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Neue Solidarität
Nr. 21, 20. Mai 2009

Bauern demonstrieren für kostendeckende Milchpreise

Vor dem Kanzleramt haben Milchbäuerinnen aus ganz Deutschland gegen die akute Existenzbedrohung ihrer Höfe durch die katastrophal niedrigen Milchpreise demonstriert.

Aufgrund des systematischen Niedergangs vor allem des produktiven Sektors in Deutschland sind jetzt auch die Landwirtschaftsbetriebe und insbesondere die deutschen Milchviehhalter betroffen. Deswegen haben sich letzte Woche einige hundert Milchbäuerinnen aus ganz Deutschland entschlossen, vor dem Kanzleramt in Berlin gegen die existenzvernichtenden Milchpreise zu protestieren, die nicht mehr annähernd die Produktionskosten decken. Sie haben sich vorgenommen, das Schweigen von Bundeskanzlerin Merkel zu der Agrarkrise zu brechen. Am Montag, dem 11. Mai, trafen die Milchbäuerinnen, mit Campingausrüstung bewaffnet, in Berlin ein, um vor dem Kanzleramt so lange auszuharren, bis Frau Merkel Verhandlungsbereitschaft zeigt. Da die CSU-Agrarministerin Aigner offenbar unfähig war, im Vorfeld der Krise eine Lösung zu finden, war dieser Besuch vor dem Kanzleramt für die Bäuerinnen die letzte Perspektive.

Bisher weigerte sich Frau Merkel jedoch, Stellung zu nehmen oder mit dem Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter (BDM) in Kontakt zu treten. Empört und enttäuscht äußerten sich zahlreiche Bäuerinnen über ihre existentielle Last, die es mit sich bringt, daß viele Milchbauern gar nicht die Möglichkeit haben, mit den anderen in Berlin zu demonstrieren, weil sie es sich nicht leisten können, der Arbeit auf ihren Höfen fern zu bleiben.

In den Augen der Milchbäuerinnen war die Nicht-Reaktionen aus dem Kanzleramt eine klare Verweigerung. Vor allem Merkels Argument, sie lasse „sich nicht von den Bäuerinnen erpressen“, löste helle Empörung bei den Demonstranten aus, da sie mit dem ausdrücklichen Ziel nach Berlin gekommen waren, um Frau Merkel die Dringlichkeit ihres Problems zu unterbreiten und auf eine konstruktive Lösung hinzuarbeiten.

Nach mehreren Tagen und Nächten des Wartens und des Hoffens entschlossen sich inzwischen fünf Bäuerinnen sogar, in einen Hungerstreik zu treten, um den Verantwortlichen klar zu machen, daß es bei den Milchviehhaltern ums nackte Überleben geht.

Mehrere Male sind die Bäuerinnen inzwischen mit selbstgeschriebenen Kanons in Richtung Kanzleramt marschiert, um „Angie“ zu sprechen. Der Vorsitzende des Bundesverbands der Deutschen Milchviehhalter, Schaber, brachte seine Forderung für eine marktgerechte flexible Quotenreglung, geführt von den Erzeugerorganisationen, zu kostendeckenden Preisen vor. Ebenso verlangte er, daß die Regierung politische Rahmenbedingungen schaffen müsse, um den Erzeugern eine Mengensteuerung zu ermöglichen, womit ein angemessener Preis am Markt erzielt werden könne.

Kritik an den Konzernen

Deutschland ist der größte Milchproduzent in Europa, doch ist es den deutschen Milchbauern praktisch unmöglich, die von Brüssel festgesetzte Milchquote zu halten.

Ein Grund dafür sind die politischen Rahmenbedingungen der Europäischen Union, die zum Beispiel darauf abzielen, die Milcherzeugung auf den Export und nicht auf die Eigenversorgung innerhalb der EU zu konzentrieren. Würde eine Politik im Interesse der Bauern und Verbraucher betrieben, müßte die Milchpolitik Vorrang vor den Exportinteressen der Großkonzerne haben. Die EU subventioniert außerdem den Anbau von Raps und Mais (zur alternativen Energieproduktion) mehr als die üblichen Produkte der herkömmlichen Landwirtschaft. Dies führt dazu, daß mehr und mehr Bauern keine andere Wahl haben und sich für die nicht nachhaltige Saat entscheiden.

Das Hauptproblem betrifft jedoch den Machtkampf zwischen den Großmolkereien und den einzelnen bäuerlichen Familienbetrieben. Da die Großkonzerne durch ihre große Absatzsteigerung den Preis für die Milch immer weiter senken, ist es für die Bauern unter diesen Preisverhältnissen nicht mehr möglich, zu produzieren.

Allein im letzten Jahr gab es in der Milchproduktion jeden Monat einen Überschuß von einem Prozent, was dazu führte, daß sich der Milchwert um die Hälfte verringerte und für die Bauern nicht mehr erträglich war. Der BDM-Vorsitzende erklärte dazu, daß es erforderlich wäre, die Milchproduktion um 2-3 Prozent zu drosseln, um den produzierten  Überschuß zu verbrauchen und wieder einen fairen Milchpreis zu erreichen.

Ein zusätzliches Problem für die Milchbauern ist der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, der in vielen Großbetrieben sitzt, so zum Beispiel als Verwaltungsvorsitzender in der Rentenbank, bei der R+V Lebensversicherung AG, im Aufsichtsrat der Münchner und Magdeburger Agrarversicherungen AG und im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Somit ist vielen Landwirten nicht klar, welche Interessen er wirklich vertritt. Dies ist auch der Grund dafür, warum der BDM sich entschlossen hat, nicht mit dem Deutschen Bauernverband zusammenzuarbeiten. Auf unsere Frage, was Herr Sonnleitner unternehmen würde, um die Großkonzerne unter Kontrolle zu bekommen und so die  kleinen Bauern zu retten, verweigerte er eine Antwort.

Als früherer Präsident des Europäischen Bauernverbandes hat Sonnleitner immer die Politik der EU und somit auch die Freihandelstheorie vertreten, die jetzt unsere Mittelstandsbetriebe buchstäblich auffrißt. Im Gegensatz zum Deutschen Bauernverband fordert der BDM  eindeutige protektionistische Maßnahmen.

Mit dieser Politik hat der BDM die eindeutige Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, die sich am 14. Mai auch demonstrativ den demonstrierenden Milchbäuerinnen vor dem Kanzleramt angeschlossen hat. Ein Beleg für die programmatische Nähe ist zudem der Umstand, daß bei den bevorstehenden Europawahlen auch ein Mitglied des BDM, Alois Krumbachner, für die BüSo als Kandidat aufgestellt ist, um für den bäuerlichen Mittelstand einzustehen und die neoliberale Politik der EU zu stoppen.

Silvia Heinel

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Milchstreik der Bauern - der Beginn einer wirklichen Revolution?
- Neue Solidarität Nr. 24/2008
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