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Das Schiller-Institut feierte am Pfingstsamstag den Dichter Friedrich Schiller, der in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden wäre. Kasia Kruczkowski berichtet.
Das war das Motto der Feier zum 250. Geburtstag von Friedrich Schiller, zu der sich etwa 25 Gäste am Pfingstsamstag in Essen versammelten. Eröffnet wurde der Nachmittag mit Schillers Geistesverwandtem Ludwig van Beethoven, der Choraufführung einer vierstimmigen Interpretation von „An die Freude“. Die Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche stellte dann in ihrem Festvortrag die Frage, ob es inmitten des derzeitigen Finanzkrachs und der Wirtschaftskrise nicht als Zeitverschwendung gesehen werden könnte, sich mit der klassischen Kultur zu beschäftigen, was sie zugleich verneinte. Denn „in Zeiten wie diesen, die dramatisch und gefährlich sind, ist es um so wichtiger, sich mit den Ideen und dem Menschenbild von Friedrich Schiller zu beschäftigen.“
Um dies zu verdeutlichen, ging sie auf zwei Gründe ein. Der erste Grund ist die Methode des Denkens, wofür sie aus offensichtlichen Gründen Lyndon LaRouche als Beispiel nahm, der seit 1971 davor warnte, eine Fortsetzung dieser neoliberalen Politik werde notwendigerweise zu einer Deflation und zu Faschismus führen. Man sollte sich die Frage stellen, wie es ihm möglich war, diese Prognosen von damals bis heute zu machen, wenn die vorgeblichen „Wirtschaftsweisen“ und andere „Experten“ die Krise doch nicht vorhersehen konnten. Die Antwort liegt in seiner wissenschaftlichen Methode, und diese Methode findet man auch in der klassischen Kunst.
Sie erinnerte an die besondere Fähigkeit des Menschen, die ihn, wie ihr Mann immer wieder betont, von allen anderen Lebewesen unterscheidet und darin besteht, kreative Hypothesen über Gesetze der Natur, des Universums aber auch über die klassische Kunst herauszubringen. Genau diese Fähigkeit des menschlichen Geistes ist es, die uns Entdeckungen machen läßt in der Kunst, in der Wissenschaft, in der Architektur oder in der Musik. Wenn wir uns mit der klassischen Kunst beschäftigen, dann ist das also nicht nur eine erbauliche Angelegenheit, sondern es geht darum, der Wahrheit der Gesetze der Natur näher zu kommen.
Frau Zepp-LaRouche stellt dann Schillers Kritik an den Gedichten von Bürger und Matthisson vor, worin er an den Künstler einen sehr hohen Maßstab anlegt. Demzufolge soll sich der Künstler erst zum idealischen Menschen veredeln, ehe er es wagen darf, sein Publikum zu rühren. Er soll sich auch seiner Wirkung auf das Publikum sicher sein, und das ist nur möglich, wenn er einen universell wahren Gegenstand behandelt. Genau dies ist es, betonte Frau Zepp-LaRouche, was die klassische Kunst von allen anderen Kunstarten unterscheidet.
Daraufhin ging sie auf den zweiten Grund ein, warum man sich gerade heute mit der klassischen Kunst beschäftigen sollte: das Menschenbild, das heute in großer Gefahr ist. Der Mensch wird nur noch als Umweltverschmutzer, als Kostenverursacher oder Rohstoffverbraucher gesehen, und man hört leider immer öfter den Trugschluß: Je weniger Menschen, desto besser.
An dieser Stelle wies sie auf unsere weltweite Kampagne hin, den neuen Faschismus zu bekämpfen, der versucht, durch brutale Kürzungen des Lebensstandards das Finanzsystem zu erhalten. Es werden Garantien, Rettungspakete für Banken vergeben, man spricht von Konjunkturprogrammen, aber gleichzeitig wird im sozialen Bereich drastisch gekürzt. Die Eskalation in den USA mit Obamas Ankündigung eines neuen Gesundheitsgesetzes, mit dem er zwei Billionen Dollar im Gesundheitswesen einsparen will, betrifft nicht nur die Amerikaner, sondern macht sich verstärkt auch in Europa deutlich, worauf sie einige erschütternde Tatsachen offenlegte und diese auf das zugrundeliegende schlechte Menschenbild zurückführte. Wenn man jedoch das Menschenbild von Schiller annimmt, dann ist jeder Mensch potentiell ein Genie, eine schöne Seele, und die Existenz eines Menschen trägt zum Reichtum der gesamten Menschheit bei.
Frau Zepp-LaRouche betonte zum Abschluß noch einmal, daß wir ganz bewußt an der Klassik anknüpfen, denn sie ist absolut notwendig für die Veredelung des Menschen, und wie Schiller einst sagte: Jede Verbesserung im Politischen ist nur durch die Veredelung des einzelnen Menschen möglich. In der Vorrede zur Braut von Messina: schreibt Schiller:
„Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unseres Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen.“
Es folgte eine Klaviersonate von Beethoven. Dann wurde das Publikum nach 1798 zurückversetzt zu der Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar, als der Prolog zum Wallenstein aufgeführt wurde, und nun im Vortrag des ersten Teils dieses Prologes das Publikum auch jetzt zum Kunstrichter erhoben wurde. Ein kleiner Ausschnitt:
„Die neue Ära, die der Kunst Thaliens
Auf dieser Bühne heut beginnt, macht auch
Den Dichter kühn, die alte Bahn verlassend,
Euch aus des Bürgerlebens engem Kreis
Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen,
Nicht unwert des erhabenen Moments
Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen.
Denn nur der große Gegenstand vermag
Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen;
Im engen Kreis verengert sich der Sinn,
Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.“
Das Publikum konnte sich dann einer spannenden Rezitation des Gedichtes Der Handschuh erfreuen, und sich einen eigenen Eindruck von Schillers Menschenbild machen durch den Vortrag des Gedichtes Die Worte des Glaubens.
Dann wurde eine Auswahl des Essener „Workshops“ über die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen präsentiert durch einen Vortrag über die notwendige Vereinbarkeit der beiden grundsätzlichen Triebe des Menschen, die Schiller den Stoff- und den Formtrieb nennt. Der eine strebt danach, die innere Notwendigkeit in der Realität zu manifestieren, der andere danach, die äußere Realität zur inneren Notwendigkeit zu machen. Wichtig ist es, beide Triebe zur vollen Blüte zu entwickeln, aber „...den Stofftrieb muß die Persönlichkeit und den Formtrieb die Empfänglichkeit oder die Natur in seinen gehörigen Schranken halten.“ Zusätzlich wurde der letzte Absatz des neunten Briefes aufgrund seiner Schönheit vorgetragen. Auf das Gedicht Die Sehnsucht folgte dann eine musikalische Darbietung, bei der die Vertonung dieses Gedichtes von Schubert mitreißend präsentiert wurde.
Der letzte Beitrag griff die heutige Lage auf, in der die Menschheit durch eine Pandemie gefährdet ist und für eine notwendige Massenproduktion eines Impfstoffes mobilisiert werden müßte, aber die Reaktionen darauf eher abweisend oder gleichgültig sind, wie etwa: „Man kann ja sowieso nichts machen“. Als Gegenbeispiel hierzu führte die Vortragende Louis Pasteur an, den Entdecker des Impfstoffes. Auch der hatte schon mit Leuten zu tun, für die alles sicher und klar sein mußte, bevor sie etwas machten, oder bevor sie sich auch nur erlaubten, darüber nachzudenken, und zitierte hierzu einen ihm bekannten Psychiater: „Schon vor einer ganzen Weile kam ich zu dem Schluß, daß, falls jemand ausschließlich klare Ideen hätte, dieser definitiv ein Tor wäre. Die wertvollsten Konzepte, die der menschliche Geist in sich trägt, finden sich im hinteren Bühnenraum, im Dämmerlichte - und um diese verworrenen Ideen, deren Verbindungen wir nicht fassen können, wirbeln die klaren Ideen - sie breiten sich aus, entwickeln sich und steigen empor. Wäre diese Verbindung abgeschnitten, so verlören die exakten Wissenschaften selbst ihre Großartigkeit, die in geheimer Verbundenheit mit anderen unendlichen Wahrheiten, welche wir erahnen, gründet.“
Die Griechen hätten diese geheimnisvolle Macht, dieses Unsichtbare der Dinge verstanden und das schöne Wort Enthusiasmus geprägt: Begeisterung, ein Gott in uns. Die Größe menschlicher Handlungen bemesse sich an der Inspiration, die sie zum Leben erweckt.
Solche Geister wie Pasteur, die ihren Idealen folgen und das, was richtig ist, nicht nur aus Pflichterfüllung tun, sondern aus dem freien Willen heraus, weil das der instinktive Wunsch ist, habe Schiller als „Schöne Seelen“ ausgezeichnet. Dies wurde mit Schillers Parabel des guten Samariters aus den Kallias-Briefen deutlich, bei der Schiller an verschiedenen Charakteren die schöne Seele definiert, bei der die Pflicht zur Neigung geworden ist. Wenn wir uns selbst und viele andere mehr nicht zu schönen Seelen ausbilden, dann wird es niemanden geben, der diese Gesellschaft retten wird, denn wenn es nicht die schönen Seelen sind, die den Ausgang dieser Entwicklung bestimmen, wer wird es dann? (Den Wortlaut dieses Vortrags finden Sie auf dieser Seite.)
Es folgten dann einige Zitate aus seinen ästhetischen Schriften Die Philosophie der Physiologie und Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen:
„... um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, [muß man] durch das ästhetische den Weg nehmen..., weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert.“
„Wenn also auf das sittliche Betragen des Menschen wie auf natürliche Erfolge gerechnet werden soll, so muß es Natur sein, und er muß schon durch seine Triebe zu einem solchen Verfahren geführt werden, als nur immer ein sittlicher Charakter zur Folge haben kann.“
„... so kann dies nur dadurch bewerkstelligt werden,... daß also seine Triebe mit seiner Vernunft übereinstimmend genug sind, um zu einer universellen Gesetzgebung zu taugen.“
„Nicht genug also, daß alle Aufklärung des Verstandes nur insofern Achtung verdient, als sie auf den Charakter zurückfließt; sie geht auch gewissermaßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden. Ausbildung des Empfindungsvermögens ist also das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß weil sie ein Mittel wird, die verbesserte Einsicht für das Leben wirksam zu machen, sondern selbst darum, weil sie zu Verbesserung der Einsicht erweckt.“
„Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen - aber wie kann sich unter den Einflüssen einer barbarischen Staatsverfassung der Charakter veredeln? Man müßte also zu diesem Zwecke ein Werkzeug aufsuchen, welches der Staat nicht hergibt, und Quellen dazu eröffnen, die sich bei aller politischen Verderbnis rein und lauter erhalten... Dieses Werkzeug ist die schöne Kunst, diese Quellen öffnen sich in ihren unsterblichen Mustern.“
Es ist „die Dichtkunst beinahe allein, welche die getrennten Kräfte der Seele wieder in Vereinigung bringt, welche Kopf und Herz, Scharfsinn und Witz, Vernunft und Einbildungskraft in harmonischem Bunde beschäftigt, welche gleichsam den ganzen Menschen in uns wieder herstellt.“
„Ehe noch die Wahrheit ihr siegendes Licht in die Tiefen der Herzen sendet, fängt die Dichtungskraft ihre Strahlen auf, und die Gipfel der Menschheit werden glänzen, wenn noch feuchte Nacht in den Tälern liegt.“
Schiller sagt uns hier: Wenn wir die Welt zu dem machen wollen, wie sie sein sollte, so müssen wir uns und viele andere in der klassischen Dichtkunst ausbilden, damit wir das, was Schiller den schönsten, den edelsten Trieb der menschlichen Seele bezeichnet - „die große Kette der empfindenden Natur ist nichts anders als die Verwechslung meiner Selbst mit dem Wesen des Nebenmenschen“, das heißt die allgemeine Liebe -, entwickeln können. Nur dann werden wir zu den Menschen, die die Welt bevölkern, wie es sein sollte.
Also, schloß die Vortragende: Lassen Sie uns ganz viel von dem Schiller-Impfstoff produzieren!!!
Kasia Kruczkowski