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Von Caroline Hartmann
Was Hitlers Atombombenprojekt, die Quantenmechanik und „Atomkraft? Nein Danke!“ miteinander verbindet.
Es ist schon manchmal erstaunlich, welche Wege die Geschichte geht. Aber diese Story übertrifft fast das Vorstellungsvermögen eines Zeitgenossen: Die Ideologien Martin Heideggers, Ernst Jüngers und ihrer Freunde aus der Naturwissenschaft, allen voran Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, bildeten nach dem Weltkrieg die Grundlage für die heutige grüne Bewegung und aller ihrer Facetten wie Klimaschutzbewegung, World Wildlife Fund, Club of Rome und der dazugehörigen sogenannten Naturschutzbewegungen. Sie lieferten aber mit demselben Gedankengut auch die Rechtfertigung der heutigen Quantenmechanik, die darauf beruht, daß vagen statistischen Vorstellungen von der Natur mehr Gewicht beizulegen sei als der Wahrheit über die Naturvorgänge selbst.
Wir gehen zurück in das Jahr 1945, als der Krieg zuende war, und begeben uns auf den englischen Landsitz „Farm Hall“, wo die Briten alle deutschen Physiker, die an Hitlers Atombombenprojekt mitgearbeitet hatten, interniert haben. Dort werden viele Diskussionen geführt, die Gespräche werden überwacht, Otto Hahn schreibt ein Tagebuch.
Die Geheimdienstoffiziere haben den Auftrag, die Internierten „in a good frame of mind“ zu halten. Da der musikalisch ausgebildete Heisenberg äußert, er brauche ein Klavier, um sich wohl zu fühlen, wird ihm das beschafft. Als er jeden Abend aus Ermangelung an Noten Beethovens 5. Klavierkonzert spielt, wird jemand nach Brüssel geschickt, um Mozart-Klaviersonaten zu besorgen. Man spielt Schach, Skat etc. bei Gin und Rotwein.
Es ist der 6. August 1945, und die Physiker sitzen vor dem Abendessen zusammen. Da kommt die Nachricht vom Abwurf der amerikanischen Atombombe auf Hiroshima. Alle sind schockiert, Heisenberg will es nicht glauben, daß die Amerikaner es geschafft haben, eine solche Bombe zu bauen. Als aber um 21 Uhr ausführlichere Nachrichten übermittelt werden, wonach „etwa 180.000 Mann daran beschäftigt waren, daß jetzt noch 64.000 Mann damit befaßt sind, daß die Kosten 500 Millionen Pfund = 2 Milliarden Dollar betragen haben....“1. Es entbrennt eine heiße Diskussion. Natürlich ist das Thema, daß „wir“ es nicht geschafft haben:
Hahn: [...] Wenn die Amerikaner eine Uranbombe haben, dann sind Sie alle zweitklassig. Armer Heisenberg!“
Laue: „Der Ahnungslose!“ [...]
Hahn: „Auf jeden Fall, Heisenberg, sind Sie eben zweitklassig, und Sie können einpacken.“
Heisenberg: „Ganz Ihrer Meinung.“
Hahn: „Die sind fünfzig Jahre weiter als wir.“
Heisenberg: „Ich glaube kein Wort von der ganzen Sache.“ [...]2
In Deutschland war man bald nach dem Überfall auf Polen und dem Kriegsausbruch im Jahre 1939 zu der Überzeugung gekommen, daß der Krieg nur gewonnen werden könne, wenn man durch ein energisch vorangetriebenes Kernforschungsprogramm eine kriegsentscheidende Waffe entwickeln und herstellen könne. Daher rief das Heereswaffenamt die in Deutschland gebliebenen Physiker zusammen, um das „Uranprojekt“ zu einem vorrangigen Bombenprojekt für Hitler zu machen. Dazu wurde mit höchster Geheimhaltungsstufe der „Uranverein“ gegründet.
Als man merkte, daß es zu langsam vorwärtsging, und um entscheidende Informationen zu erlangen, reisten Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker im Herbst 1941 nach Kopenhagen zu Niels Bohr, da dieser bekanntermaßen auch mit dem amerikanischen Projekt in Verbindung stand. Heisenberg nahm wahrscheinlich an, Bohr würde ihm aufgrund ihrer langjährigen Freundschaft wichtige Details mitteilen. Dem war aber nicht so; Bohr vermerkte nachher sogar, er habe sich bei diesem Treffen bespitzelt gefühlt. Außerdem bestätigte er, daß Heisenberg und Weizsäcker davon überzeugt waren, daß man eine Uranbombe bauen könne und müsse, um den Kriegsausgang damit entscheiden zu können.3
Es gibt bis heute immer wieder Gegendarstellungsversuche zu diesen Vorgängen, doch erstens ist es eine Tatsache, daß sie alle am Atombombenprojekt beteiligt waren, und zweitens geht aus allen Äußerungen hervor, daß von Betroffenheit über die Verbrechen der Nazis oder auch über den Atombombenabwurf überhaupt nicht die Rede sein konnte. Noch am 27. Juni 1945 schrieb Lise Meitner in einem Brief an Otto Hahn (der ihn nie erreichte):
„Ich habe Dir in diesen Monaten in Gedanken sehr viele Briefe geschrieben, weil mir klar war, daß selbst Menschen wie Du und Laue die wirkliche Lage nicht begriffen hatten. [...] Das ist ja das Unglück für Deutschland, daß Ihr alle den Maßstab für Recht und Fairneß verloren hattet. [...] Ihr habt auch alle für Nazi-Deutschland gearbeitet und habt auch nie nur einen passiven Widerstand zu machen versucht. [...] Ich muß Dir das schreiben, denn es hängt so viel für Euch und Deutschland davon ab, daß Ihr einseht, was Ihr habt geschehen lassen.“
Und weiter bezüglich des Besuchs 1941 bei Bohr:
„Man sollte einen Mann wie Heisenberg zwingen, sich diese Lager und die gemarterten Menschen anzusehen. Sein Auftreten in Dänemark 1941 ist unvergeßlich. [...] Du wirst Dich vielleicht erinnern, daß ich, als ich noch in Deutschland war, [...] Dir oft sagte: solange nur wir die schlaflosen Nächte haben, und nicht Ihr, solange wird es in Deutschland nicht besser werden. Aber Ihr hattet keine schlaflosen Nächte, Ihr habt nicht sehen wollen, es war zu unbequem.“4
Bedeutsam für unsere Fragestellung ist aber, wie das Gespräch in „Farm Hall“ an dem besagten 6. August ausging. Am Ende hatte nämlich Carl Friedrich von Weizsäcker praktisch eine Sprachregelung für die Nachkriegszeit gefunden, indem er verkündete: „Ich meine, wir sollten uns nicht in Rechtfertigungen ergehen, weil es uns nicht gelungen ist, vielmehr müssen wir zugeben, daß wir gar nicht wollten, daß die Sache gelingt.“5
Max von Laue erinnert sich später in einem Brief an Paul Rosbaud vom 4. April 1959 an diese und die folgenden Debatten:
„Allmählich entwickelte sich dann auch, in Tisch-Gesprächen, die Lesart, die deutschen Kernphysiker hätten die Atombombe gar nicht haben wollen, sei es, weil sie es während der zu erwartenden Kriegsdauer für unmöglich hielten, sei es, weil sie überhaupt nicht wollten. Führend bei diesen Diskussionen war [...] Weizsäcker. Ethische Gesichtspunkte habe ich dabei nicht gehört. Heisenberg saß zumeist stumm dabei... Das [...] Buch von Jungk habe ich nur stückweise gelesen und dann mit dem Bemerken fortgelegt, daß ich in ihm viel nachweislich Unrichtiges gefunden habe.“6
Das erwähnte Buch von Robert Jungk heißt „Heller als Tausend Sonnen“ (erschienen im Herbst 1956), das Weizsäckers „Sprachregelung“ jetzt endlich auch dem allgemeinen Publikum näherbringen sollte, denn Heisenberg und von Weizsäcker sollten nach den Plänen der britischen Elite nach dem Krieg eine bedeutende Rolle spielen.
Um diese bereits damals von den Briten angedeutete Linie für die Rolle der Wissenschaft, Industrie und Technik im Nachkriegsdeutschland zu begreifen, muß man sich die Lage in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten anschauen. Roosevelts Politik des New Deal, der Bankenaufsicht Pecoras für eine Finanzierung großer, zukunftsorientierter Infrastrukturprojekte war mit dem plötzlichen Tod Roosevelts mit einem Schlag vom Tisch. Der neue US-Präsident Truman war eher ein Freund des britischen Empiredenkens. Dieses Empiredenken gab wohl den Ausschlag dafür, die deutschen Wissenschaftler zu benutzen, um die weiteren geopolitischen Pläne durchzusetzen. Diese Strategie, die Wahrheit so zurechtzubiegen, daß die Wissenschaftler nach ihrer Freilassung „reingewaschen“ in ehrenvolle Ämter und wichtige politische Positionen gebracht werden konnten, fiel auch dem Historiker Otto Oexle auf:
„Hier wäre freilich zuerst auf die Rolle der Briten aufmerksam zu machen und die Frage zu erörtern, ob die Briten sich denn im Unklaren darüber waren, mit welchen Leuten sie - offensichtlich hinter dem Rücken der Amerikaner - kooperierten?“7
Diese Zurechtbiegung der Wahrheit war für die gesamte weitere Entwicklung der Politik und Wissenschaft ausschlaggebend. Tatsächlich genossen Heisenberg und vor allem Carl Friedrich von Weizsäcker nach dem Krieg in einflußreichen Positionen ein ständiges Presseinteresse sowie uneingeschränkte politische Akzeptanz.
Allerdings waren weder ihre Beteiligung am Bombenbau Hitlers, der Mangel an Betroffenheit noch die Mitschuld an den Verbrechen wegen bequemer Passivität der Gipfel ihrer Schuld. Die noch viel schlimmere Gefahr ging und geht weiterhin von den Ideologien aus, die die gleichen Leute überhaupt dazu gebracht hatten, die Nazibewegung zu unterstützen und die sie, betrachtet man sich ihr einflußreiches Wirken nach dem Krieg, niemals abgelegt oder verändert haben.
Um den Kern dieser Ideologie treffend zu charakterisieren, muß man das, was Lise Meitner als „den Verlust des Maßstabes für Recht und Fairneß“ bezeichnete, noch ausweiten auf den „Verlust des Vermögens, Wahres von Falschem zu unterscheiden“, sowie die Verneinung der Tatsache, daß man dies tatsächlich unterscheiden kann. Die Bedeutung der klaren Unterscheidung zwischen „wahr“ und „falsch“ hatte man aber bereits, kurz nachdem Max Planck im Jahr 1900 das Paradox der Quantisierung der Energiestrahlung von Atomen entdeckte, nicht mehr als relevant für Wissenschaft und Politik erachtet.
Nachdem der Physiker Max Planck auf Basis von Lummers und Pringsheims Strahlungsversuchen am Schwarzen Körper eine allgemeine, für alle Temperaturen gültige Gleichung für die elektromagnetische Strahlung herausgefunden hatte, die aber auf der Voraussetzung beruhte, daß die Energie im Atom nicht kontinuierlich, sondern in sogenannten Quanten entladen wird, stellte das die gesamte Physik vor ein Paradox. Man konnte diesen Umstand nur erklären, wenn man in der Lage war, mehr über den inneren Aufbau der Atome herauszufinden. Doch statt weiter über entsprechende Fragestellungen zu arbeiten und Experimente zu entwickeln, um sich einem genaueren Verständnis zu nähern, setzten der Erste Weltkrieg und vor allem die berühmten „Solvay-Konferenzen“ dieser Entwicklung ein Ende.
Es bildete sich ein Kreis um Niels Bohr, der ein dem Planetensystem ähnliches „Atommodell“ präsentierte, und die Diskussion in der Physik war fortan nur noch dadurch bestimmt, Erklärungsmöglichkeiten zu finden, um dieses Modell zu untermauern. Zu diesem Zweck veranstaltete Bohr 1922 in Göttingen eine Reihe öffentlicher Vorlesungen - „Bohr-Festspiele“ genannt -, die als riesige Publicityshow für diese neuartige, lockere Interpretation der Natur angelegt waren. Auch der junge Heisenberg war völlig fasziniert von dieser Spekulation über den angeblichen Aufbau der kleinsten Teilchen.
Das junge „Mathematikgenie“ Werner Heisenberg, den Kirchhoff wegen mangelnden experimentellen Könnens beinahe durch die Doktorprüfung in Physik hatte fallenlassen, fand nach einigen Jahren intensiver Diskussion mit Bohr eine mathematische Methode, wie man die ganze Sache darstellen konnte, je nachdem, was man von den zu Erfahrung bringenden Größen messen konnte. Diese Methode ergab, daß Ergebnisse einer Beobachtung von Elementarteilchen immer von dem Beobachtungsvorgang selbst beeinflußt werden, man also keine Aussagen über die Elementarteilchen selbst treffen könne, sondern nur über das Verhalten von Elementarteilchen in einer bestimmten Beobachtungssituation.
Heisenberg bezeichnete diesen Umstand als „Unschärferelation“, und Bohr unterstützte diese These praktisch als Beweis seiner Modelle und seiner Komplementaritätstheorie. Man hielt das Problem für gelöst. Man konnte mit dieser Methode rechnen, und obwohl man in Wirklichkeit nicht mehr wußte als vorher, entstand doch der Eindruck eines Erkenntnisdurchbruchs. Ohne alle Aspekte und Fragestellungen durch Experimente, also direkte Fragen an die Natur abgeklärt zu haben, entwickelte man lediglich eine mathematische Methode (die Max Planck wegen ihrer Willkür immer abfällig „Matrizenmechanik“ nannte), um ein erdachtes Modell darzustellen. Mit dieser Mathematik konnte man natürlich nur deshalb „rechnen“, weil man sich von vornherein darauf geeinigt hatte, nur noch nach einem Teil der Unbekannten zu fragen.
Dazu muß man wissen, daß Heisenberg in diesen Jahren bereits ein begeisterter Anhänger der Nazibewegung war, und seine Argumentation zur Verteidigung der „Quantenmechanik“, die sich in keiner Weise an der Wahrheit des Naturgeschehens orientiert, ähnelte auffällig seiner Verteidigung der Nazibewegung. Denn sein Motto lautete, es müsse endlich eine Lösung her, und der Zweck heilige die Mittel. Die Mittel in der Physik wie der Politik waren: Mißachtung aller Naturgesetze, d.h. des Wahrheitsprinzips. Heute wird dieser Vorgang oft als Aufgabe des Kausalitätsprinzips bezeichnet, was im Klartext bedeutet: Wenn ich etwas tue, zieht das für mich keine Konsequenzen nach sich.
Heisenberg beschrieb seine Haltung so. Man müsse wegen der desolaten Lage die Politik der Nationalsozialisten (er nennt sie „unsere Jugendbewegung“, obwohl er da schon 32 Jahre alt war) unterstützen, denn es sei ein Zustand erreicht, wo „der Zweck die Mittel heilige“. In einem Gespräch mit Bohr 1933 über die Interpretation der Quantenphänomene und die Unschärferelation ereiferte er sich:
„Aber Deutschland muß eben auch politisch aus dem Zustand der inneren Verrottung und der äußeren Bevormundung befreit werden. Und das ist offenbar mit den guten Mitteln allein nicht möglich gewesen. Daraus kann nicht folgen, daß jetzt alles beim alten bleiben muß. Sie kritisieren uns, weil wir einem Mann folgen, der Ihnen zu primitiv scheint und dessen Mittel Sie mißbilligen. Ich empfinde seinen Antisemitismus auch als die unerfreulichste Seite unserer Bewegung, und ich hoffe, daß er bald abklingt. Aber hat denn irgendein Vertreter der früheren Welt, irgendeiner der älteren Professoren, die jetzt über die Revolution klagen, versucht, uns Jungen einen Weg zu weisen, der besser wäre, der mit besseren Mitteln zum Ziel geführt hätte? Es war doch niemand da, der uns gesagt hätte, wie wir anders aus dem Elend herauskommen können. Auch Sie nicht. Was hätten wir also tun sollen?“
Und weiter:
„Sie wollen also immer wieder nur das Alte, das Vergangene, das Gestrige. Jeder Versuch, es zu ändern, ist nach Ihrer Ansicht schlecht. So könnte doch nie etwas neues auf der Welt geschehen. Und mit welchem Recht treten Sie in Ihrer Wissenschaft dann für neue revolutionäre Ideen ein? In der Relativitätstheorie und der Quantentheorie hat man doch auch radikal mit allem früheren gebrochen.“8
Die gleiche Bereitwilligkeit, alles bisher Gültige für eine irre Idee über den Haufen zu werfen, finden wir in Heisenbergs Darstellung der Quantenmechanik. Als Heisenberg seine mathematische Methode 1926 in einem Vortrag vor den Wissenschaftlern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin darstellte, hatte er anschließend ein längeres, bedeutendes Gespräch mit Einstein. Heisenberg berichtet darüber in seinen Erinnerungen:
„Ich mußte nun versuchen, die neue Quantenmechanik zu verteidigen. Einstweilen wissen wir noch gar nicht, in welcher Sprache wir über das Geschehen im Atom reden könnten. Wir haben zwar eine mathematische Sprache, das heißt ein mathematisches Schema, mit Hilfe dessen wir die stationären Zustände des Atoms oder die Übergangswahrscheinlichkeiten von einem Zustand zu einem anderen ausrechnen können. Aber wir wissen auch noch nicht - wenigstens noch nicht allgemein - wie diese Sprache mit der gewöhnlichen Sprache zusammenhängt. Natürlich braucht man diesen Zusammenhang, um die Theorie überhaupt auf Experimente anwenden zu können... Ich kann also nicht behaupten, daß wir die Quantenmechanik schon verstanden hätten. Ich vermute, daß das mathematische Schema schon in Ordnung ist, aber der Zusammenhang mit der gewöhnlichen Sprache ist noch nicht hergestellt.“9
Einstein kommt auf den entscheidenden Punkt der Schwierigkeiten zu sprechen, nämlich einerseits auf die Stabilität der Atome, andererseits auf das offensichtliche Element von Diskontinuität, „von Unstetigkeit in der Natur, das wir zum Beispiel sehr augenfällig erkennen, wenn wir im Dunkeln auf einem Leuchtschirm die Lichtblitze beobachten, die von einem radioaktiven Präparat ausgehen. Diese beiden Seiten hängen natürlich zusammen. In Ihrer Quantenmechanik werden Sie von diesen beiden Seiten reden müssen, wenn Sie zum Beispiel über die Aussendung von Licht durch die Atome sprechen... Können Sie den Übergang von einem stationären zu einem anderen irgendwie genauer beschreiben?“
Einstein, der Physiker, der sich seit seinem 15. Lebensjahr intensiv mit physikalischen Untersuchungen beschäftigt hatte, stand deshalb einer rein mathematischen Erklärung, die keine experimentellen Tatsachen vorzuweisen hatte, äußerst skeptisch gegenüber. Heisenberg versuchte sich mit dem üblichen Bla Bla Bohrs herauszureden, man könne diese Vorgänge wahrscheinlich gar nicht in Raum und Zeit ausdrücken, doch mußte er letztlich zugeben: „Damit ist natürlich sehr wenig gesagt. Eigentlich nur dies, daß man eben nichts weiß.“ Trotzdem führte Heisenberg die - an den Haaren herbeigezogene, aber heute gerne benutzte - Vermutung an:
„Der Übergang vollzieht sich nicht plötzlich, sondern das eine Bild wird allmählich schwächer, das andere taucht langsam auf und wird stärker, so daß eine zeitlang beide Bilder durcheinander gehen und man nicht weiß, was eigentlich gemeint ist. Vielleicht gibt es also einen Zwischenzustand, in dem man nicht weiß, ob das Atom im oberen oder im unteren Zustand ist.“
Das war und ist natürlich reine Spekulation, trotzdem bekundete er den „Willen zur Erklärung“ um jeden Preis, auch wenn man über Leichen gehen müsse.
„Jetzt bewegen sich aber Ihre Gedanken in einer sehr gefährlichen Richtung,“ warnte Einstein. „Sie sprechen nämlich auf einmal von dem, was man über die Natur weiß, und nicht mehr von dem, was die Natur wirklich tut. In der Naturwissenschaft kann es sich aber nur darum handeln, herauszubringen, was die Natur wirklich tut. Es könnte doch sehr wohl sein, daß Sie und ich über die Natur etwas verschiedenes wissen. Aber wen soll das schon interessieren? Sie und mich vielleicht. Aber den anderen kann das doch völlig gleichgültig sein. Also, wenn Ihre Theorie richtig sein soll, so werden Sie mir eines Tages sagen müssen, was das Atom tut, wenn es von einem stationären Zustand durch Lichtaussendung zum anderen übergeht.“
Diesem Auftrag ist Heisenberg nie gerecht geworden. Im Gegenteil. Ganz und gar Mathematiker, beginnt er alles mögliche zur Verteidigung seiner mathematischen Theorie vorzubringen, praktisch mit dem Kern:
„Aber ich muß zugeben, daß für mich von der Einfachheit und Schönheit des mathematischen Schemas, das uns hier von der Natur suggeriert worden ist, eine ganz große Überzeugungskraft ausgeht... Das Gefühl, das einem bei einem solchen Anblick überkommt, ist doch völlig verschieden etwa von der Freude, die man empfindet, wenn man glaubt, ein Stück (physikalischer oder nichtphysikalischer) Handwerksarbeit besonders gut geleistet zu haben.“
Und zur Verteidigung fügt er an:
„Die Einfachheit des mathematischen Schemas hat außerdem hier zur Folge, daß es möglich sein muß, sich viele Experimente auszudenken, bei denen man das Ergebnis mit großer Genauigkeit nach der Theorie vorausberechnen kann.“
Worauf Einstein mit dem entscheidenden Satz die Diskussion beendet:
„Die Kontrolle durch das Experiment ist natürlich die triviale Voraussetzung für die Richtigkeit einer Theorie. Aber man kann ja nie alles nachprüfen. Daher interessiert mich das, was Sie über die Einfachheit gesagt haben, noch mehr. Aber ich würde nie behaupten wollen, daß ich wirklich verstanden hätte, was es mit der Einfachheit der Naturgesetze auf sich hat.“
Einstein hatte die Trickserei Bohrs und Heisenbergs durchschaut, deren Haltung war, die neue Methode sei schon deshalb eine „Lösung“, weil sie „einfach“ sei. Hatte man nicht auch der Einfachheit halber angenommen, die Planeten bewegten sich auf Kreisen um die Sonne?
Die Tragik war, daß Einstein von den Nazis immer mißtrauischer beäugt und schließlich von fanatischen Kollegen verleumdet und angefeindet, ja seine Relativitätstheorie sogar als „jüdische Wissenschaft“ verunglimpft wurde, so daß er auf einer Reise in die USA entschied, ganz dort zu bleiben, nachdem er während des US-Aufenthaltes von der Durchsuchung seines Hauses durch die Nazis erfahren hatte. Mit ihm wurden viele weitere bedeutsame Wissenschaftler vertrieben.
Dadurch ist aber nur zum Teil zu erklären, daß sich in Deutschland trotz vehementen Widerstands von einflußreichen Wissenschaftlern, wie zum Beispiel Max Planck, die Methode der intuitiven Spekulation mit „Modellen“ statt der sich auf experimentelle Nachprüfung von Hypothesen stützende exakten Natur-Erforschung durchsetzte. Weitaus entscheidender war der Einfluß derjenigen, die den Wahnsinn der Nazi-Massenpsychose ideologisch überhaupt möglich gemacht hatten und denen Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker äußerst nahestanden. Diese Ideologen prägten nicht nur die politische Entwicklung, sondern auch den Tenor der weiteren Entwicklung der Physik und Wissenschaft, bis die spekulative Verirrung der Quantenmechanik immer mehr zum Dogma und als „wahr“ hingestellt wurde.
Die „Komplementarität“ - das nicht Entscheidenkönnen oder -müssen - prägte von nun an das philosophische, aber auch das allgemeine gesellschaftliche Denken. Schon 1932 resümierte Erwin Schrödinger in seinem Aufsatz „Ist die Physik milieubedingt?“ über die Annahme „eines von uns unabhängigen Objektes der Naturforschung“, das „nach und nach ausgeforscht wird“, wobei jeder Teil einmal drankommen müsse und „das subjektive Moment“ nur in der Reihenfolge liege und daher sinnlos sei. Deshalb forderte er, daß man diese Annahme aufgeben müsse.10
Heisenberg hoffte, daß die Ergebnisse der Quantenphysik „ihren Einfluß auf die größeren Ideenfelder geltend machen [würden], [so wie] die Renaissance das kulturelle Leben der nachfolgenden Epochen verändert hat.“11
Und Max Born, Mitbegründer und eifriger Verfechter der Quantenmechanik, schwärmte in einem Brief an Wolfgang Pauli über die neue Möglichkeit, Dinge so oder so darzustellen, gerade so, wie man sie sieht:
„Was mir unter der neuen Wirklichkeitsidee vorschwebt, möchte ich versuchsweise nennen: die Idee der Wirklichkeit des Symbols... Es hat etwas vom alten Gottesbegriff und auch etwas vom alten Dingbegriff. (Beispiel innerhalb der Physik: ,das Atom’. Die primären Qualitäten der Raumerfüllung sind ja verloren gegangen. Wäre es kein Symbol, wie könnte es ,sowohl Welle als auch Teilchen’ sein?) Das Symbol ist symmetrisch in bezug auf ,Diesseits’ und ,Jenseits’... Das Symbol ist wie ein Gott, der auf den Menschen wirkt...“12
Das Verhängnisvolle an der „einfachen Lösung“ war, daß sie Millionen Menschenleben kostete. Aber wie wir noch sehen werden, wird uns heute die gleiche „einfache Lösung“ in neuem, diesmal grünem Mantel von den sogenannten „Umweltschützern“ präsentiert. Und die Nazi-Ideologen Martin Heidegger und die Brüder Ernst und Georg Friedrich Jünger, deren Denken Heisenberg und von Weizsäcker so nahestanden, arbeiteten entscheidend mit daran, daß dieses Denken damals zur Grundlage von Philosophie und Politik wurde und heute wieder geworden ist. Mit einer abgrundtiefen Abscheu gegen die menschliche Vernunftbegabung und Kreativität, gegen alle exakte Wissenschaft und das, was den Menschen vor allen Lebewesen auszeichnet, schufen sie das geistige Klima für die Machtergreifung Hitlers sowie nach dem Krieg den Nährboden für die grüne Ökodiktatur.
Als im Jahre 1993 der französische Präsident François Mitterrand zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl dem uralten Ernst Jünger in seinem Haus Wilflingen einen Besuch abstatteten, haben das viele als bloße Verehrung eines greisen Dichters verstanden. Wer aber Ernst Jünger wirklich kannte, den versetzte eine solche Wertschätzung durch demokratische Politiker doch ziemlich in Erstaunen. Unter den meisten Sozialdemokraten - mit einigen Ausnahmen - war Jünger als offen für die Herrenrasse eintretender Repräsentant einer mystischen Blut- und Bodenverehrung und Wegbereiter der Nazis völlig verpönt.
Bereits in seinem sogenannten Hauptwerk Der Arbeiter - 1932, ein Jahr vor Machtergreifung der Nazis veröffentlicht - legte Jünger dem „Führer“ den roten Teppich aus:
„Man wird eine Eigenschaft, die man vor allen anderen für das Kennzeichen des Deutschen hält, nämlich die Ordnung, immer zu gering einschätzen, wenn man in ihr nicht das stählerne Spiegelbild der Freiheit zu erkennen vermag. Gehorsam, das ist die Kunst zu hören, und die Ordnung ist die Bereitschaft für das Wort, die Bereitschaft für den Befehl, der wie ein Blitzstrahl vom Gipfel bis in die Wurzeln fährt. Jeder und jedes steht in der Lebensordnung, und der Führer wird daran erkannt, daß er der erste Diener, der erste Soldat, der erste Arbeiter ist. Daher beziehen sich sowohl Freiheit wie Ordnung nicht auf die Gesellschaft, sondern auf den Staat, und das Muster jeder Gliederung ist die Heeresgliederung, nicht aber der Gesellschaftsvertrag. Daher ist der Zustand unserer äußersten Stärke erreicht, wenn über Führung und Gefolgschaft kein Zweifel besteht.“13
Jüngers These war, daß die Eingeweide stets der bessere Ratgeber für den Menschen seien als sein Gehirn. Besonnenes, vernünftig durchdachtes Verhalten war ihm ein Greuel und galt ihm als Zeichen von Schwäche. Bekannt sind sein Rauschgiftkonsum, der zu seinem Leben gehörte, und seine enge Freundschaft mit Albert Hofmann, dem Erfinder des LSD. Nach Ausbruch des Krieges feierte er den sich in den Kriegserlebnissen zeigenden Triumph der menschlichen Triebkräfte gegen die Ratio.
Jünger zog stets eine geistige Abgrenzung des musischen Menschen gegenüber dem Techniker. In seinem Buch Strahlungen schrieb er: „Die großen Kämpfe unserer Zeit werden unter der Oberfläche geliefert - so das Treffen, das zwischen dem Techniker und dem musischen Menschen stattfindet.“ Das Musische gehört laut Jünger „zu unserer vegetativen und nicht zu unserer animalischen Existenz“, während das Animalische dem Täter zugeordnet sei: „Die eigentliche Kraft des produktiven Menschen liegt überhaupt im vegetativen Leben, während sich die des Täters aus dem animalischen Willen speist.“14
Bereits seit 1935 war Werner Heisenberg mit Martin Heidegger und den Brüdern Ernst und Georg Friedrich Jünger befreundet. Später besuchte er Heidegger zusammen mit Carl Friedrich von Weizsäcker und dessen Onkel Viktor zu einem mehrtägigen Gespräch in Todtnauberg. Viktor von Weizsäcker führte als Neurologe in den zwanziger Jahren bereits die „psychosomatische Medizin“ ein und erregte allgemeines Aufsehen, als er noch während des Nürnberger Ärzteprozesses den Aufsatz „Euthanasie“ und Menschenversuche veröffentlichte. Dort behandelt er - gewissermaßen mit naturwissenschaftlicher Akribie - die Probleme der Menschenversuche und der nationalsozialistischen Euthanasie und verteidigt diese mit dem Argument, daß eben „zahlreiche ärztliche Handlungen absichtlich oder unvermeidlich mit Vernichtungsmaßnahmen verbunden sind.“15
Im weiteren Kontakt zwischen Heidegger, den Brüdern Jünger, Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker ging es um die kulturelle Bedeutung der Naturwissenschaft, und direkt nach dem Krieg um Fragen des „Atomzeitalters“, denn nach der durch Weizsäcker ausgegebenen Sprachregelung, die deutschen Bombenbauer „wollten ja eigentlich gar nicht, daß es klappt“, kehrte man nun einen tiefen Gewissenskonflikt heraus, ob man sich als Physiker überhaupt noch mit Atomphysik etc. beschäftigen könne. Vorbildhaft wirkte beider Engagement auch bei dem Göttinger Protest gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Nuklearwaffen 1956. Mehr und mehr ging es aber auch darum, die Bedeutung der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu zerreden, wie man an Carl Friedrichs dubioser Rolle als Vermittler in der Gorleben-Diskussion zwischen Demonstranten und Politikern sieht.
Durch den Austausch mit Heisenberg und Weizsäcker verschärften einerseits Heidegger und die Jünger-Brüder ihre Kritik an der exakten Wissenschaft, andererseits wuschen die Physiker in ihrer zur Schau getragenen Besorgnis ihre Weste rein. Aus der Einstellung Heisenbergs und seiner physikalischen Erklärungsnot für die wirklichen Vorgänge im Atom - für die die Quantenmechanik bis heute keine Antwort geliefert hat - läßt sich auch begreifen, wie sehr es ihm neben seiner politischen Rechtfertigung nach dem Krieg auch immer um die philosophische Rechtfertigung seiner Modelle ging. Das gleiche gilt für Carl Friedrich von Weizsäcker, der als Assistent Heisenbergs und auch in seinen späteren Positionen viel mehr „interpretatorisch“ und „philosophisch“ denn als Experimentator und Forscher eine Rolle spielte. Vielleicht kommt zur Heidegger-Verehrung der beiden noch eine gewisse verletzte Eitelkeit hinzu, denn im Prinzip waren sie ja, wie Otto Hahn es damals in „Farm Hall“ richtig ausgedrückt hatte, als Wissenschaftler „zweitklassig“. Und das wußten sie.
Heisenberg war seit den dreißiger Jahren und nahtlos bis zum Ende seines Lebens vor allem mit Ernst Jünger freundschaftlich verbunden. In den Jahren 1949/50 gab es sogar ein gemeinsames Zeitschriftenprojekt mit dem Namen „Pallas“, worin neben Beiträgen von Ernst und Georg Friedrich Jünger auch Artikel von Heidegger, Mohler und Carl Schmitt vorgesehen waren. Im August 1947 besucht Ernst Jünger u.a. Heisenberg in Göttingen, „mit dem ich Kaffee trank und den Weltlauf beredete“.16 Und im Jahre 1969 schrieben Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker herzliche Gratulationsbriefe an Heidegger zu dessen 80. Geburtstag, die in der Festschrift „Dem Andenken Martin Heideggers“ 1976 kurz nach dessen Tod mit Beiträgen u.a. von Hannah Ahrend und vielen anderen veröffentlicht wurden.
Jüngers und Heideggers angebliche „Wandlung“ nach dem Krieg beruhte auf einem riesigen philosophischen Rummel, den die Briten und ihre adeligen Freunde in Deutschland mitsamt der Presse veranstalteten.
Schon in den fünfziger Jahren wurden durch das Ehepaar von Podewils für den angeblich rehabilitierten Jünger (er wollte sich definitiv als „Seismograph“ verstanden wissen) sowie für Heidegger in München regelmäßig Tagungen zur Propagierung von Heideggers Thesen veranstaltet (zu den Podewils siehe nebenstehenden Kasten). Mit dabei waren fast immer auch Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker. Clemens Graf zu Podewils organisierte 1953 die Tagung an der Münchner Akademie der Schönen Künste, ein Forum für die Verbreitung von Heideggers abgrundtiefer Abneigung gegen exakte Wissenschaft.
Dabei wurde die Heisenbergsche Unschärferelation dazu auserkoren, Heideggers Aussagen zu untermauern. Heisenberg selbst machte in seinem Vortrag deutlich, daß die Quantentheorie aufgrund der von ihm entdeckten angeblichen „Unbestimmbarkeit“ bzw. eines nur durch „Wahrscheinlichkeitsaussagen“ beschreibbaren Charakters der Natur zu einer Auflösung der klassischen Einteilung der Welt in „Subjekt und Objekt“ geführt habe, da für sie der Gegenstand der Forschung nicht mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur sei.
Das ganze diente vor allem der Selbstinszenierung Heideggers und gab ihm die Möglichkeit, sich als derjenige zu präsentieren, der wegen seines besinnlichen Denkens einen tieferen Einblick in das Wesen der Wissenschaft gewonnen habe. „Die Wissenschaft denkt nicht,“ betonte Heidegger, und die Frage nach dem Sein könne deshalb nicht von der Wissenschaft, sondern nur von einem „besinnlichen“ Denken gestellt werden:
„Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich bejahen oder verneinen. Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.“17
Die Kulturtagungen waren dazu gedacht, Heideggers in allen Facetten hervorgebrachte Kritik an der „gängigen Meinung über die Technik“ zu verbreiten, und das Fazit war ein großes Lamento auf die Naturwissenschaft und das „Vernunftdenken des Abendlandes“, wie man es ausdrückte. Romano Guardini, ein anderer Redner, brachte es auf den Punkt. In seinem Vortrag definierte er die moderne Technik und Naturwissenschaft als unakzeptable „Herrschaft über die Natur“, in der die Natur nur noch kontrolliert und reguliert werde. Guardini erkennt: „Die unüberwachte Natur - die ,Wildnis’ Hölderlins - verschwindet. Die Einsamkeit wird immer seltener, ebenso wie die Stille.“ Er forderte deshalb die „Entwicklung einer Souveränität des Geistes den wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten gegenüber“.18
Nach der Tagung äußerte Dolf Sternberger, das moderne [Wasser-]Kraftwerk habe den vormals von Hölderlin besungenen „Rheinstrom“ zum reinen Wasserdrucklieferanten degradiert... (Nebenbei bemerkt steht diese Hölderlin-Verherrlichung noch in der Tradition Hitlers, der so begeistert von dem Dichter war, daß er dem „Duce“ persönlich eine Gesamtausgabe überreichte.) Andere Redner waren Walter Riezler, Emil Preetorius und Manfred Schröter.
Um die Thesen unters Volk zu bringen, wurde der eine ganze Woche dauernde Vortragszyklus mit massiver Pressepublicity begleitet. Es war die Rede von einem „geistigen Großereignis“, und die Münchner Abendzeitung schrieb, daß es einen „Andrang gebe, wie man es sonst nur bei Eisrevuen, ganz großen Filmpremieren oder ähnlich zugkräftigen Dingen gewohnt ist.“ Und: „Keine Sensation, sondern wissenschaftliches Bedürfnis! Die Vorträge der Akademie der Schönen Künste in der TH sind überfüllt“ (Münchner Abendzeitung, 23. November 1953).
Auf einer weiteren von Clemens Graf Podewils organisierten Tagung vom 19. bis 23. Januar 1959 in der Aula der Uni München gab es Vorträge von Romano Guardini über „Die religiöse Sprache“, Carl Friedrich von Weizsäcker über „Sprache als Information“, Georg Friedrich Jünger über „Wort und Zeichen“, dem Musikwissenschaftler Georgiades über „Sprache als Rhythmus“ und Martin Heidegger über den „Weg zur Sprache“. Auf Einladung der Berliner Akademie der Künste in Westberlin wurden alle Vorträge direkt danach wiederholt, wozu sämtliche Redner unmittelbar im Anschluß an die Münchner Tagung nach Berlin geflogen wurden. Die Bayrische Akademie veranstaltete noch eine Anschlußtagung, auf der Buber, Heisenberg, Carl J. Burckhardt und Wolfgang Schadewaldt sprachen.
Von einer „Wandlung“ kann allerdings nicht die Rede sein. Es ist schon verwunderlich, daß schon so kurz nach dem Krieg wieder damit begonnen wurde, dieselben Ideologien, ein bißchen anders verpackt, wieder zu verkaufen. Vor allem, weil Jünger noch mit 76 Jahren Mitherausgeber der italienischen rechten Monatszeitschrift La Destra wurde, in der zum Beispiel 1972 Sätze standen wie: „Das Blut von einer Million Menschen ist gut vergossen, wenn es nur eine Ruhmeslegende für die kommenden Generationen schafft..., wozu es vergossen wird, spielt keine Rolle.“
In einem Interview mit dem Spiegel 1984 verteidigte Jünger im Rückblick seine Übereinstimmung mit der Politik der Nazis: „Mit Hitlers Sudetenland-Politik und dem Anschluß Österreichs bin ich noch heute völlig d'accord.“ Und in einem Gespräch mit Mohler bezeichnete er sogar den Versailler Vertrag als weitaus schlimmer als Auschwitz.
Der von Jüngers kosmetischen Wandlungsoperationen bitter enttäuschte Armin Mohler berichtete dem befreundeten Jünger 1955 von seinem Gespräch mit dem Chefredakteur der Oberösterreichischen Nachrichten in Linz, Walter Pollak, der die Bedeutung des Arbeiters bestätigte und ebenso wie Mohler Jüngers spätere Deutungen dazu verurteilte: „Ja moanen´s denn, wir seien wegen eines Lackels wie dem Rosenberg zu den Nazis gegangen? Wegen des Arbeiters sind wir Nazis geworden, wir und viele andere.“19
Mohler selbst war bekanntlich nach dem Lesen des Arbeiters für die SS und die Nazibewegung rekrutiert wurde. (Er erzählte Jünger, nach dem Lesen habe er das Buch zugeklappt und sei nachts heimlich über die Grenze gegangen). Er machte Ernst Jünger beim Erscheinen von dessen erster Werkausgabe, die er mit dem Klett-Verlag in den fünfziger Jahren vorbereitet hatte und die 1960 erschien, vor allem den schweren Vorwurf, seine frühen Werke zu stark retuschiert zu haben.
Heidegger hatte auf der Tagung 1953 den Rahmen gesetzt. Es gehe nicht nur um Technik ja oder nein, es gehe um das „Imago Viva Dei“ jedes einzelnen Menschen:
„Die moderne Technik ist keineswegs erst die Anwendung der modernen Naturwissenschaft auf die Anfertigung von Maschinen und Apparaten, sondern die moderne Naturwissenschaft ist in ihrem Wesen von Anfang an der technische Angriff auf die Natur und deren Eroberung.“20
Alle dadurch vorgegebenen Thesen gegen die Technik, die Betonung, doch wieder besinnlich und „aus dem Bauch heraus“ zu leben, durchsetzen heute die Medienlandschaft bei fast allen Themen und kommen einem sehr bekannt vor. Aber wenn das alles mit Bildern von sich schön gleichmäßig bewegenden Windmühlen vor duftigen Wiesen und einem wunderschönen blauen Himmel, veröffentlicht in sanften, ratschlaggebenden Tönen zum Beispiel in einer modernen Frauenzeitschrift, daherkommt - wer vermutet schon, daß dies auch die Grundideologie der Nazibewegung war? Doch hatte nicht Heidegger bereits 1936 vor der „Verwüstung der Erde“ durch die „Vernutzung aller Stoffe“ gewarnt und vehement gefordert, eben deshalb müsse die „technische Herrschaft“ überwunden werden?21
Es wundert uns deswegen nicht, daß viele Grüne heute ganz offen Ernst Jünger verteidigen, wie beispielsweise Joschka Fischer 1982 bei der Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt am Main an Ernst Jünger. Obwohl sich sogar innerhalb der Grünen Widerstand bildete und dieser Tumult wochenlang die Zeitungen beschäftigte, bekam Jünger schließlich seinen Preis und schritt stolz durch ein Spalier von Polizisten in die Paulskirche.22
Heideggers und Jüngers abgrundtiefer Haß auf die Vernunftbegabung des Menschen nährte nach dem Krieg die Ökologiebewegung in allen ihren Facetten, wie Klima-, Ressourcen-, Tier- oder Artenschutz sowie die Bekämpfung von Überbevölkerung - nicht zuletzt dank der aktiven Beihilfe vor allem durch Carl Friedrich von Weizsäcker.
Alle zehren sie dankbar von Heideggers und Jüngers Ideologien. Sogar zum Thema „Überbevölkerung“ hatte Jünger im Arbeiter schon die „einfache Lösung“ beschrieben:
„Ebenso unschwer zu erraten ist die Wiederentdeckung der sehr alten Wissenschaft der Entvölkerungspolitik. Hierher gehören bereits die berühmten ,vingt millions de trop’ [„20 Millionen sind zu viel“], ein Apercu, das inzwischen durch den Bevölkerungsschub, ein Mittel, durch das man sich sozialer oder nationaler Grenzschichten auf dem Verwaltungswege zu entledigen beginnt, an Anschaulichkeit gewonnen hat.“23
Bereits im Jahre 1946 prägte der Nazi-Unterstützer Sir Julian Huxley auf der Gründungstagung der UNESCO die Devise für die zukünftige Politik der Elite. In dem offiziellen UNO-Dokument „Die UNESCO, ihr Zweck und ihre Philosophie“, zeigte Huxley offen, wes Geistes Kind er war: „Auch wenn es sicher richtig ist, daß eine radikale eugenische Politik für viele Jahre politisch und psychologisch unmöglich sein wird, wird es für die UNESCO wichtig sein, dafür zu sorgen, daß das eugenische Problem mit der größten Sorgfalt geprüft und die Öffentlichkeit über das fragliche Thema informiert wird, damit vieles, was heute undenkbar erscheint, wenigstens wieder denkbar wird.“24
Das alte Denken wurde neu verpackt: „Conservation“ - Umweltschutz - war das Schlagwort. Carl Friedrich von Weizsäcker war persönlich federführend beteiligt an der Gründung und den Aktivitäten vieler Organisationen und Institute, die in diesem Sinne aktiv wurden und damit im Prinzip eine Weiterführung der Heideggerschen Anti-Technik-Ideologie waren. Sein Name wurde von den Medien mit einem so ehrenhaften Mäntelchen umgeben, daß alle seine Äußerungen über die „Tragik“ des Atombombenbaus und die beständige Herauskehrung der Betroffenheit als „Weisheit letzter Schluß“ gewertet wurden. Aus Heideggers Forderung, daß nur der besinnliche Mensch die Fragen ans Sein stellen könne, erklärt sich auch Weizsäckers Wandlung zur fernöstlichen Spiritualität, als er in den sechziger Jahren die „Forschungsgesellschaft für westliche Wissenschaft und östliche Weisheit“ gründete. Als wenn nicht die Grundprinzipien der Natur im gesamten Universum die gleichen seien, ging es hier um Themen, wie die Verknüpfung östlicher Mystik im Verhältnis mit den westlichen Rationalitätsvorstellungen.
Die Gründe für die völlige Reinwaschung Carl Friedrichs durch die Elite sind offensichtlich: für die Oligarchie soll der Mensch gefälligst „Untertan“ bleiben. Ein Untertan, der sich mit exakter Forschung beschäftigt und Kernkraftwerke baut und damit zum Beispiel Wasser entsalzt und Energie für mehr Menschen produziert, ist der Oligarchie schon intuitiv ein absolutes Greuel.
Carl Friedrich von Weizsäcker war nicht nur maßgeblich an der Gründung des Club of Rome (siehe Artikel von Andrea Andromidas, Neue Solidarität Nr. 10/2010) beteiligt, sondern er initiierte auch zahlreiche ideologisch ausgerichtete Einrichtungen wie das „Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH“ - das von seinem Sohn Ernst Ulrich gegründete „Wuppertal-Institut“, das solche Werke wie „Faktor Vier - Doppelter Wohlstand, Halbierter Naturverbrauch“ verbreitet - oder das „Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung“ an der Universität Hamburg, und er war Mitarbeiter und Unterstützer zahlreicher Studien zur Bevölkerungspolitik bzw. -kontrolle, Ressourcenkontrolle und Klimaschutz.
Nicht zuletzt muß auch die in vielen politischen Gremien und parlamentarischen Entscheidungen zu Rate gezogene „Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung“ („Institut für Strategische Zukunftsanalyse“) erwähnt werden, die ihre Arbeitsfelder durch Leitzitate wie „Die Weltbevölkerung explodiert, aber der Teil, der durch die Aufklärung geprägt ist, der implodiert“ (Kurt Biedenkopf) vielsagend bezeichnet.
Dabei kommt einem Goyas Zeichnung mit dem Titel „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ in den Sinn, denn heute sind die Auswirkungen dieser Ideologie auf den Großteil der Weltbevölkerung bereits mörderisch: Mindestens eine Milliarde Menschen hungern und müssen ohne frisches Trinkwasser auskommen. Wir sollten diesem geplanten Völkermord endlich ein Ende bereiten und auf wissenschaftlichem Gebiet wieder dort ansetzen, wo große Forscher wie Bunsen, Kirchhoff, Pringsheim, Planck und Einstein aufgehört haben. Vor allem in Deutschland sollten wir das dringendste Bedürfnis haben, den Oligarchen und ihren Lakaien kein Gehör mehr zu schenken. Damit es wieder eine Bedeutung für die Menschen bekommt: Das Leben ist wahr - Entvölkerung ist falsch!
Anmerkungen
1. Aus dem Tagebuch Otto Hahn, in Otto Gerhard Oexle, „Hahn, Heisenberg und die Anderen, Anmerkungen zu ,Kopenhagen’, ,Farm Hall’ und ,Göttingen’“, Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“, 2003, Max Planck Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Prof. Dr. Oexle ist Direktor am Max Planck Institut für Geschichte in Göttingen und Honorarprofessor für Mittlere und neuere Geschichte an der Universität Göttingen. S. 37.
2. ebenda, S. 37, zitiert aus: Hoffmann, „Operation Epsilon“, S. 146 ff.
3. siehe a) Welt-online vom 20.03.05, „Weizsäckers Atombomben-Patent - Wie der Berliner Kernphysiker an der kriegsentscheidenden Waffe des ,Führers’ bastelte“; sowie b) „Bekanntmachung der das Bohr-Heisenberg-Treffen betreffenden Dokumente“, Februar 2002, Aage Bohr, „The War Years and the Prospects raised by the Atomic Weapons“ in „Niels Bohr. His life and work as seen by his friends and colleagues“, Stefan Rozental, 1967, S. 193.
4. siehe Oexle S. 41.
5. Welt-online a.a.O.
6. Oexle a.a.O., S. 21; im erwähnten Buch von Robert Jungk ließ dieser bei der Wiedergabe eines Briefes von Heisenberg vom 17. Nov. 1956 den entscheidenden Satz einfach weg: „Ich möchte diese Bemerkung nicht dahin mißverstanden wissen, daß ich selbst einen Widerstand ausgeübt hätte“ (Heisenberg).
Jungk präsentiert außerdem die an den Haaren herbeigezogene Behauptung, die beiden Physiker Heisenberg und Weizsäcker hätten Bohr 1941 von dem geheimen Plan berichtet, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus aller Welt den Atombombenbau zu sabotieren (siehe dazu die in 3b erwähnten Bohr-Dokumente). Erwähnenswert ist auch, daß nach der Veröffentlichung der Bohr-Briefe, die Heisenberg und Weizsäcker belasteten, gleich Leute wie Hans Peter Dürr, Physiker, Heisenberg-Schüler und langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts in München, in die Bresche sprangen und verkündeten: „Es gibt nichts Neues. Heisenberg ist das Opfer kollegialen Neids“ (FAZ, 9./10. Februar 2002).
7. Oexle a.a.O., S. 6.
8. Werner Heisenberg, „Der Teil und das Ganze“, 1969, Piper & Co. Verlag München, S. 202.
9. ebenda, S. 95 ff.
10. Erwin Schrödinger, „Ist die Physik milieubedingt?“, 1932, wiederabgedruckt in: Karl von Mayenn, „Quantenmechanik und Weimarer Republik“, Braunschweig 1994, S. 306.
11. Die Zeit-online, „Über Wen haben wir gelacht?“, 1999, Ausgabe 13, Übersetzung eines Artikels aus „Physics Today“.
12. ebenda
13. Ernst Jünger, „Der Arbeiter“, Klett-Verlag Stuttgart, 1963, Erstausgabe 1932, S. 19/20,
14. Daniel Morat, „Von der Tat zur Gelassenheit - Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1929 - 1960“, Wallstein Verlag Göttingen, 2007, S. 403, Fußnote 63.
15. siehe: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/2971/
16. Morat a.a.O., S. 473, Fußnote 53
17. ebenda, S. 481
18. ebenda, S. 482
19. ebenda, S. 430
20. ebenda, S.474
21. ebenda, S. 466, aus: Martin Heidegger, Werke
22. Jutta Ditfurth, „Der veredelte Faschist“, aus Jungleworld 9/98, veröffentlicht im Internet unter www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr325.htm
23. siehe Ernst Jünger, „Der Arbeiter“, Klett-Verlag Stuttgart, 1963, Erstausgabe 1932, S. 158
24. siehe Julian Huxley, UNESCO, its purpose and its philosophy, http://unesdoc.unesco.org/images/0006/000681/068197eo.pdf