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Aus der Neuen Solidarität Nr. 22/2008

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Freihandel am Ende: Revolte gegen die britische Politik beginnt!

Von Helga Zepp-LaRouche

In einem gemeinsamen Brief fordern 14 ehemals führende Politiker Europas neue Regeln für das internationale Finanzsystem und ein „Überdenken“ der globalen Wirtschaftsordnung. Auch Rußland und andere Staaten signalisieren, daß sie sich gegen die britisch-imperiale Freihandelspolitik wehren werden.

Nicht einen Moment zu früh ist eine Gruppe von sieben ehemaligen Regierungschefs, fünf ehemaligen Finanzministern und zwei ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten, darunter Jacques Delors, Michel Rocard und Helmut Schmidt, mit einem Brief an die EU-Präsidentschaft und die EU-Kommission an die Öffentlichkeit getreten. Darin warnen sie vor den Gefahren, die aus dem von „weitsichtigen Individuen“ durchaus vorhergesehenen systemischen Kollaps des globalen Finanzsystems resultieren, darunter beispiellose Armut, die Vermehrung  „gescheiterter Staaten”, Völkerwanderung und mehr militärische Konflikte. Die Finanzwelt habe eine enorme Menge von „fiktivem Kapital” (!) angehäuft, das sehr wenig Verbesserung für die Menschheit gebracht habe. Als unmittelbare Maßnahmen schlagen sie u. a. die Schaffung eines europäischen Krisenkomitees und die Einberufung einer Weltfinanzkonferenz vor, die neue Regeln für das internationale Finanzsystem und die globale Wirtschaftsordnung „überdenken” soll.

Auch wenn dies in dem am 21. Mai veröffentlichten Brief nicht ausdrücklich gesagt wird, reflektiert der ungewöhnlich scharfe Ton offensichtlich, daß die Unterzeichner sich der unmittelbaren Gefahr eines neuen Faschismus bewußt sind: „Aber wenn alles (im Zusammenhang mit dem Profit, d. Verf.) dem Ausverkauf preisgegeben ist, zerbricht der soziale Zusammenhalt, und das System bricht auseinander.” Und auch wenn der Brief mit seiner Forderung nach einer Notkonferenz nicht den Namen Neues Bretton Woods System ausspricht, so reflektiert sein Tenor sehr wohl die seit Jahren von der LaRouche-Bewegung weltweit geführte Kampagne für eben eine solche Konferenz. Er ist implizit auch ein Eingeständnis, daß das ganze Design des Lissaboner EU-Vertrags mit seiner Zementierung einer neoliberalen Politik angesichts des Systemkollapses ein Rohrkrepierer ist.

Prompt reagierte eines der notorischsten Sprachrohre für das britische Empire, Ambrose Evans-Pritchard, im Daily Telegraph, der den „donnernden Text” als klarsten Beweis für eine europaweite Werbekampagne für einen „Super-Regulator” bezeichnete, der die Bürger vor den sozialen Risiken des modernen Kapitalismus schützen solle. Dies drohe die britischen Finanzbehörden zu einer „regionalen Zweigstelle” zu reduzieren und repräsentiere eine massive Bedrohung für die Londoner City (!).

Man sollte Evans-Pritchard für seine Offenheit danken! Direkter kann man kaum werden: Jede Beeinträchtigung des Raubtierkapitalismus zum Schutze der Bürger ist eine Bedrohung für London, daß offenbar das uneingeschränkte Hauptquartier des Britischen Empire (Economist vom 3.2. 2007, „Britannia Redux“) und nicht bloß eine „Zweigstelle” sein will!

Gewiß stört es die Vertreter der seinerzeit von Friedrich List so bezeichneten „britisch-imperialistischen Freihandelslehre” auch, daß der „donnernde Text” gerade zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wird, an dem die Welthandelsorganisation WTO versucht, die sogenannte „Doha-Runde” zum Abschluß zu bringen und gemeinsam mit der EU die letzten Reste des Schutzes für die physische Produktion und das Gemeinwohl der Bürger zugunsten der ungezügelten Profitmaximierung zu eliminieren. Und da kommt ihnen eine Neuauflage der „Heuschrecken”-Debatte, die seinerzeit von Franz Müntefering ausgelöst wurde, diesmal angestoßen von 14 ehemaligen Spitzenpolitikern, höchst ungelegen. Schon vor dem EU-Brief der 14 Ex-Politiker war es zu einer offenen Konfrontation zwischen dem ehemaligen EU-Außenhandelskommissar und jetzigen WTO- Generaldirektor Pascal Lamy und dem französischen Landwirtschaftsminister Michel Barnier gekommen, der die immer noch protektionistische Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) verteidigt und sogar als Modell für Afrika und Lateinamerika anpreist.

Der bisherige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung im Auftrag des Menschenrechtsrats, Jean Ziegler, beschreibt in seinem 2002 erschienenen Buch Die neuen Herrscher der Welt, daß die WTO damals zwar schon weltweit über 60.000  transnationale Gesellschaften für Handel, Finanzen, Dienstleistungen etc. aufgelistet hatte, aber nur 300-500 Firmen in den USA, Europa und Japan den gesamten Welthandel beherrschen. Er nennt die WTO eine „furchtbare Kriegsmaschine im Dienste der Piraten”. Und es ist genau diese Kriegsmaschine, die gemeinsam mit der EU - einer ebenfalls nicht gewählten und niemandem rechenschaftspflichtigen Bürokratie - gerade in dieser zugespitzten Phase des Finanzkollapses versucht, die optimalen Profitmöglichkeiten für die Spekulanten zu erreichen.

Wenn man sagt, die USA oder die EU verhandelten, so Ziegler, seien es in Wirklichkeit die 200 mächtigsten transkontinentalen Gesellschaften des Planeten, die den Ton angeben, und deshalb dominiere bei der WTO auch immer die Rationalität der transkontinentalen Gesellschaften und niemals das Interesse der Völker und ihrer jeweiligen Staaten.

Dieser unüberbrückbare Interessenskonflikt zwischen den Völkern und den Raubtierkapitalisten der britisch-imperialistischen Freihandelslehre, die ganze Kontinente bedroht und immer mehr Menschen in die Armut stößt, ist noch nie deutlicher gewesen als eben jetzt, wo selbst die Finanzmedien vom möglichen Bankrott der Zentralbanken sprechen (FAZ vom 20. Mai) und davon, daß die Steuerzahler für die privaten Verluste aufkommen müßten.

Spreu trennt sich vom Weizen

Und noch nie hat sich die Spreu mehr vom Weizen getrennt, was Politiker und Staatschefs angeht, als dieser Tage. An ihrer Wortwahl kann man sie erkennen: die neoliberalen Freihändler des Britischen Empires reden von „nachhaltiger Entwicklung”, „erneuerbare Energien”, „angepaßten Technologien” etc., die Verteidiger des Gemeinwohls sprechen dagegen von „Nahrungsmittel- und Energiesicherheit”, und sie setzen sich für die Ausweitung der Produktion ein.

So überschneidet sich die weltweite Kampagne des Schiller-Instituts, die Forderung nach der Verdopplung der Nahrungsmittelproduktion auf die Tagesordnung der FAO-Konferenz Anfang Juni in Rom zu setzen (siehe unseren Bericht auf  S.12), mit der verantwortungsbewußten Reaktion einer ganzen Reihe von Staatschefs angesichts der weltweiten Krise. In einer von den westlichen Medien völlig ausgeblockten Rede des ägyptischen Präsidenten Mubarak auf dem World Economic Forum in Scharm El-Scheich betonte er die Verantwortung, die die Welt für die Armen habe - nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch für die Armen in den reichen und entwickelten Nationen. Und deshalb sei die Spekulation mit Lebensmitteln und ihre Verwendung für die Produktion von Treibstoffen, die die Nahrungsmittel nur noch teurer machten, absolute verwerflich: „Ist es vernünftig, daß manche weiterhin, unterstützt von den Regierungen, Biotreibstoff produzieren? Ist es vernünftig oder sogar akzeptabel, daß landwirtschaftliche Ernten für die Produktion von Äthanol benutzt werden und dazu beitragen, die Krise der Nahrungsmittelpreise so noch schlimmer zu machen? Die internationale Gemeinschaft muß dringend die wirklichen Kosten der Produktion von Biotreibstoffen neu bewerten, einschließlich aller sozialen und ökologischen Konsequenzen und vor allem die Auswirkung auf die Nahrungsmittelsicherheit der Menschen”, sagte Mubarak. Er versprach, er werde diese Problematik auf der FAO-Konferenz zum Thema machen und hoffe, daß diese Konferenz die Industrienationen ebenso wie die Entwicklungsländer auf das richtige Gleis bringen werde.

Eurasien wehrt sich

Die strategisch wichtigste Verschiebung entwickelt sich allerdings in der Folge der neu aufgewerteten strategischen Partnerschaft zwischen Rußland, China und Indien, die von den drei Außenministern dieser Staaten auf einem Treffen am 15. Mai in Jekaterinburg beschlossen wurde. Hinter dieser Stärkung dieses strategischen Dreiecks steht die Einschätzung der drei Nationen, daß es die Absicht der Fraktion des Britischen Empires ist, sie einzeln zu isolieren, zu destabilisieren und zu zerstören. Dazu gehört die von London schon lange geführte Kampagne gegen Putin ebenso wie die Kampagne gegen China um den Dalai Lama oder die Uiguren in Xinjiang (Sinkiang). Gemeinsam repräsentieren diese drei Staaten nicht nur mehr als ein Drittel der Menschheit mit den schnellstwachsenden Volkswirtschaften, sie demonstrieren auch die klare Entschlossenheit, gemeinsam für eine neue internationale Ordnung zu arbeiten.

Folgerichtig unternahm Präsident Medwedjew seine erste Auslandsreise nach Kasachstan und China, bei der eine umfangreiche Zusammenarbeit auf der Tagesordnung stand, die nach Ansicht des ehemaligen indischen Außenministers Salman Haidar auch das volle Potential der Beziehungen zwischen Indien, Rußland und China ausschöpfen soll.

Zuvor hatte Putin auf einer Landwirtschaftskonferenz am 19. Mai in Jessentuki Nahrungsmittelsicherheit, stabile Preise und die Entwicklung des agroindustriellen Sektors zu höchsten Prioritäten seiner Regierung erklärt. Rußland habe nicht nur das Potential, Selbstversorger zu sein, es könne auch gleichzeitig Exporteur und ein Branchenriese auf den internationalen Nahrungsmittelmärkten werden. Die Erklärungen Putins und des Landwirtschaftsministers Gordejew auf dieser Konferenz ließen keinen Zweifel daran, daß Rußland, das als Folgewirkung der Schocktherapie der neunziger Jahre heute rund 40 Prozent seiner Nahrungsmittel importiert, alle notwendigen Subventionen und protektionistischen Maßnahmen einsetzen und dabei die Regeln der WTO ignorieren wird, um dieses Ziel zu erreichen.

Putin unterstrich, daß die Landwirtschaft angesichts der Preisinflation auf dem Weltmarkt an die Spitze der Tagesordnung seiner Regierung gerückt sei, weil sie die Lage in Rußland sehr beeinflusse und vor allem die ärmsten Schichten der Gesellschaft dies am meisten zu spüren bekommen hätten. Er definierte fünf Ziele für die russische Landwirtschaft: 1. Vergrößerung der Ernten durch Ausweitung der kultivierten Flächen und Ertragssteigerung, 2. Verbesserung der technischen Ausrüstung bei Landwirtschaft und der Nahrungsmittelverarbeitung durch langfristige Kredite, 3. Preisstabilität durch Anti-Monopol-Bestimmungen und Subventionen, 4. Risikomanagement und 5. permanente Überwachung der Nahrungsmittelmärkte und automatische Regulierung durch Import- und Exportzölle. Putin ordnete auch eine Überprüfung der landwirtschaftlichen Handelsabkommen in Bezug auf ihre Verträglichkeit mit russischen Interessen an.

Eine Frage der Moral

Die Frage bleibt, ob die Regierungen der europäischen Nationen über die Intelligenz und moralische Integrität verfügen, sich an Rußland ein Beispiel zu nehmen, oder es erlauben, daß bei den Verhandlungen zwischen der WTO und der EU und bei der Politik von Fischer-Boel und Peter Mandelson Ergebnisse herauskommen, die den Landwirten nach Einschätzung von Agrarvertretern weitere Einbußen von 30 Milliarden Euro bringen würden. Der irische Bauernverband IFA hat der irischen Regierung auf jeden Fall mitgeteilt, daß er das WTO-Abkommen nicht akzeptieren werde. Man kann davon ausgehen, daß die bei diesen Verhandlungen demonstrierte Politik der EU das Ferment für ein Nein beim kommenden Referendum über den Lissaboner Vertrag massiv anheizen wird.

Der Kampf zwischen den Vertretern des „britisch-imperialistischen Freihandels“ und den Verteidigern des Gemeinwohls und der Nahrungsmittelsicherheit ist die derzeit wichtigste Auseinandersetzung, die über die Zukunft der Zivilisation entscheidet. Auf der positiven Seite sind Resolutionen in den Landtagen von Michigan  und Alabama zu vermerken, in der der US-Kongreß aufgefordert wird, dafür zu sorgen, daß die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt wird, die Produktion von Biotreibstoff eingestellt und Paritätspreise für Nahrungsmittelprodukte gezahlt werden, sowie daß die USA umgehend aus WTO und NAFTA austreten sollen.

Weiterhin ist extrem bedeutsam, daß sich Japan nun auch erstmals vom „Washingtoner Konsens“ löst und mit einer Reihe von afrikanischen Organisationen Maßnahmen vorbereitet, um eine Grüne Revolution nach dem Vorbild der sechziger Jahre in Gang zu setzen.

Die FAO-Konferenz Anfang Juni in Rom bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Fehler der Globalisierung zu korrigieren und Maßnahmen zur schnellstmöglichen Verdopplung der Nahrungsmittelproduktion zu ergreifen. Nicht nur die Verwendung von Nahrungsmitteln als Biotreibstoff ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, noch viel mehr ist es die Spekulation mit Nahrungsmitteln, die verboten und unter Strafe gestellt werden muß.

Das System des britisch-imperialistischen Freihandels ist heute bankrotter, als es das kommunistische System 1989-91 war. Es kann nur eine Antwort darauf geben: das von Lyndon LaRouche seit langem weitsichtig vorgeschlagene Neue Bretton-Woods-System muß sofort auf einer Notkonferenz der wichtigsten Staaten diskutiert und beschlossen werden. Das „fiktive Kapital” muß aus dem System herausgenommen werden, und die Wirtschaft muß sich wieder der langfristigen Sicherung der Existenz der Menschheit widmen. Offenbar beginnt ein Teil des Establishments, dies einzusehen. Jetzt darf keine Zeit verloren werden, wenn immenser Schaden von der Weltbevölkerung abgehalten werden soll!

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Profit für die Spekulanten - oder Nahrung für die Menschen?
- Neue Solidarität Nr. 21/2008
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Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden
- Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)

 

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