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Neue Solidarität
Nr. 46, 17. November 2010

Der Welt gehen die Nahrungsmittel aus!

Während vor zwei Jahren Preissteigerungen eine weltweite Welle von Hungeraufständen auslöste, ist die Lage heute noch dramatischer, weil die Vorräte rapide sinken.

Die Welt steht vor einer Hungerwelle. Dabei handelt es sich nicht um eine einfache Episode der „Wiederholung der Nahrungsmittelkrise von 2008“, wie uns manche monetaristische Kommentatoren einreden wollen, als hätte die Knappheit und das Leiden einen Anfang und ein Ende. Nein: Uns gehen die Nahrungsmittel aus. Die Nahrungsmittel sind nicht vorhanden!

Seit das monetaristische Weltfinanzsystem im Sommer 2007 in die Phase seines endgültigen Zusammenbruchs eintrat, wurden die erforderlichen Notmaßnahmen nicht ergriffen, obwohl die globalistische Politik, die schon in den letzten 40 Jahren neben allen übrigen wirtschaftlichen Aktivitäten auch die Kapazitäten der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie immer weiter zerstört hat, fortgesetzt wurde. Das bedeutet, daß jetzt große Menschenmassen nichts mehr zu essen haben, weil die Nahrungsmittel einfach nicht existieren.


Abb. 1: Weltkarte des Hungers (Quelle: FAO, 2010)

Trotzdem kann diese Mangellage noch behoben werden, wie Lyndon LaRouche immer wieder aufgezeigt hat. Die folgenden Momentaufnahmen sollen Ihnen einen Überblick verschaffen, wie weit die Zerstörung der Nahrungsmittelversorgung bereits vorangeschritten ist, und wie dringend notwendig es jetzt ist, eine andere Politik zu verfolgen.

Grundnahrungsmittel: Viel zu wenig!

Der offensichtlichste Beleg dafür, daß weltweit einfach viel zuwenig Nahrungsmittel erzeugt werden, ist die Tatsache, daß der Umfang der weltweiten Jahresproduktion der wichtigsten Grundnahrungsmittel (Getreide, Wurzel- und Knollenfrüchte) trotz des derzeit unzureichenden Ernährungsstandes im Vergleich zur Bevölkerung nicht gesteigert wird. Tatsächlich sinkt die Getreideproduktion sogar, und die Vorräte fallen dramatisch. Man betrachte die Entwicklung der letzten drei Jahre (Tab. 1):

Tab. 1: Weltweite Getreideproduktion (aller Sorten):

Produktion

Lagerbestände am Ende des Erntejahres

2008/2009

2,241 Mrd. t

385 Mio. t

2009/2010

2,229 Mrd. t

414 Mio. t

2010/2011

2.183 Mrd. t (erwartet)

381 Mio. t

Quelle: Weltlandwirtschafts-Angebot- und Nachfrageschätzung (WASGE)
des US-Landwirtschaftsministeriums vom Oktober 2010

Abb. 2  Maisproduktion und Verwendung von Mais zur Äthanolproduktion in den USA, 1980-2010, in Mio. t

Der Umfang der weltweiten Jahresproduktion an Wurzel- und Knollenfrüchten (Kartoffeln, Süßkartoffeln, Maniok, etc.) ist zwar in den letzten Jahren etwas gestiegen, aber sie ist kein Ersatz dafür, daß nicht genug Getreide und andere Nahrungsmittel produziert werden. Die Weltproduktion von Maniok beispielsweise ist 2009 auf 241 Mio. t angewachsen - davon mehr als die Hälfte in Afrika -, aber Maniok hat von allen Grundnahrungsmitteln den geringsten Proteingehalt.

Äthanol-Produktion verschlingt ein Drittel der US-Maisernte

Hinzu kommt, daß ein extrem hoher Anteil des weltweit erzeugten Getreides für die Produktion von Biotreibstoffen mißbraucht wird. Allein die USA erzeugen mehr als 30% der 336 Mio. t der weltweiten Maisproduktion (1,089 Mrd. t), aber mehr als 30% dieser Maisproduktion in den USA werden zur Produktion von Äthanol verwendet, das dem Benzin beigemischt wird. Abb. 2 zeigt die Entwicklung in den letzten 30 Jahren. Tatsächlich verkommt der amerikanische „Maisgürtel“, einst der „Brotkorb der Welt“, immer mehr zu einer Biotreibstoff-Monokultur.

Die Maisproduktion und der Rückgang der Vorräte in den letzten drei Jahren betrugen:

Tab. 2: US-Maisproduktion und -vorräte

Produktion

Vorräte am Ende des Erntejahres

2008/2009

307,14 Mio. t

42,50 Mio. t

2009/2010

333,01 Mio. t

43,37 Mio. t

2010/2011 (geschätzt)

321,68 Mio. t

22,90 Mio. t

Quelle: Weltlandwirtschafts-Angebot- und Nachfrageschätzung (WASGE)
des US-Landwirtschaftsministeriums vom Oktober 2010

Aber die Regierung Obama verlangt sogar noch mehr. Am 13. Oktober hob die Regierung den zulässigen Anteil von Äthanol, der dem Benzin beigemischt werden darf (für Fahrzeuge, die nach 2007 gebaut wurden), von 10% auf 15% an. Die Umweltschutzbehörde (EPA) erließ diese Entscheidung mit der Begründung, dies werde die Emissionen von CO2  (das von der EPA nach dem Gesetz für saubere Luft zu einem Umweltgift erklärt worden ist!) reduzieren. Erklären Sie das mal den Pflanzen, die alle von CO2 leben!

Diese Maßnahme der EPA wurde am 29. Oktober von verschiedenen Nahrungsmittel-Organisationen verurteilt, darunter der Vereinigung Amerikanischer Bäcker, dem Nationalen Fleisch-Verband, den Verbänden des Lebensmittelhandels und andere, die die Regierung warnten, dieser Erlaß der EPA könne dazu führen, daß bis zu 40% der US-Maisernte für die Produktion von Biotreibstoffen verwendet werden, mit intolerablen Konsequenzen für die Nahrungsmittel-Versorgung.

Unnötige Anfälligkeit gegenüber Wetter und Schädlingen

Die weltweite Produktion von Grundnahrungsmitteln ist nicht nur an sich viel zu gering, sie ist auch sehr wechselhaft, weil sie unnötig anfällig ist für Änderungen des Wetters, Schädlinge und andere Faktoren, die durch den Einsatz von Technologie leicht beherrschbar wären. Aber die Schaffung der dazu notwendigen Infrastruktur wird im Rahmen der Globalisierung blockiert.

So hat beispielsweise die Dürrewelle in Europa in diesem Sommer die Ernten drastisch reduziert, und wegen der geringen Feuchtigkeit der Böden wird auch die Fläche, auf der Winterweizen ausgesät werden kann (der im Frühjahr geerntet wird), viel geringer sein.

Am 26. Oktober erklärte die russische Landwirtschaftsministerin Elena Skypnik, sie erwarte, daß wegen der trockenen Böden in diesem Jahr die Anbaufläche für Winterweizen gegenüber der zu wünschenden Fläche um 25% auf nur noch 13 Mio. ha sinken wird.

Ein Mittel, den Weizengürtel in Eurasien deutlich zu vergrößern und durch die verläßliche Bereitstellung von Wasser für Bewässerungszwecke die Produktion sicherzustellen, wäre das Projekt zur Umleitung von Wasser aus dem Ob und dem Irtysch zum Aralsee. Aber dieses Projekt wurde bisher nicht in Angriff genommen.

Weltweit wächst auch die Bedrohung durch Schädlinge, weil die Forschung und der Einsatz von Technologie zur ökologischen Verbesserung des Planeten blockiert wird. Derzeit breitet sich eine moderne Form des Mehltaus aus, der schon im 19. Jahrhundert für den Kartoffelhunger in Irland verantwortlich war. Der Sojabohnen-Rost hat sich von Asien nach Südamerika ausgebreitet, wo er sich im Süden des Kontinents fest eingenistet hat.

Von Ostafrika aus hat sich die Weizenrostart UG99, die erstmals 1999 in Uganda festgestellt wurde, über die arabische Halbinsel bis in den Iran ausgebreitet, und droht nun in den Pandschab und den gesamten indischen Subkontinent einzubrechen.

Die Nahrungsmittel sind nicht vorhanden!

Das jahrzehntelange, globalistische Gerede über die „Effizienz der Märkte“ und über die „globale Beschaffung“ von Nahrungsmitteln erweist sich nun als der Betrug, der es schon immer war. Denn die Nahrungsmittel, die man beschaffen will, gibt es einfach nicht.

Der russische Premierminister Wladimir Putin bestätigte am 25. Oktober, daß das gegenwärtige russische Exportverbot für Weizen (das im Sommer in Kraft gesetzt wurde) für das gesamte Erntejahr gelten wird, d.h., bis Ende Juni 2011. Dadurch wird die in diesem Zeitraum ausgeführte Menge russischen Weizens auf nur noch 3,5 Mio. t sinken; der Höchststand der russischen Exporte lag in den letzten Jahren bei 18,56 Mio. t. Diese Maßnahme ist notwendig, um die Nahrungsmittelversorgung in Rußland selbst sicherzustellen.

Neben solchen Schutzmaßnahmen einzelner Nationen könnte eine gezielte Zusammenarbeit von Nationen zur kollektiven Durchführung von Notpflanzungen in jedem Erntezyklus - im Geiste der Vier-Mächte-Initiative Lyndon LaRouches - die Krisenlage sehr bald überwinden. Aber dies widerspricht diametral der Politik der Regierung Obama, wie man an ihrer Äthanol-Entscheidung vom letzten Monat sieht.

Derzeit werden insbesondere in Afrika neue Plantagen im Stile der Britischen Ostindiengesellschaft eingerichtet, um die Böden, das Wasser und die Arbeitskräfte ihrer Opfernationen für die Produktion von Nahrungsmitteln (ausschließlich für den Export) zu nutzen. Viele dieser Plantagen werden von Großbritannien aus gesteuert, im Interesse von Hedgefonds. In einem Bericht zu diesem Thema hieß es kürzlich: „Jedes Jahr zeigen Investoren Interesse, mehr als 40 Mio. ha Agrarfläche aufzukaufen, oft für die Produktion von Biotreibstoffen, die ein wichtiges Motiv für diese großangelegten Landaufkäufe sind. Nach Angaben der Weltbank sollen auf mehr als einem Drittel der aufgekauften großen Landflächen Biotreibstoffe erzeugt werden.“ („Zugang zum Land und Recht auf Nahrung“, Bericht vom Oktober 2010 zum Recht auf Nahrung, verfaßt vom Sonderberichterstatter des UNO-Menschenrechtsrates.)

Hyperspekulation

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln wächst in den Himmel. Dafür ist nicht das Ammenmärchen über „Angebot und Nachfrage“ verantwortlich - auch wenn tatsächlich großer Mangel herrscht. Verantwortlich dafür ist vor allem die Weigerung, die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu untersagen, und die Tsunamiwelle frischgedruckten Geldes, mit dem die Banken überschüttet werden, die es dann in die Spekulation mit Nahrungsmitteln fließen lassen, da dieses Geld nirgendwo sonst untergebracht werden kann. Man sollte diese Gelder zurücknehmen und die Banken einem Konkursverfahren unterziehen, dann würden diese Spekulationen schlagartig zurückgehen.

In der ersten Oktoberwoche lag der Richtpreis für amerikanischen Weizen (Roter Winter-Hartweizen) bei 281 $/t, also um 55% über dem Stand von Anfang Juli (dem offiziellen Ende des Erntejahres). Der Preis von Mais schoß im gleichen Zeitraum um 32% in die Höhe und ist seither weiter gestiegen. Der Preis von Reis stieg in den letzten sechs Monaten um 45%, der von Zucker um 55%. Auch die Preise von Sojabohnen und allen übrigen Agrarprodukten sind angestiegen.

Auch der Preis landwirtschaftlicher Nutzfläche steigt, was aber kaum den Landwirten zugute kommt, sondern eine Folge der Spekulationswelle ist. Im Oktober wurde Agrarland in Washington County/Iowa zu einem Rekordpreis von mehr als 9000 $/Acre verkauft, ein Anstieg um 9% gegenüber dem Vorjahr.

Kettenreaktionsartiger Zusammenbruch

Zu den vielen Folgewirkungen der Verknappungen und der Preisexplosion bei Getreide gehören auch die Preissteigerungen für Futtermittel zur Erzeugung von Eiern, Milch, Rind- und Schweinefleisch etc. So machen die Futterkosten z.B. in der Geflügelproduktion rund 40% der Kosten aus. Die großen Geflügelproduzenten erwarten bis Weihnachten Preissteigerungen um 5-10% im Einzelhandel. Die Schweinemäster fragen sich, warum sie überhaupt Ferkel anschaffen sollen, wenn sie damit nur Verluste machen.

Nach der Oktober-Schätzung des US-Landwirtschaftsministeriums wird die weltweite Produktion von Rindfleisch im kommenden Jahr wegen der anhaltend hohen Futterkosten um 4% sinken. Aber das ist eine lineare Sicht, in der mögliche größere Einbrüche nicht eingerechnet sind. Realität ist, daß auch die Vereinigten Staaten ein großer Importeur von Nahrungsmitteln sind: Insgesamt werden rund 17% des US-Bedarfs an Nahrungsmitteln durch Importe gedeckt, bei vielen Nahrungsmitteln liegt dieser Anteil zwischen 30 und 60%.

Wer bekommt nichts zu essen?

Schon jetzt gibt es Schlagzeilen über Nahrungsmittel-Engpässe. Eine unmittelbare Notlage herrscht in der Sahel-Region. Auch in Nordkorea herrscht ein ausgesprochener Mangel an Nahrungsmitteln. Dieses Volk von 24 Mio. Menschen muß in den kommenden Monaten mindestens 1,5 Mio. t Getreide einführen. Die Ernte wird in diesem Herbst auf insgesamt 5,1 Mio. t an Reis, Kartoffeln und anderen Agrarprodukten geschätzt. Bisher hat Korea Zusagen für den Import von 300 000 t. Wo werden die fehlenden 1,2 Mio.t herkommen?

Marcia Merry Baker

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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