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Aus der Neuen Solidarität Nr. 30/2006 |
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Während Israel seine Angriffe auf den Libanon fortsetzt, hat der UN-Sicherheitsrat dem Druck der USA und Großbritanniens nachgegeben und weigert sich, die vom Libanon beantragte Sondersitzung zu dem israelischen Luftkrieg einzuberufen.
Das Schicksal des libanesischen Volkes steht auf Messers Schneide. Die israelischen Luftschläge seit dem 11. Juli haben die Infrastruktur des Landes zerstört: Der Flughafen Beirut, Straßen, insbesonders die Autobahn Beirut-Damaskus, Brücken, Häfen, Stromversorgung, Kommunikationseinrichtungen bis hin zu Krankenhäusern und Lebensmittellagern der Privatwirtschaft. Nach Angaben von Finanzminister Jihad Azour entstand durch die israelischen Angriffe bislang ein Schaden von zwei Milliarden Dollar.
Nach offiziellen Angaben wurden mehr als 350 Menschen getötet und Tausende verwundet. Mehr als 500 000 Libanesen sind Flüchtlinge im eigenen Land und suchen Schutz bei Verwandten oder im benachbarten Syrien, das große Anstrengungen unternimmt, um die Flüchtlinge zu versorgen. Der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora nahm vor dem diplomatischen Korps in Beirut kein Blatt vor den Mund: "Das Land wurde in Trümmer gelegt. Kann die internationale Gemeinschaft zusehen, während der Staat Israel eine so herzlose Rache an uns verübt? Sie wollen die Regierung des Libanon unterstützen? Lassen Sie mich Ihnen sagen ... keine Regierung kann auf den Trümmern ihres Landes überleben. Ich hoffe, Sie lassen uns nicht im Stich. Wir Libanesen wollen leben. Wir haben das Leben gewählt. Wir weigern uns, zu sterben."
Die einzige militärische Macht, die das Land gegen Israel verteidigt, ist die Hisbollah, die politische und soziale Bewegung der Schiiten. Der militärische Flügel der Hisbollah entstand 1982 im Kampf gegen die israelische Invasion des Libanons und setzte den militärischen Widerstand fort, bis die Israelis im Jahr 2000 ihre Besatzungs- und Hilfstruppen aus dem Libanon abzogen. Auch danach blieb die Hisbollah im Süden des Libanons mobilisiert. Sie unterhält eine Milizarmee gut ausgebildeter und bewaffneter Kämpfer, was nach dem 11. Juli durch ihre Raketenangriffe auf israelische Ziele belegt wird. Derzeit hat die von Scheich Hassan Nasrallah geführte Hisbollah 23 Abgeordnete im 128köpfigen Parlament des Landes. Sie betreibt zahlreiche soziale Einrichtungen und Schulen.
Absicht der Israelis, als sie ihre jüngsten Angriffe begannen, war es, die Bevölkerung im Südlibanon nach Norden zu vertreiben, um eine entvölkerte Pufferzone zu schaffen. Damit sollte die Hisbollah daran gehindert werden, Stellungen an der Grenze zu beziehen, von denen aus sie Israel angreifen kann. Dann sollte im Südlibanon eine ausländische Truppe - der UNO oder der NATO - in der Pufferzone stationiert werden.
Die Ereignisse zeigen, daß Israel die Lage falsch eingeschätzt hat. Erstens sind da die demographischen und politischen Fakten: 80 % der Bevölkerung des Südens sind Schiiten, und auch die übrigen haben Sympathien für die Hisbollah, die in ihren Augen das Land gegen eine ausländische Aggression verteidigt. Inzwischen wurden zwar 500 000 Menschen vertrieben, aber ein großer Teil der 1,2 Mio. Schiiten wird bleiben - und kämpfen. Die Hisbollah kann aus dieser Zivilbevölkerung sozusagen Reservisten einberufen. Wie EIR von verschiedenen Libanesen erfuhr, kann die Hisbollah praktisch über Nacht 100 000 Kämpfer mobilisieren. Ein libanesischer Politiker sagte: "Hisbollah - das ist ihr Taxifahrer, der Mann, der ihnen Lebensmittel verkauft, usw."
Deshalb kann Israel auch die "Infrastruktur" der Hisbollah nicht zerstören, denn das gesamte Land ist ihre Infrastruktur. In der Hoffnung, Hisbollahchef Nasrallah zu liquidieren, bombardierte Israel am 20. Juli das, was es für das verbunkerte "Hauptquartier" der Hisbollah hielt - was aber nach Angaben der Hisbollah nur eine im Bau befindliche Moschee war. Und Nasrallah tritt weiter in den Fernsehsendungen der Hisbollah auf. Augenzeugen aus Beirut berichten, daß das Schiitenviertel der Stadt, wo sich viele Büros und Einrichtungen der Hisbollah befinden, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht wurde. Trotzdem setzt die Bewegung den Kampf fort.
Zufall oder nicht, am 11. Juli, dem Tag, an dem Israel seine Angriffe begann, ließen Diplomaten in Beirut wissen, daß Paris und Washington einen Bericht der libanesischen Sicherheitsdienste blockiert haben, der dokumentiert, daß der israelische Geheimdienst Mossad auf libanesischem Staatsgebiet über Jahre immer wieder Morde ausgeführt hat. Beirut wollte das entsprechende Dossier dem UN-Sicherheitsrat vorlegen und ihn auffordern, in einer Resolution die israelischen Morde an Personen im Libanon als Völkerrechtsbruch zu verurteilen. Am 17. Juni hatte der libanesische Ministerpräsident Siniora bekanntgegeben, sein Land werde im Rat eine Beschwerde gegen Israel wegen "aggressiver Akte" einlegen. Doch wie die libanesische Al Manar berichtete und die Junge Welt aufgriff, haben die USA und Frankreich das verhindert.
Den Berichten zufolge heißt es in dem Dossier - das ursprünglich auf Vorschlag der USA entstanden sein soll - , Mossadchef Meir Dagan habe persönlich "Hit-Teams" rekrutiert, die im Libanon Autobomben- und Mordanschläge ausführten. Nach Angaben der Jungen Welt werden in dem Dossier u.a. folgende Morde aufgezählt: an Ali Hassan Diebs am 16. August 1999, an Dschihad Ahmad Dschibril (Sohn des PFLP-Chefs Ahmad Dschibril) am 20. Mai 2002, am Hisbollah-Politiker Ali Saleh am 2. August 2003 sowie am Dschihad-Führer Mahmud Madschub am 26. Mai 2006.
Erhärtet wurden diese Vorwürfe durch Aktionen der libanesischen Polizei, die zur Verhaftung zweier Verdächtiger führten. Am 13. Juni gab die libanesische Armee eine Erklärung heraus, worin es heißt: "Die Armee verhaftete eine Terrorzelle, die für den israelischen Mossad arbeitete, und ihre Mitglieder haben die Verantwortung für den Angriff vom 26. Mai übernommen, bei dem Mahmud Al Madschub und sein Bruder getötet wurden." Außerdem "gestanden sie ihre Mitwirkung an der Ermordung des Hisbollah-Vertreters Ali Saleh 2003 und von Ali Hassan Diebs 1999 sowie dem Mord an Dschihad Dschibril 2002."
Berichten aus dem Libanon zufolge hatte US-Botschafter Feltman der libanesischen Regierung gedroht, "die Liebesaffäre der USA mit dem Libanon abzubrechen" und die Militär- und Finanzhilfe einzustellen, wenn Siniora Ernst mit der Beschwerde mache. Am 11. Juli bestätigte das libanesische Außenministerium laut der Jungen Welt, daß unter denjenigen, die Beirut drängten, keine Beschwerde zu erheben, der US-Botschafter persönlich sei, der mit negativen Folgen für die beiderseitigen Beziehungen und die Militärhilfe gedroht habe.
Es wurde auch berichtet, Präsident Lahoud wolle dem UN-Ermittler Serge Brammertz, der mit dem Fall der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Hariri befaßt ist, die Untersuchungsergebnisse vorlegen. Dies läßt darauf schließen, daß der Verdacht besteht, daß die Israelis hinter dem Mord an Hariri steckten, mit dem die Destabilisierung des Landes begonnen hatte.
Der UN-Sicherheitsrat hat schon dem Druck der USA und der Briten nachgegeben und weigert sich, die vom Libanon beantragte Sondersitzung zu den israelischen Luftangriffen einzuberufen. Der libanesische Sonderbotschafter Nouhad Mahmoud hat dagegen protestiert. Der argentinische UN-Botschafter Cesar Mayoral erklärte, die USA hätten sich grundsätzlich gegen jede Stellungnahme gesträubt und England habe sich der Forderung nach einem Waffenstillstand widersetzt.
Angesichts dieser Tatsachen wäre es naiv anzunehmen, der Sicherheitsrat würde sich ernsthaft und offiziell mit dem libanesischen Mossadmord-Dossier befassen. Aber es gibt keinen Grund für die Libanesen, dessen Inhalt nicht auf der ganzen Welt publik zu machen. Das wäre vielleicht eine wichtige politische Flanke im Kampf um das Überleben des Libanons als Volk und Nation.
Muriel Mirak-Weißbach
Lesen Sie hierzu bitte auch:
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