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Neue Solidarität
Nr. 15, 11. April 2012

Grundgesetz und US-Verfassung in Gefahr -
Widerstand gegen Diktatur wächst

Von Helga Zepp-LaRouche

Präsident Obamas Angriffe auf den U.S. Supreme Court und der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sind das Menetekel einer Diktatur der Finanzoligarchie. Doch der Wind einer kommenden Veränderung ist zu spüren. Und für die Alternative eines produktionsorientierten Kreditsystems ist es nicht zu spät.

Die Verfassungsmäßigkeit der politischen Systeme in den USA und den europäischen Staaten ist in höchster Gefahr. Präsident Obama läßt keinen Zweifel daran, daß er der langen Liste seiner Verfassungsbrüche und wiederholten Umgehungen des Kongresses einen weiteren hinzufügen will, indem er das Recht des Obersten Gerichtshofes bestreitet, vom Kongreß verabschiedete Gesetze aus verfassungsrechtlichen Gründen zurückzuweisen. In Europa gibt es eine parallele Entwicklung: Der Versuch der EU und der meisten Regierungen, den Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit diktatorischen Befugnissen auszustatten, bedeutet, daß die transatlantische oligarchische Elite entschlossen ist, auch den letzten Anschein von Demokratie und Verfassungsmäßigkeit aufzugeben.

Präsident Obama hatte am 30. März auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kanadischen Premierminister und dem Präsidenten Mexikos geäußert, er erwarte nicht, daß der Oberste Gerichtshof - laut Obama eine „Gruppe nicht-gewählter Personen“ - ein von der Mehrheit eines demokratisch gewählten Kongresses verabschiedetes Gesetz kippen würde. Das ist so, als würde Bundeskanzlerin Merkel den Karlsruher Verfassungsrichtern das Recht absprechen, vom Bundestag verabschiedete Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. In den USA ist darüber ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen. Man hat dort verstanden, daß dies einem Putsch gegen die amerikanische Verfassung gleichkommt.

Um dem noch eins draufzusetzen, unterstrich US-Justizminister Eric Holder in einem Schreiben an das 5. Bundesberufungsgericht vom 5. April mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit von Abstimmungsergebnissen des Kongresses diesen Anspruch und behauptete, daß diese Abstimmungen „vermutlich“ verfassungsgemäß seien, daß also gewissermaßen das Ergebnis selbst Grund für die Annahme der Verfassungsmäßigkeit sei. Am selben Tag verteidigte Holder in einer Rede an der Northwestern University Law School das Gesetz, das gezielte Tötungen von Amerikanern ohne gerichtliches Verfahren ermöglicht.

Damit stellt die Obama-Administration die von den amerikanischen Gründervätern eingerichtete Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative in Frage. Der konkrete Kontext ist die Möglichkeit, daß der Oberste Gerichtshof der USA Obamas Gesundheitsreform, die ganze Bevölkerungsschichten von notwendigen Behandlungen ausschließt, als verfassungswidrig umstoßen könnte.

Obamas Angriff auf den Supreme Court hat eine Welle schärfster Kritik ausgelöst. Der republikanische Minderheitsführer im Senat, Mitch McConell, forderte Obama auf, sich zurückzuhalten. „Der Präsident hat diese Woche eine gefährliche Linie überschritten“, betonte McConell. „Jeder, dem die Freiheit etwas bedeutet, muß ihn zur Rechenschaft ziehen. Die Unabhängigkeit des Gerichtes muß verteidigt werden.“

Ein Kommentar im Investor’s Business Daily verwies auf die Ironie von Obamas Bemerkungen, da dieser selber versuche, die USA ohne den Kongreß zu regieren: „Wie können Sie sich über die Macht nicht gewählter Richter erregen, wenn Sie selbst 45 nicht gewählte Zaren (Sonderbeauftragte) ernannt, eine Unmenge von Agenturen ins Leben gerufen haben, die von nicht gewählten Bürokraten bevölkert sind, und Sie den Willen des Kongresses und der Gerichte hintertrieben haben, indem sie durch Dekrete und Präsidialverfügungen regieren?“

Der Grund hierfür ist offensichtlich: Für eine Diktatur ist die Gewaltenteilung hinderlich. Es ist zu erwarten, daß die Verfassungsrichter, die auf Lebenszeit ernannt werden, diesem Angriff auf ihre in der Verfassung vorgesehene Funktion nicht unbeantwortet lassen werden. Lyndon LaRouche wiederholte seine Forderung, daß nur ein umgehendes Amtsenthebungsverfahren für Obama eine Katastrophe verhindern könne.

Der ESM ist eine Diktatur

Auch wenn die Umstände und die Thematik um den Fiskalvertrag und den ESM, also den permanenten europäischen Rettungsfonds, etwas anders gelagert sind, geht es in Europa letztlich um das gleiche: um die Ausschaltung der Demokratie und des parlamentarischen Prozesses und die Einführung einer supranationalen Diktatur, die den Bürgern keinerlei Rechenschaft mehr verpflichtet ist. Wenn der ESM erst einmal ratifiziert ist, ist Deutschland endgültig unter die Räuber gefallen. Der Gouverneursrat, der sich aus den EU-Finanzministern zusammensetzt, die wiederum alle Kompetenzen einem Direktorium übertragen können, könnte jederzeit unbegrenzt auf die deutschen Staatsfinanzen zugreifen. Es wird dann keinerlei demokratische Kontrolle mehr geben, es gibt keine Veröffentlichungspflichten, Entscheidungen werden im Geheimen getroffen, allen Beteiligten wird vollkommene Immunität zugesichert, sie können am Primär- und Sekundärmarkt operieren, Darlehen, Kredite, Aktien, Staatsanleihen, Immobilien, Goldbestände, Warentermingeschäfte handhaben, die Höhe ihrer Gehälter wird geheim bleiben. Kurz, die dann de facto existierende supranationale Regierung und ein europäischer Super-Mega-Hedgefonds werden in eins verschmelzen. Art. 21 des ESM-Statuts besagt, daß in der Zukunft auch Eurobonds, also eine Vergemeinschaftung der neuen Euro-Schulden, ohne weitere Vertragsänderung ausgegeben werden können. Und dies bedeutet, wie das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Ottmar Issing kürzlich richtigerweise feststellte: Enteignung, Inflation und völliger Souveränitätsverlust.

Die Machtfülle dieses Gebildes ESM in Verbindung mit der Fiskalunion, die keine Kündigungsmöglichkeit vorsieht, bedeutete praktisch eine Rückkehr zu feudalen Strukturen. Die Finanzelite und ihre politischen Handlanger verfügten dann über eine unangreifbare Herrschaftsstruktur; während die Bevölkerung geschröpft wird und relativ ahnungslos bleiben soll. Alle Errungenschaften des souveränen Nationalstaates, wie zum Beispiel das repräsentative parlamentarische System und die dadurch gegebene Möglichkeit der Teilhabe der Bürger an der Regierung, werden über Bord geworfen.

Widerstand ist unaufschiebbar

Noch ist es nicht zu spät. Immer mehr Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Staatsrechtler, Bürgerinitiativen etc. mobilisieren gegen den drohenden Verlust demokratischer Freiheit und die vollkommene wirtschaftliche Inkompetenz des EMS.

An diesem Fall läßt sich aber auch exemplarisch demonstrieren, wie falsch es ist, erst auf gegebene Tatsachen zu reagieren; in diesem Fall auf den vorgelegten Plan des ESM. Denn die Intention, die EU in ein Empire, als eine Diktatur mit der größtmöglichen Ausdehnung (Robert Cooper) zu verwandeln, existierte bereits in den Köpfen von Margaret Thatcher und François Mitterrand spätestens seit dem Fall der Mauer.

Da die Kombination von Fiskalunion und ESM praktisch das Ende der nationalen Souveränität und die Etablierung eines europäischen Bundesstaates bedeutet, ist für diese Verfassungsänderung eine Volksabstimmung nach Art. 146 des Grundgesetzes erforderlich. Das akute Problem besteht allerdings darin, daß es für diese Eventualität keine eindeutige gesetzliche Regelung gibt; es ist zum Beispiel unklar, welche Instanz das Recht hat, eine Volksabstimmung in Gang zu setzen, etwa der Bundestag oder ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung oder eine Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel.

Eine Entscheidung in dieser Frage ist von höchster Dringlichkeit, sie muß vor der Verabschiedung des Monstrums ESM geklärt werden. Sie ist auch deshalb überlebenswichtig, weil die Folgen der jetzigen EU-Politik ein europäisches Land nach dem anderen in den Ruin stürzen. Der Selbstmord eines 77jährigen Rentners aus Protest gegen die brutale und zerstörerische Sparpolitik der EU in Griechenland ist bereits zum Fanal für eine breite Widerstandsbewegung im ganzen Land geworden. Und in Spanien lauteten die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse nach den jüngsten Haushaltskürzungen der Regierung: „Spanien ist tot!“ In Italien und Portugal folgt ein Generalstreik dem anderen. Ist das das Europa, das wir wollen?

Alternative Kreditsystem

Der einzige Weg, wie ein Absturz in Diktatur, Depression und einen daraus entstehenden Krieg verhindert werden kann, liegt in einer sofortigen Volksabstimmung über die Europäische Währungsunion, in der Rückkehr zur Souveränität über die eigene Währung und Wirtschaft, in der Einführung eines Trennbankensystems in der Tradition des Glass-Steagall-Standards von US-Präsident Roosevelt und der Einführung eines Kreditsystems, das ausschließlich an Investitionen in die Realwirtschaft orientiert ist.

Ich habe bereits im November letzten Jahres davor gewarnt, daß die Entwicklungen im Nahen Osten, die Debatte in Israel über einen Präventivschlag gegen die iranischen Atomanlagen und der gigantische Militäraufmarsch amerikanischer, britischer, kanadischer und französischer Streitkräfte im Indischen Ozean, im Golf und im östlichen Mittelmeer die unmittelbare Gefahr einer Eskalation zum Dritten Weltkrieg bedeuten. Mit reichlicher Verzögerung forderte dann Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, eine öffentliche Debatte über die Implikationen von Frau Merkels Rede vor der Knesset im Jahre 2008, in der sie die Verteidigung Israels zur Staatsräson Deutschlands erklärt hatte. Bisher gab es Reaktionen auf diese versprochene Nibelungentreue, die Deutschland zur Geisel der Politik der jetzigen israelischen Regierung macht und damit bedeutet, daß Deutschland in einen Krieg zwischen Israel und dem Iran hineingezogen würde, nur in informierten Kreisen von Militärs und Diplomaten.

Durch das Prosagedicht von Günter Grass ist die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden dritten Weltkrieges mit einem Paukenschlag in die breite Öffentlichkeit gebracht worden. Die Diskrepanz zwischen den Massenmedien, die sich größtenteils nur über die angebliche Ungeheuerlichkeit von Grass’ Tabubruch erregen, und den Stimmen besorgter Bürger, die mit Günter Grass die Gefahr eines dritten Weltkriegs sehen, war noch nie offensichtlicher. Zu beiden existentiellen Themen, der Gefahr von Diktatur in Europa und der Gefahr eines neuen Weltkrieges, beginnt sich ein neuer Widerstand zu formieren. Der Wind einer kommenden Veränderung ist zu spüren.

Es drängen sich Erinnerungen an den Spätsommer 1989 auf. Auch damals pochten die Betonköpfe eines untergehenden Systems auf den Ewigkeitscharakter ihres Systems (O-Ton Erich Honecker: Der Sozialismus wird noch in 1000 Jahren bestehen). Heute wird der hoffnungslose Versuch, das untergehende Eurosystem mit der Zwangsjacke ESM/ Fiskalunion auf ewig und unkündbar festzuschreiben, voraussichtlich eine ähnlich lange Lebensdauer haben wie das DDR-Regime damals. Es wird alles darauf ankommen, rechtzeitig ein wirtschaftliches System zu etablieren, das von den inhärenten Fehlern des Kommunismus wie des Monetarismus befreit ist. Diese Alternative existiert mit der physischen Ökonomie, die immer die Grundlage war, wenn es in den letzten 300 Jahren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fortschritt gegeben hat.

Helfen Sie mit, diese Alternative durchzusetzen!