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Aus der Neuen Solidarität Nr. 42/2006

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Rußland bietet Verflechtung der Volkswirtschaften an

Rußland möchte die Wirtschaftskooperation mit Deutschland umfassend ausbauen. Es geht um gleichgewichtete Investitionen beim jeweils anderen Partner - nicht nur im Energiesektor, sondern im ganzen Spektrum der Industrie.


Energie
Luft- und Raumfahrt

Und die Brüsseler Eurokraten?

Nicht erst seit dem G 8-Gipfel im Juli dieses Jahres tritt Rußland mit einem neuen, starken wirtschaftlichen Selbstbewußtsein auf. Und parallel dazu ist Rußland auch wieder ein eigenständiger Akteur in der Weltpolitik geworden, worauf die imperiale, transatlantische Finanzoligarchie mit wachsender Feindseligkeit reagiert. Putins Deutschlandbesuch der vergangenen Woche unterstreicht Rußlands ernsthafte Anstrengungen, vom Status eines Rohstofflieferanten wegzukommen und gleichberechtigter Partner einer umfassenden industriellen Kooperation zu werden, in der Deutschland ein Schlüsselrolle spielen soll.

Putin sprach in Dresden beim 6. Petersberger Dialog davon, daß der deutsch-russische Wirtschaftsaustausch zwar gut laufe, aber immer noch seien die industriellen Direktinvestitionen der Deutschen in Rußland zu gering. Deshalb werde das Potential der Wirtschaftszusammenarbeit bisher noch kaum genutzt. Putin und andere russische Teilnehmer des Dresdner Forums machten deutlich, sie seien dabei gar nicht so sehr an einseitigen ausländischem Kapitalbeteiligungen interessiert, denn seine Energieexporte bringen Rußland mehr als ausreichende Finanzmittel. Rußland will gemeinsame Projekte in Rußland und in Westeuropa.

Energie

Die Abkommen der russischen Gazprom mit den deutschen Energiefirmen Ruhrgas und BASF, die Anteile am nordsibirischen Erdgasvorkommen und an der geplanten Pipeline unter der Ostsee (Nord Stream) im Austausch für Gazprom-Anteile am deutschen Erdgasverteilernetz erhielten, wird immer wieder als Modell für solche wünschenswerten Partnerschaftsabkommen vorgestellt. Putin hob das in seinem ausführlichen Interview hervor, das die Süddeutsche Zeitung am 11. Oktober - leider nur in Auszügen - veröffentlichte. Zu der aufgeregten Diskussion in westlichen Medien, daß Gazprom das arktische Stockman-Erdgasfeld für's erste allein erschließen wird, bemerkte Putin:

"Gazprom hatte eine Ausschreibung veranstaltet, an der fünf Unternehmen teilnahmen. Gazprom machte den Bewerbern zur Bedingung, daß sie für eine Beteiligung entsprechende Aktiva anbieten. Es geht um Werte und nicht um Geld, denn das können Sie für solche Projekte leicht von den Märkten bekommen. Für das riesige Vorkommen von 3,7 Trillionen Kubikmeter Gas konnte aber keiner einen Gegenwert erbringen. Gazprom hat deshalb die Ausschreibung ausgesetzt."

Es geht den Russen also um ein quid pro quo. Für eine westliche Beteiligung an bestehenden oder zu errichtenden Anlagen der Realwirtschaft Rußlands wollen sie für sich das gleiche im Westen. Sowohl in Dresden, als auch im Gespräch mit deutschen Industriellen in München am 11. Oktober wies Putin aber auch darauf hin, daß Gazprom das Stockman-Projekt offenhalte für künftige Beteiligungen westlicher Partner.

Was die russischen Erdgasexporte anbelangt, so ist Deutschland für absehbare Zeit der bevorzugte Partner in Europa. Putin hierzu in dem erwähnten SZ-Interview: "Wir liefern an Deutschland zur Zeit 40 Milliarden Kubikmeter jährlich. Wenn die Ostseepipeline fertiggestellt ist, so werden wir 2010 zusätzlich 27,5 Milliarden liefern und zwei, drei Jahre später noch einmal 27,5 Milliarden mehr. Insgesamt kommen zu den 40 Milliarden noch einmal 55 Milliarden Kubikmeter hinzu. Deutschland wird so seinen wachsenden Gasbedarf nicht nur vollständig decken können. Es wird selbst zu einem großen Verteilungszentrum des Gases in Europa werden. Von Deutschland aus wird das Gas an andere europäische Staaten verteilt." Was die Ostsee-Pipeline betrifft, so beteiligt sich übrigens nun auch die niederländische Gasunie daran.

Fragen nach der befürchteten "Energieabhängigkeit Europas von Rußland" beantwortete Putin im Interview wie auch in anderen öffentlichen Äußerungen in Dresden und München dahingehend: "Das wird künstlich politisiert. Es gibt Leute, die dieses Problem aufheizen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Diese Leute sind entweder Provokateure oder sehr dumm. Ich sage das ganz offen, auch wenn es grob klingen mag. Es ist doch so: Wenn wir ein gemeinsames Pipelinesystem haben, sind wir von Ihnen genauso abhängig wie Sie von uns. Diese gegenseitige Abhängigkeit schafft Beständigkeit, Vorhersehbarkeit und Stabilität."

An anderer Stelle des SZ-Interviews hatte Putin bereits gesagt: "Das Leben hat gezeigt, daß Rußland ein zuverlässiger Lieferant war und sein wird. Wir müssen da kein Geld für Propaganda ausgeben." In München, vor den deutschen Industriemanagern, fügte Putin hinzu, Rußland habe selbst während der äußerst turbulenten Umbruchzeit zu Beginn der 90er Jahre seine Lieferverträge für Erdöl und -gas trotz großer Schwierigkeiten stets erfüllt. Die Ängste, die man vor Rußland schüre, seien künstlich herbeigeredet.

In Interviews zu Beginn des Putinbesuchs sagte Klaus Mangold, der Vorsitzende des "Ostausschusses der deutschen Wirtschaft", die Pläne der Russen zur Reindustrialisierung böten der deutschen Industrie riesige Chancen. Allein im Elektrizitätssektor sei damit zu rechnen, daß über die nächsten acht Jahre von den 100 Milliarden Euro an Investitionen auf russischer Seite etwa ein Drittel auf Importe von Maschinen und Ausrüstungen aus Deutschland entfallen werde.

Ähnlich äußerte sich auch Altbundeskanzler Schröder auf einem parallel zum Dresdner Forum in Moskau stattfindenden Wirtschaftsseminar: Eine Weiterentwicklung der exportorientierten deutschen und europäischen Wirtschaft sei ohne Zusammenarbeit mit Rußland nicht möglich - gerade da liege die große Zukunftschance.

Luft- und Raumfahrt

Neben der Energiewirtschaft machte Putin die Luft- und Raumfahrt zu einem Schwerpunkt während seiner Gespräche in Dresden und München: "Nehmen Sie den Flugzeugbau", so im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, "wenn wir unsere Bemühungen mit denen des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS bündeln würden, dann wären wir ein ernstzunehmender Spieler auf dem internationalen Markt. Ich weiß nicht, ob ähnlich idyllische Zustände zwischen amerikanischen und europäischen Flugzeugbauern geschaffen werden könnten. Das scheint mir heute wenig wahrscheinlich zu sein. Gerade erst haben wir den größten Aluminiumkonzern der Welt geschaffen [durch Zusammenschluß von Rusal, Sual und Glencore - d.Red.]. Die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sind vielfältig."

Putin machte allerdings auch deutlich, daß die russischen Interessen und die der EADS nicht so deckungsgleich seien, daß über diese Zusammenarbeit schon endgültig entschieden sei. Es gebe einerseits Widerstand gegen die russische Beteiligung von 4,8 % an EADS, andererseits steckt EADS in Schwierigkeiten. Es gebe in Rußland Experten, die von einem EADS-Engagement abrieten, wenn es zum Nachteil der russischen Produktion sei, deshalb sei noch zu prüfen, wie es weitergehe.

Ohne Umschweife erklärte Putin: "EADS hält heute schon Anteile an einem russischen Flugzeugbauer, nämlich an Irkut. Wir haben nicht das Gefühl, daß der Airbushersteller EADS ein idealer Konzern ist. Wenn wir bei dieser Arbeit mitmachen sollen, dann müssen wir mit den Partnern darüber reden, wie dieser Konzern organisiert werden muß ... Wir wissen um unsere Möglichkeiten. Wir haben sehr gute Schulen und Fachkräfte. Und wir haben Produktionskapazitäten, die gar nicht so schlecht sind. Wir müssen mit unseren Partnern ausarbeiten, was wo produziert werden kann. Da kann es um Kurzstrecken- oder Mittelstreckenflugzeuge gehen; z.B. bei der Militärflugzeugproduktion stehen wir an der Spitze. Auch bei Spezialflugzeugen oder Hubschraubern haben wir eine führende Position. Es kann auch um Ersatzteile gehen."

Mit dem Vertrag, den EADS und Irkut am 11. Oktober in München zur Umrüstung des Airbus vom Typ A-320 in Frachtflugzeuge unterzeichneten, dürfte ein erster Schritt in die richtige Richtung getan sein. Die Umrüstungen werden in Werken von Irkut vorgenommen.

Ausbaufähig sind auch Abkommen wie die in Dresden und München unterzeichneten zum Aufbau einer Rohstoffdatenbank zwischen den Bergbauakademien Freiberg und St. Petersburg, sowie zur Modernisierung russischer Infrastruktur in Kraftwerken, Eisenbahn und Telekommunikation zwischen den Firmen Siemens und Renova.

Und die Brüsseler Eurokraten?

Das gestiegene russische Selbstbewußtsein zeigt sich nicht zuletzt darin, daß man der Arroganz der EU-Bürokratie im Umgang mit Rußland zunehmend mit Sarkasmus und Achselzucken begegnet. Es war aufschlußreich, daß bei den Arbeitsgruppen des Petersberger Dialogs von russischen Rednern wenig Optimistisches zur Zukunft der EU in ihrem derzeitigen Zustand zu hören war. Die EU sei überdehnt, bürokratisch und von auseinanderstrebenden Interessen gekennzeichnet. Wegen der stark unterschiedlichen Interessen in der neoliberalen Brüsseler EU-Bürokratie und im zunehmend nationalökonomisch agierenden Rußland ist ohnehin gar nicht sicher, ob es 2007 zur Verlängerung der laufenden Rahmenverträge zwischen EU und Rußland kommt. Die Russen beanspruchen zu Recht eine stärkere und aktivere Rolle bei der künftigen Zusammenarbeit, der in künftigen Verträgen Rechnung getragen werden muß.

Man erwarte von Deutschland, daß es seine Interssen eigenständiger wahrnehme, war von russischer Seite in Dresden zu hören. In der Tat, Deutschlands existentielle Interessen als sozialstaatlich orientierter Industriestaat kollidieren mit den Projekten der Brüsseler Bürokratie - Hafenrichtlinie, Dienstleistungsrichtlinie oder Sparkassenstreit - und dem Maastrichter System mit der Euro-Einheitswährung. Deutschland, das im ersten Halbjahr 2007 den EU-Vorsitz hat, wäre gut beraten, Klartext zu reden: Wenn es um die deutsch-russischen Beziehungen geht, hat die EU-Kommission draußen vor zu bleiben. Besser als schlechte Rahmenverträge zwischen EU und Rußland sind gar keine derartigen Verträge.

Und noch etwas zum Schluß. Die Medien - sprich die Macht- und Finanzkreise, die sie kontrollieren - haben während Putins Besuch alles getan, diesen Besuch in ein unfreundliches, ja feindseliges Licht zu tauchen. Der Kontrast zur Stimmung in der Bevölkerung könnte kaum größer sein. Das zeigte sich nicht nur bei Putins langem Spaziergang durch die Dresdner Innenstadt. Laut jüngster Infratest/Spiegel-Umfrage finden ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland 89% der Befragten "sehr wichtig" oder "wichtig".

Rainer Apel

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