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Von Alexander Hartmann
„Wenn die Vereinigten Staaten sich weiterhin für eine Politik des Umsturzes von vom Volk gewählten Regierungen entscheiden, kann daraus ein dritter Weltkonflikt resultieren“, warnte der frühere französische Verteidigungsminister Jean Pierre Chevènement am 25. Oktober in einem kurzen Interview mit Sputnik France. „Unser Planet befindet sich am Rande eines dritten Weltkriegs. Die Situation ist sehr gefährlich. Und das, weil, unter uns gesagt, einige bereit sind, bis an den Rand des Abgrunds zu gehen. Ich möchte nicht sagen, daß die gesamte politische Elite der USA von solchen Ansichten besessen ist. Zum Beispiel trifft es auf [US-Außenminister] John Kerry nicht zu. Aber die Neo-Konservativen fordern eine Politik des Umsturzes von Regierungen anderer Länder. Wie wir im Irak, in Libyen und Syrien gesehen haben, ist das absolut unakzeptabel.” Chevènement ist zur Zeit Frankreichs Rußlandbeauftragter.
Diese Erkenntnis, daß die Welt am Rande eines Weltkrieges steht, breitet sich zunehmend aus und wird auch immer deutlicher geäußert. Sachkundige und prominente Stimmen wie Robert E. Hunter, ehemals US-Botschafter bei der NATO und für den Nahen Osten und Europa zuständiger Beamter im Nationalen Sicherheitsrat, Robert R. DePetris von der Organisation Defense Priorities melden sich in Leserbriefen an die Washington Post zu Wort und warnen, daß Präsident Obamas Pläne, den Krieg in Syrien zu eskalieren, die USA in einen Konflikt mit Rußland treiben werden. Beide reagierten mit ihren Zuschriften auf einen Gastkommentar von John Allen und Charles R. Lister, die eine viel größere Rolle der USA in Syrien fordern, wie etwa gezielte Schläge gegen syrische Militäreinrichtungen, weitere Sanktionen gegen Syrien und Rußland, verstärkte Sicherheitsüberprüfungen für Oppositionsgruppen etc.
Hunter warnt, die beiden Autoren machten „den gleichen Fehler, den auch die Regierung Obama begangen hat: Sie bieten keinen realistischen Plan für das an, was in Syrien nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad geschehen würde.“ Er weist darauf hin, daß weder die USA noch andere „irgendwelche Mittel zum Schutz aller konfessionellen Gruppen in Syrien, einschließlich der Alawiten, vorschlagen.“ Ohne einen solchen Schutz würden Assad und sein Volk weiterkämpfen. Außerdem stelle die simple Parole „Assad muß weg“ die USA auf eine Linie mit den „geopolitischen Zielen der sunnitischen Staaten und hält sie verstrickt in den regionalen sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg“.
Robert DePetris schreibt, man sollte Allen und Lister daran erinnern, daß Rußland in Syrien einen Stolperdraht gezogen hat, „dessen Überquerung automatisch zum Krieg und im nuklearen Zeitalter möglicherweise zu endgültigen [,terminalen’] Konsequenzen führen würde. Die Maßnahmen der Autoren würde unvermeidlich den russischen Stolperdraht auslösen.“
Die Warnungen vor einem Krieg sind nicht bloß eine Reaktion auf die wilden Forderungen der Neocons bezüglich Syriens. Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel am 26. Oktober wurden die Pläne abgesegnet, 4000 NATO-Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten zu stationieren.
In seiner Pressekonferenz vor dem Treffen versteifte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf die Behauptung, die NATO reagiere damit auf ein Vorrücken Rußlands bis an die Grenzen der NATO-Staaten – so als sei die NATO schon immer da gewesen, wo sie heute steht; eine recht verzerrte Sicht der Geschichte der letzten 25 Jahre. „Wir haben über viele Jahre einen deutlichen militärischen Aufbau in Rußland gesehen, und die Verteidigungsausgaben haben sich, nach realer Kaufkraft, seit dem Jahr 2000 verdreifacht“, zeterte Stoltenberg, „und dies hat Rußland ermöglicht, in neue Kapazitäten zu investieren, in neue Waffensysteme, mehr Manöver durchzuführen und seine militärischen Kapazitäten deutlich zu vergrößern. Zusammen mit der Tatsache, daß Rußland nicht nur bereit war, in seine Streitkräfte zu investieren, sondern diese auch gegen seine Nachbarn einzusetzen, wie wir auf der Krim und in der Ukraine gesehen haben – das ist der Grund, warum die NATO reagiert, und es ist Teil eines Verhaltensmusters, das eine Reaktion der NATO ausgelöst hat.“
Die Stationierung russischer Iskander-Raketen in Kaliningrad – mit der Rußland auf die Stationierung westlicher Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen reagierte, was Stoltenberg natürlich nicht erwähnte – sei „ein weiteres Beispiel eines russischen militärischen Aufbaus nahe der Grenzen der NATO... Natürlich sind wir besorgt über diesen russischen militärischen Aufbau nahe der NATO-Grenzen. Wir sehen das im Osten, aber wir sehen es auch im Süden, im östlichen Mittelmehr und in Syrien nahe der Türkei, einem Verbündeten der NATO.“
Während die Strategie der NATO an der Ostsee Fortschritte macht, setzt sie die Türkei und Bulgarien unter Druck, um auch am Schwarzen Meer einen ähnlichen Aufmarsch durchzuführen, wo Rußland aufgrund seiner Position auf der Krim eine beherrschende Stellung innehat.
Seine Antwort auf diese Haltung der NATO gab Rußlands Präsident Wladimir Putin bei der 13. Jahreskonferenz des Internationalen Waldai-Diskussionsklub, die sich in diesem Jahr mit dem Thema „Die Zukunft des Fortschritts: die Welt von morgen gestalten“ befaßte und vor allem die globale Ordnung ins Schlaglicht rückte, die sich derzeit unter der Führung von Rußland und China ausbildet und der „unipolaren“ Vision der Vereinigten Staaten und des transatlantischen Systems gegenübersteht. In seiner Abschlußrede erklärte Putin, die transatlantische Ökonomie befinde sich im Griff einer „systemischen Krise“, die die Welt in einen Krieg treibe.
Es sei ein ganz neuer Ansatz notwendig, um die Menschheit zu retten:
„Das Mammut-Ausmaß der Zerstörung erfordert das Aufstellen eines langfristigen und umfassenden Programms, eine Art Marshallplan, um die von Kriegen und Konflikten zerstörten Gebiete wiederzubeleben. Rußland ist zweifellos bereit, sich aktiv an diesen gemeinsamen Bemühungen zu beteiligen.
Wir können keine globale Stabilität erreichen, wenn wir nicht globalen wirtschaftlichen Fortschritt garantieren. Es ist wesentlich, Bedingungen für schöpferische Arbeit und wirtschaftliches Wachstum mit einer Geschwindigkeit zu schaffen, die der Aufteilung der Welt in permanente Gewinner und permanente Verlierer ein Ende setzen würde. Die Spielregeln sollten den sich entwickelnden Volkswirtschaften wenigstens eine Chance geben, zu denen aufzuschließen, die wir als die entwickelten Volkswirtschaften kennen... [und] die Früchte des wirtschaftlichen Wachstums und des technologischen Fortschritts allen zugänglich zu machen. Insbesondere würde dies helfen, der Armut ein Ende zu setzen, einem der schlimmsten Probleme der Gegenwart.“
Putin betonte, daß Rußland gemeinsam mit China auf eine solche neue Weltordnung hinarbeite: „Das ist es, wie wir die Arbeit der Eurasischen Wirtschaftsunion arrangieren und Verhandlungen mit unseren Partnern führen, insbesondere über die Koordinierung des Projekts des Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels, das China jetzt umsetzt. Wir erwarten, daß es eine umfassende eurasische Partnerschaft fördern wird, die verspricht, sich zu einem der großen Zentren der Ausbildung eines riesigen eurasischen Integrationsgebiets zu entwickeln... Eine unserer wichtigen Aufgaben ist es, das menschliche Potential zu entwickeln. Nur eine Welt mit reichlichen Möglichkeiten für alle, mit hochqualifizierten Facharbeitern, Zugang zu Wissen und zu einer großen Vielzahl von Wegen, ihr Potential zu realisieren, kann als wirklich frei betrachtet werden.“
Putin betonte, daß es gerade das Fehlen einer solchen Politik für die Zukunft ist, das die Seele des transatlantischen Sektors zerstört: „Es fehlt eine Strategie und Ideen für die Zukunft... Die Zukunft verlockt sie [die Menschen] nicht, sondern sie ängstigt sie... Die Menschen stimmen überhaupt nicht so, wie es ihnen die offiziellen und respektablen Medien raten, oder wie es ihnen die Mainstream-Parteien raten.“ Als Beispiel verwies er auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, der in seinem Versäumen der Diskussion substantieller politischer Fragen „einfach alle Grenzen überschreitet“.
Unter den übrigen Beiträgen der rund 130 Sprecher aus 35 Nationen, die an der Konferenz teilnahmen, sind insbesondere die Äußerungen der Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des chinesischen Nationalen Volkskongresses Fu Ying erwähnenswert. In einer Diskussionsrunde über das Thema „Die Weltordnung: quo vadis?“ verwies Frau Fu Ying auf das mangelnde Vertrauen zwischen den Weltmächten. China und die USA seien noch weit davon entfernt, Partner in Sicherheitsfragen zu sein, wie man am Disput im Südchinesischen Meer sehe. China habe „keine ,Strategie’, die von den USA geführte ,Weltordnung’ herauszufordern“, sagte sie, „aber wenn [die USA] Chinas politisches System und Sicherheitsinteressen ächten, ist es schwierig für China, das zu unterstützen.“ Tatsächlich betrachte China „die von den USA geführte Welt als einen Schlamassel, und deshalb wollen wir sie nicht übernehmen. Warum sollte China die Fehler wiederholen, die die USA gemacht haben?“
Die Welt habe „ihre Agenda von der Block-Politik zu Entwicklung und Kooperation verlagert“, sagte Fu Ying, und verwies auf Präsident Xi Jinpings Konzept des „Aufbauens einer Gemeinschaft gemeinsamer Interessen“ und die Notwendigkeit eines „neuen Modells der globalen Partnerschaft“. Dieses zeige sich in Chinas Initiative „Gürtel & Straße“ und in der von Rußland vorgeschlagenen Eurasischen Wirtschaftsunion“, die sich gegenseitig ergänzen. Die USA sollten „trotz ihrer Abneigung auch Chancen in diesen Initiativen finden, wenn sie sich eines Tages beteiligen“.
Dies gilt nicht minder für den europäischen Teil der transatlantischen Welt. Die Inhaltsleere des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs darf Europa nicht daran hindern, seine eigenen Chancen zu erkennen und wahrzunehmen, die in der Zusammenarbeit mit Rußland, China und der übrigen Welt bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Welt zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele der Menschheit liegen (und bei den Konferenzen des Schiller-Instituts, über die wir in dieser Ausgabe berichten, ausführlich behandelt wurden). Sobald Europa dies tut, entfällt jedes Motiv für die Konfrontationspolitik der NATO gegenüber Rußland.