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Neue Solidarität
Nr. 48, 25. November 2009

Leserforum: Milliarden für die Banken, aber Sparen an der Gesundheit?

Unser Leser Peter Hoppe richtete den folgenden Brief an die Fraktionen aller Parteien des Deutschen Bundestages:

Sehr geehrter Damen und Herren,

der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages WD9 Gesundheit, Senioren, Frauen und Jugend, hat ein Papier mit der Bezeichnung WD 88/09 und dem Titel „Leistungsbegrenzung im Gesundheitswesen“ veröffentlicht. Verfasserin ist eine Dame namens Gyde Maria Bullinger.

In dem Papier heißt es u.a.:

„Die Situation der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist geprägt durch zunehmende Ressourcenknappheit. Der aus der Alterung der Gesellschaft resultierende demographische Wandel sowie der medizinische Fortschritt mit neuen Behandlungsmethoden verursachen einen vermehrten Bedarf an Gesundheitsleistungen und wachsende Ausgaben für die Gesundheitsversorgung. Bei gleichzeitig stagnierenden Einnahmen hat dies zu einem chronischen Finanzierungsdefizit im deutschen Gesundheitswesen geführt. Es ist daher absehbar, daß in Zukunft nicht jede medizinisch nutzbringende Leistung allen Patienten zur Verfügung gestellt werden kann. Schon heute besteht der Eindruck, daß unter dem Kostendruck Verteilungsentscheidungen im Gesundheitssystem getroffen werden, die nicht ausschließlich dem Primat der medizinischen Notwendigkeit folgen. (...)

Vor diesem Hintergrund wird von Wissenschaft und Ärzteschaft (...) eine offene und differenzierte Debatte (...) über die Entwicklung gesellschaftlich konsentierter Rangfolgen von Patientengruppen und Therapiemöglichkeiten gefordert. (...)

Die von Wissenschaft und Ärzteschaft gewünschte Priorisierung bezeichnet die ausdrückliche Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren vor anderen. Sie folgt der Logik, daß die vorhandenen Mittel bei wachsendem Bedarf auf das Wesentliche, eben auf das als prioritär Festgestellte, konzentriert werden müssen. (...)

Mögliche Kriterien für eine Priorisierung sind (1.) medizinische Bedürftigkeit: Schweregrad und Gefährlichkeit der Erkrankung sowie Dringlichkeit des Eingreifens, (2) erwarteter medizinischer Nutzen, (3.) Kosteneffektivität. (...)

Rationierung ist nach der Definition der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer gegeben, wenn aus medizinischer Sicht notwendige oder zweckmäßige medizinische Maßnahmen aus finanziellen Gründen offen oder verborgen vorenthalten werden. (...)

In der Gesetzlichen Krankenversicherung beschließt der Gemeinsame Bundesausschuß (G-BA, § 92 SGB V) die ,zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten’. Dabei kann er die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschränken und ausschließen, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind (§ 92 Abs. 1 S. 1 SGB V). (...)

Zur Ermittlung der Kosteneffektivität wurden in der Gesundheitsökonomik verschiedene Verfahren entwickelt; das am häufigsten verwendete ist das Konzept der qualitätsadjustierten Lebensjahre (quality adjusted life years, QALY). Hierbei werden unterschiedliche medizinische Maßnahmen vergleichbar gemacht, indem ihr Effekt für die Verlängerung der Lebenszeit mit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gewichtet wird. Die Festlegung eines bestimmten Grenzwertes (z.B. 50.000 EUR pro qualitätsbereinigtem Lebensjahr) würde das Kriterium der Kosteneffektivität nach Überschreiten des Grenzwertes zum alleinigen Zuteilungskriterium machen und ist daher ethisch nicht vertretbar. Die Grundrechtsrelevanz der Prioritätensetzung erfordert in jedem Fall eine demokratische Legitimation der Entscheidungsorgane und ein transparentes Verfahren.“

Meine Frage ist nun die: Wie ist es mit einer gemeinwohlorientierten Politik vereinbar, daß einerseits Hunderte Milliarden in den Spielschulden von Spekulanten versenkt werden, andererseits jedoch bereits offen diskutiert wird, die Gesundheitsversorgung wegen „Ressourcenknappheit“ zu reduzieren? Wie ist es mit ethischen und demokratischen Werten vereinbar, daß hier in Grunde bereits wieder unverhohlen der Euthanasiegedanke diskutiert wird, der die Menschen als Kostenfaktor sieht, welcher offensichtlich zugunsten der Finanzinteressen reduziert werden muß?

Es ist geradezu unfaßbar, daß in den Hinterzimmern und Thinktanks des Bundestages heute wieder in Ansätzen eine Politik diskutiert wird, die an Menschenverachtung kaum zu überbieten und eigentlich in die Annalen der Geschichtsbücher, nicht jedoch in die Praxis einer werteorientierten Politik gehört.

Wie gedenken Sie hier zu agieren?

mit freundlichem Gruß“

Peter Hoppe, Wuppertal