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Neue Solidarität
Nr. 13, 30. März 2011

Konzept und Vision

Von Jacques Cheminade

Jacques Cheminade, Kandidat der Solidarité et Progrès für die französische Präsidentschaftswahl 2012, veröffentlichte die folgende Erklärung zum Ergebnis der Kantonalwahlen.

Der Erfolg unserer Nation „kann nur das Resultat einer gemeinsamen Mobilisierung sein, die durch ein Konzept und eine Vision geleitet wird, deren Werte und Erwartungen es verdienen, daß jeder für sie kämpft“. Das waren die Worte von Jean Paul Delevoye, seit sechs Jahren Ombudsmann der Republik,1 in seinem letzten Jahresbericht. Zum zweiten Mal warnt ein Mann, der weder Dissident ist noch sich in Polemiken ergeht, die Verantwortlichen unseres Landes: „Die entscheidenden Herausforderungen der Zukunft finden keine politische Antwort, die ihrer Bedeutung angemessen wäre. Die Diskussion wird durch Getue untergraben, und die zu verteidigenden Anliegen werden von wahltaktischen Erwägungen verdrängt... Wir müssen den Kampf um wirkliche Anliegen wiederentdecken, stattdessen denken wir alle an die Verteidigung unserer Interessen und Bequemlichkeit... Unsere Gesellschaften werden von drei wichtigen Emotionen regiert: Angst, Hoffnung und Erniedrigung; die Hoffnungen sind gegenwärtig ohne Inhalt, und während die Rechte versucht, die Angst zu regeln, liebt die Linke es, sich der Erniedrigung hinzugeben.“

Die erste Runde der Kantonalwahlen am vergangenen Sonntag mit Rekordzahlen bei der Wahlenthaltung und einem Durchbruch für die Front National zeigen die „Ermüdung“ der Gesellschaft. Die Wahlenthaltung in den städtischen Zentren Frankreichs lag tatsächlich bei 55,7 % und wurde somit zur führenden „Partei“ des Landes. Die Wahlverweigerer fanden sich bei der Jugend zwischen 18 und 24 Jahren (76% Enthaltung), den 25-35jährigen (72%), den 35-44jährigen (61%), bei Angestellten (63%) und Arbeitern (67%). Der Teil der Bevölkerung, der leidet und zweifelt, die ungefähr 10 Mio. Menschen, die von weniger als 950 Euro im Monat leben, die vier von zehn Franzosen, die glauben, daß sie in den kommenden Jahren arbeitslos werden, die 15 Millionen, für die 50 bis 100 Euro am Monatsende überlebenswichtig sind: das sind diejenigen, die immer weniger zur Wahl gehen. Die gerade noch zur „Mittelklasse“ gehörigen, die stark unter dem Anstieg der Preise leiden, haben die Nase voll von einer Politik, die nicht für sie gemacht wurde, und diese Lage ist sogar noch schlimmer in den „heiklen Gebieten“, wie sie in Meinungsumfragen genannt werden, wo die Wahlenthaltung bei 70 oder sogar 80 Prozent liegt.

Die Stimmen für die Front National sind demnach entweder der Ausdruck von Angst oder der Rache gegen Andere. In Gebieten mit aktiven Kandidaten lag ihr Stimmenanteil bei 20%.

Die Krankheit sitzt tief. Doch diejenigen, die diese Lage herbeigeführt haben, auf der Rechten wie auf der Linken - denn sie haben seit langer Zeit die Dinge für einen „LePenismus“ beeinflußt -, fordern jetzt eine „nützliche“ Stimmabgabe, ohne auch nur ein Jota ihres Verhaltens zu ändern. Das ist der eigentliche Skandal.

Die Linke berücksichtigte nicht die wirtschaftliche Notlage der einkommensschwachen Schichten, d.h. jener, die den Großteil der französischen Bevölkerung ausmachen, und die Rechte spielte ohne Hemmungen die Karte der finanziellen Globalisierung, in der „schrillen“ Version Sarkozys oder der nüchterneren, provinziellen Art, wie sie von François Fillon und Alain Juppé verkörpert wird.

Keine von beiden Seiten hat ein Konzept oder eine Vision. Der Linken ist das mehr vorzuhalten, denn eigentlich wäre das ihre Aufgabe gewesen. Wenn der Martine Aubry [Vorsitzende der Sozialistischen Partei] nahestehende Michel Wievorkia die „kommende Linke“ mit Barack Obama identifiziert, in dem Versuch, eine soziale Haltung mit dessen Gesundheitsreform und der „grünen Wirtschaft“ zu kombinieren, dann kann man über das, was von dieser Seite auf uns zukommt, nur schockiert sein: grüne Austerität inmitten einer Weltkrise.

Diese Lage rechtfertigt meine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen. Der von Sarkozy und Merkel inspirierte Pakt für den Euro ist ein menschliches Desaster, und der bonapartistische Chauvinismus der Front National nur die andere Seite derselben Medaille. Mit dem Auseinanderfallen des Weltfinanzsystems stehen wir vor einer großen Herausforderung und wir brauchen eine Stimme, die zu kompromißlosen, von Konzept und Vision inspirierten Entscheidungen bereit ist.

Deshalb sollten wir die wirklichen Herausforderungen angehen und die schöpferischen Käfte der Menschen mobilisieren, um einen Aufstand der Hoffnung zu schaffen.


Anmerkung

1. Die Position des Ombudsmanns („Médiateur“) der Republik wurde geschaffen, um bei Problemen zwischen Bürgern und Verwaltung zu vermitteln. In seiner Karriere als Bürgermeister, Senator und Vorsitzender der Vereinigung französicher Bürgermeister gehörte Jean Pierre Delevoye immer der Partei an, die heute als UMP bekannt ist.