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Finanzkrise. In Irland wächst der Widerstand gegen das Bankenrettungsabkommen der Regierung mit der EU und dem IWF. Aber auch kein anderes Land ist in der Lage, den „Bailout“ zu schultern.
Wenn die Vertreter der EU, der EZB und des IWF geglaubt haben, sie hätten die Probleme der Banken erst einmal gelöst, indem sie die irische Regierung zwangen, für die Schulden der irischen Banken einzustehen, dann haben sie sich getäuscht. Denn es steht keineswegs fest, daß dieses Zugeständnis der irischen Regierung die derzeitigen Verhandlungen des irischen Parlaments über den Haushalt und die bevorstehenden Neuwahlen überlebt, und selbst wenn dies der Fall wäre, würde Irlands Wirtschaft keineswegs in der Lage sein, die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen. Und das irische Zugeständnis sagt auch nicht das geringste darüber aus, ob es nicht Portugal, Spanien, Italien, Belgien oder gar Frankreich schon sehr bald genauso ergeht wie Griechenland und Irland.
Andererseits könnte eine Rebellion der irischen Wähler gegen das Spar- und Bankenrettungspaket eine Kettenreaktion in Europa auslösen, in der das System des Euro und der EU ebenso schnell in sich zusammenbricht wie der Kommunismus 1989.
Kevin O’Rourke, Professor am Trinity College in Dublin, veröffentlichte am 2. Dezember einen Artikel für Eurointelligence, in dem er darauf hinweist, daß das irisch-europäische Abkommen über das Rettungspaket für die Banken entweder schon in den Abstimmungen im irischen Parlament über den Regierungshaushalt oder anschließend durch die Wahlen zum Parlament zu Fall gebracht werden könnte. Und vorher schon würden die Iren „mit den Füßen“ abstimmen. Was O’Rourkes Äußerungen noch interessanter macht, ist die Tatsache, daß er Mitglied des pro-europäischen „Zentrums für Wirtschaftspolitische Forschungen“ (CEPR) und der mit dem CEPR verbundenen Gruppe Vox.eu ist.
O’Rourke schreibt: „In normalen Zeiten sind politische Änderungen langsam, aber wenn sie kommen, dann kann dies auch ganz schnell geschehen. Wenn wir ein System nationaler Listen hätten, wäre derzeit sogar eine Labour-Sinn-Féin-Koalition möglich, aber unser Wahlsystem erschwert es aufkommenden Parteien, ihre Unterstützung in den Umfragen in Sitze im Parlament umzusetzen. Aber auch so stehen wir unmittelbar vor einer Parlamentswahl, und wenn Brüssel glaubt, das Abkommen wäre bei dieser Wahl nicht das große Thema, dann haben sie den Kontakt sogar noch mehr verloren, als wir bisher schon dachten. Es ist nicht einmal mehr sicher, daß der Haushalt im Dezember verabschiedet wird. Brüssel hat möglicherweise keinen ,Plan B’, aber sie sollten besser einen vorbereiten. Die irischen Bürger könnten den Bailout für die ausländischen Gläubigerbanken an den Wahlurnen zu Fall bringen, aber auch wenn sie das nicht tun, werden sie eine Zahlungseinstellung herbeiführen, indem sie mit den Füßen abstimmen. Wir stehen jetzt vor einer negativen Spirale, in der die Sparpolitik zur Auswanderung führt, was die Schuldenlast vergrößert, was letztendlich zu noch mehr Sparmaßnahmen führt. Jemand muß die Regeln ändern, um den Kreis zu durchbrechen, aber wer könnte das tun? Da das grundlegende Problem darin liegt, daß Irland insolvent ist, wäre es klug gewesen, die Sache direkt anzugehen. Aber dagegen haben die Europäer Veto eingelegt.“
Was die Lage in Irland so brisant macht, ist die Tatsache, daß die von außen aufgezwungenen, brutalen Sparmaßnahmen viele Iren an die Art und Weise erinnern, wie die britischen Großgrundbesitzer im 19. Jahrhundert mit ihren irischen Pächtern umgingen. Das führte damals dazu, daß das Land in den unseligen Jahren des Kartoffelhungers etwa die Hälfte seiner Bevölkerung durch Hunger und Auswanderung verlor - und außerdem, daß sich in Irland eine republikanische Befreiungsbewegung bildete, die stark genug war, das Britische Empire zum Rückzug aus Irland zu zwingen.
Fergal Moore, der kürzlich neugewählte Vizepräsident der Partei Sinn Féin, die an der Spitze des irischen Widerstands gegen die Durchführung des brutalen IWF-EU-Programms zur „Rettung“ der Banken steht, erklärte in einer Stellungnahme: „Anstatt einen mehrere Milliarden Euro umfassenden Kredit zu gewähren, sollte England den Rückzug aus den besetzten Gebieten [Nord-] Irlands erklären und so der Bevölkerung die Möglichkeit geben, dieses neue Irland aufzubauen.“
Mehrere Abgeordnete der Sinn Féin griffen im Nationalparlament in Dublin erneut auf scharfe Weise die Pläne der Regierung an, das aufgezwungene IWF-EU-Programm mit Hilfe drastischer Kürzungen in den sozialen und arbeitsmarktpolitischen Budgets durchzuboxen. So kanzelte Arthur Morgan die Einsparpläne als „absolute Farce“ ab, weil sie nicht, wie die Regierung sie darstelle, eine „finanzielle Hilfe für Irland“ seien, sondern vielmehr ein „Programm finanzieller Hilfe für reiche europäische Banken und ihre Aktionäre auf Kosten des irischen Volkes... Dem irischen Volk wird eine fiskalische Hungerdiät verordnet, während die parasitären Aktionäre das Blut unserer Wirtschaft aussaugen.“
Sowohl Sinn Féin als auch die Labor Party drohen mit einer Klage beim Verfassungsgericht für den Fall, daß die Regierung das Programm ohne Parlamentsabstimmung beschließt. Sie haben gute Aussichten, denn in Art. 29, Abs. 52 der irischen Verfassung heißt es: „Der Staat darf sich nicht an irgendwelche internationale Vereinbarungen binden, die öffentliche Gelder kosten, wenn das Dáil Éireann (Parlament) den Bedingungen der Vereinbarung nicht zustimmt.“
Aber nicht nur Sinn Féin mobilisiert gegen das Abkommen, auch die Gewerkschaften tun es. Am 27. November gab es eine für Irland beispiellose Demonstration mit über 100.000 Teilnehmern (das entspräche in Relation zur Gesamtbevölkerung in Deutschland einer Zahl von fast 2 Mio.). Im ganzen Land kommt es zu kleineren Kundgebungen. Ein Bündnis aus acht Bürgergruppen namens „Older and bolder“ („Älter und mutiger“) sammelte mehr als 43.000 Unterschriften für den Erhalt der Beamtenpensionen - ein akutes Problem, weil nach dem Plan von EU, EZB und IWF 17 Mrd. Euro zur Bankenrettung aus der Pensionskasse entnommen werden sollen.
Es wird sich zeigen, ob die Parteien des irischen Parlaments diesem Druck der Straße vielleicht sogar schon vor der Wahl nachgeben. Aber wie schon gesagt, der Widerstand der irischen Bevölkerung ist nur eines der Probleme, die sich den Banken und den europäischen Institutionen im Zusammenhang mit den Bankenrettungsaktionen stellen. Was sind 17 Mrd. Euro der irischen Pensionsfonds, gemessen an dem Finanzbedarf der Banken, die in den kommenden beiden Jahren mindestens eine Billion Euro benötigen, um ihre Schulden zu refinanzieren, während die europäischen Regierungen ihrerseits die 750 Mrd. Euro (oder mehr) für den Stabilitätsfonds aufbringen müssen?
Helga Zepp-LaRouche beschrieb diese Lage in ihrer Rede beim Bundesparteitag der BüSo am 4. Dezember folgendermaßen:
„Schauen wir auf die anderen Länder der EU bzw. Eurozone: massive Spekulationen gegen die Staatsanleihen von Portugal. Dort ist der Zinsaufschlag inzwischen auf 7% angestiegen, und allgemein gilt 5% als die Schmerzgrenze, wo es einfach zu teuer wird für ein Land, länger in der Eurozone zu bleiben.
Spanien hat inzwischen 5,4% Zinsaufschlag, und laut BIZ hat alleine Spanien 726 Milliarden Auslandsschulden bei anderen Banken. Und das geht direkt ans Herz der Inter-Alpha-Gruppe, die Banco Santander, die sehr eng verbunden ist mit der Royal Bank of Scottland.
Der Europäische Stabilitätsfonds kann nach Griechenland und Irland vielleicht noch Portugal retten, aber auf keinen Fall Spanien. Deshalb ist jetzt die Forderung von Trichet und anderen, diesen Rettungsfonds aufzustocken - oder vielleicht auf 1,5 Billionen zu verdoppeln oder auch auf 2 Billionen. Der ehemalige Premier von Spanien, Felipe Gonzales, sagte, er sei der Meinung, der Euro könne nur gerettet werden, wenn die EZB die ,nukleare Option’ anwendet, d.h. Staatsanleihen ohne Grenzen aufkauft und praktisch den Rettungsschirm so lange vermehrt, wie es eben nötig ist.
Weil aber der europäische Stabilitätsfonds so gestaltet ist, daß die Länder, die den Schirm in Anspruch nehmen, als Garantoren ausfallen, würde das natürlich bedeuten, daß deren Anteil von den verbleibenden Staaten übernommen werden muß. D.h., Irland fällt dann weg, Griechenland, Portugal, bald Spanien, bald Italien, bald Belgien, bald Frankreich, und dann muß alles geschultert werden von den noch verbleibenden Ländern; das sind dann Österreich, Holland, Finnland und natürlich Deutschland. Und man kann sich vorstellen, daß bei der Wirtschaftskraft der Länder Deutschland quasi der Zahlmeister für alle werden soll. D.h. die Zinsaufschläge steigen, die Investoren gehen raus, und dann besteht die Gefahr eines Dominoeffekts, der alle Staaten Europas mitreißen würde.
Italien hat alleine bei den französischen Banken 476 Milliarden Schulden, und das erklärt wahrscheinlich auch, warum der Vorsitzende der Kreditaufsichtsbehörde in Italien, Savona, bereits mehrfach verlangt hat, Italien solle aus dem Euro austreten, weil es für Italien einfach zu teuer sei, diese Gelder zu bezahlen. Er argumentiert, daß es vielleicht kurzfristig ein bißchen schwierig wird, mittelfristig aber Italien davon sehr viel mehr profitieren werde, wenn es wieder die Kontrolle über die eigene Währung hat.“
Tatsache ist: Je verzweifelter die Vertreter der Eurozone und der Banken an ihrer derzeitigen Politik festhalten, desto sicherer ist ihr Untergang. Die Frage ist nur, ob wir mit ihnen untergehen, oder ob wir die Krise dazu benutzen, das jetzige Finanzsystem mit seinen Banken und Spekulationsvehikeln einem Konkursverfahren zu unterziehen, den finanziellen Giftmüll zu entsorgen und es durch ein Kreditsystem zu ersetzen, daß dem Interesse des Gemeinwohls dient und einen Wiederaufbau der Weltwirtschaft finanziert. Wenn wir uns von diesen Gedanken inspirieren lassen, kann Irland in dieser Krise eine ähnliche Bedeutung zuwachsen wie Ungarn 1989 - nämlich als das Land, in dem der Umschwung begann, der den Untergang des Empires herbeiführte.
Alexander Hartmann