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Aus der Neuen Solidarität Nr. 1-2/2007 |
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Von Helga Zepp-LaRouche
Bundeskanzlerin Merkel hätte zu keinem besseren Zeitpunkt in die USA fahren können, als eben am 4. Januar - dem Tag, an dem der neue Kongreß auf dem Capitol Hill Einzug hielt; so mußte sie den neuen politischen Wind riechen können, der nun kräftig in Washington bläst.
Nach dem Erdrutschsieg der Demokraten wird das politische Klima in Washington nun vom neugewählten 110. Kongreß und einem verbesserten Senat bestimmt. Aber Präsident Bushs kurze Pressekonferenz am 3. Januar unterstrich seine Weigerung, den Wählerwillen zur Kenntnis zu nehmen. „Der Kongreß hat sich geändert, aber die Aufgaben unseres Landes haben sich nicht geändert”, verkündete Bush und verschwand nach fünf Minuten, ohne Fragen zu beantworten. Das politische Washington weiß, was damit gemeint ist: Bush und Cheney werden in Kürze eine Verstärkung der Truppen im Irak um etwa 30.000 weiteren Soldaten vorschlagen. Mehrere Militärs und Experten haben nicht nur davor gewarnt, daß dadurch nur noch mehr amerikanischen Truppen im Irak zu Zielscheiben werden, sondern daß diese Aufstockung in Wirklichkeit im Zusammenhang mit einem baldigen Militärschlag gegen den Iran gesehen werden müsse.
Da inzwischen einem breiten überparteilichen Spektrum in den USA klar ist, daß eine solche Eskalation zu einem globalen asymmetrischen Krieg führen würde, haben diese Kräfte nicht nur den Baker-Hamilton-Bericht für eine Lösung der Irakkrise unter Einbeziehung von Iran und Syrien in die Diskussion gebracht, sondern hinter den Kulissen ist eine heftige Debatte darum entbrannt, daß nur ein sofortiges Impeachment vor allem von Vizepräsident Dick Cheney einen solchen Krieg verhindern könne.
Schon jetzt wird ähnlich wie vor dem Irakkrieg in sophistischer Weise an der Fabrikation angeblicher Beweise gearbeitet, wonach der Iran bald waffenfähiges Uran produzieren könne, dieses verstecken wolle, um dann bald Bomben zu bauen. Wenn dieses Denken in Washington nicht sofort unterbunden wird, wird Amerika seinen eigenen Untergang bewirken, ganz wie das klassische Griechenland an seinem Sophismus und seinen imperialen Phantasien im Peloponnesischen Krieg untergegangen ist.
Es herrscht weitgehendes Einverständnis unter aktiven und ehemaligen Militärs, den Demokraten und weiten Teilen der Republikaner, daß es unerläßlich ist, Cheney zuerst aus dem Amt zu entfernen. Außerdem finden in etwa einem halben Dutzend Kongreßausschüssen auf Hochtouren Untersuchungen über die Schandtaten der Administration statt, die primär Cheneys Rolle bei all diesen Verfehlungen zum Gegenstand haben. Aber kompliziert wird die Angelegenheit dadurch, daß Bush aufgrund der weithin sichtbaren Verschlechterung seines geistigen Zustandes nicht mehr in der Lage sein könnte, sein Amt auszuüben, noch bevor Cheney aus dem seinigen entfernt ist. In diesem Fall bliebe dann nur die Möglichkeit eines doppelten Amtsenthebungsverfahren.
Bundeskanzlerin Merkel hätte zu keinem besseren Zeitpunkt in die USA fahren können, als eben am 4. Januar, dem Tag, an dem der neue Kongreß auf dem Capitol Hill Einzug hielt; so mußte sie den neuen politischen Wind riechen können, der nun kräftig in Washington bläst. Es wird ihr nicht entgangen sein, daß nur zwölf von 49 republikanischen Senatoren Bushs und Cheneys Idee einer Truppenverstärkung für den Irak (und damit implizit den Militärschlag gegen den Iran) unterstützen. Der soeben ausgeschiedene Vorsitzende des Auslandsgeheimdienst-Ausschusses des Senats, Lugar, hatte Bush vor Tagen gewarnt, diese Truppenverstärkung einfach im Fernsehen zu verkünden, ohne sich vorher um die Zustimmung des Kongresses zu bemühen. „Das Weiße Haus wird sich einem Lynchmob gegenübersehen; das wird sehr, sehr häßlich werden”, warnte er.
Wenn Bush und Cheney gehofft hatten, das explodierende Budget für den Irakkrieg und mögliche weitere Kriege durch immer weitere Zusatzhaushalte finanzieren zu können, so werden sie auch da ein blaues Wunder erleben; der demokratisch dominierte Kongreß ist fest entschlossen, die Finanzierung für den verhaßten Krieg - selbst nur noch 35 Prozent des Militärs unterstützt ihn - durch die Haushaltsschraube unter Kontrolle zu bringen. In jedem Fall wird sich das politische Klima im Januar noch vor Bushs Rede zur Lage der Nation so dramatisch ändern, daß die Europäer, denen diese sich lang anbahnenden Entwicklungen von den kontrollierten Medien vorenthalten wurden, aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen werden.
Der Wandel in den USA kommt keinen Augenblick zu früh, denn die Anzeichen, daß das globale Finanzsystem unwiderruflich vor dem großen Krach steht, mehren sich täglich. Laut jüngster Studien wird erwartet, daß alleine im Bereich der sogenannten „Subprime- Hypotheken”, das sind Hypotheken, die zu horrenden Bedingungen an finanziell schlechtgestellte Haushalte vergeben wurden, mindestens 2,2 Millionen Hausbesitzer im fortschreitenden Immobilienkrach ihre Häuser verlieren werden. Dieser Immobilien- und Hypothekenkrach wird u.a. zu einer erheblichen Vernichtung von Arbeitsplätzen im Bausektor führen.
Der Immobilienkrach ist aber nur die Spitze des Eisbergs; das hoffnungslos verschuldete Weltfinanzsystem ist in seiner derzeitigen Form nicht zu retten. In den letzten Monaten verstärkten sich die Warnungen von Experten wie dem ehemaligen Finanzminister Robert Rubin, daß die Defizite des US-Haushalts und der Außenhandelsbilanz nicht länger aufrecht zu erhalten seien. Ein sich abzeichnender Kollaps des Dollars um 30 Prozent und mehr droht jeden einzelnen Kontinent des Globus ins Chaos zu stürzen. Die fieberhaften Fusionen und feindlichen Übernahmen von immer größeren Konglomeraten der letzten Monate, die Raubzüge der Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften, großenteils finanziert durch Bankkredite, die beim kommenden Krach alle platzen werden, sind gewissermaßen die letzten Zuckungen eines sterbenden Dinosauriers: des Systems der Globalisierung.
Im neuen Kongreß sind sich viele Abgeordnete darüber bewußt, daß sie unter Zugzwang stehen: Denn der drohende Systemkollaps droht jetzt und nicht erst in zwei Jahren, gleichzeitig aber bestimmt die Präsidentschaftswahl 2008 schon jetzt das Denken in Washington. Wenn die Demokraten verhindern wollen, daß sie dann genauso von wütenden Wählern abgewählt werden, wie dies den Republikanern im vergangenen November passiert ist, müssen sie eine Lösung für die Finanz- und Wirtschaftskrise finden.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen besteht bei den Demokraten im neuen Kongreß weitgehendes Einverständnis über die katalysierende Rolle, die Lyndon LaRouche und die LaRouche-Jugendbewegung beim Zustandekommen des demokratischen Wahlsiegs gespielt haben. Dementsprechend gewachsen ist die Hochachtung für die programmatischen Vorschläge, die LaRouche für die Reorganisation der amerikanischen Wirtschaft und des internationalen Finanzsystems gemacht hat. Gesetzesvorschläge wie der „Economic Recovery Act” für die Rekonversion des Autosektors und den Wiederaufbau der amerikanischen Wirtschaft werden von den professionellen Stäben in den entsprechenden Ausschüssen intensiv studiert. LaRouches neueste Schrift, „Die verlorene Kunst des langfristigen Investitionshaushalts” wurde schon vor ihrer Veröffentlichung von einflußreichen Personen in der Demokratischen Partei studiert.
In diesem Wandlungsprozeß der Demokraten im Kongreß (und einiger Republikaner, die sich aus Selbsterhaltungstrieb vom Weißen Haus distanzieren) liegt die wichtigste Hoffnung für eine Lösung der Krise in Europa und in Deutschland. Denn aus strategischen und historischen Gründen kann die Lösung für eine neue Finanzarchitektur nur aus Veränderungen in den USA kommen. Einerseits ist der Dollar nicht eine Währung unter vielen, sondern die Basis des gegenwärtigen globalen Systems, und andererseits verkörpern die USA die Tradition des amerikanischen Systems, wie es in der Amerikanischen Revolution erkämpft und von Lincoln und Franklin D. Roosevelt erneuert wurde. Genau diese Tradition, also die Idee eines am Gemeinwohl orientierten Haushalts, eines New Deal für die Wiederankurbelung der Produktion und eines Systems fester Wechselkurse in der Tradition des Bretton-Woods-Systems, wird jetzt in beiden Häusern des amerikanischen Kongresses durch die Diskussion von LaRouches Wirtschaftspolitik wieder lebendig gemacht.
Das Beste, was intelligente Leute in Europa und Deutschland tun können, ist, aus vollem Herzen die Anstrengungen der LaRouche-Bewegung zur Reaktivierung der Roosevelt- Tradition in der Demokratischen Partei zu unterstützen. Der Kongreß wird aufgrund der akuten Krise nicht darum herum kommen, die Maßnahmen für die Rettung der amerikanischen Wirtschaft durchzusetzen. Aber es wird maßgeblich von der Kooperation Europas mit dem veränderten Amerika abhängen, ob rechtzeitig, d.h. vor einem unkontrollierten Kollaps, auf Regierungsebene eine Notkonferenz für die Reorganisation des Weltfinanzsystems auf die Tagesordnung gesetzt werden kann.
Der Besuch Angela Merkels in Washington in ihrer Eigenschaft als Repräsentantin der deutschen Präsidentschaft von G8 und EU sowie die bisherige Tagesordnung für diese beiden Präsidentschaften verdeutlichen, daß Frau Merkel ihrer „Politik der kleinen Schritte“ treu bleiben will. Auch wenn einiges Nützliche dabei ist, wie z.B. neue Initiativen für den Nahen Osten, so leidet das Präsidentschaftsprogramm insgesamt jedoch an dem grundsätzlichen Mangel, daß es keinerlei Vision für die existentiellen Fragen wie die unmittelbare Systemkrise und die Notwendigkeit einer Neuen Weltwirtschaftsordnung auch nur angedacht hat. Statt dessen sieht der Fahrplan eine Unzahl von Konferenzen zu allen möglichen Themen vor, und man kann gewiß sein, daß unzählige Beamte Riesenberge von Papier lesen, von Konferenz zu Konferenz fliegen und einen Haufen Spesen machen werden. Wenn es am Ende der beiden Präsidentschaften nicht heißen soll, „Viel Lärm um Nichts”, ist eine andere Herangehensweise nötig.
Neokonservative Maulwürfe wie der ehemalige US-Botschafter und jetzige Deutschland-Chef des Bankhauses Lazard, John Kornblum, meinen, sie müßten sich ständig um die Frage einer europäischen Identität und eines neuen transatlantischen Wertekatalogs kümmern. In Wirklichkeit meinen sie damit nur Monstrositäten wie das Transatlantische Freihandelsabkommen (TAFTA). Frau Merkel hat dieses Freihandelskonzept trotz der katastrophalen Folgen, die ein ähnliches Abkommen für Nordamerika (NAFTA) gehabt hat, schon weitgehend übernommen und will es während ihrer EU-Präsidentschaft zum Thema machen. Das Menschenbild, das mit Verträgen wie TAFTA verbunden ist, ist das gleiche wie bei der Globalisierung überhaupt: es soll einer kleinen privilegierten Geldelite alle Vorteile verschaffen, während der größere Teil der Bevölkerung nicht viel besser als menschliches Vieh oder moderne Sklaven behandelt wird.
Was Deutschland statt dessen während der beiden Präsidentschaften vor allem angesichts der Änderungen in Washington in die Diskussion bringen sollte, ist das Konzept des „fairen Handels”, d.h. eines multinationalen Handelsabkommen, das die langfristige Entwicklung der physischen Ökonomie bei der bestmöglichen Steigerung der Produktivät von Arbeitskräften und industriellen Kapazitäten aller Mitgliedstaaten garantiert. Dabei kann sich Deutschland auf den fundamentalen Unterschied beziehen, den der Nationalökonom Friedrich List zwischen dem britischen und dem amerikanischen System von Alexander Hamilton gemacht hat.
Die Idee, daß die Bundesregierung die Zeit ihrer EU-Präsidentschaft für eine Neufassung der EU-Verfassung nutzen will, ist angesichts des sicheren Widerstandes aus Frankreich – und nicht nur deshalb – völlig nutzlos und bedeutet daher höchstens Zeit- und Geldverschwendung. Statt dessen sollte sich Deutschland bei beiden Präsidentschaften dafür einsetzen, mit dem neuen US-Kongreß eine neue Finanzarchitektur auszuarbeiten, die auf den Prinzipien des fairen Handels zwischen souveränen Staaten aufbaut - in einem Europa der Vaterländer und, weltweit gesehen, einer Entente souveräner Republiken, die durch die gemeinsamen Ziele der Menschheit miteinander verbunden sind.
Auch wenn dies dem jetzigen Konzept der EU völlig widerspricht, muß Deutschland in Anlehnung an die kommenden Veränderungen in Washington die anglo-holländische Idee unabhängiger Zentralbanken aufgeben und die Souveränität über die eigene Wirtschaft und die eigene Währung auf die Tagesordnung setzen, wenn die europäischen Nationen einen Ausweg aus der Systemkrise finden wollen. Dazu gehört ein System fester Wechselkurse und das Recht auf staatliche Kreditschöpfung für Investitionen im Sinne des Allgemeinwohls und der produktiven Vollbeschäftigung.
Deutschland soll vor allem seine G8-Präsidentschaft nutzen, um die Notwendigkeit einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung aufzubringen, die für Afrika, aber auch die Milliarden von Armen in der ganzen Welt eine Frage des Überlebens ist. Dabei ist nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs der Ausbau der Eurasischen Landbrücke das offensichtliche Kernstück für eine Rekonstruktion der Weltwirtschaft ebenso wie für eine neue Friedensordnung für das 21. Jahrhundert.
Statt einer Präsidentschaft mit vielen kleinen Schritten - einer davon kann derjenige zuviel sein, der uns von der Klippe stürzen läßt - brauchen wir eine Diskussion, wie wir das Leben und die politische Ordnung auf unserem Planeten so organisieren, daß jeder Mensch ein würdiges Leben führen kann. Es geht dabei um die gleiche Frage, die Alexander Hamilton in den Federalist Papers diskutiert hat, nämlich die Frage, ob der Mensch sich überhaupt selbst regieren kann. Es ist das gleiche Problem, über das Friedrich Schiller in den Briefen über Don Carlos schrieb, daß es das Lieblingsthema des Jahrzehnts der Amerikanischen Revolution gewesen sei, wie man einen bestmöglichen Staat schaffen könne, der die größte Freiheit und Entwicklung seiner Bürger ermögliche.
Diese Frage stellt sich heute für die ganze Menschheit dringender denn je. Das System der Globalisierung - nur ein anderes Wort für ein anglo-holländisch-amerikanisches Weltreich - ist vollkommen gescheitert und hat uns in eine Systemkrise gestürzt, die zu einem neuen dunklen Zeitalter führen kann. Es gibt also keine dringendere Frage als diejenige, auf welchen Prinzipien eine politische Ordnung aufgebaut sein muß, die der Würde der Menschheit angemessen ist.
Dabei müssen wir an das Menschenbild anknüpfen, das sowohl die Kernidee der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der amerikanischen Verfassung bildet, als auch der besten Tradition Europas entspricht. Gemeint ist der Leibnizsche Gedanke, daß ein jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit und Glückseligkeit hat. Unter Glückseligkeit verstand Leibniz nichts anderes als das Recht eines jeden Individuums, seine kognitiven Fähigkeiten, die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheiden, voll und ganz zum Wohle der Gesellschaft zu entwickeln und so ein erfülltes Leben zu führen.
In der christlich-humanistischen Tradition Europas war dieses Menschenbild auch immer mit dem Begriff des Imago viva Dei, des Menschen als lebendigem Abbild des Schöpfergottes, verbunden, der durch seine kreative Tätigkeit den Schöpfungsprozeß im Universum fortführt und dadurch die Lebensbedingungen aller Menschen verbessert. Dieses Menschenbild, das in der amerikanischen Verfassung und, in abgeschwächter Form, auch im Grundgesetz verankert ist, muß die Leitidee einer neuen politischen und wirtschaftlichen Ordnung sein. Oder anders ausgedrückt: Es ist höchste Zeit, die politische Ordnung auf dieser Welt mit der Schöpfungsordnung in Übereinstimmung zu bringen.
Wir brauchen in Europa überhaupt kein Problem mit unserer Identität zu haben, wir müssen nur die Kontinuität unserer humanistischen Tradition lebendig machen, die von der griechischen Klassik über die italienische Renaissance und die deutsche Klassik reicht, ohne dabei die Beiträge zu vergessen, die andere Nationen zu unserem gemeinsamen Erbe beigetragen haben. Wenn wir diese Schätze lebendig machen und vor allem der jungen Generation wieder erfahrbar machen, dann wird Europa eine schöne Seele haben.
Lesen Sie hierzu bitte auch:
„Wir brauchen junge Leute, die eine Zukunft der Zivilisation fordern“ Die Übernahmewelle 2006 ist die Pleitewelle 2007 Wo Baker und Hamilton stehen |
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