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Neue Solidarität
Nr. 25, 23. Juni 2010

'Habenichtse' zurück auf der Bühne der Weltgeschichte

Knapp 70 Jahre nach de Gaulles Aufruf an die Franzosen zum Widerstand veranstaltete die Solidarité & Progrès ihre Generalversammlung.

Nur wenige Menschen bringen den Mut auf, den uns erfassenden Sturm ganz zu begreifen und sich ihm entgegenzustellen. Dieser Sturm ist viel mehr als eine Finanz- und Wirtschaftskrise - mit de Gaulles Worten von 1940: Es ist eine Krise der Zivilisation. Deshalb ist diese entschlossene Minderheit für die Menschheit so kostbar!

Die Geräuschkulisse der Fußballweltmeisterschaft, aber auch die Flut journalistischer Ergüsse zum Jahrestag von General de Gaulles Erklärung vom 18. Juni 1940 [dem Beginn der Résistance] in Frankreich verdecken und vernebeln das von fast allen politischen „Köpfen“ kakophonisch angestimmte Lied vom „Gürtel enger schnallen“. Lähmung, Verzweiflung und Angst der Menschen angesichts der Zerstörung der Arbeitsplätze, des sozialen Netzes und alles Menschlichem um sie herum und in ihnen selbst, beginnen einer Wut Platz zu machen, die auf eine zerstörerische Explosion zutreibt, welche nur einer Oligarchie in die Hände spielen würde, die einen Finanzfaschismus betreibt.

Doch eine Flamme [das Symbol der Résistance], die lange Zeit mit wenig Sauerstoff auskommen mußte und beständig zu verlöschen drohte, findet im Sturm neue Luft in den Herzen einiger hundert neuer Kämpfer, die sich wie die „neuen Geusen“ der Résistance 1940 entschieden haben, Mittelmäßigkeit und Kleinheit nicht mehr zu akzeptieren. Sie verstehen, daß man z.B. nicht gegen eine „Rentenreform“ als Einzelfrage kämpfen kann, weil sie Teil einer zerstörerischen Gesamtdynamik ist und man die Ursachen ändern muß. Wie Jacques Cheminade am Samstag sagte: „Mehr noch als an den Errungenschaften der Vergangenheit müssen wir an der Schöpferkraft festhalten, die sie schuf“ - wir müssen etwas verkörpern, das nicht nur frei von Rachegedanken ist, sondern auch mehr ist als bloß Widerstand: ein inspirierendes, mobilisierendes Projekt, das Frankreich und der Menschheit einen weiten Horizont öffnet und durch tiefgehende Gedanken über Mensch und Natur im Sturm Mut verleiht.

Die Ausweitung des geistigen Bereichs

Seit Anfang 2009 wächst durch verschiedene Kampagnen die Präsenz von Solidarité & Progrès im Land. Die Petition für eine Pecora-Kommission zur Untersuchung der Verantwortlichkeit für die Finanzkrise (seit Anfang 2009 fast 5000 Unterzeichner) und eine halbe Million Flugblätter zu dem Thema sorgen für eine intensive Diskussion mit den am meisten betroffenen Teilen der Bevölkerung und mit einigen Politikern.

Waren es bei dieser Kampagne 250 freiwillige Flugblattverteiler, so wurden daraus im November 400 für das Flugblatt „Zum bevorstehenden Aufruhr“ mit einer Million Exemplaren.

Im Februar und März 2010 führte unser Wahlkampf in der Bretagne mit der Liste „Bretagne, Leuchtturm der neuen Welt“ zur Mobilisierung von mehr als 100 Personen in diesem Landesteil, einer großen Sichtbarkeit durch die Berichterstattung der Medien und der Zustellung unseres Programms an die zwei Millionen Wahlberechtigten. Dieses Programm für große Infrastrukturprojekte - u.a. mit dem Aérotrain1 und Kernkraftwerken der 4.Generation - stieß auf überraschend großes Interesse, denn die Bretonen galten früher als wenig empfänglich für derartige Ideen. Unser Aufruf zur Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes in den USA und seines Äquivalents in Frankreich traf mit dem Zerfall der Eurozone auf eine große Aufnahmebereitschaft und löste sofort eine Debatte aus, die sich zunehmend der Kontrolle der Finanzoligarchie entzieht.

Polyphoner politischer Dialog

Der Sonnabend, 12. Juni, begann mit der ausgezeichneten Interpretation von J.S. Bachs 5. Suite für Violoncello und endete mit dem Sanctus aus Mozarts Requiem, gesungen vom Chor der LaRouche-Jugendbewegung (LYM). Der Dialog der verschiedenen Stimmen war bei beiden Werken gut zu verfolgen - auch beim Cello, wo man sie aus einem einzigen Instrument herausarbeiten muß.

Der Dialog mit Lyndon LaRouche, der Stimme des wahren Amerika, gab unserem politischen Kampf eine noch größere Perspektive: LaRouche erinnerte daran, daß der Gründungsimpuls für die Vereinigten Staaten, die transkontinentale Entwicklungspolitik Lincolns und die großen Infrastrukturprojekte Roosevelts in den dreißiger Jahren alle auf das Erbe Karls des Großen und Colberts zurückzuführen sind - eine Politik der Entwicklung von Mensch und Natur im Innern des Kontinents, gegen die dominierende See- und Finanzmacht eines Imperiums mit Venedig oder London im Mittelpunkt.

Der gleiche Impuls inspirierte weitgehend die „30 glorreichen Jahre“ [Frankreichs „Wirtschaftswunder“] durch die gaullistische Politik nach dem Zweiten Weltkrieg, die später - und das unter dem Namen eines vermeintlichen Gaullismus - systematisch ruiniert wurde.

Insofern ist unsere Politik für eine Absetzung von Präsident Sarkozy ebenso wie LaRouches Kampagne für den Sturz Präsident Obamas auch kein Ziel an sich, kein Ruf nach Rache. Sie sind einfach notwendig angesichts der dramatischen Zuspitzung der Krise und der Dringlichkeit der Wiederinkraftsetzung des Glass-Steagall-Gesetzes. Diese historische Berechtigung gibt uns die Autorität, jene abzusetzen, die durch ihre Taten sich dem notwendigen Wandel in den Weg stellen.

Zahlreiche Teilnehmer aus ganz Frankreich erschienen zur Generalversammlung von Solidarité & Progrès, um untereinander die Erfahrungen ihres politischen Kampfes auszutauschen. Die Diskussion verließ jegliche Routine, bei der jeder nur seine Ängste und Marotten zur Schau stellt, und inspirierte durch ihre Offenheit auch die, die nur still zuhörten. Zwei Mitglieder aus Paris, die viel Zeit auf die politische Mobilisierung im Großraum Paris verwenden, erklärten stolz, wie sie sich nach und nach von einer auf sich selbst gerichteten Sichtweise lösten und wie immer mehr die Verteidigung und Verkörperung von Ideen zu ihrer Identität wurde. Im bretonischen Saint-Brieuc entstand durch die Regionalwahlen eine Gruppe von sechs Personen, die bereit ist, die Ideen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Im südfranzösischen Toulouse gibt es eine solide Gruppe von drei Personen, die sich mit verschiedenen Aktivitäten wie Büchertischen, Veranstaltungen, Interventionen etc. immer mehr mobilisiert. „In Wirklichkeit sind wir nicht nur drei“, meinte einer von ihnen, „wir sind hunderte, tausende. Sie sind schon da, sie stehen vor der Tür.“

In Lyon schreibt eine junge Frau, angeregt durch eine Veranstaltung mit der erfolgreichen LaRouche-Demokratin Kesha Rogers aus Texas, an die Abgeordneten des Départements, um ihnen eine Diskussion zum Thema Glass-Steagall vorzuschlagen. Sie war baß erstaunt, als ihr Bekanntenkreis und ihre Arbeitskollegen ihre Initiative unterstützten. Eigentlich hatte sie nur Desinteresse erwartet... Ein junger Aktivist aus Marseille versicherte mit einer entwaffnenden Direktheit, man unterschätze oft, was man als einzelner eigentlich machen kann. Man muß nur entschlossen und ohne falschen Respekt sein und die richtigen, bohrenden Fragen stellen.

In La Rochelle, Rouen, Nancy und bis nach Belgien gibt es Keimzellen von entschlossenen Aktivisten, die bei Kundgebungen Flugblätter verteilen und sich einsetzen. Interveniert wurde von unserer Seite bei Opel in Antwerpen, wo die Automobilfabrik im Rahmen eines „Sozialplans“, der die Beseitigung von 8300 Arbeitsplätzen in Europa (von 50.000) vorsieht, geschlossen werden soll. Wir verteilten ein Flugblatt, in dem wir die Umstellung der Kapazitäten auf die Produktion von Spitzentechnik für den Massenverkehr vorschlagen.

Im Laufe der Vorträge und Diskussionen am Sonntag - mit Beiträgen von Jacques Cheminade und anderen über Erasmus und Jean Jaurès, über die Erforschung des Weltraums und deren Bedeutung für das menschliche Wissen, wie auch über die Perspektiven der Kernfusion - bildete sich ein starker Enthusiasmus und ein Verlangen, all das verstehen und anderen mitteilen zu wollen. Auch wenn Fragen wie die Reise des Menschen zum Mars und die Beherrschung der Kernfusion eine schwierige Herausforderung sind und vielleicht nicht mehr zu unseren Lebzeiten gelöst werden, hob diese optimistische Sichtweise doch die Teilnehmer auf das notwendige Niveau für die Überwindung der Krise.

Man erkennt mit Gewißheit, daß die Verbesserung der Welt möglich ist, wenn ein solcher Elan auf die schwankende Flamme eines besseren Frankreichs trifft - wie der der zu Beginn hoffnungslos unterlegenen „Habenichtse“ der Résistance, die ihren Mut an der Größe des freien Frankreichs aufrichteten - oder die eines Jean Robieux,2 der entdeckt, erschafft, erfindet und so die Beziehungen zwischen Mensch und Natur auf eine höhere Ebene hebt.

Die Wechselwirkung zwischen den Zuhörern und diesem Mann, der die Anwendung von Lasern für die kontrollierte Kernfusion entwickelt hat, war eines der faszinierendsten Erlebnisse dieser zwei Tage: Die Bescheidenheit des Forschers, wenn er anderen zuhört, und seine Anstrengungen, seinem Land und der Menschheit die Früchte seiner Arbeit zu schenken, gab allen große Hoffnung.

Eine große Verantwortung

Ich habe das Glück, einen dieser „Habenichtse“ oder „neuen Geusen“ [Geusen sind wörtlich Bettler] persönlich zu kennen: Er war 1940 15 Jahre alt, als er und sein Bruder sich im Aufbau der Résistance engagierten, sogar noch vor de Gaulles Appell vom 18. Juni (den sie nicht hören konnten, weil in ihrer Heimatstadt Rennes an dem Abend der Strom ausfiel). Doch ein Mann wie er, der von der Gestapo verhaftet wurde, fliehen konnte, dessen Bruder 1944 in Rennes hingerichtet wurde und der bis zur Befreiung weiterkämpfte, er verliert heute, in der Abenddämmerung seines Lebens, seinen Glauben an die Menschheit. Er sieht, wie die Weltkrise dabei ist, die gesamte Gesellschaft in die Krise zu stürzen, und er denkt manchmal schon: „Eigentlich würde ich mich lieber mit den Regenwürmern unterhalten als mit diesen Horden von Bekloppten, die die Öffentlichkeit in Beschlag genommen haben.“ Dieser Mann, der dabei ist, seine Memoiren zu schreiben, hat dank unserer Bewegung die Gewißheit wiedergefunden, daß es Spuren gibt, die nicht verloren gehen.

Ebenso ließ uns Jean Robieux mit einer feinen Ironie sein Erstaunen über die gehobene Stimmung auf der Konferenz wissen, deren Zeuge er am Sonntag wurde und die ihn an den brüderlichen und schöpferischen Elan der Ära de Gaulles erinnerte - ihn, den man in der Öffentlichkeit gewöhnlich als einen alten Schwätzer behandelt, der bald sterben wird. Es liegt an einem jeden von uns, dafür zu sorgen, daß diese Flamme mit ihrem letzten Atemzug nicht erlischt...

Am Abend, nach einer herrlichen Aufführung der Ode an die Freude aus Beethovens Neunter Symphonie durch die deutsche LaRouche-Jugendbewegung, gestand uns Jacques Cheminade, am Ende dieser beiden Tage seien seine Gefühle gespalten: eine sehr große Freude einerseits, aber auch eine gewisse Angst, all das heute bedroht zu sehen. Er schloß mit den Worten, daß es von jedem von uns, der dieses Wochenende miterlebte - aber auch von Ihnen, die Sie diese Zeilen lesen - abhängt, daß dieses Gefühl und die Begeisterung für Gerechtigkeit nicht vergehen, sondern wachsen.

Bruno Abrial


Anmerkungen

1. Eine mit Stahltriebwerken angetriebene Einschienen-Luftkissenschwebebahn, die in Frankreich zwischen 1965 und 1974 entwickelt wurde.

2. Französischer Ingenieur, Forscher, Erfinder und Wissenschaftsorganisator, geboren 1925.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
„Willkommen an der Schwelle der Unsterblichkeit!“
- Neue Solidarität Nr. 52-53/2009
Antwort auf die wachsende Wut der Bevölkerung
- Neue Solidarität Nr. 46/2009
Erklärung von Jacques Cheminade zum Europäischen Milchstreik
- Neue Solidarität Nr. 41/2009
Cheminade zu Gast im Baskenland
- Neue Solidarität Nr. 17/2009
Internetseite von Jacques Cheminade
- in französischer Sprache
Internetseite der Solidarité et Progrès
- in französischer Sprache