Aus der Neuen Solidarität Nr. 40/1998:
Exklusivinterview des ehemaligen mexikanischen Präsidenten mit EIR
"Wir brauchen dringend eine neue Weltwirtschaftsordnung"
José López Portillo war von 1976 bis 1982 mexikanischener
Staatspräsident. Am 17. September gab er in Mexiko-Stadt Carlos
Cota Meza und Marivilia Carrasco für das US-Nachrichtenmagazin
EIR ein Interview, das auch in führenden mexikanischen
Zeitungen große Beachtung fand. Wir veröffentlichen Auszüge.
"Als Präsident unterhielt ich Beziehungen zu Lyndon LaRouche,
weil ich seine unabhängige und standhafte Haltung achtete, die
ich in weiten Bereichen teile; diese Achtung entwickelte sich
vor allem über eine Auseinandersetzung mit einer Gruppe junger
Mexikaner, die ich ebenso respektiere und bewundere."
"Die Weltwirtschaft braucht eine Neuordnung: feste
Wechselkurse, wo nötig begrenzte Konvertibilität, Devisen- und
Kapitalkontrollen gegen spekulative Finanzmärkte,
protektionistische Maßnahmen zur Regulierung von Zoll und
Handel. Wenn wir es nach dem Zweiten Weltkrieg tun konnten,
können wir es auch heute tun."
Am 1. Oktober 1982 haben Sie in ihrer letzten Rede als
Präsident von Mexiko vor den Vereinten Nationen erklärt:
"Entweder wird eine neue Weltwirtschaftsordnung akzeptiert,
oder die Zivilisation wird in ein neues mittelalterliches
finsteres Zeitalter versinken, ohne Hoffnung auf eine
Renaissance." Wie bewerten Sie Ihre Worte heute, 16 Jahre
danach?
Portillo: Ich stehe auch heute dazu. Die
wirtschaftliche und monetäre Stabilität des
Bretton-Woods-Systems brach zusammen, weil die USA und dann die
anderen Industrieländer den Goldstandard aufgaben und diese
Entscheidung später auf die übrigen Länder der Welt übertrugen.
Abbau der Importabhängigkeit, staatliche Investitionen in
hochprofitable Bereiche, feste Paritäten, niedrige Zinsen,
fluktuierende Deckungssätze, bewirtschaftete In- und
Auslandskredite - alle diese wichtigen Elemente des Systems von
Bretton Woods hatten in der Nachkriegszeit bis etwa 1968 für
ökonomische Stabilität gesorgt. Aber dagegen ging die "neue
ökonomische Theologie", wie ich sie nannte - die aber
eigentlich gar nicht so neu war - massiv an: freie Märkte,
freier Handel, freier Wettbewerb, die totale Öffnung der
Volkswirtschaften für "ausländische Investitionen". Das ist
die Doktrin des Internationalen Währungsfonds, des vielleicht
letzten Relikts des alten Bretton-Woods-Systems; er übernahm
dann die Rolle, die Bedingungen aufzuzwingen, durch die das
System verschwand, das ihn erzeugt hat.
Die weltweite Verhängung dieser Rezepte hat die Menschheit in
einen brutalen "Naturzustand" geworfen, wo Gewalt die
Rechtfertigung der Mächtigen bildet und es das traurige
Schicksal der Schwachen ist, nach ihren Regeln leben zu müssen.
Es wird eine teuflische Welt, gefangen zwischen der Arroganz der
Macht und der Verzweiflung der Schwachen.
Angesichts dieses Dilemmas haben Sie während Ihrer
Amtszeit einen Nord-Süd-Dialog vorgeschlagen. Dieser sog.
Gipfel von Cancun wurde von zahlreichen Staatsoberhäuptern
besucht.
Portillo: Cancun fand im Oktober 1981 statt. Das
Problem der Entwicklungsländer in der
Nachkriegs-Wirtschaftsordnung bestand darin, die Entwicklung
zu finanzieren. Die Entwicklung eines Landes wie unserem
erfordert Devisen, um im Ausland einkaufen zu können, was
entscheidend für weiteres Wachstum ist. Und Devisen erhält man
durch Export oder Kreditaufnahme. Mit letzterem beginnt die
Abhängigkeit, eine brutale monetäre Umklammerung, aus der wir
einen Ausweg finden mußten. Dies habe ich bei meinen Treffen zur
Vorbereitung von Cancun mit allen Staatschefs diskutiert.
Indem der IWF durch die Kontrolle der öffentlichen Ausgaben die
Beteiligung der Regierungen an der Entwicklung ausschließt,
schafft er freie Bahn für den Privatsektor. Dieser aber war und
ist in Mexiko nicht ausreichend wettbewerbsfähig - abgesehen
davon, daß die Gewinne außer Landes geschafft werden. Man steht
vor der dramatischen Entscheidung: Entweder gibt es gar kein
Wachstum, was in den Faschismus führt, oder man unterwirft sich
uneingeschränkten ausländischen Investitionen, was die gleiche
Gefahr birgt.
Hier nahm meine Regierung eine rigorose Haltung ein: Würden wir
die Beschränkungen des IWF buchstabengetreu erfüllen, so
würden wir nur unsere ewige Rückständigkeit verwalten. Mexiko
mußte wachsen, es gab keine andere Wahl; nur wenn wir unsere
Ressourcen entwickeln, können wir besser leben.
Handelsbeziehungen waren die logische Alternative. Das war
das Ziel des Gipfels von Cancun: die technologische Lücke
zwischen unseren Ländern und den Industrienationen zu
schließen.
Damals sagten Sie, Mexiko werde "entgegen dem Lauf der
Weltrezession" wachsen.
Portillo: Damals als Staatsoberhaupt wie heute als
Mexikaner ist mir bewußt, daß das Land in der Arena westlicher
Entwicklung wettbewerbsfähig sein muß. Wir müssen Anschluß
an die Weltwirtschaft finden, nicht bloß mittels der
unzureichenden Maquiladoras (Billiglohnfabriken),
sondern durch Anbindung an ihre Standards, Technologien,
Effektivität.
Wir mußten also unsere Industrie in den Regionen verbreiten, die
Überfüllung der Städte abbauen und an den Küsten Industriehäfen
ansiedeln, um dort zu produzieren; denn es war eine Sackgasse,
die Ausgangsmaterialien erst von den Häfen ins Hochland zu
schaffen und später die Endprodukte wieder an die Küste
zurückzubringen.
Um den Mexikanern Arbeit zu geben, mußten wir Inflation und
Arbeitslosigkeit soweit als möglich durch Produktion
bekämpfen, statt die Nachfrage zu senken. Wir gingen davon aus,
daß Investitionen Guthaben erzeugen, im Gegensatz zu jenen, die
forderten, monetäre Faktoren um jeden Preis zu verteidigen, um
die Guthaben zu erhalten.
Das bedeutete: Großprojekte für die nationale Wirtschaft - 20
neue Städte, vier industrielle Großhäfen, Aufbau der
petrochemischen Industrie, Eintritt ins
Kernenergie-Zeitalter. Wir begannen mit dem Bau des
Kernkraftwerks Laguna Verde. Ich habe auch einen
"Weltenergieplan" vorgeschlagen, um den Technologiefluß in
Länder wie das unsrige sicherzustellen.
Sie haben kürzlich den Aufruf an Präsident Clinton für ein
Neues Bretton Woods unterzeichnet, der von Helga Zepp-LaRouche
und der ukrainischen Abgeordneten Dr. Natalja Witrenko
initiiert wurde. Können Sie Näheres dazu sagen?
Portillo: Den wichtigsten Grund, warum ich
unterzeichnet habe, sagte ich bereits: Ein neue
Weltwirtschaftsordnung tut dringend not. Sie erinnern sich
vielleicht: Als ich Präsident wurde, befanden wir uns inmitten
einer Ölkrise. Die OPEC-Länder hatten ein "Öl-Embargo" gegen den
Norden verhängt, es folgte ein spektakulärer Ölpreisanstieg.
Doch am Ende meiner Amtszeit kam ein starker Preisverfall.
Zusammen mit den von den USA rücksichtslos erzwungenen
Zinserhöhungen brachte uns das 1982 in eine schwere
Zahlungskrise bei den Auslandsschulden.
Ironischerweise schließt sich heute, 16 Jahre später, der Kreis:
Es gibt es eine neue "Ölkrise", einen neuen Ölpreisverfall,
der das Gespenst der Zahlungsunfähigkeit bei den
Auslandskrediten zurückbringt. Wieder sind die Rohstoffe
der Entwicklungsländer auf den internationalen Märkten
nichts wert. Es gleicht dem Abstieg in ein Dantesches Inferno
der ökonomischen Zerstörung, von einem Kreis der Hölle in den
nächsten.
Ich bin überzeugt, daß die Lösung der Krise vom Zusammenschluß
von Entwicklungsländern wie Mexiko, Indien, Ägypten,
Argentinien, Brasilien kommen muß. Der Fall China zeigt, was
Entwicklungsländer tun können und tun sollten. Die
wirtschaftlich starken Länder müssen endlich verstehen, daß
sie allein die Welt nicht in Ordnung bringen können, so wie sie
im vergangenen Vierteljahrhundert nicht dazu fähig waren.
Die Vereinigten Staaten haben eine Führungsrolle, die sie
nicht wahrnehmen, und dieses Vakuum wird mit irgend etwas
gefüllt, selbst wenn es Unordnung und Anarchie sind. Die
Einberufung eines Neuen Bretton Woods durch die Regierung
William Clintons zusammen mit Ländern wie unserem würde helfen,
viele Unterlassungen der jüngeren Geschichte zu beseitigen.
Die Weltwirtschaft braucht eine Neuordnung: feste
Wechselkurse, wo nötig begrenzte Konvertibilität, Devisen- und
Kapitalkontrollen gegen spekulative Finanzmärkte,
protektionistische Maßnahmen zur Regulierung von Zoll und
Handel. Wenn wir es nach dem Zweiten Weltkrieg tun konnten,
können wir es auch heute tun.
Sie sind, soweit ich es überblicke, der einzige
Staatsmann, der häufiger Shakespeare heranzieht, um das Wesen
unserer Zeit zu analysieren; in Ihren Schriften und Reden
tauchen Figuren wie Hamlet oder Shylock auf. Warum?
Portillo: Weil das keine fiktiven Charaktere sind,
sondern wirkliche Menschen. Hamlet ist die Erkenntnis einer
historischen, universellen Qual. Wer sich nicht der Frage
"Sein oder nicht sein" stellt, ist ein einfältiger Geist. Er
weiß nur vom Tun, aber nicht vom Sein - Vollstrecker seiner
eigenen Unterwerfung. Das scheint der Geist zu sein, der bei den
gegenwärtigen politischen Führern der Welt vorherrscht. Von
einem Entschluß wie: "Um ein edles Ziel zu erreichen, nehme ich
alles auf mich" will keiner etwas wissen.
Shylock ist der Wucherer aus dem Kaufmann aus Venedig, in
dessen Händen sich unser Land seit 1982 befindet. Ich erinnere
mich genau: Mit dem Ölpreisverfall und den Zinserhöhungen
hatten wir nur noch Zahlungsverpflichtungen und keine
Währungsreserven mehr. So wandten wir uns an Shylock, um ihm
unser Petroleum-Blut zu verkaufen. Und Shylock verhielt sich wie
Shylock: beleidigende und unakzeptable Vorschläge und
Erpressungsversuche, nur damit die Gläubiger uns Geld
gaben, ihnen ihre alten Kredite zurückzuzahlen, während sie alle
unsere Gewinne schon längst in die Tasche gesteckt hatten.
Ich wußte aber, wie man mit Shylock umgehen muß. Als ich 1982
strikte Anweisung gab, daß Mexiko die Zahlungen einstellt,
nahmen die Verhandlungspartner aus den USA von ihren
inakzeptablen Forderungen Abstand - allerdings nicht ohne
allerlei Vorteile aus dem Wucher "mitzunehmen".
Die Idee des Nationalstaates wird heute auf vielerlei
Weise angegriffen. Bei dem Konflikt um Chiapas etwa geht es
nicht um die legitimen Interessen der indianischen
Bevölkerung, die zum Opfer der Wirtschaftspolitik wurde.
Portillo: Das ist die einzige aktuelle Angelegenheit in
Mexiko, zu der ich Stellung bezogen habe, obwohl ich sonst das
ungeschriebene Gesetz unseres Landes respektiere, daß ehemalige
Präsidenten sich nicht in die interne Politik einmischen. Aber
Chiapas ist mehr als eine innenpolitische Angelegenheit. Seit
über sechs Jahrzehnten gibt es internationale Anstrengungen,
Minderheitenrechte einzufordern, die angeblich in der
Vorstellung vom Nationalstaat keinen Platz haben. Ich halte das
für einen großen Fehler. Mexikos Stärke liegt gerade in unserem
Mestizaje ("Rassenmischung", d. Red.), und das
wollen die Ideologen der Indianerbewegung schwächen.
In Chiapas z.B. wollen nationale und internationale Figuren eine
besondere gesetzliche Körperschaft einrichten - entgegen der
westlichen, heute universellen Kultur - , eine Körperschaft nach
einem "Gesetz der Rasse", das fundamental diskriminierend ist
wie Hitlers Nazismus.
Die westliche Erfahrung des Nationalstaats hat zwei Grundsätze:
a) nationale Einheit als integrative Kraft, und b) die Idee, daß
der Staat nicht auf Gewohnheit basiert, sondern auf dem Recht,
einem Recht allgemeiner Natur. Das Gewohnheitsrecht hat keinen
universellen Charakter, daher ist es kein wirkliches Recht.
Wenn also jemand "Montezumas Gesetze" wieder einführte, die auf
Gewohnheit und der Willkür der Herrscher aufbauen (sie konnten
beispielsweise jeden augenblicklich zum Tode
verurteilen), würden mehr als 500 Jahre westlicher
Rechtskultur zerstört.
Seit letzten Oktober die Asienkrise begann, gab es wichtige
Interventionen von Führungspolitikern der betroffenen
Länder gegen den IWF, besonders von Dr. Mahathir bin Mohamad,
den Ministerpräsidenten Malaysias. In gewisser Hinsicht
kehrt Dr. Mahathir zu Ihrer Politik von 1982 zurück. Auch
ehemalige Staatschefs wie der frühere brasilianische Präsident
Joao Baptista Figueiredo wollen in dieser Krise Führung geben.
Portillo: Ich glaube, sie sind auf dem richtigen Weg.
Ich selbst bin nicht mehr in der aktiven Politik, ich kann nur
meine Hoffnung ausdrücken, daß ihre Anstrengungen erfolgreich
sein werden.
Man hat während Ihrer Präsidentschaft viel über Ihre
Beziehungen zu Herrn LaRouche spekuliert. Wie war das damals,
und wie sehen Sie Lyndon LaRouche heute?
Portillo: Als Präsident unterhielt ich Beziehungen zu
Herrn LaRouche, weil ich seine unabhängige und standhafte
Haltung achtete, die ich in weiten Bereichen teile; diese
Achtung entwicklete sich vor allem über eine Auseinandersetzung
mit einer Gruppe junger Mexikaner, die ich ebenso respektiere
und bewundere. Sie mußten sogar Anschuldigungen erdulden, sie
gehörten zur CIA, die sich als falsch herausstellten. Als
Ex-Präsident erkläre ich Herrn LaRouche meine Sympathie, weil er
im Gefängnis sitzen mußte, und ich wünsche ihm, daß seine
rechtliche Lage endlich geklärt wird, die durch eine Krankheit
erschwert wird, von der er sich hoffentlich bald erholt.