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Neue Solidarität
Nr. 45, 4. November 2009

Wiederbelebung der deutsch-russischen industriellen Zusammenarbeit

Die Rückkehr der russischen Regierungspolitik zu gezielten Investitionen in den Aufbau der eigenen Realwirtschaft bietet der deutschen Industrie große Chancen auf Aufträge. Besonders der Maschinenbau, der wegen der weltweiten Kollapskrise massivste Einbußen zu erleiden hat, kann vom wiedererstarkten Interesse Rußlands nur Vorteile haben, denn der Bedarf der Russen an Kapazitäten in allen Bereichen der industriellen Produktion ist enorm. Experten schätzen, daß die deutsche Industrie zehnmal so viel nach Rußland liefern könnte, als sie es derzeit tut: Maschinen und andere deutsche Industriegüter im Wert von etwa 30 Milliarden Euro werden 2009 von Rußland importiert, das wiederum Erdöl und Erdgas und andere Rohstoffe in etwa gleichem Umfang nach Deutschland liefert. Die „große Abhängigkeit“ der Deutschen von russischen Energielieferungen, die so mancher kritisiert, entspricht einer Abhängigkeit auch der Russen von deutschen Industriegütern. Es macht also Sinn, wenn deutsche Direktinvestitionen in Rußland allein im ersten Quartal 2009 um 36 Prozent zugenommen haben.

Um diesen Trend politisch zu betonen, besuchte Rußlands Premierminister Putin am 20. Oktober die neuerrichtete Autofabrik von VW und Skoda in Kaluga, die im kommenden Jahr mit der Vollfertigung von Autos beginnen wird und fast ausschließlich russische Beschäftigte hat. Am Tag darauf saß Putin in Moskau mit einer Runde deutscher Industrievertreter zusammen, die, wie der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft Klaus Mangold es ausdrückte, die geballte Kraft von 500 Milliarden Euro Jahresumsatz darstellte. Putin sagte, in den Bereichen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, Maschinenbau, Autoproduktion, Bauwirtschaft und Energie seien massive deutsche Investitionen mehr als willkommen. Im Bereich Energie beispielsweise wollen Siemens und Rosatom ein Gemeinschaftsunternehmen zur Herstellung von Teilen für Atomkraftwerke errichten. „Die Beziehungen sind längerfristig ausgelegt und bewegen sich in einem Umfang, der alles übertrifft, was in England, Frankreich, und den USA oder Italien getan wird“, sagte Mangold am Rande der Moskauer Gespräche.

Die Londoner Financial Times, die dies aufmerksam mitverfolgte, widmete der „neuen deutschen Ostpolitik“ am 26. Oktober sogar eine ganze Zeitungsseite, die mit der Einleitung begann: „Rasch wachsende Beziehungen zu Rußland geben der deutschen Industrie eine Vorrangposition auf einem Markt von 140 Millionen Menschen - mit Rückendeckung aus einem Berlin, das sich bemüht, Arbeitsplätze zu sichern.“ Das hatte auch Putin in Moskau ausgedrückt, als er sagte, „neue Großprojekte sichern bestehende Arbeitsplätze in Rußland und Deutschland und schaffen neue.“ Den Londoner Finanzkreisen, deren Sprachrohr die Financial Times ist, scheint das gar nicht zu gefallen, denn die Zeitung schrieb: „Im Ostausschuß der deutschen Wirtschaft, so brüstet sich Deutschland, besitzt es die lautstärkste und unverfroren pro-russischste Lobbygruppe mit den besten Verbindungen. Neben seiner politischen Arbeit bildet der Ausschuß auch russische Ingenieure und Manager aus, und er unterstützt Jugendaustauschprogramme.“

Was die FT nicht ansprach, ist die Beunruhigung Londoner Kreise über die riesigen Geschäftsabschlüsse zwischen Rußland und China, die Mitte Oktober bei Putins Besuch in der Volksrepublik unterzeichnet wurden, bei denen die ansonsten so gut wie wertlosen Dollarreserven Chinas zur Finanzierung herangezogen werden und somit durch Infrastrukturentwicklung und Erschließung von Rohstofflagerstätten einen Wert bekommen. Die damit gegebene Währungsstabilisierung durch realwirtschaftliche Entwicklung - nicht Finanzspekulation, Boni und Verlust von Arbeitsplätzen wie im Westen - ist etwas, was die deutsche Wirtschaft von Russland und China lernen kann, auch wenn London dagegen ist. Für Deutschland ist das auch deshalb wichtig, weil China ein potentiell 20mal größerer Abnehmer russischer Rohstoffe ist als Deutschland.

rap