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Aus der Neuen Solidarität Nr. 24/2008

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Instabiles Europa wird noch instabiler

Das Maastricht-System führt zu einer Welle von Protesten in den meisten Ländern Europas, von Landwirten und Fischern bis hin zu Lastwagen- und sogar Krankenwagenfahrern. Wohin würde dann erst das Lissaboner System führen?

Vor einigen Tagen wurde der zehnte Geburtstag des Euro von den Eurokraten gefeiert, begleitet von Lobreden auf die Europäische Zentralbank, die genau so alt wurde. Nur wenige Kritiker, die inmitten dieser Feierlaune überhaupt zu Wort kamen, erinnerten an die häßlichen Kehrseiten dieser angeblichen „Erfolgsgeschichte“. Wilhelm Hankel zum Beispiel, der 1997 mit guten Argumenten gegen die Einführung des Euro-Systems geklagt hatte und 1998 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, sieht sich leider vollauf bestätigt mit seinen Bedenken: der Euro führt zu einer Verschärfung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den einzelnen Staaten der Eurozone, er vergrößert gleichzeitig das soziale Ungleichgewicht innerhalb der Union wie innerhalb der einzelnen Staaten, was nur zu weiteren Instabilitäten führen kann.

In der Tat: währen gerade dieser Tage über die Zukunft Europas unter dem Vertrag von Lissabon heftig diskutiert und das Referendum in Irland am 12. Juni gespannt erwartet wird, scheitert das Europa des Vertrags von Maastricht schon in der Gegenwart dabei, den Wohlstand seiner Bürger zu sichern. Die Blockaden der Milchauslieferungen in verschiedenen EU-Ländern, der Fischerstreik in Frankreich, die Proteste der LKW-Fahrer in Großbritannien und Österreich haben in den letzten Tagen in den Medien für Schlagzeilen gesorgt. Dies hat der Öffentlichkeit drastisch vor Augen geführt, daß die EU-Institutionen die Kontrolle über die inflationäre und von der Spekulation angetriebene Dynamik vor allem bei den Nahrungsmittel- und Benzinpreisen verloren haben, worunter Produzenten wie Verbraucher leiden.

Seit drei Wochen bereits sind Häfen hauptsächlich in Frankreich, aber auch in Spanien, Portugal und Griechenland von Fischern blockiert, die so gegen die Treibstoffpreise protestieren, deren  drastischer Anstieg zusätzliche Kosten verursacht, die die Existenz der Fischerei gefährden. Die französische Regierung hat erklärt, ihr seien durch die EU die Hände gebunden, sie könne nicht helfen, und erst Anfang Juni erhielt Paris einen Brief aus Brüssel, in dem Frankreich zur Zahlung einer Strafe in Höhe von 65 Millionen Euro wegen „marktverzerrender“ Unterstützung für die Fischer im Jahre 2006 verdonnert wurde. Nicht nur Fischer aus Frankreich, auch aus den anderen genannten Ländern, fuhren deshalb am 4. Juni nach Brüssel, um dort direkt vor dem Gebäude der Kommission gegen die Politik der EU zu protestieren.

Auch für die britischen LKW-Fahrer ist die EU-Kommission der Hauptfeind, weil sie der  Londoner Regierung Ausgleichszahlungen für die drastisch gestiegenen Benzinpreise verbietet. Wie für die Fischer, macht auch für die Trucker das Benzin den Großteil ihrer laufenden Kosten aus, mehr noch als für die Landwirte. Die anhaltende Spekulation mit Rohöl treibt die Preise so hoch, daß die Trucker an den Rand des Ruins geraten. Am 28. Mai fuhren daher mehr als 1000 Lastwagen in die Londoner City und überbrachten dem Premierminister ein Protestschreiben. Gordon Brown redete sich mit Hinweis auf Vorgaben aus Brüssel heraus und machte als einziges „Zugeständnis“ die Ankündigung, eine geplante Anhebung der Benzinsteuer um 2 Pence niedriger zu halten. Für die Trucker ist das der bloße Hohn, denn was sollen jene 2 Pence bewirken, die allenfalls den Preisanstieg, der beim Benzin innerhalb weniger Tage zu beobachten ist, kompensieren können? In Deutschland, Italien und anderen Ländern haben in der vergangenen Woche auch Taxifahrer, in Frankreich sogar Fahrer von Krankenwagen protestiert, weil auch bei ihnen die Benzinkosten einen immer größeren Ausgabenposten darstellen und einen ganzen Berufsstand gefährden.

Und was tut die EU-Kommission? Die fühlt sich nicht zuständig, reagiert ungehalten auf die Proteste und ließ in Brüssel die aufgebrachten Fischer von der Polizei abräumen. Die Proteste breiten sich jedoch in andere Berufsgruppen aus. Die französischen Krankenwagenfahrer blockierten am 4. Juni ebenso wie die Fischer und Landwirte in etlichen Teilen Frankreichs Brücken und Zufahrtsstraßen und beteiligten sich auch an einem Autokorso, der zum Protest in den Pariser Geschäftsdistrikt La Defense fuhr.

Dies alles findet im Europa statt, das schon unter den bisher geltenden Maastrichter Regeln mehr schlecht als recht regiert wird, und man erhält einen Vorgeschmack darauf, wie erst das Europa des Lissabon-Vertrags mit seinen noch radikaler freimarktorientierten Vorgaben aussehen würde. Das  „Lissabon-Europa“ wäre noch um einiges unruhiger und instabiler. Die zunehmenden Proteste machen eines ganz offensichtlich: Europa muß endlich die im Maastrichter Vertrag diktierte Sparpolitik aufgeben und eine noch schlimmere Zukunft unter dem Lissabon-Vertrag verhindern. Eine Rückkehr zu einer produktions- und investitionsorientierten Haushaltspolitik und ein Verbot der Spekulation mit lebenswichtigen Gütern wie Nahrungsmitteln und Benzin sind hierzu unerläßlich.

Rainer Apel

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