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Aus der Neuen Solidarität Nr. 13/2009 |
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Prof. Devendra Kaushik vom Institut für Asienstudien des Indischen Bildungsministeriums hielt bei der Rüsselsheimer Konferenz des Schiller-Instituts am 21. Februar die folgende Rede.
Sehr geehrte Helga, mein großer Lehrer, Mahaguru Lyn, werte Freunde aus Deutschland, Kollegen vom Schiller-Institut und übrige Teilnehmer aus Europa, Amerika und anderen Kontinenten, ich möchte zunächst meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen gegenüber dem Schiller-Institut und seiner dynamischen Leiterin, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, heute nachmittag hier bei Ihnen zu sein.
Zufälligerweise ist es genau ein halbes Jahrhundert her, daß ich erstmals mit Ihrem Land, Deutschland, in Berührung kam, das ich 1959 besuchte. Ich war beeindruckt von dem, was man damals das „Deutsche Wirtschaftswunder“ nannte. Ich hatte gerade meine Karriere als junger Dozent für internationale Beziehungen aus Indien begonnen und kannte alle die Komplikationen, Techniken und Mechanismen dieses Aufschwungs nicht.
Seit langem habe ich Verbindung mit der LaRouche-Bewegung, mit diesem jungen Ehepaar - immer jung, denn Jugend ist keine Frage des Alters; seine Jugendlichkeit, seine Begeisterung sind einfach ansteckend, und sie haben nicht nur mich, sondern viele in meinem Land infiziert.
Ich bin seit inzwischen über 50 Jahren Lehrer. In meiner bescheidenen Art werde ich in Indien zuvorkommend als Guru bezeichnet. Aber hier ist der Mahaguru, der „Guru der Gurus“. Ich sage das nicht, um zu schmeicheln, sondern weil ich es im Laufe der Jahre so erlebt habe.
Am Anfang war es schwer, LaRouches Ideen zu verstehen. Zuerst dachte ich, er sei wegen seiner Beziehungen zu Deutschland einfach ein eingefleischter antibritischer Amerikaner - Sie kennen ja die alte britisch-deutsche Rivalität und alle diese Dinge! Aber dann erkannte ich den wahren Kern: das Britische Empire.
LaRouche bezieht sich auf das Britische Empire, nicht auf das britische Volk! Er meint die Institution des Britischen Empire, die eine Reinkarnation der venezianischen Wucherer ist und sich vom holländischen über das anglo-holländische schließlich zum anglo-holländisch-saudischen Empire entwickelt hat.
Ich brauchte einige Zeit, aber ich denke, meine erste Verbindung zur LaRouche-Bewegung reicht zurück in die Zeit, als die Sowjetunion auseinanderbrach. Unmittelbar danach wurde meine Verbindung zur LaRouche-Bewegung, ihren Vertretern in Indien, hier in Deutschland und in Amerika recht aktiv.
Ich war damals wegen meiner Gefühle zum Kommunismus/Marxismus und - ich will es nicht verbergen - für die Sowjetunion traurig und desillusioniert. Ich war bereits als Professor für sowjetische Studien an der Jawaharlal-Nehru-Universität tätig, und nun drohte meine Disziplin einfach zu verschwinden! Die Sowjetunion verschwand, und, was leicht zu verstehen ist, auch mein Stolz. Wie sollte man den ganzen Zerfall und alle diese Dinge erklären?
So machte ich mich auf eine neue Reise, mit Lyn als Leitstern und Helga als Ratgeberin.
Helga war 1997 an der Jawarhalal-Nehru-Universität; ich leitete die Sitzung, und sie hielt einen Vortrag - ich glaube über die Eurasische Landbrücke. Sie sprach über die Eisenbahnstrecken und die Verbindungen zwischen Europa und Rußland und dem Fernen Osten, nach Südasien und bis zur Beringstraße, von dort nach Alaska und nach Lateinamerika sowie durch Südeuropa nach Afrika. Afrika wurde nicht übergangen. In ihrem Vortrag war Afrika sogar sehr präsent, und ich erinnere mich noch daran, daß sie Dias zeigte, auf denen sie zeigte, wie die Eurasische Landbrücke auf weitere Staaten ausgedehnt werden und zu einem wirksamen Instrument im Kampf gegen die bevorstehende Wirtschaftskrise werden würde - das war 1997!
Mehrere wichtige Gelehrte aus Delhi, darunter ein ehemaliger Vorsitzender des Stipendienausschusses der Universität, waren dabei. Sie waren recht skeptisch; sie dachten, daß Helga das negative Bild der weltweiten Entwicklung vielleicht doch etwas überzeichnet habe und etwas zu pessimistisch wäre.
Aber einen Monat nach ihrer Abreise brach die asiatische Wirtschaftskrise von 1997 aus, 1998 folgte der GKO-Krach in Rußland und 1999 die Krise in Brasilien. Es wurde offensichtlich, daß es sich bei dieser Krise nicht bloß um ein zufälliges oder zyklisches Ereignis handelte, sondern um eine systemische Krise. Die Gelehrten begannen sich an mich zu wenden und fragten: „Wie kommt es, daß sie das so genau wußte?“ Ich sagte: „Weil sie die Wissenschaft der Vorhersagen von ihrem Mann gelernt hat“, dessen Schriften über die physische Ökonomie, die realwirtschaftlichen Dinge und über den Antimonetarismus ich damals schon sehr genau verfolgte. Sie hatte Geschichte studiert. Das erregte sogleich meine Aufmerksamkeit. Die geschichtlichen Tatsachen kannte ich, aber nicht aus dieser Perspektive! Leibniz, Friedrich List, Protektionismus, nationale Souveränität - und auf der anderen Seite Adam Smith und der Freihandel. Und den Westfälischen Frieden.
Alles das waren Marksteine der Geschichte, und wenn man diese Ereignisse nicht beachtet, kann man die gegenwärtige Krise und auch LaRouches Prognosen nicht verstehen. Ich habe ihn einmal gefragt: „Wann kommt der Krach?“ Er antwortete: „Es ist, wie wenn man in einem Ruderboot auf den großen Seen unterwegs ist und den Niagara-Fall noch nicht erreicht hat. Man glaubt, alles sei in Ordnung. Bisher ist alles glattgegangen, es gibt keine Krise. Wenn etwas passiert, werden wir die nächste Brücke benutzen. Bisher ist noch nichts geschehen, und deshalb ist auch nicht zu erwarten, daß in nächster Zeit irgend etwas passiert.“ Mit solchen Leuten könne man nicht argumentieren. Ich kann mich noch gut daran erinnern.
Aber dann geschah es doch. Es bereitet mir kein Vergnügen, wenn ich mich daran erinnere, daß er das vorhergesagt hat. Er war aufrichtig besorgt und hat davor gewarnt. „Der Krach kommt! Er kommt! Er wird etwas sein, was die Menschheit in ihrer Geschichte noch nicht erlebt hat, viel schlimmer als das Finstere Zeitalter im 14. Jahrhundert!“
Damals war das Finstere Zeitalter auf Europa beschränkt - ein eurozentrisches Finsteres Zeitalter. Heute ist die Welt so vernetzt, daß es eine Katastrophe sein wird. Und diese Katastrophe starrt uns bereits an. Wir müssen nach Lösungen und Antworten suchen - Antworten, die er bereits gegeben hat.
Ich wünsche den Vereinigten Staaten eine Führung, die neue Führung Obamas - er ist dynamisch, und ich hoffe auf ihn, auch wenn sich unser Premierminister manchmal etwas anders äußert. Es gibt in Indien einige Leute, die nostalgisch über Bush sind - sogar noch nach Obamas Sieg. Unser zum Premierminister aufgestiegener Wirtschaftsbürokrat sagte zu Bush: „Herr Präsident, die Menschen in Indien lieben Sie!“ Und erst letzte Woche schlug ein junger Parlamentsabgeordneter, Singhvi, vor, man solle Bush den Titel „Gem of India“ verleihen, die höchste Auszeichnung, die die indische Regierung vergibt. Es gibt also solche Leute bei uns.
Aber auf der anderen Seite ist das große Verdienst meines Landes die intuitive, zivilisatorische Weisheit unseres Volkes. Unsere Bevölkerung hat seine Führung immer korrigiert, und darauf bin ich stolz. Sie hat selbst große Führer korrigiert und sie dazu veranlaßt, ihre Irrtümer zu erkennen. Man braucht sich also keine Sorgen über Indiens Reaktion in dieser Hinsicht zu machen. Es ist nicht die Reaktion des indischen Volkes, wir befinden uns in einer Übergangsphase. Einigen Leuten tut Bushs Abgang leid, aber es gibt viele Millionen Inder, die sehr froh sind über die Änderung, die in den Vereinigten Staaten eingetreten ist - eine wirkliche Änderung.
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß die Vereinigten Staaten ein wichtiges, unabhängiges Zentrum der Weltentwicklung sind. Das ist nicht mein Marxismus, denn ich wurde dazu ausgebildet, nur in Begriffen von Sozialismus und Kapitalismus zu denken. Ich würde auch heute noch sagen, daß das sowjetische System, wenn man seine Leistungen am Maßstab der Geschichte bewertet, trotz aller Abweichungen, Verirrungen und Übertreibungen viele positive Dinge zum Wohl und zum Wohlergehen des sowjetischen Volkes beigetragen hat - zur Raumfahrt, der Entwicklung der Wissenschaften und der Kultur.
Nun zum besseren Teil: Die amerikanische Szene muß als eine wichtige Szene betrachtet werden, und es sind Änderungen eingetreten. Obama versteht zwar nicht viel von wirtschaftlichen Prozessen, wie Lyn uns gesagt hat, aber man kann hoffen, daß er intelligent genug ist, um die neue Realität zu verstehen und daß er die richtigen Schritte unternehmen wird.
Die Menschen in Amerika, in Europa, in Deutschland, in Indien, in Rußland, in China, die Menschen in aller Welt müssen für den richtigen Kurs, für die richtige Lösung kämpfen, denn es werden immer noch viele Bedenken geäußert, etwa: „Der Protektionismus ist eine Gefahr, und man sollte den Freihandel nicht aufgeben.“ Diese ewige Leier wird uns von Gordon Brown vorgesungen, von vielen Leuten. Selbst in Indien denken viele, daß man nur kleine Justierungen vornehmen müsse - Offenlegung des Systems, Transparenz und solche Dinge - aber es wird keine Überholung des Systems gefordert.
Herr LaRouche hat einige sehr realistische, mutige, einfallsreiche Pläne vorgelegt, wie man die Wirtschaftskrise überwinden kann. Keine Rettungspläne: Man könnte weitere Milliarden oder sogar Billionen hineinwerfen, aber es würde nichts helfen. Alles andere wäre gegen die Prinzipien! Schließlich lehrt uns der freie Markt und der Freihandel, daß man nicht einfach machen kann, was man will - schlucken, was süß ist, und wegschütten, was bitter ist. Die Schuldfrage ist eindeutig: Wer spekuliert und gezockt hat, muß jetzt dafür bezahlen. Warum soll der arme Steuerzahler daran glauben?
Er hat auch einen Plan vorgelegt, der die Phantasie der Menschen in unserem Erdteil gepackt hat - in Indien, in China, in Rußland. Als bescheidener Student des eurasischen Gebietes - China und der früheren Sowjetunion, die zentralasiatischen Republiken - beschäftige ich mich mit diesem Gebiet recht oft, und ich stelle fest, daß seine Ideen in China, in Rußland, in Indien Anhänger gewinnen. Aber es ist noch viel zu tun.
Aber ich bin wohl etwas abgeschweift. Ich sollte über das Viereck bzw. das erweiterte Dreieck sprechen, darüber, wie das Dreieck zu einem Viereck wird. In seiner Lösung für die Krise schlug LaRouche ein Bündnis bzw. eine Art strategische Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Rußland, China und Indien vor. Aber niemand sollte den Fehler machen, anzunehmen, daß nur diese vier Mächte prominent wären und LaRouche eine Art Vier-Mächte-Vorherrschaft oder Hegemonie über die Welt vorschlüge; darum geht es ihm nicht. So wie ich ihn verstehe, hat er gesagt, daß wir mit dieser Kerngruppe beginnen; dann werden Japan, Südkorea, Afrika und andere Länder folgen.
Die Linie setzt sich fort. Zuerst war das Produktive Dreieck Paris-Berlin-Wien, das damals die Länder der ehemaligen Sowjetunion retten sollte. Aber das wurde nicht aufgegriffen. Es folgte die Eurasische Landbrücke und das Dreieck Rußland-Indien-China, das strategische Dreieck. Nun umfaßt das erweiterte Dreieck auch die Vereinigten Staaten nach dem Abgang des Bush-Regimes - also Amerika. Dieses Viereck kann viel dazu beitragen, die Welt vor dem drohenden neuen finsteren Zeitalter zu bewahren.
Für Dreiecks-Allianzen und ähnliche diplomatische Initiativen gibt es viele Beispiele: Die Tripelallianz und die Tripelentente vor dem Ersten Weltkrieg - sehr rückschrittlich. Diese Dreiecke brachten uns den Ersten Weltkrieg. Es gab viele andere Dreiecke: Man hört von einem Dreieck USA-Israel-Indien. Einige Leute vertreten das. In unserem Land haben einige Leute sogar ein Dreieck zwischen Japan, Australien und Indien gefordert.
In diesem Zusammenhang denke ich auch an ein sehr progressives Dreieck, das von Sergej Witte vorgeschlagen wurde, ein produktives Dreieck zwischen Frankreich, Deutschland und Rußland, um Infrastruktur und Eisenbahnen zu bauen und um Sibirien und den Fernen Osten anzubinden. Er überredete die Zaren, keine Abenteuer gegen China zu beginnen und keine chinesischen Gebiete zu besetzen, was Rußland später in einen Krieg gegen Japan führte. Dieses Dreieck kam so nicht zustande, aber es war wirklich ein fortschrittliches Dreieck.
In ähnlicher Weise war das Dreieck Rußland-China-Indien im Kern Eurasiens Ausdruck von Nehrus Idee eines „Friedensraumes“. Es war kein militärisches Dreieck, sondern ein Dreieck zur Förderung der Sicherheit und des Friedens mit nichtmilitärischen Mitteln. Aber dann kam 1998 die Initiative von Primakow [dem damaligen russischen Premierminister].
Schon zuvor, 1996, hatten sich die „Fünf von Schanghai“ zusammengetan, die dann zur Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit aufgewertet wurden, was bei allen Versäumnissen und Unzulänglichkeiten ein Schritt in die richtige Richtung gewesen ist. Denn Sicherheit entsteht durch Zusammenarbeit, um sich Herausforderungen auf unkonventionelle Weise zu stellen: dem Drogenhandel, Waffenhandel, Flüchtlingsproblemen, Energieproblemen - Sicherheit in dem Sinne, daß zur Lösung dieser Probleme beigetragen wird. So wuchs die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Diese positive Entwicklung erfolgte als Gegenmaßnahme zu den Sicherheitsbedrohungen für das neue Rußland im Südkaukasus, der Bedrohung für die Sicherheit dieses Landes durch Elemente des religiösen Extremismus. Auch China hat in Xinjiang mit religiösem Extremismus zu tun. Die Schanghai-Organisation wurde gegründet, um der Herausforderung durch Extremismus, Terrorismus, Sezessionismus und Separatismus zu begegnen.
Zwischen den eurasischen Ländern soll Zusammenarbeit entstehen, aber nicht als exklusiver Club. Deshalb ist Indien Beobachter, der Iran ist Beobachter und die Schanghai-Organisation steht sogar den Vereinigten Staaten offen - zumindest steht nichts in der Charta der SCO, was die Vereinigten Staaten an einem Beitritt hindern würde.
Sie ist keine NATO des Ostens. Sie ist eine völlig andere Form der regionalen Kooperation, die Unterstützung verdient. Sie kann eine sehr konstruktive Rolle beim Finden einer Lösung spielen, indem Megaprojekte zur Entwicklung der Infrastruktur, zur Entwicklung der Energieversorgung, der Energieressourcen begonnen werden. Das ist die Idee der Eurasischen Landbrücke, die sich über das Mittelmeer bis Afrika erstreckt und Anreize für konstruktive Aktivitäten gibt - Aktivitäten, durch die, wenn sie rechtzeitig unternommen worden wären, die Wirtschaftskrise hätten verhindern können. Aber diese Projekte wurden nicht unternommen, und deshalb ging viel Zeit verloren.
Zwei Jahre vor Primakow - ich weiß gar nicht, wie es dazu kam - hielt ich bei einem Seminar einen Vortrag, das von dem damaligen Außenminister unseres Landes, Gujaral, eröffnet wurde. Das war Ende 1996. 1997 wurde der Vortrag dann in Buchform veröffentlicht. Ich habe mich darin für den Bau des strategischen Dreiecks zwischen den drei eurasischen Mächten eingesetzt. Ich dachte, das sei der einzige konkrete Weg, der Expansion des Nordpaktes, des nördlichen Bündnisses, zu begegnen, indem man Multipolarität und ähnliche Dinge fördert.
1998 kam dann Primakows Vorschlag. Indien unterstützte ihn bedingt. Aber dann versanken wir in so vielen Problemen, und das Dreieck brauchte seine Zeit, um sich zu materialisieren. Die drei Außenminister trafen sich bei der Vollversammlung der UNO, und die Dinge kamen in Fahrt. Es fanden jährliche Treffen der Außenminister statt, aber es ist immer noch ein langer Weg vor uns, bevor dieses Dreieck wirklich effektiv werden kann. Viele Dinge sind zu tun, bevor es eine sinnvolle Rolle spielen kann.
Jetzt muß sich Amerika, wie Lyn vorgeschlagen hat, diesem Dreieck anschließen, damit es eine neue Kerngruppe bildet, die dann weiter wachsen und andere Mächte aufnehmen kann. Es ist ein guter Vorschlag, denn es ist ein neues Amerika. Es ist nicht das Amerika der Monetaristen; es ist nicht das Amerika der Globalisierung; es ist nicht das Amerika des Empire. Es ist Amerika als eine nationale Republik. In Amerika - und außerhalb Amerikas - hat man erkannt, daß die Probleme der Welt nicht von Amerika allein gelöst werden können, aber daß diese Probleme auch nicht ohne die Mitarbeit, ohne die Beteiligung Amerikas gelöst werden können. Amerika bleibt als ein neues Amerika wichtig.
Wenn sich Amerika diesem Dreieck anschlösse, würde dies der Menschheitsgeschichte eine neue Wende geben. Ich glaube, daß man die Asymmetrien der Macht zum gegenseitigen Vorteil nutzen könnte.
Es gibt viele Menschen, die gegenüber einer amerikanischen Beteiligung an den Angelegenheiten Asiens skeptisch sind. In Amerika sei das Denken zu sehr dem Hegemoniedenken verhaftet. In den letzten 60 Jahren dachte Amerikas Elite, sie stehe an der Spitze der Welt, und deshalb werde ihr es schwerfallen, diese Idee aufzugeben, heißt es. Aber die Vereinten Nationen und andere Institutionen zeigen, daß die Asymmetrien der Macht institutionalisiert werden können - manchmal zum Schaden, manchmal zum Nutzen.
In diesem Sinne hat das Viereck, für das sich Lyn zu meiner Freude einsetzt, einen anderen Charakter. Es wird dieser Region helfen, sich zu regenerieren, indem es die Prinzipien der physischen Wirtschaft, der Realwirtschaft nutzt. Natürlich möchte ich dabei die Probleme und Schwierigkeiten nicht kleinreden. Es gibt immer noch viele Mißverständnisse zwischen diesen drei Ländern über ihre Rolle.
In Indien dachte man, wir bräuchten uns keine Sorgen über die Krise zu machen. Wir seien nicht so tief in den Weltmarkt integriert. Deshalb werde sie uns nichts anhaben. Aber sie schadet uns. Erst letzte Woche hat sich ein arbeitsloser Jugendlicher vor dem Präsidentenpalast verbrannt. Er arbeitete in Dubai und wurde entlassen. Die Textil- und die Schmuckindustrie sowie die ausgelagerten Industrien - sie alle fühlen die Wirkung. Natürlich ist „unsere robuste Industrie“ etwas ganz anderes - die Wachstumsrate wird von 9% auf 6% sinken, aber das ist immer noch etwas. Das wird so bleiben. Wir sind nicht so exportabhängig wie China.
Als Lyn im Dezember Indien besuchte, mußte ich in der gleichen Zeit nach China reisen. Ich war verwundert, was ich in China vorfand! Der Sekretär der Kommunistischen Partei Chinas in der Provinz Guizhou, unser Gastgeber, und der Gouverneur dieses Bundesstaates sagten mir: „Nein, der globale Tsunami wird uns nicht treffen. Wir haben riesige Reserven - 1,6 Billionen Dollar an Devisenreserven. Wir können eher davon profitieren! Wir können hingehen und amerikanische Unternehmen, amerikanische Finanzinstitute kaufen usw...“ Ich sagte ihnen: „Meine Herren, Ihnen ist die Größenordnung nicht bewußt. Sie meinen, die 1,6 Billionen würden Ihnen weitere 1,6 Billionen bringen. Aber Sie werden die Verlierer sein, Ihr Geld wird vernichtet werden! Sie wissen nicht, wie bodenlos dieses Faß ist, wie umfangreich die Spekulationen, die Hedgefonds, die Derivate und diese Dinge sind...“
Leider meinte die Führung in ihrem Erfolgseifer: „Wir haben etwas erreicht, und wir sind gegen die Krise immun.“ Inzwischen ist ihnen bewußt, daß 20 Millionen Wanderarbeiter [die in die Städte gegangen waren, um Arbeit zu finden, und wieder aufs Land zurück mußten, als sie entlassen wurden] nicht wieder in die Städte zurückgekehrt sind. Also auch China befindet sich inmitten einer Krise.
Lyns Ideen können den Chinesen, den Russen und den Indern helfen. Denn dieses Viereck muß, wie er sagte, ausgedehnt werden. Warum wird Amerika dabei gebraucht? Weil Amerika eine Verfassung hat, die nicht monetaristisch ist. Amerika ist als Republik der nationalen Souveränität verpflichtet. Amerika hat also einen Platz.
Rußlands Reichtum liegt in Sibirien. Ich sagte immer, wenn sich ein indischer Ökonom skeptisch über die Leistungen der russischen Wirtschaft äußerte: „Machen Sie sich keine Sorgen, Rußland hat Sibirien.“ Man braucht in Sibirien bloß den Fuß auf den Boden zu setzen, um sagen zu können: „Hier liegen Diamanten, hier liegt Kupfer, hier liegt Erdöl, hier liegt Gas.“ Wo immer man hintritt, Rußland ist reich an natürlichen Ressourcen und Rohstoffen. Aber man muß sie ausbeuten. Und in den russischen Wissenschaftskreisen sieht man den Einfluß der Realwirtschaft, den Einfluß von Wernadskij und Lyndon LaRouche. Es gibt diese wissenschaftlichen Kreise nach wie vor. Es gibt die Technologien, den Bergbau, die Ressourcen. Rußland bleibt also wichtig.
Und das trotz Putin; mir wäre es lieber, wenn er bessere Leistungen brächte. Er hat Gutes geleistet, aber ich war enttäuscht von seiner Rede in Davos, wo er die Krise auf eine zu große Rolle des Staates zurückführte. Meine Güte! Damit widerspricht er sich selbst. Denn die Analysten sagten immer, er bewege sich in Richtung Staats-Korporatismus. Der Staats-Korporatismus ist unter ihm gewachsen, er ist auf seine Weise ein Mann des Staates, und er befolgte eine dirigistische Politik des Staates. Das ist jedenfalls besser, als der Oligarchie zu folgen. Aber dann hat er manchmal die Tendenz, unter den Einfluß der falschen Leute zu geraten - diesem Tony Blair, dem Briten. Wie sein Vorgänger Jelzin und auch Gorbatschow -, alle sind dem älteren Bush sehr zugeneigt. Manchmal habe ich das Gefühl, daß sie eine sehr persönliche Beziehung zu Bush haben. Und Putin reagiert eher reflexartig. Er ist ein starker Mann, ein Karatekämpfer. Aber man muß vom Kopf her reagieren, und nicht vom Bauch - keine Reflexreaktionen!
Ich erinnere mich, daß Bush einmal in Brüssel eine Rede gehalten hat, in der er Rußland über seinen angemessenen Platz belehrte: Euer Platz ist in Europa. Ihr müßt euch in Europa integrieren und danach streben, eine europäische Großmacht zu werden, und müßt euch von Asien, von Eurasien abwenden. Präsident Putin sagte wie ein loyaler Schüler: „Wir waren Europäer, wir sind Europäer und wir werden immer Europäer bleiben.“ Niemand hindert Rußland daran, in Europa zu sein, aber ein großer Teil seines Territoriums liegt in Asien! Rußland darf Eurasien nicht vergessen!
Rußland bleibt wichtig mit seinen Ressourcen, seinen Wissenschaften, seinen Wissenschaftlern, seiner Technologie. Auch Amerika ist wichtig - aufgrund seiner Verfassung, nicht nur aufgrund des Dollars als internationaler Währung, sondern auch wegen der amerikanischen Technologie. China und Indien sind lebendige Volkswirtschaften. Trotz der jüngsten Rückschläge hat China immer noch ein Wirtschaftswachstum von mindestens 7% oder 8%.
Aber noch wichtiger ist, was Lyn den Menschen in meinem Land und in China gesagt hat, nämlich, daß die indischen Bauern und die chinesischen Bauern nicht endlos darauf warten können, daß sie ihre Fertigkeiten verbessern können. Natürlich müssen die Bildungs- und Gesundheitsprogramme im großen Stile fortgesetzt werden. Aber das wird Zeit brauchen! Doch wenn man ihnen die richtigen Technologien gibt, wird das ihre Produktivität sofort verbessern. Deshalb setzt er sich für die Kernkraft ein, schon um das Los der Armen in Indien zu verbessern. Indien braucht die zivile Kernkraft. Plutonium- und Thorium-Reaktoren, kleine Reaktoren an der Küste im Süden Indiens können dazu benutzt werden, Meerwasser zu entsalzen und die Wasserprobleme zu lösen. Das ist ein großer Markt für die Zusammenarbeit mit Rußland und China. Und es gibt Hoffnung, daß dieses Gebiet durch eine intensive Zusammenarbeit wieder auf die Beine kommt, was auch dazu beitragen wird, daß sich die ganze Welt von dieser Krise erholt.
Einige Kräfte in Rußland und auch in China wollen einfach nicht über ihre Nasenspitze hinaussehen. So ist z.B. die Carnegie-Stiftung in Moskau massiv vertreten. Das erinnert mich an ein Buch von Dmitrij Trenin, das kürzlich erschienen ist, „Das Ende Eurasiens“. Das eurasische Konzept sei am Ende und gelte nicht mehr. Natürlich gebe es Eurasien physisch immer noch, aber es sei immer nur eine Erweiterung des russischen Empires gewesen. Da Rußland nun trotz seiner Kernwaffen wirtschaftlich schwach sei, könne es seinen eurasischen Traum nicht mehr realisieren. Deshalb müsse es seinen angemessenen Platz in Europa suchen - als Europäer dritter Klasse. Sie kennen ja die Europäer zweiter Klasse, die später beigetreten sind - Polen, Tschechien, usw.
Ich will es dabei belassen. - Osteuropäische Diplomaten hatten sich nach dem Fall der Mauer versammelt, um über die Europäische Union zu diskutieren, und äußerten dabei den großen Wunsch, möglichst rasch in die Europäische Union einzutreten! Mir schien es, sie erwarteten von ihrem Beitritt zur Europäischen Union den Himmel auf Erden. Sie würden in einem Zeitalter des Überflusses leben, und alles würde aufblühen - solche Dinge. Ich sagte ihnen (damals waren der französische und einige andere westeuropäische Botschafter dabei): „Fragt sie: Sind sie wirklich glücklich über diese Gemeinschaft? Es gibt viele Leute, die diese Show, dieses Theater des europäischen Fortschritts verfolgen, und diesem Spektakel keineswegs applaudieren! Und ihr steht draußen Schlange, um in aller Eile Eintrittskarten für diesen Film zu kaufen, der bereits ein Flop ist!“
Ich denke, Amerika sollte in dieses Dreieck aufgenommen werden; man muß Amerika in das regionale System Asiens einbauen. Einige Botschafter, einige Diplomaten haben einmal gesagt: „Die Asiaten wähnen sich in einem riesigen Kino; sie sehen Amerika auf der Leinwand, aber sie sehen nicht aufeinander.“ Sie mögen sagen, daß ich mit meiner Ausbildung und meinem Temperament Amerika möglicherweise ein wenig mißverstehe. Ich bin antiamerikanisch im weiteren Sinne. Aber ich verstehe, daß es etwas sehr positives wäre, wenn Amerika in den Aufbau Asiens integriert würde. Die regionalen Organisationen Asiens sind offene Organisationen. Sie sind keine exklusiven Klubs. Amerika ist also willkommen. Aber es sollte nicht ein Amerika der Monetaristen sein, ein Amerika der Globalisierung, ein Amerika der spekulativen Finanzen. Es muß ein neues Amerika sein, mit einem neuen Verständnis der gegenwärtigen Entwicklungen und einem neuen Ansatz.
Es tut mir zwar leid, daß Frau Clinton, die neue Außenministerin, Indien nicht besuchen wird, aber wir sollten da nicht zu empfindlich sein. Zusammen mit ihrem Ehemann war sie schon öfter da. Sie sind gute Freunde Lyns, und sie sind gute Freunde Indiens. Wir mißtrauen ihnen nicht. Seien wir also nicht zu pingelig, daß sie zunächst Japan, China, Südkorea und Indonesien besucht. Natürlich wird man das als eine Wiederbelebung des Pakts der freien Nationen Asiens mißverstehen, der seit Eisenhowers Zeit auf der amerikanischen Agenda steht.
Aber als [der damalige indische Außenminister] Vajpayee 2003 in China war und dann auch beim Wirtschaftsgipfel in St. Petersburg sprachen die beiden Führer Indiens und Chinas von ihrem gegenseitigen Vertrauen und bekräftigten ihren Glauben, daß das 21. Jahrhundert ein asiatisches Jahrhundert werden würde.
Ich habe meine eigene Sicht solcher Definitionen historischer Perioden - das asiatische Jahrhundert, das pazifische Jahrhundert. Betrachtet man Amerika als eine legitime Macht des Pazifik, so sieht man, daß seine Pazifikküste nach Asien sieht. Es wird Fortschritte geben, wenn der Transatlantizismus der NATO und die Sichtweise des Kalten Krieges zugunsten dieser Orientierung auf den Pazifik und Asien aufgegeben werden. Tatsächlich muß dieses Jahrhundert ein Jahrhundert universeller Werte werden, und nicht ein asiatisches Jahrhundert oder ein pazifisches Jahrhundert.
Jawaharlal Nehru sagte 1948 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris: „Die Welt besteht nicht nur aus Europa. Asien zählt heute mit; es wird morgen noch viel mehr zählen.“ Dieser Tag ist nun gekommen. Asien zählt. Asien ist ein wichtiges Zentrum. Es ist zu einem Gavitationszentrum für die ganze Welt geworden. Aber deshalb sollten die Asiaten nicht in einer engstirnigen, nationalistischen Weise stolz auf diese Entwicklung sein.
Ich denke, wir haben durch Japan und China die asiatischen Werte und alle diese Dinge ausprobiert. Jetzt müssen wir uns auf universelle Werte hinbewegen, die dem Geist der Renaissance, der nationalen Souveränität und der Souveränität der Kulturen entsprechen - wie wir es gestern abend diskutiert haben.
Alle Kulturen müssen souverän sein, und sie müssen von ihren besten Aspekten, ihren Höhepunkten ausgehen. Das sollte das Thema eines Dialoges sein. Dann wird sich durch die Wechselwirkung eine Vereinigung von Nationen im Geiste des Westfälischen Friedens und der Gegenseitigkeit der Interessen bilden: Meinem Interesse ist besser gedient, wenn ich das Interesse der anderen Seite verfolge. Das sollte der Geist sein. Und das ist eine Renaissance.
Für uns ist das eurasische Konzept ein kulturelles Konzept. Wir sind über Tilaks „Arktische Heimat der Veden“ mit Eurasien verbunden. Unsere Wanderung führte durch Zentralasien - ein Teil ging nach Iran, ein anderer auf den Subkontinent, nach Pakistan und Indien. In Tadschikistan gibt es den avestischen Begriff des „aryanam vaychak“, des „arischen Raumes“, aber nicht im rassistischen Sinne, sondern kulturell; Afghanistan gehört dazu, auch der Iran.
Diese Gemeinschaft unserer Vorfahren, die einst in enger Nachbarschaft miteinander lebten, verbindet uns mit Eurasien, das zu einem Labor für neue Experimente wird. Es hat jedes Potential, ein Labor zu werden, in dem Megaprojekte entwickelt und ausgeführt werden - Eisenbahnen, Kraftwerke, Energie, Pipelines und Straßen, die eine gesunde Wirkung auf die Wiederbelebung der Weltwirtschaft haben werden.
Wenn sich diese Idee der Zusammenarbeit der vier Mächte im großen Stile verbreitet und von den Menschen in dieser Region und darüber hinaus aufgenommen wird, hat das das Potential, die Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Vielen Dank.
Lesen Sie hierzu bitte auch: Die Rolle Europas in der kommenden Renaissance - Neue Solidarität 11/2009 Der nächste Schritt - Neue Solidarität 10/2009 Der Wiederaufbau der Weltwirtschaft nach der Systemkrise - Neue Solidarität 10/2009 |
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