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Aus der Neuen Solidarität Nr. 38/1999:

Geopolitische Brandstifter führen Terrorkrieg gegen Rußland


Terror nicht "Made in Moscow"
Londons Wegwerf-Rebellen

Rußland steht nach den beiden Bombenanschlägen am 9. und 13. September, bei denen mindesten 215 Menschen ums Leben kamen, gleichsam unter Schockwirkung. Auf die Anschläge in Moskau selbst folgte eine weitere Eskalation des Terrors in den russischen Provinzen. In den frühen Morgenstunden des 16. September explodierte vor einem achtstöckigen Wohnhaus in der südrussischen Stadt Wolgodonsk eine Autobombe. Mindestens elf Menschen wurden dabei getötet. Sowohl das Ausmaß wie auch das Wesen dieser Art Terrorismus - willkürliche Anschläge auf einfache Bürger - haben die Lage in Rußland tiefgreifend verändert und werden sich auch auf die globalstrategische Lage auswirken.

Die Bombenanschläge erfolgten nicht im politischen Vakuum. Der strategische Rahmen ist die Destabilisierung des gesamten Kaukasus und der zentralasiatischen russischen Randgebiete. Die Hauptdrahtzieher dieser Destabilisierung sind bestimmte Gruppierungen britischer Nachrichtendienste und verbündeter Kräfte in den USA, zu denen auch der frühere Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und die derzeitige Außenministerin Madeleine Albright gehören. Darunter agieren britisch gesteuerte oder korrupte Teile des pakistanischen Geheimdienstes ISI, saudische Finanziers, die freigiebig "islamische Aufständische" im kaukasisch-zentralasiatischen "Krisenbogen" unterstützen, sowie Netzwerke in den eng mit England und Pakistan liierten Vereinigten Arabischen Emiraten.

Am 15. September kamen erste Signale von der russischen Regierung, die öffentlich davon sprach, Rußland sei Ziel einer "Krisenbogen"-Destabilisierung. Auf einem Treffen der GUS-Verteidigungsminister in Moskau erklärte der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, die gesamte GUS sehe sich einer konzertierten Bedrohung durch internationale Extremisten gegenüber, welche die Kontrolle über die südlichen Randgebiete der früheren Sowjetunion an sich reißen wollten. "Wir haben es mit gut ausgebildeten internationalen Provokateuren zutun, die sich hinter religiösen islamischen Schlagworten verstecken und versuchen, eine sogenannte ,neue Weltordnung' zu errichten", sagte er weiter. Dies ist ein deutlicher Bezug auf die politische Parole der britischen Expremierministerin Margaret Thatcher und des ehemaligen US-Präsidenten George Bush nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Putin fügte hinzu: "Sie (die Rebellen) haben dreist und rücksichtslos das Gebiet vom Nordkaukasus bis zum Pamir zu ihrem Interessengebiet erklärt. Wir kämpfen nicht gegen Moslems, wir kämpfen gegen Terroristen."

Ein historische Parallele zu dieser Art "blinden" Terrorismus gefolgt von einer Welle der Eskalation im "Krisenbogen" war der Bombenanschlag auf dem Hauptbahnhof von Bologna im August 1980. Die Sowjetunion war in den Afghanistankrieg hineingezogen worden und befand sich in der ersten Phase des zehnjährigen Krieges gegen "islamische" Kämpfer, die von England, den USA, Pakistan und Saudi-Arabien freizügig finanziert und mit Waffen versehen wurden. Im September 1980 begann mit dem Angriff Saddam Husseins auf den Iran der zweite Krieg in der Krisenbogenregion, der zu einem Massenabschlachten führte, das erst 1988 enden sollte.

Terror nicht "Made in Moscow"

In den Wochen vor den Anschlägen war in vielen russischen und auch westlichen Zeitungen spekuliert worden, Jelzin und seine Fraktion würden sich auf Provokationen verlegen, um so einen geeigneten Vorwand zu finden, den nationalen Notstand auszurufen und damit die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Es gab viele Anzeichen dafür, daß die Familie Jelzin mit dieser Möglichkeit liebäugelte. Das ist jetzt Makulatur.

Der Terror in Rußland geht nicht auf das Konto der Jelzin-Fraktion oder einer anderen russischen Machtgruppe. Auch wenn die brutalen Bombenanschläge erheblichen Einfluß auf den Nachfolgekampf haben werden, sind sie nicht das Werk der Konkurrenten in diesem internen Machtkampf. Die Terrorwelle muß vielmehr im globalstrategischen Zusammenhang gesehen werden.

Zeitgleich mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien begann eine großangelegte gegen Rußland gerichtete Destabilisierungsoperation in der Tradition des britischen "Großen Spiels" im 19. Jahrhundert. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und später zielte das "große Spiel" darauf ab, Rußland in endlose Kriege gegen islamische, von England unterstützte Kaukasusstämme zu verstricken. Diese Kriege fanden vor allem in den Bergregionen des heutigen Tschetschenien und Dagestan statt. Gleichzeitig spielte England in weiteren Kriegen Persien gegen Rußland aus, um die Kontrolle über den Kaukasus und Zentralasien zu erringen. Der dritte Kriegsschauplatz - auf dem sich Rußland und die Türkei bekämpften - war der Balkan.

Seit 1996 hat diese Zeitung immer wieder auf die Rolle der britischen Fraktion und der Republikanischen Partei in den USA im Umkreis der Familie Bush hingewiesen, die sich u.a. des Internationalen Republikanischen Institutes (IRI) bedienten, um Rußland auf eine Diktatur nach dem Vorbild Pinochets vorzubereiten - eine "bonapartistische" Herrschaft als einziger Weg, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) angeordnete Schocktherapie fortführen zu können. Mit der Kombination aus Dagestankrieg, der Terrorwelle in Moskau sowie dem Schock, den diese Entwicklungen in der russischen Bevölkerung ausgelöst haben, ist ein Klima entstanden, in der ein "starker Mann" nach der Macht greifen könnte.

Im Zusammenhang mit diesem "Pinochet-Modell" ist es kein Zufall, daß der Gouverneur von Krasnojarsk und Exgeneral Alexander Lebed inmitten der Terrorwelle offiziell seine Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2000 ankündigte. Zum Zeitpunkt der Ankündigung war gerade der frühere französische Innenminister Charles Pasqua in Krasnojarsk zu Gast. Lebed bezeichnete sich selbst als den "russischen de Gaulle" und sagte, heute könne nur ein "General" Rußland retten, der als starker Mann herrsche. Und Pasqua kommentierte: "Lebed ist auf seine Weise ein Gaullist. Ich bin von der Persönlichkeit des Generals beeindruckt. Eines Tages wird der General eine entscheidende Rolle in diesem Land spielen." Abgesehen von dem unzutreffenden Vergleich mit de Gaulle war die Botschaft Lebeds deutlich: Rußland versinkt im Chaos, und nur ein Diktator kann es "retten".

Londons Wegwerf-Rebellen

Seit 7. August sieht sich Rußland mit einem sogenannten "islamischen" Aufstand in der Kaukasusrepublik Dagestan konfrontiert. Die "islamischen" Rebellen sind Söldner der Wahhabiten, einer von England im 18. Jahrhundert gegründeten Sekte, die im 19. Jahrhundert vor allem in den Aufständen gegen Rußland eingesetzt wurde. Die Geschichte vieler dieser Söldner liest sich wie eine Zeittafel des heutigen "Großen Spiels" im Kaukasus und Zentralasien. Nehmen wir als Beispiel den Jordanier Khattab, einen der Anführer der dagestanischen Rebellen. Khattab wurde 1984 in den USA rekrutiert. Auf Drängen britischer und mit England verbündeter Kreise in den USA brach er sein Studium ab, um in Afghanistan zu kämpfen. Nach 1990 tauchte er auf allen Kampfplätzen am Südrand der früheren Sowjetunion auf. So kämpfte er 1992 mit "islamischen" Aufständischen in Tadschikistan gegen die prorussische Regierung. Und zwischen 1995-96 mischte er im tschetschenischen Krieg gegen Rußland mit.

Ein weiterer "Kämpfer" ist der Tschetschene Salman Radujew, der in den 90er Jahren für zahlreiche Terroranschläge im Nordkaukasus und Südrußland verantwortlich war. Sein genauer derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Wahrscheinlich ist er irgendwo in der Russischen Föderation untergetaucht, nachdem er erst kürzlich in Pakistan war, um vermutlich die kommenden Operationen mit seinen britischen und pakistanischen Führungsoffizieren abzusprechen. Radujew soll geschworen haben, den Terror bis ins russische Kernland zu tragen.

Auch auf der mittleren Ebene stößt man auf die britische Handschrift hinter Personen aus terroristischen Umkreis. Iswestija zitierte am 15. September einen gewissen Hojahmed Nuchajew, der der "Chefarchitekt" des tschetschenischen Finanzierungssystems im Untergrund sein soll. Sein Einfluß sei so groß, daß selbst Kämpfer der aserbeidschanischen Armee seinen Befehlen gehorchen. Diese Informationen sowie Berichte darüber, wie Nuchajew und die Wahhabiten von aserbeidschanischem Territorium aus operieren und Kämpfer und Nachschub in die Kriegsgebiete in Tschetschenien und Dagestan bringen, ist von großer Bedeutung. Bisher verschweigt Iswestija allerdings, daß Nuchajew ein Geschäftspartner des britischen Lords Alistair McAlpine ist, der eine der oligarchischen Schlüsselpersonen in der Krisenbogen-Destabilisierung ist und den sogenannten "Gemeinsamen Kaukasischen Markt" mit initiierte.

Auf der untersten Ebene ist jetzt eine Gruppe aufgetreten, die sich selbst "Befreiungsarmee Dagestan" nennt und der Nachrichtenagentur Itar-Tass gegenüber die Verantwortung für die Bombenanschläge übernahm, die sie als "Vergeltung" für die russischen Bombenangriffe auf tschetschenische Dörfer bezeichnete.

Konstantin George

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