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Aus der Neuen Solidarität Nr. 40/1996:

Wenn der Polizist selbst der Täter ist

Zielsicher baute George Bush als Vizepräsident unter Ronald Reagan eine "geheime Nebenregierung" auf, die er vollständig unter seine Kontrolle brachte.


"Krisenmanagement"
NSDD-2 und NSDD-3

"Kontinuität der Regierung"

Am 7. Juni 1986 verkündete Vizepräsident George Bush, die Reagan-Administration habe zum ersten Mal amtlich festgestellt, "daß der internationale Drogenhandel [im Verbund mit dem Terrorismus] eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit" sei.

George Bush spielte sich als oberster Drogenbekämpfer Amerikas auf. Am 28. Januar 1982 hatte Präsident Reagan die South Florida Task Force geschaffen und sie Bushs Oberbefehl unterstellt, um die Anstrengungen zur Eindämmung der Rauschgiftflut zu koordinieren. Am 23. März 1983 erhielt Bush außerdem die Verantwortung für das National Narcotics Border Interdiction System (NNBIS). Und im August 1986 wurde Bush zum Leiter der "Operation Alliance" ernannt, eines gemeinsamen Unternehmens mit Mexiko gegen den Zufluß von Drogen aus Mexiko.

Bush war der klassische Fall eines Polizisten, der selbst der Täter ist. In Bushs Worten "Der internationale Drogenhandel ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit", lag eine perverse Ironie, denn unter George Bush schützte der nationale Sicherheitsapparat der USA nicht nur einen Großteil des Drogenhandels, sondern tätigte diesen sogar.

In der letzten Ausgabe der Neuen Solidarität haben wir bereits die Geschichte der Crack-Seuche in Los Angeles präsentiert - eine Fallstudie über die Beziehung zwischen "nationaler Sicherheit" und dem Drogenhandel. Um noch besser zu verstehen, wie dies funktionierte, untersuchen wir nun, wie George Bush in den ersten Jahren der Reagan-Administration den nationalen Sicherheitsapparat systematisch unter seine Kontrolle brachte.

"Krisenmanagement"

Um ein Bild von Bushs "geheimer Nebenregierung" zu erhalten, muß man sich den für "Krisenmanagement" zuständigen Apparat im Weißen Haus und im Stab des Nationalen Sicherheitsrat (NSC) betrachten - wobei "Stab des Nationalen Sicherheitsrats" eine irreführende Bezeichnung ist, denn dieser Stab arbeitete nicht für den NSC, sondern für das Weiße Haus, in den Bereichen, die im weitesten Sinne die nationale Sicherheit berühren.

"Krisenmanagement" ist nichts für ehrliche Menschen. In den ersten Monaten der Reagan-Bush-Administration 1981 gab es Gerangel zwischen George Bush und Außenminister Alexander Haig darum, wer das Krisenmanagement kontrollieren würde. Etwas sickerte zur Washington Post durch, und sie schrieb am 22. März 1981, Vizepräsident Bush solle an die Spitze einer neuen Struktur für Krisenmanagement gestellt werden - "eine bisher nicht dagewesene Rolle für einen Vizepräsidenten". Die Zeitung merkte an, daß in der vorigen Regierung Carter allein Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski diese Funktion innehatte.

Haig protestierte, aber Bush setzte sich durch. Zur gleichen Zeit übernahm Bush auch die Kontrolle über die sogenannte Special Situation Group (SSG), die im Dezember 1981 formell eingerichtet wurde.

Am 4. Dezember 1981 unterzeichnete Präsident Reagan die "Executive Order 12333". Dieser wurde als "Befreiung" der US-Geheimdienste von den Restriktionen der 70er Jahre hingestellt. Es ging aber um viel mehr.

  1. E.O. 12333 zur Durchführung sämtlicher Tätigkeiten der "Auslandsspionage" bestimmte den Nationalen Sicherheitsrat (NSC) zum "höchsten Regierungsgremium" für die Überprüfung, Weisung und Leitung aller Tätigkeiten der Auslandsspionage, Gegenspionage und "besonderen Aktivitäten" (d.h. verdeckter Operationen). Damit war der NSC praktisch verantwortlich für die CIA, den Militärgeheimdienst, Sonderaufgaben usw. Allerdings war es nicht der Sicherheitsberater des Präsidenten, der diese Aufgabe übernahm, sondern der erwähnte "Stab des NSC", eine Struktur, über die nach und nach George Bush die Kontrolle übernahm.

  2. Ein wenig beachtetes "Schlupfloch" in der Anordnung gab der CIA - wie schon immer seit 1947 - allein die Verantwortung für "besondere Aktivitäten" (verdeckte Operationen), diesmal jedoch mit der Einschränkung: "Falls der Präsident nicht festlegt, daß eine andere Stelle ein bestimmtes Ziel mit größerer Wahrscheinlichkeit erreichen kann". Damit war es erstmals möglich, verdeckte Operationen dem NSC-Stab zuzuweisen.

  3. E.O. 12333 enthielt auch Anweisungen für den Einsatz privater Stellen durch Geheimdienste und Sicherheitsbehörden.

NSDD-2 und NSDD-3

Wenig später wurde die National Security Decision Directive Nr. 2 (NSDD-2) erlassen, welche die NSC-Struktur formal festlegte. Die Sicherheitsdirektive bestätigte die Existenz einer Reihe hoher überbehördlicher Stellen für Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Geheimdienste, die Senior Interagency Groups (SIGs). Das war eine Struktur nach Kissingerscher Machart, und Haig hatte im ersten Jahr der Reagan-Administration heftig darum gekämpft, sie unter seiner Oberaufsicht zu behalten. Über die Rolle des Vizepräsidenten sagt NSDD-2 nichts aus.

Aber schon einen Monat davor, am 14. Dezember 1981, war bereits NSDD-3 erlassen worden, also nach E.O. 12333, aber vor NSDD-2. Unter dem Titel "Krisenmanagement" legte NSDD-3 George Bushs Kontrolle über Spionage und geheime Operationen formal fest. Sie bestätigte die Existenz der Special Situation Group, der "der Vizepräsident vorsitzt".

"Krisenmanagement" sollte laut Definition einsetzen bei: "Einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit, in der Entscheidungen des Präsidenten und Durchführung von Anweisungen schneller erfolgen müssen als bei der Unterstützung des NSC-Verbindungsstabes [zwischen verschiedenen Regierungsstellen] üblich". Die Verantwortung für das Krisenmanagement wurde der Special Situation Group (SSG) unter Vorsitz des Vizepräsidenten zuerteilt.

Am 14. Mai 1982 war dann die erste Phase von Bushs "kaltem Coup" erfolgreich beendet, als der Sicherheitsberater ein Sondermemorandum mit der Titel "Krisenvorplanung" (Crisis Pre-Planning) herausgab.

Unter Bezug auf NSDD-3 schuf das Memorandum eine stehende "Krisenvorplanungsgruppe" (CCPG), die der SSG unterstand. Das war ein tolles Stück: Die SSG sollte akute Sicherheitsangelegenheiten behandeln, die schnelles Vorgehen erforderten, dann aber wurde die CPPG als permanentes Gremium geschaffen, das regelmäßig tagt und Pläne und Ziele für die SSG ausarbeitet. Anders gesagt, das "Krisenmanagement" war nicht mehr auf Krisen beschränkt.

Die CPPG hatte regelmäßig im Lageraum des Weißen Hauses zu tagen und folgendes zu tun (Hervorhebungen wurden hinzugefügt):

Das sind atemberaubende Dimensionen. Die SSG-CPPG übernimmt unter der direkten Aufsicht des Vizepräsidenten die Kontrolle über alle Bereiche, in denen potentiell eine Krise auftreten kann, und entwickelt vorbeugende politische Optionen, um mit ihnen umzugehen.

Diese Struktur von SSG und CPPG stand, wie auf einem Diagramm dargestellt, das Außenminister George Shultz später verbreitete, auf gleicher Ebene wie der Nationale Sicherheitsrat (nicht der NSC-Stab, der auf dem Diagramm viel weiter unten auftaucht) und über dem Außenministerium. Sie nimmt dem (im Ministerrang stehenden) Nationalen Sicherheitsberater den Platz weg und macht ihn irrelevant. Dagegen protestierte Außenminister Shultz 1983 heftig, jedoch ohne Erfolg.

Das i-Tüpfelchen ist, daß alle betroffenen Stellen in dem Memorandum vom 12. Mai 1982 angewiesen werden, die Namen ihrer Vertreter in der CPPG niemand anderem mitzuteilen als - Oliver North.

Aber damit sind wir noch nicht am Ende. Am 10. April 1982 setzte Präsident Reagan seine Unterschrift unter NSDD-30 über "Umgang mit terroristischen Vorfällen". Die Direktive besagte, daß der Sicherheitsberater des Präsidenten, wenn es ein Terrorfall verlangt, die SSG "auf Anweisung des Vizepräsidenten" einberufen kann. Damit bestimmte der Vizepräsident sogar, wann die SSG einberufen wird.

Zusätzlich schuf NSDD-30 die Terrorist Incident Working Group (TIWG) "zur Unterstützung der Special Situation Group" (also Bush). TIWG bestand aus Vertretern von Außenministerium, CIA, Verteidigungsministerium, Notstandsbehörde (Federal Emergency Management Agency) und dem NSC-Stab, und Vorsitzender wurde nach nicht langer Zeit Oliver North.

Mit dieser NSDD-3-Struktur war sämtliches "Krisenmanagement" in Außenpolitik und Geheimdienstarbeit soweit erdenklich unter der alleinigen Kontrolle des Vizepräsidenten der USA, George Bush.

"Kontinuität der Regierung"

Die Beteiligung der Federal Emergency Management Agency (FEMA) an der TIWG führt zu einem anderen Projekt, dem Bush in den ersten Jahren der Reagan-Administration vorstand: "Kontinuität der Regierung" (Continuity of Government, COG). Hieran arbeitete Oliver North als Mitglied des NSC-Stabs mit Bush, bevor er mit Mittelamerika und den Contras zu tun hatte. Manchmal wurde es auch als "Projekt Jüngstes Gericht" (Project Doomsday) bezeichnet; 1994 beschrieb die New York Times es als "Amalgam von über 20 ,schwarzen Programmen' - so geheim, daß nur eine Handvoll Militärs und Zivilisten davon wußten".

Mehrere Sicherheitsdirektiven bezogen sich auf COG: Zuerst NSDD-47 vom Juli 1982 über FEMA, die einen geheimen Verbindungsausschuß "Kontinuität der Regierung" aus etwa 100 hohen Regierungsbeamten schuf. Ein Bericht besagt, daß 1982 eine neue Geheimbehörde, genannt Defense Mobilization Planning Systems Agency, eingerichtet wurde, deren Mitglieder Vizepräsident Bush berichten mußten.

Im Januar 1985 folgte NSDD-55, entworfen von North, die das COG-Programm ausgestaltete, welches laut New York Times "von George Bush überwacht wurde".

In den nächsten Jahren wurde Bushs Apparat weiter verfeinert. Die Funktionen von TIWG wurden in NSDD-138 vom 3. April 1984 beschrieben, die North ebenfalls entworfen hatte. TIWG sollte Bushs Special Situation Group unterstützen. Darüber hinaus ernannte Präsident Reagan Bush im Juli 1985 zum Leiter einer neuen Terrorism Task Force, bestehend aus Vertretern von Pentagon, CIA, Außenministerium und NSC sowie Oliver "Buck" Revell vom FBI und dem Israeli Amiram Nir - zumindest bis zu Nirs ungewöhnlichem vorzeitigen Ableben 1987.

(Ein Hauptanstoß für die verstärkte Terrorismusbekämpfung war die Geiselnahme von Amerikanern durch iranisch unterstützte islamische Gruppen im Libanon. Mit dem Mandat zur Terrorismusbekämpfung erhielt Vizepräsident Bush auch die formale Leitung der späteren geheimen Waffenverkäufe an den Iran.)

Mit einem Bericht vom Februar 1986 wurde die Arbeitsgruppe des Vizepräsidenten permanent erweitert um die sog. Operations Sub-Group (OSG), nominell eine Untergruppe von Bushs TIWG. Weiter entstand ein permanentes Büro zur Terrorismusbekämpfung im NSC-Stab unter Leitung von Oliver North. Die beiden Assistenten Norths, Craig Coe und Robert Earl, wurden ihm von Bushs Arbeitsgruppe zugewiesen.

Die Operations Sub-Group war sozusagen das Herz von Bushs geheimer Nebenregierung"; Elemente aus NSC, Pentagon, CIA und FBI arbeiteten darin zusammen, um die regulären Aktivitäten der Geheimdienste und Polizeibehörden zu umgehen. Wenn etwa "Buck" Revell vom FBI unter dem Dach der OSG arbeitete, war er nicht dem FBI rechenschaftspflichtig, sondern nur der OSG. Die OSG benutzte man u.a. für die Bespitzelung und "schmutzige Operationen" gegen Bushs Gegner in den USA, vor allem Kritiker der Contra-Politik.

Diese geheime Nebenregierung, die Bush 1981-86 aufbaute, konnte CIA-Leute, Einheiten des Verteidigungsministeriums für "Sonderaufgaben" sowie "private" Einrichtungen einsetzen. Aber die Machenschaften von Bushs Gruppe im Weißem Haus waren weder "CIA-Operationen" noch "Pentagon-Operationen" - wenn sich auch die Kritik sehr oft gegen diese richtete. Manchmal ließ man den Bush/NSC-Apparat die Dinge tun, welche die CIA nicht tun wollte oder durfte. Er war eng verquickt mit den "privatisierten" Operationen der CIA und anderer Geheimdienste. Die "Privatisierung" hatte mit den CIA-Säuberungen unter Carter begonnen und steigerte sich in der Zeit von William Casey (als CIA-Chef): Immer mehr Aktivitäten wurden als sogenannte "Asteroiden" aus den Geheimdiensten ausgelagert.

 

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