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Aus der Neuen Solidarität Nr. 24/2008 |
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Beim FAO-Gipfel kam es zu einer Konfrontation zwischen den Verfechtern des Freihandels und Vertretern des Souveränitätsprinzips unter Führung einer Reihe lateinamerikanischer Delegationen. Alexander Pusch war in Rom dabei.
Wer dachte, daß der FAO-Gipfel in Rom vom 3. bis 5. Juni zu einem schnellen und klaren Ergebnis kommen würde, um der Welthungerkrise mit konkreten und direkten Mitteln zu begegnen, der hatte sich enorm getäuscht. Wie schon von Helga Zepp-LaRouche vermutet und angekündigt worden war, hat sich der Gipfel zu einem wahrhaften Showdown zwischen den Kräften der nationalen Souveränität und den Interessen, die der Globalisierung treu sind, entwickelt.
Sehr deutlich wurde dies in den letzten Stunden des Gipfels, als das „committee of the whole“ auch nach Stunden noch nicht in der Lage war, bezüglich der Abschlußerklärung der Konferenz zu einer Einigung zu kommen. Dies war vor allem den Delegationen Argentiniens, Venezuelas und vielen anderen Ländern des Südens zu verdanken, die sich nicht dem Druck beugen wollten, in der Erklärung eine Verurteilung „restriktiver Handelspolitik“ zu verabschieden.
Aus dieser vermeintlich formalen Beanstandung erwuchs eine regelrechte Rebellion der Länder Iberoamerikas, die sich mit den Hungernden in der Welt solidarisierten, und die Verlogenheit der Debatte anprangerten. Die Vertreterin der Bolivarischen Republik Venezuelas machte in ihrer Anschlußstellungnahme auf sehr bewegende Weise deutlich, daß mit diesem Gipfel auf tragische Weise eine Chance verpaßt worden sei: „Die 900 Millionen Menschen, die jeden Tag an Hunger leiden, können nicht warten...“ Es fehlte nur, hinzuzufügen, daß dies das Ergebnis der willentlichen Sabotage der Initiativen durch die Delegationen Großbritanniens, der USA und anderer dem britischen Weltreich treuen Länder war.
Schon bei Eröffnung des Gipfels wurde deutlich, daß die Welthungerkrise bei vielen Amtsträgern zu einer Bereitschaft geführt hat, die „verbotenen Fragen“ anzusprechen. Beispielsweise äußerte Roms Bürgermeister, ein ehemaliger Landwirtschaftsminister Italiens, einige sehr deutliche Worte zur Einführung, und der gegenwärtige italienische Staatspräsident sagte sogar: „Wir können uns nicht auf die ausgleichenden Kräfte des Marktes verlassen, um die Nahrungsmittelkrise zu überwinden und eine Perspektive realer Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren.“
Wer den weiteren Verlauf dieser Tage in Rom verfolgen konnte, muß vermuten, daß die LaRouche-Bewegung einen großen Teil der Verantwortung für die klare Definition der Fronten trägt. Während des Gipfels fand keine Pressekonferenz statt, in der nicht Vertreter der LaRouche-Publikationen mit ihren Fragen die Fronten deutlich machten und auf den fundamentalen Zielkonflikt zwischen der Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft auf der einen Seite, und den ideologisch motivierten Initiativen für die weitere Liberalisierung des Welthandels sowie der Vollendung der Doha-Runde der Welthandelsorganisation auf der anderen hinwiesen.
So konnte ein EIR-Reporter bei der ersten Pressekonferenz dem Generaldirektor der FAO, Jacques Diouf, folgende Frage stellen: „Herr Generaldirektor, es wird viel über koordinierte Intervention, um mit dieser Krise umzugehen, gesprochen. Aber es gibt einen enormen Widerspruch: gleichzeitig wird die Liberalisierung des Welthandels mit der Doha-Runde der WTO durchgedrückt. Im Gespräch mit Delegationen insbesondere aus den Entwicklungsländern, drücken viele aus, daß sie diese Politik als eine Fortführung der alten IWF-Politik und des Kolonialismus sehen, für den Export und den Schuldendienst zu produzieren. Darüber hinaus gibt es auch in Europa eine durchaus ernstzunehmende Verteidigung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Wäre es nicht sinnvoller, eine Politik der Investition und der Nahrungsmittelsicherheit zu verfolgen, und die Politik der Märkte aufzugeben, die schließlich der Spekulation und Verzerrung ausgesetzt sind, um dann hinterher die Scherben aufsammeln zu müssen?“
Dr. Diouf war in seiner Antwort sehr leidenschaftlich und ging vor allem auf die Frage der infrastrukturellen Entwicklung ein. In jedem Fall war von diesem Zeitpunkt an die Bühne für die wirkliche Auseinandersetzung bereitet, die zum größten Teil hinter verschlossenen Türen vonstatten ging. Bei der nächsten Pressekonferenz konnte ein weiterer EIR-Vertreter dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Frage stellen. Es handelte sich bei der Pressekonferenz um eine Bekanntmachung der AGRA („Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“). Der EIR-Reporter wies auf die Notwendigkeit einer industriellen Revolution als Grundlage einer Grünen Revolution für Afrika hin. In diesem Zusammenhang müsse man an den großartigen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt denken, der eine solche Entwicklung angeführt hatte. Aber für diese Art von langfristigen Investitionen zum Beispiel in landwirtschaftliche Infrastruktur sei langfristige Finanzstabilität notwendig, was im Lichte der jüngsten Ereignisse im US-Immobilienmarkt sehr intensiv diskutiert werde, zum Beispiel in dem Aufruf der 14 „elder statesmen“ für eine Reform des Finanzsystems. Von diesem Standpunkt stelle sich dann die Frage, inwieweit internationale Institutionen bereit sind, über die Welthungerkrise von diesem systemischen Standpunkt zu reflektieren und zu handeln.
Der ehemalige Generalsekretär begann seine Antwort mit der Feststellung, „Sie haben Recht!“, machte dann allerdings deutlich, daß er sich nicht in aller Öffentlichkeit auf die eine oder andere Seite der Auseinandersetzung stellen wollte.
In den Korridoren und den verschiedenen Pressekonferenzen wurde mit Delegierten aller Länder das EIR-„Food Policy Memorandum“ (siehe Seite 7 und 8) diskutiert. Dies schuf ein Umfeld, in dem auch die Delegationen kleiner Länder den Mut fassen konnten, sich dem Druck der Vertreter der G8-Staaten nicht widerstandslos unterzuordnen.
Viele drückten große Freude über die Gegenwart von Mitarbeitern Lyndon LaRouches aus, da sie selbst als Diplomaten nicht die Freiheiten haben, sich in aller Offenheit und aller Öffentlichkeit zu den fundamentalen Fragen der Wirtschaftspolitik zu äußern.
Der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank AfDB, Donald Kaberuka, wurde beispielsweise von einem EIR-Reporter gefragt, ob er in den internationalen Institutionen wie dieser Konferenz die Bereitschaft sehe, die Nahrungsmittelkrise vom systemischen Standpunkt und vom Standpunkt systemischer Reform des Finanzsystems und des Wirtschaftssystems zu diskutieren. Er antwortete darauf: „Ich denke, die Nahrungsmittelkrise hat wie ein Weckruf für die ganze Welt gewirkt, und ich denke, dieser Weckruf bedeutet, daß wir neu analysieren und neu überdenken müssen, wie wir die Landwirtschaft unterstützen können. Sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den entwickelten Ländern wird es ein Überdenken der Art geben, wie wir unsere Geschäfte führen.“
In einer weiteren Diskussion ergab sich folgendes Gespräch zwischen dem EIR-Reporter und der Staatssekretärin für Institutionelle Beziehungen und Internationale Zusammenarbeit im Landwirtschaftsministerium der Republik Indonesien, Emilia Harahap:
EIR: „Ich möchte Sie gerne fragen, ob es Spannungen zwischen den Delegationen gegeben hat bezüglich des Konflikts zwischen der stets betonten Investition auf der einen Seite und der ständig heruntergeleierten Forderung nach Vollenden der Doha-Runde der WTO?“
Emilia Harahap: „Ich denke, diese beiden Themen hängen eng zusammen. Auf der einen Seite müssen wir die Nahrungsmittelsicherheit aufbauen, und zwar nicht erst auf der globalen Ebene, sondern angefangen auf der regionalen Ebene der Haushalte, dann der nationalen Ebene, und dann kommen wir auf die größeren und höheren Ebenen. Natürlich sollte uns die Erfahrung dieser Krise lehren, daß ein Land von dem anderen abhängt, und das bedeutet, daß wir fairen Handel schaffen müssen. Um dies zu erreichen müssen die... ich sage ungern „die entwickelten Länder“...
EIR: „Vielleicht die G8-Nationen?“
Emilia Hararap: „Was ich sagen will, ist, daß ein Land seine Macht und seine Politik nicht einem anderen aufzwingen darf, denn wenn wir von Nahrung reden, dann reden wir von einem ganz wesentlichen Grundbedürfnis. Ich denke, ein Land, das wohlhabend ist, kann andere Völker nicht verhungern lassen. Das entscheidende ist demnach das Interesse der Menschheit.
Darum denke ich, daß die Doha-Runde diese Änderung in Betracht ziehen muß. Ich weiß es zwar nicht genau, aber mir scheint, die stecken noch an einigen Kernpunkten fest, und einer davon ist die Landwirtschaft. Sie müssen die Lage neu überdenken und sie mit mehr Weisheit zu lösen versuchen. Wir sollten nicht zulassen, daß eine Gruppe die Politik bestimmt. Es wäre besser, wenn wir Hand in Hand zusammenarbeiten würden und für die beste Lösung kämpften, die Nahrungsmittelsicherheit zu erreichen und die Leben unserer jeweiligen Bürger zu verbessern und gleichzeitig den Planeten zu schützen. Ich denke, und da wiederhole ich mich, das ist das grundlegende Interesse der Menschheit.“
Nichtsdestoweniger wird das Ergebnis dieses Gipfels im Angesicht der weiteren Eskalation der weltweiten Krise als unbefriedigend wahrgenommen werden, da keine entscheidenden Maßnahmen verabschiedet wurden, die dieser Krise angemessen wären. Die letztendlich doch noch einstimmig verabschiedete gemeinsame Erklärung der Konferenz besteht viel zu sehr aus Allgemeinplätzen.
Genau dies waren die Kritikpunkte der iberoamerikanischen Länder, auf die Generaldirektor Diouf in der Abschlußpressekonferenz mehrfach angesprochen wurde. Es wurde kein Verbot von Biotreibstoffen beschlossen. Es wurde weiterhin darauf bestanden, daß man die Freihandelspolitik, die diese Krise verursachte hatte, vertiefen müsse. Es wurde eine besondere UN-Arbeitsgruppe geschaffen, in der die betroffenen Länder jedoch nicht angemessen vertreten sind. Diouf sagte hierzu, bei 181 Ländern sei ein Konsens niemals einfach zu erreichen, und man könne in diesem Zusammenhang keine universellen Lösungen erwarten.
Dies wird auch solange nicht der Fall sein, bis man nicht bereit ist, den totalen Bankrott des gesamten Finanz- und Wirtschaftssystems einzugestehen, und von diesem Standpunkt aus über strukturelle Reformen verhandelt.
Aber die Grundlage dafür ist in jedem Fall gelegt worden: Die Länder des Südens haben die Option, sich um die Kerngruppe der großen Nationen Rußland, China und Indien zu gruppieren und so im weiteren Verlauf des Ringens um die Lösung dieser Krise den Vertretern der imperialen Politik einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen.
Alexander C. Pusch
Lesen Sie hierzu bitte auch: „Britisch-imperiale Freihandelslehre“ ist am Ende - Jetzt eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung! - Neue Solidarität Nr. 24/2008 Abkehr vom Freihandel beginnt: Den Worten folgen Taten - Neue Solidarität Nr. 23/2008 Freihandel am Ende: Revolte gegen die britische Politik beginnt! - Neue Solidarität Nr. 22/2008 Profit für die Spekulanten - oder Nahrung für die Menschen? - Neue Solidarität Nr. 21/2008 Menschheit in existentieller Gefahr! Verdoppelt die Agrarproduktion! - Neue Solidarität Nr. 19/2008 Um den Hunger zu besiegen, muß man die WTO abschaffen! - Neue Solidarität Nr. 19/2008 Weltweite Hungerkatastrophe! Biotreibstoffe sofort stoppen! - Neue Solidarität Nr. 16/2008 Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) |
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