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Neue Solidarität
Nr. 23, 6. Juni 2012

Weder Gelddrucken noch ein Syrienkrieg
können das bankrotte Finanzsystem retten

Auch in der vergangenen Woche schritt der Zusammenbruch des transatlantischen Finanzsystems weiter voran, ohne daß irgendwelche Schritte unternommen worden wären, die daran wirklich etwas ändern könnten. Gleichzeitig werden die Bestrebungen verstärkt, sich in das nächste militärische Abenteuer zu stürzen - diesmal in Syrien. Unbedarfte Beobachter könnten meinen, daß das eine nichts mit dem anderen zu tun habe, aber das Gegenteil ist der Fall.

Nachdem in den letzten Wochen meist nur die Rede von der drohenden Insolvenz verschiedener Staaten der Eurozone war, rücken nun wieder die Banken ins Rampenlicht, die schon lange finanziell am Tropf der Regierungen hängen, aber gemeinhin so taten, als hingen im Gegenteil die Regierungen davon ab, daß die Banken weiterhin so gnädig sind, ihre Anleihen zu kaufen. Tatsächlich verhalten sich Regierungen und Banken wie Patrone, die mit leeren Taschen im Luxusrestaurant sitzen und sich gegenseitig die Rechnung zuschieben. Und wie das Beispiel JP Morgan Chase zeigt, geht es den amerikanischen Banken nicht besser.

Einer der Gründe für diese Lage ist, daß es dem transatlantischen Finanzsystem inzwischen immer schwerer fällt, sich Geld aus den Bereichen der Weltwirtschaft zu beschaffen, „wo noch etwas zu holen ist“, während die Investoren versuchen, ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Gleichzeitig geraten die „kleinen Leute“ und die produzierende Wirtschaft aufgrund der sich verschärfenden Wirtschaftskrise immer tiefer in die Kreide.

So berichtete das Wall Street Journal am 31. Mai, einige chinesische Banken hätten schon Ende 2011 damit begonnen, ihre Geschäfte mit europäischen Banken zu reduzieren. Dazu gehörten auch Staatsbanken wie die Industrial & Commercial Bank of China, die Bank of Communications und die Bank of China und betroffen seien von dieser neuen Politik u.a. die französischen Banken Société Générale, BNP Paribas und Crédit Agricole sowie die schweizerische UBS.

Allein im März flossen nach Angaben der spanischen Zentralbank mehr als 66 Mrd. Euro aus Spanien ab - und dies schon vor der unfreiwilligen Verstaatlichung der bankrotten Bankia-Gruppe. Spanien und Italien müssen inzwischen mehr als 6% Zinsen für ihre zehnjährigen Anleihen anbieten, um Käufer zu finden.

In Spanien steht dabei insbesondere die Sparkassengruppe Bankia im Mittelpunkt der Diskussion, die dringend Finanzspritzen benötigt. Wie aus Kreisen der spanischen Regierung verlautete, soll Premierminister Mariano Rajoy erwägen, direkt von der EZB Geld zu erbitten, um den Kollaps von Bankia zu verhindern. Die Regierung werde die Bank in den kommenden Tagen mit weiteren 14,5 Mrd. Euro stützen müssen, indem sie (faktisch wertlose) Titel der Bank übernimmt. Finanziert werden soll dies durch eine Sonderausgabe von Staatsanleihen, bei der die übernommenen Titel dann als Sicherheit bei der EZB verpfändet werden.

Der ESM kommt zu spät

Rajoy soll erklärt haben, er könne nicht auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) warten, der wahrscheinlich gar nicht, wie derzeit geplant, am 1. Juli seine Arbeit aufnehmen kann, weil er z.B. vom Bundestag noch nicht ratifiziert wurde. Aber Rajoy braucht diese Milliarden schon jetzt, und es kursieren Gerüchte, daß er sehr bald noch sehr viel mehr Milliarden brauchen dürfte, denn die akute Krise bei Bankia ist nur eine von etlichen erwarteten Pleiten im spanischen Bankensektor - und bei deren Gläubigerbanken außerhalb Spaniens. Und die wird er von eben jenen Banken nicht bekommen können, sondern nur von der EZB.

Diese propagiert inzwischen die Schaffung eines Bankenrettungsfonds für die 25 führenden „systemischen Banken“, der die Aufgaben der bisher zuständigen nationalen Einrichtungen übernehmen und einen Run auf diese Banken verhindern soll. Dies sei notwendig, weil die nationalen Behörden den tatsächlichen Kapitalbedarf der Banken unterschätzten, so daß es dann zu einer zweiten, dritten und vierten Schätzung komme, wie das Beispiel Dexia und Bankia gezeigt habe, erklärte EZB-Chef Mario Draghi am 31. Mai vor einem Ausschuß des Europäischen Parlaments - ohne zu erwähnen, daß es die EZB auch nicht besser gemacht hat. Und auch der neue Bankenrettungsfonds würde letztendlich nur als eine Gelddruckmaschine wirken, die die zugrundeliegenden Probleme der Wirtschaft nicht beheben kann.

Lage in Griechenland nicht besser

Unterdessen hat die EU nach langem hin und her 18 Milliarden Euro an die griechische Regierung transferiert, die von dieser umgehend an die vier größten Banken des Landes - die (private) Nationalbank, die Alpha-Bank, die Eurobank und die Piräus-Bank - weitergeleitet wurden. Damit werde „das erforderliche Mindestkapital dieser Banken wiederhergestellt und sichergestellt, daß sie Zugang zu den Liquiditätsgeldern der Europäischen Zentralbank und des Eurosystems haben. Die Banken haben nun ausreichende finanzielle Mittel, um die Realwirtschaft zu unterstützen.“ Tatsächlich dürfte der größte Teil des Geldes an die Gläubiger dieser Banken weitergeflossen sein.

Wie es in der griechischen Realwirtschaft ausschaut, mögen zwei Beispiele verdeutlichen. So steht das griechische Gesundheitssystem vor dem Kollaps, weil die Regierung weder die Ärzte noch die Medikamente bezahlt. Allein den Allgemeinärzten schuldet sie 620 Mio. Euro. Die Regierung weigert sich auch, über die Altschulden der auf Verlangen der Troika zur „Nationalen Organisation für die Leistung von Gesundheitsdiensten“ zwangsfusionierten Versicherungen gegenüber den privaten Partnern zu verhandeln, die sich auf 1,7 Mrd. Euro belaufen.

Aber auch die Strafgefangenen leiden unter der Finanzkrise des Staates, denn dem Strafvollzug fehlen offenbar die Mittel, eine angemessene Ernährung der Insassen sicherzustellen. Wie das griechische Nachrichtenportal Portothema berichtete, sind Hunderte von Sträflingen unterernährt, weil die Gefängnisverwaltungen nicht genug Geld haben, um ausreichend Nahrungsmittel zu beschaffen. Mitarbeiter des Gefängnisses von Korinth berichteten, die Lager seien leer und man habe bisher Notrationen aus einer nahegelegenen Kaserne erhalten, der inzwischen aber auch die Vorräte ausgehen. Da sich die Regierung bisher weigere, die Forderung der Gefängnisleitung nach ausreichenden Mitteln zu erfüllen, sei diese nun gezwungen, die Stadtverwaltung um Nothilfe zu bitten.

Eskalation um Syrien

Gleichzeitig scheint es den NATO-Regierungen gar nicht schnell genug gehen zu können, die jüngsten Massaker in Syrien als Vorwand für eine Militärintervention zum Sturz des Assad-Regimes zu nehmen. Inzwischen steht sogar schon die Drohung im Raum, zur Not auch ohne die Zustimmung der UN - sprich Rußlands und Chinas - militärische Maßnahmen zu ergreifen, wie es George W. Bush ja schon im Fall des Irak getan hatte. Auch in der Frage der Raketenabwehrsysteme in Europa prescht die NATO weiter voran.

In Rußland hat man offenbar verstanden, daß es sich bei der Eskalation dieser Ereignisse in verschiedenen Spannungsfeldern nicht um isolierte Erscheinungen handelt, sondern ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Im Online-Magazin des englischsprachigen, staatlich finanzierten russischen Fernsehsenders Russia Today erschien am 31. Mai ein Artikel unter der Überschrift „Bereiten die USA einen umfassenden Nahost-Konflikt vor?“ Gleich im ersten Satz stellen die Autoren die Frage: „Deuten die Unnachgiebigkeit der USA in der Frage der europäischen Raketenabwehr, das zunehmende Chaos in Syrien und der Mangel an Fortschritten bei der Beilegung der Auseinandersetzung mit dem Iran auf einen möglichen umfassenden Gewaltausbruch im gesamten Nahen Osten hin?“

In dem Artikel wird zunächst auf die große Enttäuschung in Moskau über Obama hingewiesen. Viele hätten geglaubt, mit Obama würde wirklich eine andere Politik im Weißen Haus einziehen, und es würde zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Rußland kommen. „Aber es scheint nicht weit hergeholt zu sein, wenn man vermutet, daß Barack Obama auf die Weltbühne gebracht wurde, um Amerikas Außenpolitik, die unter Bush einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren hatte, eine neue Verpackung zu geben. Ironischerweise muß man im Nachhinein feststellen, daß sich Obama als weit gefährlicher als sein rücksichtsloser Vorgänger erwiesen hat.“

Dann zieht Russia Today den Bogen zu den Vorgängen im Nahen Osten. Amerika scheine sich, wie vor dem Angriff auf den Irak 2003, auf einen militärischen Schritt gegen Syrien vorzubereiten, insbesondere nach dem schrecklichen Massaker in Hula. Amerikas Verhalten entspreche aber nicht dem eines unparteilichen, objektiven Beobachters, es verhalte sich vielmehr wie ein interessierter Dritter, der viel zu gewinnen habe, wenn es zu einem Sturz der syrischen Regierung komme. Falls Israel einen Angriff auf den Iran starte, sei nämlich zu erwarten, daß Syrien den Iranern in der einen oder anderen Weise zu Hilfe kommen werde. „Falls es nun zu einem Krieg gegen Syrien komme, würde dies weit weniger wahrscheinlich, und Israels Flanke im Fall eines Krieges wäre gedeckt.“

Der Artikel schließt: „Wenn man die Lage im Nahen Osten daraufhin betrachtet, was die Summe ihrer Teile ist, zu denen auch die Raketenabwehrsysteme vor dem Zaun zum russischen Hinterhof gehören, dann sieht es so aus, als arbeiteten die USA, Israel und die NATO hart auf eine umfassende militärische Offensive im Nahen Osten hin. Schließlich weiß man ja nicht, beispielsweise im Fall eines Krieges im Iran, wie sich die Dinge entwickeln.

Es bestünde eine große Wahrscheinlichkeit, daß nicht nur Syrien, sondern auch die Hisbollah im Libanon sich beteiligen würden, ganz zu schweigen von den Palästinensern. Auch wenn es unmöglich wäre, die Dominowirkung vorherzusagen, die im Fall einer solchen Entwicklung im schon jetzt unruhigen Nahen Osten eintreten könnte, mag das jedoch erklären, warum Uncle Sam so versessen darauf ist, ein Raketenabwehrsystem in Europa zu installieren.“

Das System ändern, um den Krieg abzuwenden

Was Russia Today in seinem Bericht nicht anspricht, ist die Frage, was Obama und seine Hintermänner im Britischen Empire dazu treibt, ihr Heil in solchen kriegerischen Auseinandersetzungen zu suchen. Diese Frage ist leicht zu beantworten. Der Drang zum Krieg ist in Wirklichkeit eine Flucht nach vorn, denn das ganze britisch gesteuerte Finanzempire steht, wie wir oben bereits beleuchtet haben, vor seinem Zusammenbruch, und je näher dieser Zusammenbruch kommt, desto größer wird der Drang zum Krieg. Je länger Europa am gescheiterten Euro-Experiment festhält, desto größer wird die Gefahr, daß es mit ihm untergeht - entweder durch die wirtschaftlichen Folgen dieses Festhaltens am Euro, oder durch die militärischen Konflikte, die sich daraus ergeben.

Die einzige Möglichkeit für die Bekämpfung der Kriegsgefahr ist daher, den Zusammenbruch des Systems nicht länger abzuwarten, sondern ihm zuvorzukommen und das bankrotte System geordnet aus der Welt zu schaffen, indem man die Banksparten wie früher im amerikanischen Glass-Steagall-System voneinander trennt, die staatlichen Garantien auf die normalen Kundengelder und -kredite beschränkt und die Banken zwingt, die faulen Spekulationen abzuschreiben. Dann kann man zu einem System souveräner Nationalstaaten mit jeweils eigenen Kreditsystemen zurückkehren, die zusammen durch große Infrastrukturprojekte auf die gemeinsamen Ziele der Menschheit hinarbeiten und sich gegenseitig in der Weiterentwicklung ihrer Volkswirtschaften unterstützen - so, wie es de Gaulle und Adenauer vorschwebte.

            Alexander Hartmann

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