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Neue Solidarität
Nr. 44, 3. November 2010

Wie die Menschheit künftig Rohstoffvorkommen nutzen wird

Von Dr. Sergej Tscherkassow

Die folgende Rede hielt Dr. Sergej Tscherkassow vom Staatlichen Wernadskij-Museum für Geologie in Moskau auf der Konferenz des Schiller-Instituts in Berlin am 25. September 2010.

Als erstes möchte ich den Veranstaltern für die Möglichkeit danken, hier in Berlin zu sprechen. Das letzte Mal konnte ich an einer ähnlichen Konferenz [des Schiller-Instituts] in Kiedrich [2007] teilnehmen, die sehr beeindruckend war. Deshalb mein Dank an Helga [Zepp-LaRouche] und die anderen.

Vor der Pause hörten wir sehr poetische, aber gleichzeitig sehr präzise Ausführungen über den Infrastrukturkorridor, der zur Beringstraße führt. Ich bin Geologe und möchte jetzt den poetischen und den gewissenhaften Ansatz mit dem gesunden Menschenverstand des Geologen verknüpfen.

Zuerst wollen wir uns mit den Infrastrukturprojekten beschäftigen, die in Rußland verwirklicht oder auch nicht verwirklicht wurden, wobei wir zu verstehen versuchen, was ein erfolgreiches Projekt ausmacht, und welche Fehler begangen wurden, die eine erfolgreiche Umsetzung solcher Infrastrukturprojekte verhinderten. Da die meisten Güter, die mit der Eisenbahn befördert werden, aus dem Bergbau stammen, wollen wir uns auch ein wenig die Mineralvorkommen in jener Gegend anschauen, wo dieser Infrastrukturkorridor in der Zukunft verlaufen soll. Über die Ergebnisse können wir dann diskutieren.

Auf diesem Bild (Abb. 1) ist eine Karte des bestehenden russischen Eisenbahnnetzes zu sehen: Der europäische Teil, die Transsibirische Eisenbahn und die Baikal-Amur-Magistrale, wie wir sie nennen. Außerdem sieht man ein merkwürdiges Anhängsel, das nach Westsibirien reicht. Der Ural ist dort. Wichtig ist auch die kleine Eisenbahnstrecke, die wir hier im Norden, sozusagen am Ende der Welt, sehen.1

Abb. 1: Das bestehende russische Eisenbahnnetz mit den (breit eingezeichneten) schon bestehenden und geplanten Entwicklungskorridoren am Ural, durch Sibirien und Jakutien bis hin zur Beringstraße.


Abb. 2: Verlauf der Transsibirischen Eisenbahn von Tscheljabinsk bis Wladiwostok.


Abb. 3: Ankunft des ersten Zuges in Irkutsk am Baikalsee.


Abb. 4: Die Baikal-Umfahrung verläuft an der Küste entlang und manchmal mitten durch die Felsen; ihr Bau war daher viel aufwendiger und teurer als der der übrigen Teilstrecken der Transsib.


Betrachten wir uns die Geschichte der Transsibirischen Eisenbahn etwas mehr im Detail. Ihr Bau dauerte, wie Sie vielleicht wissen, von 1890 bis 1916, also 26 Jahre lang. 1933, also auch schon vor langer Zeit, traf die russische Regierung damals unter Stalin die Entscheidung, die Baikal-Amur-Magistrale zu bauen, die tatsächlich erst vor sieben Jahren fertiggestellt wurde.

Das nächste Projekt „Ural Industrial, Ural Polar“ wurde 2003 begonnen, doch sind dessen Aussichten derzeit ziemlich pessimistisch. Auch sollten wir etwas zu dem Nördlichen Seeweg sagen, der seit 1915 immer mal wieder passierbar war.

Die grün gepunktete Linie hier zeigt das neue Projekt „Ural Industrial, Ural Polar“, und dort verläuft in etwa die Route des neuen Infrastrukturkorridors zur Beringstraße, von dem hier die Rede ist. Die blaue Linie, die hier zu sehen ist, sind Öl- und Gaspipelines, und was man hier in Dunkelblau sieht, ist der Nördliche Seeweg, der zu Sowjetzeiten während des Zweiten Weltkriegs stark benutzt wurde. Viele Transporte von den Vereinigten Staaten nach Rußland verliefen über diesen Seeweg.

Die Transsibirische Eisenbahn

Beginnen wir aber mit dem erfolgreichsten Projekt, das mit Fug und Recht die Transsibirische Eisenbahn ist (Abb. 2). Geschichtlich geht der erste Vorschlag dafür auf das Jahr 1857 zurück, als der Gouverneur Ostsibiriens der Regierung den Bau eines solchen Projekts vorschlug. Das war aber wohl noch etwas verfrüht. Erst 1890 entschied sich die russische Regierung dafür. Natürlich gab es verschiedene Gründe für eine solche positive Entscheidung. Vor allem war der Ferne Osten und auch Sibirien bereits im Russischen Reich relativ gut bevölkert, aber eine Reise von Moskau nach Wladiwostok dauerte mindestens drei Monate. Somit brauchte jeder Brief und alles, was verschickt werden sollte, mindestens drei Monate, manchmal aber sogar fünf bis sechs Monate.

Auch war das Reich bestrebt, daß diese Territorien bei Rußland verblieben. So gesehen, war die Verbindung absolut notwendig. Einerseits war es eine politische Entscheidung, andererseits gab es dort, wie man auf dieser alten Karte sieht, bereits Punkte mit Städten, wo etwas Industrie entstanden war - nicht viel, aber immerhin. Es gab also gute Gründe, diese Städte miteinander zu verbinden, so daß Güter und Menschen von einer Stadt zur anderen transportiert werden konnten. An dem Maßstab lassen sich in etwa die Entfernungen abschätzen: Krasjonarsk und Irkutsk am Baikal im Süden liegen etwa 1000 km auseinander.

Wenn es um die Gesamtlänge der Transsibirischen Eisenbahn geht, so heißt es manchmal: „Sie führt von Moskau bis Wladiwostok, und das sind fast 9500 km.“ Wenn wir jedoch von der Eisenbahnstrecke sprechen, die von 1890 bis 1916, also 25 Jahre lang, gebaut wurde, so führt sie von Tscheljabinsk, also vom Ural bis Wladiwostok, was nahezu 7000 km sind.

Die Strecke wurde in drei Abschnitten gebaut. Auf dem unteren Bild ist der erste Abschnitt rot eingezeichnet, der zweite gelb und der dritte grün. Wie man sieht, begann der Bau der Trasse von zwei Enden, von Wladiwostok nordwärts und von Tscheljabinsk ostwärts. Die schwierigsten Bauteile der Bahnstrecke, der grüne Abschnitt bei Chabarowsk und die sogenannte Baikal-Umfahrung sparte man sich für die Zukunft auf, da diese Gegenden bautechnisch einfach zu schwierig sind. Dort gibt es viele Berge und Felsen - mehr dazu später.

Bei der Planung hatte man die Kosten der gesamten Arbeiten auf 350 Mio. Rubel geschätzt. Was 1890 350 Mio. Rubel wert waren, kann man kaum ermessen. Ich kann nur diesen Hinweis geben: Eine Kuh kostete damals 5 Rubel - also war die Bahnstrecke so teuer wie 70 Mio. Kühe!

Auf alten Fotos sieht man, wie der erste Zug in Irkutsk am Baikalsee ankommt (Abb. 3). Über die Jahre wurden verschiedene Teile der Bahnstrecke gebaut. Offiziell wird der Baubeginn mit der Grundsteinlegung des Bahnhofs in Wladiwostok im Jahre 1891 angegeben. Von 1892 an wurde in vier Jahren die sogenannte Ussuriskaja-Bahn gebaut, und die westsibirische Eisenbahn zwischen Nowosibirsk und Krasnojarsk entstand auch in vier Jahren.

Über den Bau lassen sich viele Geschichten erzählen, so beispielsweise über die Stadt Tomsk. Tomsk war damals keine kleine Stadt, sie hatte bereits eine Universität und Industrie. Ich kann nicht genau sagen, ob es stimmt oder nicht, aber meine Freunde dort haben mir erzählt, daß die Geschäftsleute von Tomsk zur Zeit, als die Eisenbahn gebaut wurde, dagegen waren, die Bahn durch die Stadt fahren zu lassen. Wie es heißt, bestachen sie jemanden in der Regierung, und die Strecke wurde 400 km südlich an Tomsk vorbei geführt. Nowosibirsk, das heute eine Universitätsstadt und ein Industriezentrum ist, war damals übrigens ein kleines Dorf namens Nowonikolajewka. Ich meine, wenn die Eisenbahn durch Tomsk gebaut worden wäre, wäre Nowonikolajewka so geblieben, wie es war. Jetzt aber hat es sich zu einer Stadt mit mehr als 1 Million Einwohnern entwickelt, und Tomsk ist geblieben, wie es war! Es liegt in einer sehr schönen Umgebung, viele Studenten studieren dort, alles ist ganz friedlich, niemand hat Eile. Es hat seinen Charme!

Hier sind weitere Bilder, wie die Eisenbahnstrecke Schritt für Schritt gebaut wurde. Das ist die Sabakailskaja-Bahn östlich vom Baikalsee. Das ist die Stelle, wo eine Strecke nach China abzweigt. Bevor die sogenannte Baikal-Umfahrung gebaut wurde, hat man Fahrzeuge von einer Seite des Baikalsees zur anderen transportiert. Im Winter verlegte man einfach Schienen auf dem Eis, im Sommer brachte eine Fähre die Autos von einem Ufer zum anderen. Das funktionierte fast zehn Jahre so. Bei der Amurskaja-Bahn sieht man viele Berge aus hartem Gestein. Hier ist die erwähnte Baikal-Umfahrung (Abb. 4). Sie verläuft an der Küste entlang und manchmal mitten durch die Felsen.

Im Schnitt hat jeder Kilometer der Transsibirischen Eisenbahn 93.000 Rubel oder 18.000 Kühe gekostet. Auf diesem Abschnitt lagen die Kosten jedoch wegen des schwierigen Geländes bei 390.000 Rubel pro Kilometer, fast fünfmal höher. So ist das eben manchmal.

Für die Betriebsführung wurde die Transsibirische Eisenbahn in vier Teile unterteilt: Die Sibirische Bahn, die Sabakailskaja-Bahn mit der Baikal-Umfahrung, die Amurskaja-Bahn und die Ussuriskaja-Bahn. Derzeit transportiert die Transsibirische Eisenbahn etwa 100 Mio. Tonnen Fracht pro Jahr, und es heißt, mehr ginge nicht. Das System ist also voll ausgelastet.

Was läßt sich aus der Geschichte ableiten? Zuallererst war es der politische Wille, eine solche Eisenbahn zu bauen. Zweitens war sie eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Auch wenn nicht die gesamten 7000 km in wenigen Jahren gebaut werden konnten, so haben doch einzelne Teile der Bahnstrecke bestimmte Industriezentren miteinander verbunden. Sie konnten die Arbeit aufnehmen. Entlang der Bahnstrecke gibt es zahlreiche Mineralvorkommen, und viele davon wären ohne entsprechenden Zugang und Abtransportmöglichkeiten nie erschlossen worden.

Man kann nur Hochachtung vor den Fähigkeiten und Talenten jener Männer haben, die diese Eisenbahn gebaut haben. Man muß sich nur vorstellen, daß fast die gesamte Strecke, von der Baikal-Umfahrung einmal abgesehen, tatsächlich von Hand gebaut wurde - ohne Maschinen! Man muß jenen gedenken, die dieses Werk am Ende des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts unter solchen Bedingungen vollbracht haben. Ich würde sagen, es ist ein Weltwunder.

Entwicklung des neuen Infrastrukturkorridors

Dieses Bild ist nicht sehr gut, aber die kleinen Punkte zeigen einzelne Ortschaften: Städte, Dörfer usw. Betrachtet man sich den Verlauf des neuen Infrastrukturkorridors, sieht man auch dort mehrere Punkte. Schauen wir uns diese Punkte einmal genauer an.

Meines Erachtens lassen sich hierbei drei verschiedene Typen von Ortschaften unterscheiden. Als erstes die Industriestädte. Ein Beispiel hierfür ist Norilsk, das nördlich des Polarkreises liegt. Die Stadt hat etwas über 100.000 Einwohner, und es gibt dort riesige Nickel- und Platinvorkommen. Aus diesem Grunde hat die Stadt auch eine riesige metallurgische Fabrikanlage.

Eine ähnliche Stadt ist Chanty-Mansijsk in Westsibirien, die jedoch etwa 600-700 km südlich des Polarkreises auf dem 61. Breitengrad liegt - bekanntlich entspricht der Polarkreis dem 68. Breitengrad. Chanty-Mansijsk sieht dieser Tage immer mehr wie Schanghai aus. Es liegt inmitten einer Erdöl- und Erdgasprovinz, wo es Geld im Überfluß zu geben scheint. Die Einwohnerzahl von Chanty-Mansijsk liegt ebenfalls etwas über 100.000.

In die gleiche Gruppe von Städten läßt sich auch Irkutsk einordnen. Ich habe zwar keine Bilder von Irkutsk hier, aber wer Interesse hat, den verweise ich auf meinen Vortrag bei einer früheren Konferenz des Schiller-Instituts (siehe „Bodenschätze und russische Infrastruktur“, Neue Solidarität 43/2007). Die Stadt könnte noch wachsen, sie hatte zeitweise bis zu 300.000 Einwohner.

Man kann also sagen, daß es hier richtige Industriestädte mit Einwohnerzahlen zwischen 100.000 und etwa 250.000 gibt. Aber auf unserem zukünftigen Infrastrukturkorridor liegen lediglich drei solcher Städte, und die Entfernung zwischen der bestehenden Transsibirischen Eisenbahn und Anadyr bzw. Tschukotka beträgt etwa 6000 km.

Im Umfeld der bestehenden Infrastrukturkorridore liegen weitere Städte mit anderen Funktionen. Ich möchte sie einmal „Dienstleistungsstädte“ nennen. Anadyr ist auf unserem Weg die Stadt, die der Beringstraße am nächsten liegt. Sie hat etwa 12.000 Einwohner. Derzeit dient sie als Seehafen, und dank unseres Oligarchen, der den Fußballclub Chelsea besitzt, sieht Anadyr ganz attraktiv aus. Vor zehn Jahren, glauben Sie mir, war das noch ganz anders. Die Häuser hatten keine Farbe, und derartige Gebäude gab es nicht.

Eine weitere Dienstleistungsstadt ist Tiksi, am Nördlichen Seeweg direkt an der Nordpolarmeerküste gelegen. Dort leben 5700 Menschen. In der Zeit der Perestroika und all den damit verbundenen Wirren ging unser Nördlicher Seeweg fast verloren, und um die Jahrhundertwende dachten wir bereits, daß Städte wie diese sich nicht werden halten können. Es gab keinerlei Arbeitsplätze, es gab keine Transportmöglichkeiten. Nur im Sommer konnten irgendwelche Güter geliefert werden. Ansonsten waren die Orte nur mit dem Flugzeug und manchmal mit dem Hubschrauber erreichbar. Wenn man beispielsweise Treibstoff auf diesem Weg heranschaffen muß, kann man sich vorstellen, wie hoch die Benzinpreise waren!

Inzwischen hat sich die Lage verbessert. Der Staat kümmert sich sehr viel mehr um die arktischen Regionen, und es gibt sogar ein Programm, Spezialschiffe für das Nordmeer zu bauen, darunter einen atomgetriebenen Eisbrecher mit einem 60-MW-Reaktor und einen weiteren Eisbrecher mit einem 110-MW-Reaktor.

Abb. 5: Der Ort Kupol ist ein Beispiel für eine besondere Siedlungsform in Sibirien: Lager, die für den Abbau bestimmter Rohstoffvorkommen angelegt werden, mit allem, was man braucht, um angenehm leben zu können. Nach einigen Jahren werden sie abgebrochen und anderswohin verlegt.


Abb. 6: Die jakutische Region mit Gold- und Silbervorkommen (vgl. auch Abb. 1) ist ungefähr so groß wie die Bundesrepublik Deutschland.


Die dritte Art von Ortschaften ist sehr interessant. Ein Beispiel dafür sind die Gold- und Silbervorkommen von Kupol (Abb. 5). Die Lagerstätte wird gemeinsam von dem Goldunternehmen Kinross und der Provinzregierung von Tschukotka ausgebeutet: 25% Anteil für Tschukotka und 75% Anteil für Kinross. Das Gold dort läßt sich relativ leicht gewinnen, wobei die Erzanreicherung überwiegend ein mechanischer Prozeß ist. Deswegen ist der Verarbeitungsbetrieb nicht sehr groß. Wie läuft das ab? Man baut praktisch in der Wildnis eine Art Lager, wo etwa 500 Leute unterkommen. Die Mine wird im Schichtbetrieb ausgebeutet, und 500 Leute arbeiten dort jeweils einen Monat lang.

Es ist alles da: Geschäfte, Fitneßcenter, Tennisplätze - alles, was man braucht. Selbst beim Betreten des Geländes ziehen die Leute ihre Schuhe aus. Gutes Beispiel: Gut für die Leute, gut für die Firma. Das Problem bei der Sache ist, daß die Arbeiten an der Mine nur für 12 Jahre angesetzt sind. Nach 12 Jahren Arbeit sagt man „Auf Wiedersehen“, und in der ganzen Gegend bleibt nur der Müll zurück.

Es wurde sogar ein kleiner Flugplatz gebaut und ein regelmäßiger Flugverkehr eingerichtet. Alles sieht derzeit ganz perfekt aus. Man kann sich das leisten, weil, wie mir gesagt wurde, die Kosten für die Produktion von einer Unze Gold bei etwas über 300 Euro liegen. Der jüngste Goldpreis in New York betrug aber fast 1300 Dollar pro Unze: Ein ganz hübscher Unterschied!

Es mag sein, daß bei solchen leicht zugänglichen Lagerstätten der Abbau so ablaufen sollte. Doch zurück zu unserem Projekt. Die folgenden zwei Bilder sind aus meinem früheren Vortrag, weil sie meines Erachtens für das, was wir vorhaben, sehr wichtig sind. (Abb. 6)

Man kann hier mit grünen Konturen Silbervorkommen und mit roten Konturen Gold/Silber-Vorkommen in der Provinz sehen. Man muß einmal die Größe dieser Regionen im Vergleich zu Deutschland (vgl. Abb. 1) betrachten, dann bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, was es heißt, dort eine Eisenbahn zu bauen.

Was läßt sich daraus schließen? Um den Erfolg eines solchen Transport-Infrastrukturkorridors sicherzustellen, müssen wir vor allem analysieren, wie die bestehenden Ressourcen entlang des Korridors verteilt sind. Außerdem müssen wir versuchen, die Verteilung noch unentdeckter Mineralvorkommen einzuschätzen - was nicht sehr leicht ist, aber daran arbeiten die geologischen Dienste der USA und auch Rußlands. Viele Gegenden wurden im einzelnen noch gar nicht untersucht, so daß sicherlich noch viel entdeckt werden wird. Davon brauchen wir aber zumindest eine Schätzung.

Eine weitere Aufgabe besteht darin, zu bestimmen, was man mit den Ressourcen erreichen will, wenn der Infrastrukturkorridor gebaut ist.

Ich kann Ihnen versichern, daß es auf der gesamten Strecke der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Anadyr keine Arbeitslosigkeit gibt, nur die Bevölkerungsdichte ist zu niedrig. Das heißt, wenn wir bauen wollen, müssen wir Menschen dorthin bringen. Wir müssen Menschen dazu motivieren, in diese kalten, manchmal unwirtlichen Orte zu ziehen. Doch vorher müssen wir uns selbst klar machen, was wir eigentlich erreichen wollen. Wie wird sich mit dem Infrastrukturkorridor die Verteilung der Bodenschätze verändern?

Das hat auch etwas damit zu tun, was ich bereits bei der Transsibirischen Eisenbahn angesprochen hatte: daß schon vor Fertigstellung der gesamten Strecke einzelne Teile bereits in Betrieb gehen. Wir müssen einen Weg finden, daß einzelne Teile des Infrastrukturkorridors schon vor der Vollendung des gesamten Korridors zum Beispiel von Chabarowsk bis nach Alaska zu arbeiten beginnen.

Im übrigen versuchen wir derzeit unter dem Schirm der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftlichen Zusammenarbeit (APEC)ein Projekt zu verwirklichen, das sehr ähnlich wie diese Aufgabe klingt. Mit diesem Projekt würden wir die Verteilung bestehender Ressourcen analysieren und den Regierungen Empfehlungen für den Bau zwischenstaatlicher Infrastrukturkorridore geben.

Es geht dabei überwiegend um Mineralvorkommen. Oft hört man ja, daß ein bestimmtes Metall nahezu erschöpft und in fünf Jahren nicht mehr verfügbar sei. Das trifft nicht zu. Die Erde hat einen Radius von 6300 Kilometern. Derzeit kratzen wir gerade nur etwas an der Oberfläche, d.h. wir gehen meistens nicht tiefer als 400 Meter tief in die Erde.

In Deutschland gab es einmal Uranschächte bis in 2,6 km Tiefe. Oben braucht man dann riesige Kühlanlagen, denn bereits in 250 m Tiefe ist es etwa 60 Grad warm. In der Republik Südafrika gibt es 4 km tiefe Schächte, und dort unten läßt sich viel finden. Wir müssen unseren Verstand zusammennehmen, um diese Aufgabe anzugehen und zu bewältigen.

Vielleicht haben Sie einmal Tom Clancys Buch Debt of Honor („Ehrenschuld“) gelesen, worin es um das rohstoffgierige Japan geht. Japanische Großindustrielle tun sich zusammen, ruinieren die amerikanische Wirtschaft, sie führen Krieg um die russischen Rohstoffe, um im Fernen Osten Rußlands ein japanisches Reich aufzubauen usw. Das ist natürlich Fiktion, aber wenn wir uns zusammenschließen und unsere Kräfte bündeln, anstatt uns gegenseitig hereinzulegen, können wir etwas zum Funktionieren bringen und uns entwickeln. Den Vorteil dabei wird nicht nur Rußland haben, sondern die gesamte Welt, weil Rußland im Augenblick einen riesigen Vorrat an Bodenschätzen hat.

Zum Abschluß möchte ich Ihnen eine Arbeit vorstellen, die wir 2006 entwickelt haben, eine Art Datenbank oder Enzyklopädie der größten Mineralvorkommen auf der Welt. Zu diesem Zeitpunkt waren 1244 Lagerstätten in die Datenbank aufgenommen, was weniger als 1% der bekannten Vorkommen auf der Welt ist. Aber die verschiedenen Rohstoffe in diesen Lagerstätten machen teilweise zwischen 65 und 70%, manchmal sogar 80% der bekannten Weltreserven aus.

Ein Beispiel sieht man hier an der Grenze zwischen Rußland und China, die in Hellgrau dargestellt ist. Die verschiedenen Symbole stehen für einzelne Lagerstätten. Hier ist die schon erwähnte bei Kupol. Wenn man es anklickt, erscheinen die einzelnen Daten - für Kupol, Tschukotka usw.

Hier betreibt Kinross die erwähnte sehr schöne Anlage. An der Legende für diese Lagerstätte sieht man, was dort gefördert wird - viele Grundstoffe.

Im Verlauf des vorgeschlagenen Infrastrukturkorridors sieht man, daß dort Gold lagert, aber es gibt auch Zinn, Wolfram, Molybdän, Nichtedelmetalle, Blei, Zink, Kupfer - praktisch sämtliche Metalle. Wobei hier nur die wirklich größten weltweiten Vorkommen gezeigt werden. Etwa 50% der hier gezeigten Lagerstätten sind noch nicht erschlossen. Gold und Silber zu fördern, ist relativ leicht, aber um Nichtedelmetalle zu gewinnen, braucht man riesige Fabrikanlagen wie in Norilsk. Norilsk hat, wie erwähnt, über 100.000 Einwohner, wogegen ganz Jakutien, das von der Fläche größer als Westeuropa ist, nur 0,95 Millionen Einwohner hat - nicht gerade viel für eine solche Gegend.

Ich habe die Software bei mir, sie wurde als CD veröffentlicht. Ich überlasse sie dem Schiller-Institut. Vielleicht ist sie von Nutzen.

Das ist alles, was ich Ihnen sagen wollte.


Anmerkung

1. Da wir hier aus Platzgründen nur einen kleinen Teil der zahlreichen Abbildungen abdrucken konnten, die Dr. Tscherkassow bei seinem Vortrag gezeigt hat, empfehlen wir, sich den Video-Mitschnitt des in englischer Sprache gehaltenen Vortrages auf der Internetseite des Schiller-Instituts anzusehen.

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Video-Dokumentation der Konferenz des Schiller-Instituts in Berlin am 25. September 2010
- Internetseite des Schiller-Instituts