaufen, teuer verkaufen“. Damit gehen die Familienbetriebe in Konkurs, und der Bauer kann vielleicht noch einen Ein-Euro-Job als Tagelöhner bekommen. So können die Konzerne bestimmen, was zu welchem Preis in den Handel gelangt. Die Bauern hätten, obwohl viele Molkereien genossenschaftlich sind, jeden Einfluß auf Milchpreis und Löhne verloren. Die Ideologen hinter der aktuellen Politik, für die die EU maßgeblich verantwortlich ist, seien so starrsinnig wie im Kommunismus, meinte Schaber weiter. Im Gegensatz dazu seien die Verbraucher in puncto Landwirtschaft sensibilisiert, was dazu führe, daß die Politiker dem Wähler gern Honig ums Maul schmieren, ohne aber ernste Schritte einzuleiten, eine gescheiterte Politik aufzugeben und auf die Forderungen der Bauern einzugehen.
Schließlich ging Schaber auf den Streik in Frankreich ein und betonte, daß die deutschen Molkereien den französischen Bauern in den Rücken fallen, indem Milch aus Deutschland im großen Stil nach Frankreich gekarrt wird. Dies sei eine Schande für die deutschen Bauern, wenn der Streik in Frankreich so unterlaufen würde. Wegen der Entscheidung des Kartellamtes könne der BDM zu keinem Boykott der Molkereien aufrufen, es sei somit die Verantwortung jedes einzelnen, ob er noch Milch an die Molkereien ausliefert. Dennoch liege es an Deutschland, ob die europäische Initiative Erfolg haben kann oder nicht.
Somit überließ Schaber das Mikrofon dem belgischen Landwirt und Vorsitzenden der belgischen Milcherzeuger-Interessengemeinschaft (MIG) Erwin Schöpges. Schöpges sagte, ihn mache der Maulkorb, den der BDM vom Kartellamt erhielt, wütend und traurig. Dies sei zutiefst undemokratisch und in Belgien undenkbar. Deshalb müsse das Diskutieren jetzt aufhören, sonst könnten alle Bauern das, was ihre Väter und Großväter erarbeitet hätten, komplett an die Großindustrie abgeben.
Es gehe nicht nur um faire Preise, sondern um einen Systemwechsel, eine Revolution. Dabei bezog Schöpges sich auf die friedliche Revolution von 1989 in der DDR. Der Milchpreis sollte den Bauern dabei keine Sorgen machen. Vielmehr ginge es darum, die Milch von 2-3 Wochen einzusetzen, um einen Systemwechsel herbeizuführen. Dies brächte eine bessere Rendite als bei jeder Bank. Billiger als zu den aktuellen Dumpingpreisen könne man ohnehin nicht streiken. Der Beginn des Milchstreiks in Frankreich hätte die Belgier nicht eine Minute Überlegens gekostet, ob man sich beteiligen soll.
Schließlich wurde jeder Bauer, der sich am Boykott beteiligen wolle, gebeten aufzustehen und so seine Streikbereitschaft kundzutun. Circa 90% der Bauern standen auf. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, bei wie vielen Bauern die Nerven blank liegen, und wie bedrohlich die aktuelle Situation für die einzelnen Betriebe ist. Es ging bei der Aussprache am offenen Mikrofon nur noch um ein Thema: Entweder wird jetzt gemeinsam gekämpft und ein Systemwechsel erzwungen - oder gemeinsam verloren. Dabei kommt den Milchbauern im Allgäu eine Schlüsselrolle und besondere Verantwortung für die Lage in Deutschland zu, da das Allgäu einen der wichtigsten Milchkreise in Deutschland darstellt, von dem die stärkste Signalwirkung für den Rest Deutschlands ausgehen kann.
Zum Schluß ist noch zu betonen, daß die aktuellen Proteste und Boykotte die Bauernverbände in Frankreich und hoffentlich nun auch in Deutschland aufs Abstellgleis führen. Es zeigt sich mehr und mehr, daß diese europaweiten Streiks keine normalen, saisonalen Demos sind, sondern organische, von den Bauern selber organisierte Aktionen, die das Potential haben, sich zu einer Revolution auszuweiten, oder wie es auf einem Plakat auf einem belgischen Traktor prägnant heißt, „Diese Milch ist Revolution“. Alle Politiker und Verbände, die das nicht verstehen, sind fehl am Platz und werden sich in den Stürmen des Zusammenbruchs der Globalisierung und des Weltfinanzsystems nicht behaupten können.
Bei der Veranstaltung waren auch zwei Vertreter der BüSo anwesend, stellten vor dem Festzelt Plakate auf mit dem Titel „Bauern retten - BüSo wählen!“ und verteilten Hunderte Büso-Extrablätter sowie Ausgaben der Neuen Solidarität, und sie nutzten die Möglichkeit, am offenen Mikrofon mitzureden. Vertreter anderer Parteien waren entweder nicht anwesend oder glänzten durch Schweigen.
Daniel Buchmann