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Aus der Neuen Solidarität Nr. 45/2002 |
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Von Lyndon LaRouche
- 1. Teil -
Die folgende Schrift wurde am 7.Oktober 2002 von Lyndon LaRouches Wahlkampfkomitee für die US-Präsidentschaftswahl 2004 veröffentlicht.
Gerade las ich einen wichtigen Artikel von Henry C.K. Liu mit dem Titel "Erdrückende Schulden und bankrotte Lösungen", der am 28.September 20002 in der Online-Ausgabe der Asia Times erschien. Ich halte es für angemessen, auf die zeittypischen, tief verwurzelten, aber von ihm nicht ausdrücklich genannten Implikationen seiner Argumentation zu antworten.
Man definiert klassische Wissenschaft und Geschichtsschreibung am besten, indem man sich auf das tragische Prinzip des selbstverschuldeten Untergangs bezieht, das immer dann auftaucht, wenn eine Nation oder Kultur in eine potentiell fatale Systemkrise eintritt - so wie es heute mit dem Weltsystem des Internationalen Währungsfonds (IWF) der Fall ist. Wie im Falle des gegenwärtig hereinbrechenden Zusammenbruchs dieses Weltwährungs- und Finanzsystems werden die relevanten und interessantesten Paradoxa an Fällen wie dem hier vorliegenden sichtbar: wenn das grundlegende Problem nämlich darin besteht, daß der handelnden Person gar nicht bewußt ist, daß sie sich auf falsche systemische Grundannahmen stützt. Denn auch wenn sie sich dieser Grundannahmen vielleicht nicht bewußt ist, unterwirft sie sich ihnen, als hätten diese die Autorität selbstevidenter Tradition - als wäre sie einer jener berühmten Hunde aus den Experimenten Pawlows oder eine Ratte aus den Experimenten Skinners.
Typisch für dieses klinische Phänomen ist jene Grundeinstellung, die schon in der Erzählung Der entwendete Brief des amerikanischen Patrioten Edgar Allen Poe den verblüfften Leser für die Auflösung blind macht, weil man "den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht".
Solche potentiell tragischen Systemfehler in den Grundannahmen über die historisch gewachsenen bestimmenden Grundelemente der Gestaltung der amerikanischen Politik der jüngsten Zeit sind heutzutage typisch für die Kommentare sogenannter Autoritäten in den USA und im Ausland. Die Geschichte der europäischen Kultur seit Solon und Platon hat gezeigt: Wenn man an diese Art von Fehler nicht sokratisch herangeht, dann wird die Person oder die Gesellschaft, die diesen Fehler begeht, noch viele Generationen lang selbstgerecht auf dieser fatalen Überzeugung beharren - wenn sich diese Gesellschaft nicht schon viel früher durch die Auswirkungen dieser falschen Überzeugung zugrunde richtet. Eine solche pathologisch halsstarrige "öffentliche Meinung" eines Volkes ist, um es zu wiederholen, die Wurzel aller großen klassischen Theatertragödien, aber auch der wahren Tragödien ganzer Länder und Kulturen.
Ich möchte Herrn Liu im wesentlichen in einer methodischen Frage herausfordern, wie folgt.
Bei meiner jahrzehntelangen Arbeit, solche Tragödien zu diagnostizieren und vor ihnen zu warnen, war mein intellektueller Vorteil gegenüber den meisten Fachleuten, daß ich mich dabei auf die überragende Bedeutung der falschen, mehr oder weniger allgemein verbreiteten Überzeugungen konzentrierte, die auch diese "Fachleute" teilen. Dagegen scheitern die meisten anderen mit ihren langfristigen Prognosen, weil sie Reformen immer nur im Rahmen der häufig als "allgemein anerkannt" hingestellten Institutionen und Methoden vorschlagen. Da alle ernsthaften Gefahren für eine Gesellschaft quasi wie selbstverschuldete Geisteskrankheiten aus weitverbreiteten - vor allem offiziellen - axiomatischen Selbsttäuschungen erwachsen, muß ich einen häufigen, aber völlig unbegründeten Vorwurf meiner "Kritiker" riskieren. Dieser häufige unbegründete Vorwurf ist der, daß ich auf Fragen häufig sokratisch antworte, indem ich mich primär mit den falschen Grundannahmen beschäftige, die der Frage zugrunde liegen, und es dann oftmals dem Frager überlasse, die Einzelheiten der Wahrheit über das entsprechende Thema für sich selbst zu entdecken.
Was nun Lius Artikel angeht, so ist sein offensichtlicher Systemfehler allgemein der gleiche, den praktisch alle seine und meine Konkurrenten unter den heutigen Berufsökonomen und führenden Politikern weltweit begehen. Der Irrtum, auf den man sich hier konzentrieren muß, ist eine Torheit, die unter Akademikern üblich ist: Man berücksichtigt nicht den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Geschichte des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie, nach dem die Vereinigten Staaten gegründet wurden, und den geschichtlichen Ursprüngen der noch heute verheerenden Folgen des Zentralbanksystems der europäischen Nationen.
Es ist der gleiche Systemfehler, den eine um die Wall Street gruppierte mächtige Fraktion in den USA aus Europa importierte, seit Aaron Burr mit politischer Unterstützung seines Förderers Jeremy Bentham - dem Chef des "Geheimausschusses" des britischen Foreign Office - die Bank von Manhattan gründete. Dieser Systemfehler, der am extremsten in der neumanichäischen quasireligiösen Ideologie vom "Freihandel" zutage tritt, vergiftet auch die Institution des nunmehr zum Untergang verurteilten amerikanischen Federal-Reserve-Systems. Zugleich ist dieser Systemfehler die Hauptursache der Tollheiten, welche die Regierung Bush im Namen des "Freihandels" begeht. Diese inhärente systemische Illusion ist es auch, die das weltweite Währungs- und Finanzsystems des IWF der Zeit nach 1971 im Endeffekt zum selbstverschuldeten Untergang verurteilt.
Ich werde in diesem Fall zwei Kategorien von Argumenten vorlegen. Zuerst verweise ich unter der Überschrift "Die romantischen Wurzeln des Zentralbankensystems" auf die historischen Wurzeln von dem, was Liu hinsichtlich der immer noch wirksamen Ursprünge der relevanten Prinzipien des europäischen Bankensystems übersehen hat. Zweitens behandle ich unter der Überschrift "Den Schleier der Sinnesgewißheit durchdringen" noch tiefergehende Dinge im Bereich der physikalischen Wissenschaft, die als ein Umstoßen sämtlicher Argumente aus der Sicht der gängigen Währungs- und Finanzlehre von heute zu sehen sind.
Zum Abschluß dieser einleitenden Bemerkungen noch eine Warnung: Man muß erkennen, daß alle systemischen Prozesse in den Angelegenheiten des Menschen empirisch durch die Geschichte als gesetzmäßiger Prozeß definiert sind - es sind keine isolierten Dinge mit ein paar Verbindungslinien dazwischen, wie die Aristoteliker, Empiristen, Cartesianer und andere Reduktionisten behaupten. Eine kompetente Beurteilung sozialer Prozesse bezieht sich immer auf die Vermittlung sozialer Institutionen, wie etwa Sprachen, und Ideen (im platonischen Sinne) über mehrere Generationen. Ich werde das in meinen abschließenden Bemerkungen des zweiten Teils präzisieren.
Zum Zentralbankenwesen sind zwei Kernpunkte zu sagen.
Erstens. Vergleicht man die Dimension der gegenwärtigen Verschuldung und darauf geforderten Zinsen mit dem immer schnelleren Zusammenbruch des gegenwärtigen physischen Niveaus der Nationaleinkommen pro Kopf, so wird klar, daß weder im Rahmen der Volcker-Greenspan-Methoden des heutigen Federal-Reserve-Systems nach 1971 noch im Rahmen der IWF-Weltbank-Methoden des Systems "freier Wechselkurse" nach 1971 eine erfolgreiche Reform oder Anpassung möglich ist. Beispielhaft ist der Fall der Forderungen der Bankiers unter Führung des IWF an Argentinien und Brasilien: Unter den Konditionalitäten, die der IWF diesen Nationen auferlegt, können weder die beiden Länder noch der IWF überleben. Auf der anderen Seite würden Bedingungen, die diesen Nationen ein physisches Überleben ermöglichten - wie ich sie vertrete und wie sie beispielsweise das italienische Parlament als Resolution verabschiedet hat - , die führenden Nationen der Welt zwingen, das nunmehr hoffnungslos bankrotte IWF-Systems, wie es seit August 1971 existiert, einer gigantischen Reform zu unterziehen.
Im Falle Argentiniens und Brasiliens etwa ist die Beziehung zwischen den internationalen Finanz- und Währungswucherpraktiken einerseits und der physischen Wirtschaft andererseits so, daß jeder Versuch, diese Nationen zur Erfüllung der Gläubigerforderungen zu bewegen, die physische Zerstörung der Nation und ihrer Bevölkerung nach sich zöge. Das dann entstehende Verhältnis von kollabierender Produktion zu spiralförmig steigenden Zahlungsverpflichtungen muß dann über kettenreaktionsartige Effekte sehr bald den hoffnungslosen Bankrott des Gläubigers und des IWF-Systems nach sich ziehen. Ein großer Teil der Gläubigerforderungen an die verschuldeten Nationen besteht aus aufgelaufenden Zinsen - "wir haben es nach unseren IWF-Regeln ,ganz fair' gestohlen" - , aus völlig fiktiven Forderungen der Gläubiger. Erst wenn man diesen gewaltigen fiktiven Anteil der erdrückenden Schulden Iberoamerikas praktisch ganz streicht, könnten Brasilien und Argentinien wieder kreditwürdige, produzierende Volkswirtschaften werden.
Damit wäre der IWF bankrott. Und wenn schon! De facto ist er ohnehin schon bankrott - so bankrott, daß seine Wertlosigkeit als Institution schon eine feststehende Tatsache ist. Tatsächlich sind die meisten Großbanken in Europa und den Amerikas sogar schon mehr als bankrott, so daß nur noch ein staatliches Reorganisationsverfahren ihren baldigen chaotischen Zusammenbruch verhindern könnte. Dieser Bankrott von IWF und Weltbank war schon lange vorher axiomatisch in das System eingebaut, als 1971-75 das System "freier Wechselkurse" eingeführt wurde. Der Zusammenbruch war nur eine Frage der Zeit - nun sind Jahrzehnte vergangen, und die Zeit ist gekommen.
Mehr noch, die Existenz des IWF ist eigentlich nur eine von souveränen Regierungen geschaffene Fiktion. Diese Regierungen haben nun die Verantwortung und die Autorität, gemeinsam den IWF einem geordneten Bankrottverfahren zu unterwerfen und ihn durch eine ganz neue Einrichtung zu ersetzen - vorzugsweise ein Goldreservesystem, vielleicht mit einem Goldpreis von 1000 Dollar je Feinunze, frei von der Dummheit freier Wechselkurse und orientiert an den Regulierungen, wie sie mit dem IWF der unmittelbaren Nachkriegszeit 1946-58 verbunden waren.
Kurz, das Wüten dieser Finanzdinosaurier des Räuber-IWF der Zeit von 1971-2002 geht zu Ende. Abgesehen von ein paar finanziellen Sumpfkrokodilen mit den räuberischen Eigenschaften des organisierten Verbrechens wird wahrscheinlich kein Finanzdinosaurier, der seiner Art treu bleibt, dieses Ende der Dinosaurierära überleben - genausowenig wird eine Nation überleben, die jetzt noch auf eine Reform innerhalb des todgeweihten Zentralbanksystems setzt.
Zweitens. Die Prinzipien einer Wissenschaft der physischen Wirtschaft - wie sie von Leibniz entwickelt wurde und Eingang in den Entwurf der Präambel der Amerikanischen Verfassung 1789 fand - bieten die einzige bewährte, axiomatische und wirksame Alternative zu jener Zentralbankpolitik, die im Zuge des laufenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs des derzeitigen Weltfinanz- und Währungssystems dazu verurteilt ist, in Vergessenheit zu geraten.
Dies ist die alles entscheidende strategische Frage in der heutigen Welt. Wenn die schiere Dummheit der typischen Wirtschaftsnobelpreisträger unserer Zeit Laputa noch in den Schatten stellt, ist das Ausdruck einer Unkenntnis dieser Dinge bei der gesamten heutigen akademischen Welt - mit Ausnahme einer kleinen Minderheit - und einer Feindseligkeit gegenüber der Vernunft überhaupt, die durch das Klima strategischer geistiger Leere in den USA in der Zeit nach Franklin Roosevelt gefördert wurde, das die emotionalen Widerstände gegen die Erkenntnis der Lösungen der derzeitigen weltweiten Probleme verstärkte.
Es sind die Lösungen, die vor dem März 1945 durch den großen Beitrag der Tradition Benjamin Franklins - des führenden Kopfes Nordamerikas im 18.Jahrhundert - zur weltweiten intellektuellen Führung erprobt und bestätigt wurden. Die Tragödie der Vereinigten Staaten und anderer Nationen heute ist, daß die entscheidende Tatsache über die heutigen USA auf der ganzen Welt, selbst unter führenden Persönlichkeiten, im wesentlichen unbekannt ist. Diese Tatsache ist: Die in jüngster Zeit dominierende Stellung einer um Finanzkreise gruppierten amerikanischen Tory-Opposition gegen die amerikanische patriotische Tradition so herausragender Persönlichkeiten wie Benjamin Franklin ist der Hauptfaktor hinter dem wirtschaftlichen und moralischen Niedergang der USA in den letzten 35 Jahren, von der weltweit führenden produktiven Gesellschaft zu einer dekadenten, zum Untergang verurteilten "nachindustriellen" Konsumgesellschaft.
Besonders bemerkenswert ist die Legende, seit der Ermordung des Präsidenten William McKinley sei ein ununterbrochenes Bündnis zwischen den führenden amerikanischen Finanzkreisen und der britischen Monarchie ein feststehendes Gesetz. Die von diesem Aberglauben befallenen akademischen und verwandten Kreise verloren jede Erinnerung an das einzige Mal im 20.Jahrhundert, als Amerika - unter Präsident Franklin D. Roosevelt - von diesen Finanzinteressen systemwirksam unabhängig war. Derartige geistige Fluchten aus der historischen Wirklichkeit - so wie auch Karl Marx' ignoranter Glaube an den gleichen britischen Fehler - förderten im allgemeinen den heute weitverbreiteten Irrtum, das als "Kapitalismus" oder "Freihandelssystem" bezeichnete britische System und das Amerikanische System der politischen Ökonomie hätten im wesentlichen dieselben Wurzeln.
Dieses falsche, aber verbreitete Dogma ist implizit der Ursprung des grundlegenden Fehlers bei der Beurteilung des Bankensystems in Lius Artikel. Um diesen Fehler zu berichtigen und den grundlegenden Unterschied zwischen dem britischen System und dem Amerikanischen System der politischen Ökonomie zu verstehen, beziehe man sich auf die ursprüngliche Entdeckung der Wirtschaftswissenschaft durch Gottfried Wilhelm Leibniz und auf den entscheidenden längerfristigen Einfluß von Leibniz' Arbeiten auf Alexander Hamilton, Mathew Carey, Friedrich List und den führenden Ökonomen des 19.Jahrhunderts, Henry C. Carey.
Zugleich ist es wichtig, daß man sich die weltweite Bedeutung dieses Systemkonflikts in den Vereinigten Staaten vor Augen führt. Die derzeit vorherrschende Tory-Tradition fürchtet, haßt und diffamiert jeden, der die patriotische Anti-Tory-Tradition meiner Nation und deren führende Vertreter verteidigt, wie ich. Wenn das Establishment der amerikanischen Tories und die von ihm völlig kontrollierten Massenmedien in den letzten ca. 30 Jahren mehr Anstrengungen unternahmen, mich durch Tod oder Verleumdung loszuwerden, als bei irgendeinem anderen lebenden Amerikaner im selben Zeitraum, dann ist das nur eine besonders drastische Illustration dieses Punktes. Wenn man die böswilligen Verleumdungen meiner Person, die nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und anderswo verbreitet werden, meiner unübertroffenen Treffsicherheit als langfristiger Wirtschaftsprognostiker gegenüberstellt, sind sie ein besonders typischer Beweis für die systematisch falsche Sicht der amerikanischen Geschichte bei denjenigen, die dumm genug sind, diese verleumderischen Tory-Gerüchte zu glauben.
Folgerichtig stärken irreführende Aspekte der jetzigen wirtschaftlichen Realität in den USA die gängige falsche Auffassung, die derzeitigen akademischen und verwandten Trends seien Teil einer "historisch unausweichlichen" amerikanischen und weltweiten Tradition. Folgerichtig wurden gültige wirtschaftliche Ideen aus den Massenmedien, aus den meisten Universitäten und aus der offenen Aussprache in führenden politischen Parteien verbannt. Nur Dogmen, die, wie das laufende Finanzdebakel gezeigt hat, ebenso verrückt wie populär waren, wurden in den Medien und Universitäten zugelassen. Ein solches Verhalten bildet den Kern einer nationalen Tragödie. Eine Folge dieser korrumpierten Maßstäbe ist eine enorme Leichtgläubigkeit politisch einflußreicher Persönlichkeiten - sie sind einseitig voreingenommen für die impliziten axiomatischen Grundfehler in den offiziellen Ansichten über Schulden- und Bankenreformen.
Wenn ich daher einige Punkte angesprochen habe, die ich schon in zahlreichen früheren Veröffentlichungen behandelt habe, war dies notwendig, weil man in einer Schrift, die sich unter anderem an ein asiatisches Publikum richtet, alle wesentlichen Prämissen meiner Schlußfolgerungen über die Besonderheiten der europäischen Geschichte in einen Rahmen globaler Prädikate bringen muß.
Man kann in Ost- und Südasien die europäische Zivilisation nicht wirklich verstehen, wenn man sie nicht im wesentlichen als Ergebnis der Einflüsse der antiken ägyptischen Kultur und der Reaktionen gegen diese Einflüsse sieht. Das, was die Geschichtsbücher als beispielhaften Beitrag der Etrusker und Griechen zur Entwicklung einer Mittelmeerzivilisation aus einem vorangegangenen "finsteren Zeitalter" schildern, ist sehr stark ägyptischen Einflüssen zu verdanken. Nachdem die Römer an den Etruskern kulturellen Völkermord begingen, bildete die überlebende klassische griechische Zivilisation - etwa von der Zeit des Thales (von Milet) und des Pythagoras an - bis heute über einen Zeitraum von mehr als 2700 Jahren den wesentlichen Ausgangspunkt für alle späteren kulturellen Errungenschaften der weltweit ausgedehnten europäischen Zivilisation.
Doch nach einer Riesendummheit namens Peloponnesischer Krieg ging es mit dem politischen Leben Griechenlands bergab, wenn auch der Kern des kulturellen Lebens - hauptsächlich personifiziert in den Anhängern Platons - bei dem gesamten Fortschritt in führenden Aspekten der hellenistischen Kultur weiterhin beherrschend war. Bei dieser Überlegenheit der platonischen klassischen Kultur blieb es bis zur Zeit des Archimedes und des Eratosthenes, als Rom im Zuge seiner militärischen Eroberungen und beschleunigten Ausbreitung der Sklaverei ab etwa 200 v.Chr. in ganz Europa zu imperialer Größe aufstieg.
Seit diesen antiken Zeiten war die gesamte europäische Kultur - der amerikanische Kontinent eingeschlossen - geprägt von einem einzigen tieferen internen Konflikt: dem noch heute bestehenden Konflikt zwischen der römischen Dekadenz - eine Tradition, die auch als Romantik bekannt ist - und der dieser entgegengesetzten klassischen Tradition, die im wesentlichen auf das Griechenland Platons und seiner Akademie zurückgeht.
Diese politische Spaltung zwischen Klassik und Romantik zeigte sich im 18.Jahrhundert mit ganzer Wucht im englischsprachigen Nordamerika. Der entscheidende Bruch kam 1763, als die britische Krone beschloß, die Freiheiten und die wirtschaftliche Entwicklung ihrer nordamerikanischen Kolonien zunichte zu machen. Die große Spaltung zwischen den Patrioten und den "amerikanischen Tories" (wie sie Präsident Franklin D. Roosevelt zu seiner Zeit nannte) definierte sich philosophisch in dem Gegensatz zwischen den Anhängern des Leibnizschen Dogmas "Leben, Freiheit und Streben nach Glückseligkeit" - den Patrioten - einerseits und den Anhängern von John Lockes Dogma der Sklavereibefürworter "Leben, Freiheit und Eigentum" andererseits.
In der Wissenschaft zeigte sich diese tiefe innere kulturelle Spaltung in den USA mit der von Nikolaus von Kues, Leonardo da Vinci und Leibniz aufgegriffenen klassisch-griechischen Tradition auf der einen Seite und den dieser gegenüber stehenden unterschiedlichen Ausdrucksformen der Romantik unter den verschiedenen Flaggen der neuzeitlichen Reduktionisten wie Empirismus, Positivismus und Existentialismus auf der anderen Seite. Und in der Kunst steht die Klassik gegen den Irrationalismus der Romantik und der Moderne.
Der zentrale Streitpunkt dieser noch heute andauernden philosophischen Spaltung zwischen Patrioten und Tories in den USA zeigt sich auch in der Präambel der Amerikanischen Verfassung, in der drei große universelle Prinzipien der gesamten Verfassung festgeschrieben werden - in scharfem Gegensatz zur Präambel der Verfassung der Sklavenhalter-Konföderation der Südstaaten.
Diese drei amerikanischen Verfassungsprinzipien der Präambel sind folgende:
1. das Prinzip der Souveränität des republikanisch verfaßten Nationalstaates;
2. daß nach dem Naturrecht keine Regierung legitim ist, die sich nicht zur Förderung des Gemeinwohls des ganzen Volkes verpflichtet;
3. die Entschlossenheit, so zu handeln, daß der Fortschritt des Gemeinwohls der zukünftigen Generationen sichergestellt ist und die momentanen Bedürfnissen des Hier und Jetzt nicht von der Zukunft zehren.
Warum diese Prinzipien der späteren Existenz von Zentralbanksystemen oder dem offen verfassungswidrigen Federal-Reserve-System widersprechen, wird weiter unten geklärt.
Aber obwohl diese Details der inneramerikanischen Geschichte für jede kompetente Beurteilung der heutigen USA wichtig sind, sollte man nicht auf den chauvinistischen Gedanken verfallen, die Entwicklung der USA sei im wesentlichen eine innere, nordamerikanische Angelegenheit gewesen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen einer Weltkrise ist es ziemlich wichtig, daß alle Regionen der Welt verstehen, welche tiefgreifenden weltweiten Auswirkungen die entsprechenden Hauptaspekte der internen Geschichte Nordamerikas haben.
Die englische wie auch die französische Kolonisierung Nordamerikas war nicht nur zu großen Teilen eine Errungenschaft der Renaissance des 15.Jahrhunderts, sondern auch - in negativer Hinsicht - eine Flucht vor dem Zustand permanenten Religionskrieges in Europa, den Venedig und die Habsburger zwischen 1511-1648 organisierten und - in positiver Hinsicht - eine Reaktion auf die noch umkämpften Errungenschaften des Westfälischen Friedens von 1648, wie etwa den Arbeiten von Gottfried Wilhelm Leibniz, aus denen sich etwas entwickelte, was wieder den Namen Zivilisation verdiente.
Dieser Frieden von 1648 war im wesentlichen den diplomatischen Fähigkeiten des französischen Kardinals Jules Mazarin zu verdanken. Mazarins politischer Erbe Jean-Baptiste Colbert, der auch den jungen Leibniz förderte, führte in Europa in den Jahren nach 1648 große Entwicklungsbemühungen an. Leider führten die Zerstörung des Werks von Mazarin und Colbert durch den selbsternannten "Sonnenkönig" Ludwig XIV. und die räuberischen Aktivitäten Wilhelm von Oraniens auf dem Kontinent und in England zusammengenommen zu einer Situation, in der es nicht mehr möglich war, kurzfristig wieder an die früheren Versuche zum Aufbau eines modernen Nationalstaates im 15.Jahrhundert anzuknüpfen, die es damals unter Ludwig XI. in Frankreich und Heinrich VII. in England gegeben hatte.
Unter den Bedingungen des kriegsgeschüttelten Europas im frühen 18.Jahrhundert sahen die besten Köpfe der Alten Welt in den englischen Kolonien die einzig verfügbare Chance, das Modell einer wahren Republik zu errichten, welches sie später nach Europa zurückzuimportieren hofften. Die daraus folgende Gründung der USA mit dieser Verfassungspräambel und der langfristigen Führungsrolle Benjamin Franklins war deshalb eine wahrhaft große historische Ausnahme in der ganzen neuzeitlichen Geschichte der weltweit ausgedehnten europäischen Zivilisation. Die Bedeutung der USA im Guten wie im Schlechten hängt davon ab, ob die heutigen USA die Verpflichtung, die mit dieser außergewöhnlichen historischen Tatsache der ganzen neuzeitlichen Geschichte verbunden ist, annehmen oder nicht.
Leider wurden die Entwicklungen in Frankreich in der Zeit nach dem 14.Juli 1789 bis zum Sturz Napoleon Bonapartes in Europa ein Modell ähnlicher Abläufe, so daß bis heute nirgendwo eine wirkliche Republik sicher und fest aufgebaut werden konnte. Es gab zwar wichtige, sogar große Reformen der Überbleibsel feudalistischer parlamentarischer Systeme, aber alle diese Reformen hatten zwei grundsätzliche Schwächen: Erstens ist das imperialistische "Gen", wenn auch oft nur rudimentär, im ideologischen Erbe der heutigen und früheren monarchistischen Systeme des neuzeitlichen Europas immer noch tief verwurzelt. Das zweite ist die Macht des Zentralbanksystems. Diese prinzipiellen axiomatischen Fehler im Handeln ermöglichten es dem britischen König Eduard VII., im Namen "geopolitischer" Streitigkeiten zwischen den Land- und Seemächten den ersten der beiden Weltkriege des 20.Jahrhunderts vorzubereiten. Bis heute wurde es Kontinentaleuropa nicht gestattet, sich ganz von den tiefgreifenden Folgen dieser beiden Kriege zu erholen.
Fortsetzung nächste Woche
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