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Aus der Neuen Solidarität Nr. 51/2008 |
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Fast auf den Tag genau vor sechs Jahren, am 18. Dezember 2002, hielt Helga Zepp-LaRouche eine Rede, aus der wir hier wesentliche Auszüge veröffentlichen. Sie beschäftigte sich mit den Lehren aus der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung in Deutschland zwischen 1930-32, die in der Öffentlichkeit immer noch völlig totgeschwiegen wird.
Besonders in der gegenwärtigen dramatischen Situation ist es wichtig, mit dem Mythos aufzuräumen, es gebe keinen Ausweg zwischen Deflation und Hyperinflation. 1933 führte Franklin D. Roosevelt jedoch mit der Politik des „New Deal“ Amerika durch produktive, staatliche Kreditschöpfung aus der Depression heraus. In Deutschland wurden ähnliche Vorschläge des gewerkschaftlichen Wirtschaftstheoretikers Wladimir Woytinsky und Dr. Wilhelm Lautenbach, Berater des Reichswirtschaftsministers, zielstrebig von Hjalmar Schacht und seinen ausländischen Unterstützern wie Montagu Norman (Bank of England) und der Gegner von Roosevelt an der Wall Street (u.a. Prescott Bush, Harriman) zugunsten der Unterstützung für Hitler sabotiert. (Die ganze Rede finden Sie unter: „Der Tsunami kommt“ auf www.bueso.de, ebenso Lautenbachs Memorandum: „Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung“)
Am 28. Juni 1928 bildete der Sozialdemokrat Herrmann Müller eine große Koalition aus SPD, DVP, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei. 1929 kam es zum Börsenkrach. Bereits Anfang 1930 wurde Müller im Zusammenhang mit einem Streit über die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung gestürzt. Im März 1930 lag die Zahl der Arbeitslosen um 537.000 Personen höher als im gleichen Vorjahresmonat. Am 30. März 1930 beauftragte Reichspräsident Hindenburg dann Brüning mit der Bildung einer Koalitionsregierung. Nach dem Amtsantritt Brünings stieg die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahreszeitraum im April um 1.432.000. Nach der ersten Notverordnung betrug der Unterschied bereits zwei Millionen. Nach weiteren Deflationsmaßnahmen Brünings im Dezember 1930 lag die Arbeitslosigkeit im März 1931 um 2,8 Mio. höher als im März des Vorjahres. Am 8. Dezember 1931 wurde eine neue Notverordnung erlassen, die Lohnsenkungen um bis zu 10%, drastische Preissenkungen und eine Zinsobergrenze von 6% verfügte. Im März 1932 stieg die Zahl der Arbeitslosen auf sechs Millionen. Bei den Reichstagswahlen im Sommer erreichte die NSDAP 37,4% der Stimmen und damit 230 Reichstagssitze. Damit war sie praktisch die stärkste politische Kraft im Lande.
Während dieses hochdramatischen Zeitraums von 1930 bis Anfang 1933 legten verschiedene Kräfte Konzepte für die Wiederbelebung der Wirtschaft vor. Die wichtigste Rolle kam dabei dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund zu, der mit acht Millionen Mitgliedern - 80% der organisierten Arbeiterschaft - die größte Massenorganisation in Deutschland war.
Führender Kopf hinter diesen wirtschaftspolitischen Vorschlägen war Wladimir Woytinsky, der 1922 aus St. Petersburg nach Deutschland gekommen war und seit 1919 die Statistische Abteilung des ADGB leitete. Bereits im Frühjahr 1931 hatte er ein internationales Programm gegen die Weltwirtschaftkrise vorgelegt, wobei er die Deflationspolitik Brünings scharf kritisierte, da diese die Krise nur verschlimmere. Im gleichen Jahr wies er in einem Buch auf den qualitativ neuen Charakter der Weltwirtschaftskrise hin, weswegen die traditionellen kapitalistischen Automatismen nicht mehr funktionierten. Es seien antideflationistische Vereinbarungen zwischen den Nationen erforderlich, um so zusätzliche Kaufkraft zu schaffen. Diese zusätzliche Kaufkraft müsse produktiv eingesetzt, d.h. zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in öffentlichen Projekten verwendet werden.
Woytinsky griff den „Abbauwahn“ Brünings bei den Löhnen und Sozialleistungen scharf an… Am 9. März 1931 setzten sich dann auf einer Vorstandssitzung des ADBG [Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund] Fritz Tarnow, der Vorsitzende der Holzarbeitergewerkschaft und Beauftragter für Arbeitsbeschaffung beim ADBG, und Wilhelm Eggert für ein internationales Programm gegen die Weltwirtschaftskrise ein.
Bereits im Juni 1931 veröffentlichte Woytinsky in einem ersten großen Artikel in der theoretischen Zeitschrift Die Arbeit ein Plädoyer für eine aktive Wirtschaftspolitik des ADBG...
Im Unterschied zur passiven „meteorologischen“ Einstellung, die lediglich beobachte, brauche man eine aktive Einstellung, wie etwa in der Medizin, die die Aufgabe habe, Krankheiten zu heilen, Leiden zu mildern, ihrer Verbreitung vorzubeugen. Die Konjunkturforschung müsse sich von ähnlichen Prinzipien leiten lassen. Es müßten „Faktoren ins Leben gerufen werden, die jeden Unternehmer zur Erweiterung der wirtschaftlichen Tätigkeit anreizen. Demnach muß man die Möglichkeit erforschen, die nicht ausreichende wirtschaftliche Initiative der Privatunternehmer durch die öffentliche Arbeitsbeschaffung zu ergänzen.“ Zwischen Nationen müßten Vereinbarungen zur Kaufkraftsteigerung getroffen werden. Man müsse eine schöpferische Offensive beginnen und nicht nur Abwehrgefechte führen.
Gegen das Argument, eine solche aktive Intervention erzeuge Inflation, schrieb Woytinsky: „…Die Medizin, falls sie auf die Anwendung von giftigen Stoffen als Heilmittel verzichten müßte, würde zu derselben Hilflosigkeit verurteilt wie eine Wirtschaftspolitik, die grundsätzlich alle antideflationistischen Maßnahmen ablehnt, weil sie vor der Inflation Furcht hat.“
Nötig sei eine aktive Konjunkturpolitik, die sich mit der Weltwirtschaftskrise beschäftigt: „Sämtliche Völker leiden darunter, daß die Weltwirtschaft krank ist. Sie müssen also ihre Kräfte auf eine gemeinsame Aktion für die Überwindung der Weltkrise konzentrieren.“ Auf die heutige Lage bezogen, wäre das die Eurasische Landbrücke...
Unter Punkt 6 schreibt er: „Die durch internationale Geldschöpfungspolitik freiwerdenden Mittel müssen für die Arbeitsbeschaffung, und zwar für die Verwirklichung eines großzügigen Planes des Wiederaufbaus Europas verwendet werden.“ Hier findet sich in den dreißiger Jahren prinzipiell das gleiche Konzept, das wir mit dem „Produktiven Dreieck“ für Europa 1989 vorgeschlagen haben, und was heute die Eurasische Landbrücke für Eurasien darstellt.
Am 31. Dezember 1931 veröffentlichten Woytinsky, Fritz Tarnow und Fritz Baade, der landwirtschaftliche Sprecher der SPD-Reichstagsfraktion, die „Thesen zum Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise“ und legten sie dem ADGB-Vorstand vor. U.a. war darin vorgesehen, eine Million Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen. Dafür sollten 2 Mrd. Reichsmark in Form einer Währungsanleihe der Reichsbank zur Verfügung gestellt werden.
Am 26. Januar 1932 wurde ein Arbeitsbeschaffungsplan, der nach seinen Urhebern sogenannte WTB-Plan (Woytinsky, Tarnow, Baade), vorgelegt, der auf der Idee basierte, langfristige Kredite mit niedrigen Zinsen und Amortisationsraten gegen Schuldverschreibungen auszugeben, die dann z.B. von der Reichskredit AG ausgezahlt werden und bei der Reichsbank diskontierbar sein sollten.
Der ADGB stimmte für diesen WTB-Plan, aber die SPD-Spitze unter Otto Wels und die sogenannten Wirtschaftsexperten der SPD, Hilferding, Naphtali und Bauer, lehnten ihn ab...
Soviel zu den Konzepten der Gewerkschaftsseite. Parallel dazu fand am 16. und 17. September 1931 eine Geheimkonferenz der List-Gesellschaft statt, an der u.a. Dr. Wilhelm Lautenbach, Hans Luther, der Präsident der Reichsbank, und der SPD-Wirtschaftsexperte Rudolf Hilferding teilnahmen. Dort stellte Lautenbach seine äußerst wichtige Denkschrift „Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung“ vor, die ich nur jedem zur Lektüre empfehlen kann. Darin heißt es:
„Der natürliche Weg zur Überwindung eines wirtschaftlichen und finanziellen Notstandes ist... nicht Einschränkung, sondern Leistungssteigerung.“ Es herrsche ja gerade der „paradoxe Zustand“, daß „trotz außerordentlich gedrosselter Produktion laufend die Nachfrage hinter dem Angebot zurückbleibt, und daher die Tendenz zu immer weitergehender Produktionsdrosselung“ entstehe. Unter Depressionsbedingungen gebe es „Warenüberschüsse, brachliegende Produktionsanlagen und brachliegende Arbeitskräfte“. Der Einsatz dieses starken ungenutzten Produktionsspielraumes sei „die eigentliche und dringendste Aufgabe der Wirtschaftspolitik, und sie ist im Prinzip verhältnismäßig einfach zu lösen.“ Der Staat müsse einen „neuen volkswirtschaftlichen Bedarf schaffen, der volkswirtschaftlich eine Kapitalanlage darstellt. Hierbei ist an solche Aufgaben zu denken, wie... öffentliche oder mit öffentlicher Unterstützung durchgeführte Arbeiten, die für die Volkswirtschaft einen Wertzuwachs im Vermögen bedeuten und bei Wiederkehr normaler Verhältnisse ohnehin hätten ausgeführt werden müssen“ - also Straßenbau, Verbesserungen und Ausbau der Reichsbahn u.ä.
Lautenbach abschließend: „Durch eine solche Investitions- und Kreditpolitik wird gerade das Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Inlandsmarkt beseitigt und damit der Gesamtproduktion wieder Richtung und Ziel gegeben. Unterlassen wir eine solche positive Politik, so steuern wir unvermeidlich in einen weiteren wirtschaftlichen Verfall und vollkommene Zerrüttung unserer Staatswirtschaft hinein, in einen Zustand, der dann, um eine innenpolitische Katastrophe zu vermeiden, eine starke neue kurzfristige öffentliche Verschuldung zu rein konsumptiven Zwecken erzwingt, während wir es heute noch in der Hand haben, durch Inanspruchnahme dieses Kredits durch produktive Aufgaben zugleich unsere Wirtschaft und unsere öffentlichen Finanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen.“
Lautenbach betonte außerdem, in einem solchen frühen Stadium könnte man die Kreditschöpfung noch zu produktiven Investitionen nutzen, später sei man dann gezwungen, sie zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit einzusetzen - in genau der gleichen Situation befinden wir uns heute.
Fritz Schäffer, der damalige Staatssekretär im Finanzministerium, unterstützte den Lautenbach-Plan und schrieb noch im September 1931 eine Denkschrift dazu. Ein ähnlicher Vorschlag wurde von Ernst Wagemann, dem damaligen Leiter des Statistischen Reichsamtes und des Instituts für Konjunkturforschung, vorgelegt. Im Januar 1932 veröffentlichte er in hoher Auflage seine eigenen Konzepte, die die Bereitstellung von 3 Mrd. Reichsmark für eine solche Arbeitsplatzschaffung vorsahen.
Lesen Sie hierzu bitte auch: Die amerikanischen Wurzeln der industriellen Revolution in Deutschland - Teil 2 - Neue Solidarität 34/2008 Die amerikanischen Wurzeln der industriellen Revolution in Deutschland - Teil 1 - Neue Solidarität 33/2008 Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden - Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) Kernthema: Produktive Kreditschöpfung - Neue Solidarität online |
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