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Neue Solidarität
Nr. 9, 3. März 2010

Kultur und Gemeinsamkeit in Bielefeld

BüSo-Kandidaten stellen sich vor. - Lydia Makhloufi tritt bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Wahlkreis 92 - Bielefeld I für die BüSo an.

Guten Tag, ich bin Lydia Makhloufi, 35 Jahre alt, gelernte Steuerfachangestellte, geschieden. Seit fünfeinhalb Jahren bin ich Mitglied der BüSo.

Innerhalb dieser fünfeinhalb Jahre ist es nun das zweite Mal, daß ich mich für Wahlen zur Verfügung stelle. Die Gründe dafür, von denen ich im folgenden einige nenne, sind zahlreich, und sie haben alle ihre Ursache in der verfehlten Wirtschafts­politik der letzten vierzig Jahre, die jetzt gerade in der Zusammenbruchskrise der globalisierten Weltwirtschaft ihren Höhepunkt findet:

1. Die Globalisierung reißt Familien aus­einander. Die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, wo Menschen teilwei­se für einen Euro am Tag arbeiten müssen, hat in Deutschland schon so viele Arbeitsplätze vernichtet, sodaß man es für üblich hält - ja, schon fast als Pflicht betrachtet -, wie ein Nomade hinter den schwindenden und immer schlechter bezahlten Arbeits­möglich­keiten her kreuz und quer durch die Republik zu laufen oder gar ins Ausland zu ziehen. Freundeskreis und Familie, das soziale Netz, das den einzelnen hält, zählen nicht mehr.

Damit werden Ehen und Fami­lien zerrissen, Menschen leiden unter Ein­samkeit, chronischem Streß, Depres­sionen u. ä. Kinder wachsen bei einem allein erziehenden Elternteil auf, das ihnen trotz redlicher Mühen die nötige Gebor­genheit kaum noch geben kann. Und zum anderen verwai­sen die Städte regel­recht: Denn welche Beziehung soll man schon zu einer Stadt aufbauen, die doch nichts weiter ist als ein mehr oder we­ni­ger kurzer Aufenthalt zwecks Brot­erwerb?

2. Unterfinanzierung der Städte und der Län­der. Dies sowie die Kahlschlagspolitik der industrie­feindlichen „Dienstleistungs­gesell­schaft“ haben zum einen dahin geführt, daß die Kaufkraft der Bevölkerung und die Gewerbe­steuern, die Unternehmen zu leisten haben, kontinuierlich gesunken sind. Die Städte bieten nicht nur weniger Arbeitsmöglichkeiten als noch vor Jahr­zehnten, auch die kommunale Infrastruktur verkommt zusehends, also Frischwasserversorgung und  Abwasserkanalisation, die Verkehrswege, Kindertageseinrichtungen, Schu­len und Bibliotheken. Der Anteil der öffentlichen Krankenhäuser an den Krankenhäusern insgesamt nahm von 2006 auf 2007 um 6% ab, bei den frei-gemeinnützig finanzierten um 2%. Der Anteil der Privatkliniken nahm dagegen um 6% zu.1 Die privaten Träger, wie z. B. die Rhön-Kliniken AG, nutzen das Defizit der Krankenhäuser und die knappe Haushalts­lage der betreffenden Bundes­län­der für ihre Übernahmeaktionen aus. Vor allem betrifft dies die östlichen Bundes­länder, die man nach der friedlichen Revo­lu­tion von 1989 hat ausbluten lassen, aber auch hier in NRW sind schon Klinik-Stand­orte in die Hand solcher börsen­notierten Gesundheitskonzer­ne überge­gangen. Das Er­geb­nis ist eine Drei-Klassen-Medizin, in der bestimmte Krebsbe­handlungen nicht mehr von den Kassen übernommen werden, in der also Menschen­leben ganz bewußt einer Politik der Kosten­einsparung geopfert werden.

Ein anderer, aber damit zusammenhängender Bereich ist der Abbau der Industrie. Bielefeld, wo ich als Direktkandidatin an­tre­te, war einst der fünftgrößte Maschinen­bau­standort Deutschlands. Besonders die Textil­produktion war hier stark vertreten, und des­halb war auch der dazugehörige Sonderma­schinenbau hier ansässig. Heute ist Bielefeld weitgehend deindustrialisiert und steht unter dem Nothaushaltsrecht nach §§ 81, 82 GO NRW, was zur Folge hat, daß um jedes pre­käre Investitions­projekt mit der vorgesetzten Behör­de gerungen werden muß. Die vorge­setz­ten Behörden in Regierungs­bezirk und Land wie­der­um stehen selbst bis zum Kra­gen in der Kreide und müssen sich ihre Fi­nanzpolitik von ih­ren Gläubiger­ban­ken vorschreiben lassen.

Und, was noch schwerer wiegt: Unter der Weltwirtschaftskrise und der völlig inkom­pe­tenten Herangehensweise der etablierten Par­teien droht sich das Szenario noch weiter zu verschärfen. Spekulanten, die sich durch ihre unverantwortlichen Metho­den an den Rand des Bankrotts gespielt haben, erhalten Rettungs­pakete aus der Staatskasse. Die Ausgaben dafür belaufen sich weltweit inzwischen auf mehr als 25 Bio. US-Dollar und haben hier in Deutschland ein Loch von 310 Mrd. Euro in den Staatshaushalt gerissen.

Statt aber nun die Derivatspekulation als Ursache des Übels klar zu benennen und aus der Welt zu schaffen, versucht man, durch Ein­sparungen das Haus­halts­loch wieder zu stopfen. Das aber wird nicht möglich sein, denn die Banken speku­lie­ren mit den erhaltenen Steuergeldern munter weiter, die Gefahr neuer Crashs ist bereits vorprogrammiert, und selbst wenn man die gesamte Weltbe­völkerung dafür verhungern lassen wollte: das BIP der ganzen Welt würde doch nur ausreichen, um einen Bruch­teil der Derivat­schulden zu begleichen. Derzeit leiden be­reits 1,3 Mrd. Menschen weltweit an Hunger und eine weitere Milliarde lebt im Elend, obwohl die Mit­tel durchaus vorhanden sind, allen Men­schen auf diesem Planeten ein menschen­wür­diges Dasein zu sichern.

Noch beugen sich die Staaten dem Druck der Banken. Genau die Banken, welche die Krise verschuldet haben, maßen sich jetzt an, de­mo­kratisch gewählte Regie­rungen zu erpressen und geben vor, die­se Krise mit denselben Methoden beheben zu können, mit denen sie uns in sie hineingeführt ha­ben. Sie sind es, die den Re­gie­rungen die besagte Einspar­politik diktieren. Sie wollen, daß die Kosten der Krise dem Volk auferlegt werden.

Doch souveränes staatliches Handeln im Sinne des Gemeinwohls erfordert, dieser unverschämten Erpressung Paroli zu bieten und eine gänzlich neue Politik zu begin­nen.

3. Warum trete ich an? NRW war einst das Herz­­stück der Industriegesellschaft Eu­ropas. Hier liegt das Ruhrgebiet, der größte zusam­menhängende Ballungsraum Deutsch­­lands. Auch Bielefeld und Ostwestfalen-Lippe können und sollen in einer globalen Vision ihren Teil für eine bes­sere Zukunft der gesamten Menschheit bei­tragen:

Ich trete an, weil ich die Eurasische Landbrücke be­fürworte. Durch ca. 100 km breite Infrastruktur-Korridore sollen die Bevöl­ke­rungs- und Industriezentren der europäi­schen Nationen mit den asiatischen verbunden werden. Ruß­land und China sind im Oktober 2009 bereits einige sehr begrüßenswerte Schritte in diese Rich­tung gegangen. Deutschland sollte sich dem anschlie­ßen. Ich bin dafür, alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern in Deutschland per Transrapid miteinander zu verbinden. Insbesondere sollten tradi­tions­reiche alte Industriestandorte wie das Ruhrgebiet, Bielefeld, Stuttgart und Berlin miteinander verbunden werden. Mittel- bis langfristig bietet das auch die wunderbare Gelegen­heit, unsere freund­schaftlichen diploma­tischen und wirt­schaft­­lichen Beziehungen zu allen unse­ren Nachbarländern in Euro­pa auszu­bauen.

Innerhalb der Städte bieten sich Rail­Cabs, die an der Uni-GH Pader­born ent­wickelt wurden, für den ÖPNV und Car­goCaps (eine Art unterir­di­scher Rohr­post) für den Frachtverkehr an. Beide funktio­nieren auf der Basis der Supra­leiter-Technik, sind also um­welt­schonend und könnten so unsere Innenstädte und unsere Straßen vom Verkehrschaos ent­la­sten. RailCabs können auch überre­gional anstelle des Transrapid eingesetzt werden. Das würde es ermöglichen, di­rekt von zu Hause aus, ohne umzu­stei­gen, ein weiter entferntes Ziel zu errei­chen.

Apropos Europa: Ein Maastrichter Spar­korsett, das Investitionen verbietet, eine Kommission in Brüssel, die die Libera­lisierung der Märkte vorantreibt, was nur einigen Privilegierten zugute­kommt oder gar eine Zwangsmilita­risierung Europas unter dem Lissabon­ner Vertrag brauchen wir für unsere Zukunft nicht. Im Gegen­teil: Sie sind absolut hinderlich. Das wird auch bei den derzeitigen Querelen um Grie­chenland, Island und andere arme Nationen in der EU deutlich, denen eine brutale Sparpolitik aufgenötigt werden soll, um britische und holländische Banken auszuzahlen.

Das Europa, für das ich mich einsetze, muß die Souveränität seiner Mitglieds­länder achten und den Mit­glieds­ländern helfen, so in ihre Infra­struktur und Indu­strie zu inve­stieren, wie das Gemeinwohl der Bevölkerung es erfordert. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen, daß Deutsch­land aus den Verträgen von Am­sterdam, Nizza, Maastricht und Lissa­bon austritt und die DM wieder einführt. Fer­ner werde ich andere Nationen anregen, es Deutschland gleichzutun.

Die Bundes­bank oder die KfW sollten zur Natio­nal­bank umgewandelt wer­den. Denn nur, wenn der Staat von Kre­dit­ge­bern unabhängig ist, kann er seine Wirt­schafts- und Finanz­politik souve­rän selbst bestimmen. Und nur dann kann eine Regierung wirklich für ihre Bevölkerung da sein. Eine Re­gierung, die nicht für die Bevöl­ke­rung da ist, sondern sich zur Hand­langerin fremder Finanzinteres­sen macht, ver­liert dagegen all ihre Glaub­würdigkeit und Legitimität.

Wir haben den Fehler gemacht, uns zu sehr auf bloß monetäre Werte zu fixie­ren. Die EU, wie sie derzeit existiert, die ihre Mitgliedsländer - und erst recht Bundesländer wie NRW - zu bloßen Regionen herabwürdigt, ist ein Pro­dukt dieser Denkweise. Der Mensch wird heutzutage nur noch als Kosten­verursacher und Umweltver­schmutzer gesehen.

Dem setze ich die Vision eines Europa entgegen, in dem der einzelne Mit­glieds­staat und in ihm das einzelne Bundesland seine vorteilhafte geogra­phische Lage und sein historisches Gewachsen-Sein nut­­zen kann, um aktiv seinen Teil zur ge­meinsamen Zukunft aller Menschen bei­zu­tragen. Das heißt für NRW, daß es wieder das Herzstück der europäischen In­dustrie und das Tor für Deutschlands Wirtschaftsbeziehun­gen zu seinen west­lichen Nachbarn werden muß.

Und ebenso brauchen wir wieder eine Kultur, die dem einzelnen Menschen die Mög­lichkeit bietet, sich auf denk­bar höch­ster Ebene selbst zu verwirk­li­chen: nicht auf Kosten der anderen, sondern mit ihnen und für sie.

Die Menschheit braucht wieder große gemeinsame Ziele, die den technolo­gi­schen Optimismus, den Wissen­schafts­geist und den Gemeinsinn aufs neue ent­fachen. Ein Projekt zur Erforschung des Weltraums wäre dafür das richtige. Dabei sollte auch NRW seine Rolle spielen. Ich setze mich dafür ein, daß in NRW wieder Kernreaktoren gebaut wer­den, daß die Erforschung von Kern­fusion, Supraleiter-Technik, Na­no-Tech­nologie und Materie-Antimaterie-Reaktionen mit Ehrgeiz voran­getrieben wird. Ich werde mich eigens dafür einsetzen, daß hierzu ein For­schungszentrum für Weltraum­for­schung in NRW neu errichtet und mit einem groß­zügigen Etat aus­gestattet wird. Außer­dem werde ich ein interna­tio­na­les Netz­werk von Wissen­­schaftlern um dieses Forschungs­zen­trum herum ins Leben rufen. NRW sollte auch am zivilen Flugzeug- und Raketenbau wieder aktiv mitwirken.

Statt das Thema Integration zu proble­matisieren, setze ich mich dafür ein, die Menschen um  groß an­gelegte Infrastruktur- und For­schungs­projekte herum zusammen­zubringen. Den Wissenschaften und sowohl der deutschen Spra­che, Kunst und Kul­tur als auch denjenigen der einge­wan­derten Men­schen muß vermehrte Auf­merk­samkeit gewidmet werden. Dazu bietet sich ne­ben naturwissenschaftlich-techni­schen For­schungsarbeiten die beson­dere För­derung von Thea­tergruppen, Dich­terwett­be­wer­ben und Schüleraus­tau­sch sowie des Lernens von Fremd­sprachen an.

Geschichtliche Erfahrungen wie etwa die hervorragende Zusam­menarbeit von Christen, Juden und Muslimen im maurischen Spanien oder auch das Aufblühen Europas im Gefolge der jüdischen Renaissance des 18. Jhds. und der anschließenden Weimarer Klas­sik können dabei einen wichtigen Vorbildcharakter haben.

[1] Quelle: Statistik-Foliensatz der DKG, 2006/2007, Folie 4.