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Die Entscheidung der SEC, die Investmentbank Goldman Sachs wegen betrügerischer Praktiken vor Gericht zu bringen, hat einen Sturm der Wut auf die Wall Street in der Bevölkerung entfesselt, der die Abgeordneten des US-Kongresses vorantreibt und zeigt, was eine Pecora-Untersuchung bewirken könnte. Auch in Deutschland und Rußland werden nun die Methoden von Goldman Sachs zum Thema.
Die Entscheidung der amerikanischen Börsenaufsicht (SEC) vom 16. April, die Investmentbank Goldman Sachs wegen Betrugs vor Gericht zu bringen, erweist sich für die Wall Street als das Öffnen einer Pandora-Büchse, denn seither werden immer neue, bisher vertraulich behandelte Aspekte ihrer Geschäftspraktiken bekannt.
In der Klage der SEC wird Goldman Sachs vorgeworfen, die Bank habe Investoren um rund 1 Mrd. $ betrogen, indem sie ihnen verbriefte Forderungen verkaufte, mit der Erklärung, die Papiere seien von einer „unabhängigen, objektiven Partei“ als sichere Anlagen ausgewählt worden, während sie tatsächlich von dem Goldman-Kunden John Paulson gerade deshalb ausgewählt wurden, weil ihr Wert wahrscheinlich sehr bald kollabieren würde. Gleichzeitig kaufte Paulson von Goldman Kreditausfall-Swaps - schloß also Wetten auf den Kollaps der Papiere ab, die von Goldman nach Eintreten des Verlustes - unter Abzug eines Anteils an der Beute - ausgezahlt wurden. Dem Kunden - der Firma ACA - wurde Paulson als einer der Hauptinvestoren des Fonds vorgestellt, was diese dazu veranlaßte, ihm die Auswahl der Papiere zu überlassen.
In der SEC-Klage wird nur ein einziger Mitarbeiter der Bank persönlich beschuldigt - ein zum fraglichen Zeitpunkt 28jähriger Mitarbeiter von Goldman Sachs namens Fabrice Tourre. Aber anstatt Tourre zu opfern und das Verfahren mit einer Geldbuße beizulegen, wie es sonst in solchen Fällen üblich ist, ging die Bank in die Gegenoffensive - offenbar in der Annahme, daß ein Damm brechen würde, wenn sie sich darauf einließe.
Tatsächlich argumentiert Goldman, die Vertreterin der betrogenen Firma ACA, Laura Schwartz, hätte wissen müssen, daß Investoren auch Wetten gegen ihre eigenen Investitionen abschließen können, denn schließlich habe sie selbst auch schon Geschäfte mit dem Hedgefonds „Magnetar“ getätigt, der genau dies getan habe: Magnetar habe als Anleger stets einen Anteil von 5%-10% an seinen Fonds gehalten und dieses Geld auch stets verloren, gleichzeitig aber durch Derivat-Wetten auf diesen Fall die übrigen 90-95% eingesackt. Goldman argumentiert also faktisch: „Wir sind alle kriminell - das ist in der Branche so üblich.“
Manche unserer Leser mag das erinnern an Helga Zepp-LaRouches Artikel „Ist das ganze Weltfinanzsystem ein Madoff-Schwindel?“, den wir in der Neuen Solidarität 1-2/2009 veröffentlichten.
Tatsächlich dienten solche Fondsgesellschaften wie Magnetar den Großbanken dazu, den Anschein zu erwecken, ihre Müllpapiere seien noch etwas wert. Interessanterweise war an dem ersten Magnetar-Fonds Orion auch die Deutsche Bank beteiligt, die ihrerseits wiederum die IKB als Investor an Bord holte. Während die IKB nach riesigen Verlusten vom deutschen Staat gerettet werden mußte, ist Magnetar aufgrund seiner Wetten, daß es mit seinen Investitionen Schiffbruch erleiden werde, immer noch im Geschäft.
Aber nicht nur die IKB machte riesige Verluste mit solchen Geschäften, auch etliche der deutschen Landesbanken waren davon betroffen, und die Financial Times verriet am 20. April, warum: Die Europäische Kommission hatte angeordnet, daß den staatlichen Landesbanken (wie auch den Sparkassen) Mitte 2005 die bisherigen Staatsgarantien entzogen wurden, die als unlautere Bevorzugung im finanziellen Wettbewerb ausgelegt und untersagt wurden.
In dem Wissen, daß dieser Schritt zu einer Verschlechterung ihres Kreditratings führen und so die Refinanzierungskosten dramatisch in die Höhe treiben würde, nahm der ganze Sektor 2004 und 2005 riesige Geldmengen auf den Märkten auf, bevor die Garantien ausliefen, und versuchte, mit dieser riesigen Geldschwemme möglichst große Gewinne zu machen. Und deshalb investierten sie das Geld in solche Fonds wie Orion.
Angesichts der neuen Enthüllungen über die Rolle von Goldman Sachs sollte auch in Deutschland endlich die Forderung von Helga Zepp-LaRouche nach einer Pecora-artigen Untersuchung aufgegriffen werden, denn nicht nur die Landesbanken wurden Opfer solcher Praktiken, auch die meisten Kommunen haben schlechte Erfahrungen mit solchen Geschäften gemacht, bei denen sehr oft Goldman Sachs als Berater auftrat (siehe nebenstehenden Kasten). Ferdinand Pecora hatte 1933 im Auftrag des Kongresses die Geschäftspraktiken von J.P. Morgan untersucht und mit seinen Enthüllungen einen Sturm der Entrüstung über die Wall Street in der Bevölkerung ausgelöst, der die Verabschiedung des Glass-Steagall-Gesetzes ermöglichte.
Diesmal könnte Goldman Sachs die Rolle übernehmen, die 1933 J.P. Morgan spielte. Besonders gefährlich für die Bank wird der Skandal durch die engen Geschäftsbeziehungen zwischen Goldman Sachs und dem Versicherungskonzern AIG, denn die beiden Institute arbeiteten bei den Kreditausfall-Swap-Geschäften eng zusammen; tatsächlich waren sie in diesem Geschäftsfeld wohl jeweils ihre wichtigsten Geschäftspartner. Und weil die US-Regierung AIG nach dem Kollaps der Versicherung insgesamt mit mindestens 182 Mrd.$ stützen mußte, kommen nun Forderungen aus dem Kongreß - etwa von den Abgeordneten Elijah Cummings und Peter DeFazio -, diese Geschäfte zwischen Goldman Sachs und AIG zu untersuchen und von Goldman alle AIG-Gelder zurückzufordern, die es sich auf betrügerischem Wege angeeignet hat.
Der permanente Untersuchungsausschuß des Senats unter der Leitung von Sen. Carl Levin hat Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein und seinen Londoner Derivathändler Fabrice Tourre zu einer Anhörung vorgeladen, die am 27. April stattfinden soll. Der Ausschuß hat gerade erst ein gründliches Exposé über die riesigen „Verbriefungs“-Operationen mit den 90% betrügerischen Hypothekenkrediten der Washington Mutual Bank vorgelegt, und offenbar versucht Levin, nun doch eine Pecora-artige Untersuchung in Gang zu setzen, die Obama und die Führung der Demokraten im Kongreß noch im vergangenen Jahr verhindert hatten.
Auch wenn ein Teil der Beteiligten wohl nur versucht, durch ein Hervortun in dieser Angelegenheit die Wut der Wähler von den Abgeordneten des Kongresses abzulenken, ist deutlich zu spüren, daß sich der Wind gedreht hat und nun der Wall Street kräftig ins Gesicht bläst.
Diese Tatsache wird sich auch auf die Debatten über die Regulierung der Wall-Street-Banken und die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Standards auswirken. Ein Kenner der Washingtoner Szene erklärte gegenüber EIR, der Fall Goldman Sachs habe das Potential, die Wiederinkraftsetzung des Glass-Steagall-Gesetzes zu katalysieren: „Wenn die Klage der SEC gegen Goldman Sachs vorankommt, dann wird sie eine Wut der Öffentlichkeit auf die Wall Street auslösen, die weder von Obamas Weißem Haus noch vom Kongreß gesteuert werden kann. Wenn es noch ein paar solcher Skandale wie den Fall Goldman Sachs gibt - die gibt es zweifellos da draußen - und dann ein oder zwei Insider auspacken, dann wird die Öffentlichkeit die Art von Informationen bekommen, die ihre schon jetzt aufgestaute Wut fokussieren wird.“
Die Senatorin Maria Cantwell, die zusammen mit Senator John McCain eine Gesetzesvorlage zur Wiederinkraftsetzung von Glass-Steagall ausgearbeitet hat, deutete am 20. April an, daß sie die Vorlage demnächst zur Abstimmung stellen könnte. Bei einer Pressekonferenz, die dazu anberaumt wurde, um Unterstützung für die Vorlage von Senatorin Blanche Lincoln zur Regulierung des Handels mit Finanzderivaten zu mobilisieren, erklärte sie: „Wenn Sie das Öl aus dem Feuer nehmen wollen, das dieses Derivatefeuer angefacht hat, seit man sie dereguliert hat, dann würde ich sagen, daß man auch die großen Banken zerschlagen sollte, und nicht zulassen, daß Investmentbanken und Geschäftsbanken unter einem Dach sitzen - und das werde ich wahrscheinlich zur Abstimmung stellen.“
Dem will das Weiße Haus durch ein „Gesetz zur Reform der Finanzaufsicht“ den Wind aus den Segeln nehmen. Diese Vorlage, die jetzt als eine „Reform der Wall Street“ angepriesen wird, hat aber mit einer Stärkung der „Finanzaufsicht“ genausowenig zu tun wie Obamas „Gesundheitsreform“ mit einer Verbesserung der Krankenversorgung. Das Weiße Haus und der Sprecher der republikanischen Minderheit im Senat wollen sicherstellen, daß nicht Lincolns Vorlage durchkommt, sondern die viel schwächere Version von Senator Christopher Dodd.
Tatsächlich ist Obamas „Wall-Street-Reform“ sogar ein weiterer Versuch, die bankrotten Banken der Wall Street zu stützen. Das zeigte der Kommentator William Greider am 22. April auf: „Der Präsident und seine Partei versuchen, etwas in Kraft zu setzen, was sie als Finanzreform bezeichnen können, das aber die Macht und die Profite der Wall Street nicht groß stören würde. Wenn man die Schellen und Pfeifen aus dem Gesetz herausnimmt, dann gewährt es einen bürokratischen Ermessensspielraum, um in künftigen Krisen noch teurere Bankrettungsaktionen zu unternehmen.“
Lyndon LaRouche warnte die Demokraten am 21. April, nicht in die Falle zu gehen.
Ein anderes Land, in dem der Goldman-Sachs-Skandal jetzt große Aufmerksamkeit erhält, ist Rußland. Am 19. April brachte die offizielle Internetseite der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, Infoshos.ru, einen Artikel mit der Überschrift: „Es waren Ökonomen, die die BRIC als ihr eigenes Quartett erfanden“. Schon der Auftritt der BRIC-Gruppe auf der Weltszene sei das Resultat einer „seltsamen Intrige“ gewesen, „es war das einzige Bündnis, das schon einen Namen hatte, bevor eine Organisation entstand.“ Die Autorin Olga Charolet zitiert den brasilianischen Außenminister, die BRIC habe zuerst “in den Köpfen von Analysten existiert, und wurde dann praktisch realisiert“, und nennt dann auch den Namen des Analysten: „Als Vater des Begriffs BRIC gilt der Goldman-Sachs-Analyst Jim O’Neill.“
Goldman Sachs prahlt selbst stolz damit, daß die Idee der BRIC-Gruppe (Brasilien, Rußland, Indien und China) ein Geisteskind dieser Bank ist. Unter der Rubrik „Ideen“ auf der Internetseite der Bank steht BRIC gleich an erster Stelle, und der Link führt zu einer Liste von etwa 20 längeren Berichten und Videos von Goldman Sachs über die BRIC-Gruppe und die Rolle der Bank bei deren Entstehung.
Goldman Sachs und O’Neill erfanden nicht nur die Bezeichnung, sondern auch die damit verbundene Idee - nämlich, dem von Lyndon LaRouche geforderten Bündnis der vier Mächte USA, Rußland, Indien und China zur Durchsetzung eines neuen Weltfinanzsystems gegen die Macht des britischen Finanzempires ein letztlich gegen die USA und den Dollar gerichtetes Bündnis von Brasilien, Rußland, Indien und China entgegenzusetzen, dem die britischen Finanzinteressen durch ihren Einfluß insbesondere in Brasilien und Rußland die Richtung vorgeben. Und sie arbeiteten mit Hochdruck daran, diese Idee auch in die Tat umzusetzen.
LaRouche hatte seinen Vier-Mächte-Vorschlag erstmals am 7. März 2007 öffentlich vorgestellt, und ihn am 25. Juli - im Zusammenhang mit seiner Warnung vor dem unmittelbaren Bevorstehen der vier Tage später ausgebrochenen Finanzkrise - nochmals nachdrücklich wiederholt. Am 23. November brachte dann O’Neill sein Buch „The BRICs and beyond“ („Die BRICs und darüber hinaus“) heraus, indem er es als notwendig bezeichnet, die BRIC-Gruppe zu gründen. Am 10. und 11. März 2008 fand dann auf Staatssekretärs-Ebene das erste offizielle Treffen der BRIC-Gruppe in Rio de Janeiro statt.
Während man in Rußland, China und Indien um die Frage rang, ob man LaRouches Vier-Mächte-Vorschlag aufgreifen sollte, publizierte Goldman Sachs nicht weniger als fünf weitere Studien über die BRIC-Gruppe, in denen entsprechende Gegenvorschläge gegen LaRouches Konzept verbreitet wurden. Auf dieser Linie lagen auch auf zwei Konferenzen in Modena/Italien (Juli 2008) und Parana/Brasilien (Dezember 2008), bei denen ehemalige Mitarbeiter von LaRouche für die BRIC-Linie warben.
Nun muß man sich vor allem in Rußland, aber ebenso in China und Indien, die Frage stellen, ob man auch in dieser Hinsicht Opfer von Manipulationen durch Goldman Sachs geworden ist.
Alexander Hartmann