Aus der Neuen Solidarität Nr. 15/1998:


Hin zu einem neuen Bretton Woods


Der IWF, oberster Richter eines neuen Versailles
F.D. Roosevelt und das Amerikanische System

Das einzig erfolgreiche Wirtschaftsmodell

Wille zum Handeln

Nachindustrieller Wandel der Axiome

Die Wirklichkeit setzt sich durch

Rückkehr zur Gütenorm

Die Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten

Mit der Korruption aufräumen

Die Frage der Führung

Eine Systemkrise

Von der Realität zur Utopie

Kollaps der amerikanischen Realwirtschaft (Abbildungen 1-7)

Wiederaufbauprogramm

Die Landbrücke

Von Lyndon LaRouche

Die "Iden des März", der 15. März, sind vorüber. Nun beginnt eine neue Krise, die alles, was wir zwischen Mitte Oktober und Mitte Januar erlebt haben, in den Schatten stellen wird. Was einige Leute, die ihren Kopf gerne in den Sand stecken, als "Asienkrise" bezeichnen, ist tatsächlich eine Krise des ganzen Weltfinanz- und währungssystems, die diesmal mit voller Wucht Europa und die USA treffen wird. Dagegen wird der Börsensturz vom Ende letzten Jahres wie eine leichte Übung aussehen.

Nehmen wir Deutschland; dort laufen derzeit zwei Prozesse ab.

Erstens: Deutschland ist ein Exportland. Ohne den Export von Hochtechnologie kann es nicht überleben. Die Hauptexportmärkte der deutschen Wirtschaft sind Asien und, in gewissem Maße, der Werkzeugmaschinenbau in den USA, der im wesentlichen eine Art "Unterabteilung" des deutschen Werkzeugmaschinenbaus ist. Deutschland investiert auch in die Infrastruktur in aller Welt. Deshalb trifft der Zusammenbruch der asiatischen und südostasiatischen Märkte, die zu den Hauptabnehmern Deutschlands und auch Frankreichs gehören, Deutschland sehr hart.

Auf der anderen Seite zerstört der unsinnige Versuch, die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages zu erfüllen, die deutsche Binnenwirtschaft, vor allem den Infrastrukturbereich. So befindet sich Deutschland in einer Lage, in der jede zusätzliche Haushaltskürzung einen Einbruch der Wirtschaft verursacht, der das Steueraufkommen des Staates um mehr verringert, als man mit der Einsparmaßnahme gewinnen will. Das ist wie eine Schlange, die versucht, zu überleben, indem sie ihren eigenen Schwanz auffrißt: Wenn sie schließlich wieder beim Kopf ankommt, ist die Sache zuende.

Diese Kombination aus dem Wahnsinn im Zusammenhang mit dem Euro und einer wachsenden Panik in Asien wird ganz Europa treffen, weil alle europäischen Volkswirtschaften von der deutschen abhängen. Ohne eine gesunde deutsche Wirtschaft gibt es keine gesunde Wirtschaft in Europa.

Andere Krisen kommen hinzu. Der Metallverbrauch in Südostasien ist gegenüber der Zeit vor der Krise um mindestens 30% gesunken, in Indonesien, dem bevölkerungsmäßig viertgrößten Land der Erde, sogar um 50%. Ganze Märkte sind kollabiert. Länder, die nach Asien exportieren könnten, können das nicht tun, weil vor Ort keine Kredite für den Export oder Einkauf der zur Produktion notwendigen Rohstoffe zur Verfügung stehen.

Es wird also ein kettenreaktionsartiger Zusammenbruch der Weltwirtschaft von Ost- und Südostasien ausgehen, der Europa sehr hart treffen wird. Wenn es Europa hart trifft, wird das zusammen mit dem Kollaps der Wirtschaft an der Westküste der USA, der infolge der Asienkrise jetzt schon läuft, auch die amerikanische Wirtschaft zusammenbrechen lassen - und zwar in einem Ausmaß, das heute wahrscheinlich niemand auf dem Kapitol für möglich hält.

Diese neue Phase der Krise hat bereits begonnen. Wir nähern uns dem Ende des ersten Quartals des Kalenderjahres. In Japan und anderswo geht das Steuerjahr zu Ende, und diese Länder werden bemüht sein, ihre finanziellen Blößen zu bedecken und ihre Bilanzen zu frisieren. Das kann der Auslöser der Krise sein. Ende März wird eine sehr gefährliche Zeit. Dann könnte eine Krise losbrechen, die ernster ist als alles, was wir im letzten Jahr erlebt haben, und deren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und vor allem auf Europa und die USA sehr viel schwerwiegender wären.

Was bisher getan wurde, um die jüngste Krise zu handhaben, ist schlichtweg klinisch verrückt. Es ist ein ebensolcher Wahnsinn wie der Versailler Vertrag (1919). John Maynard Keynes hatte ihn in seiner Schrift Die wirtschaftlichen Folgen des Friedens verurteilt, und obwohl Keynes ein sehr schlechter Ökonom war, war diese Schrift geradezu prophetisch.

Eine direkte Folge dieses Versailler Vertrags war die hyperinflationäre Krise in Weimar-Deutschland 1921-23, die zu einer Kettenreaktion hätte führen können, welche die ganze Weltwirtschaft vernichtet. Deutschland ging damals nur deshalb wirtschaftlich nicht ganz unter, weil die USA, das größte Gläubigerland, mit dem Dawes-Plan intervenierten. Dies verschaffte Deutschland mittels bestimmter Kreditvereinbarungen eine Atempause, bis es Reserven mobilisieren konnte: Die Krise schwächte sich ab, die USA stabilisierten die Reichsmark, und Deutschland konnte weiterleben.

Vergessen wir aber nicht, daß auf dem Höhepunkt dieser Krise im Herbst 1923 Adolf Hitler mit Unterstützung General Ludendorffs zum ersten Mal die politische Bühne Europas betrat.

Der IWF, oberster Richter eines neuen Versailles

Was sich heute in Japan und bei der New Yorker Federal Reserve abspielt, entspricht genau dem Wahnsinn von Versailles, vor dem Keynes gewarnt hatte. Wir haben es heute mit einem neuen Versailles zu tun. Der oberste Hüter des neuen Versailles ist eine Gruppe von Verrückten, die wir IWF-Bürokratie nennen. Ein Land gerät mit seiner Volkswirtschaft in Schwierigkeiten. Der IWF taucht in diesem Land auf und erklärt: "Ihr müßt die Gläubiger bezahlen, indem ihr eure Wirtschaft dichtmacht." So war es in Korea, in Indonesien, auf den Philippinen, in Thailand. Die Arbeitslosigkeit in Korea hat die Millionengrenze überschritten, was potentiell eine soziale Krise bedeutet.

Unter diesen Bedingungen kann sich keine der betroffenen Volkswirtschaften erholen. Es ist völlig ausgeschlossen, daß eine finanzielle Reorganisation, wie sie der IWF vorschlägt und von den meisten Ländern hingenommen wird, auf irgendeine Weise Erfolg haben könnte. Diese Vorschläge wiederholen nur den Wahnsinn von Versailles.

Die Finanzmärkte in den USA sind ungeheuer aufgebläht durch hyperinflationäre Methoden. Man druckt Geld und pumpt es in die Finanzmärkte, wo es über eine finanzielle Hebelwirkung die Blase der Aktienpreise immer weiter aufbläht. Den Anlegern wird es ergehen, wie dem Mann, der ohne Fallschirm und Atemgerät einen Ballon besteigt und über 20000 Meter hoch aufsteigt: Er wird in der dünnen Luft ersticken, wenn der Ballon nicht schon vorher explodiert. Auch wenn viele Menschen diesem Wunschdenken anhängen - es gibt keinen realwirtschaftlichen Aufschwung in Amerika.

Auch wenn einige Leute hier und da gute Ideen geäußert haben: Keine Regierung der Welt verfügt derzeit über einen konkreten Aktionsplan, der das Überleben ihrer Nation und der Weltgemeinschaft als Ganzer sichern könnte.

Eine neue Dimension der Krise steht bevor, noch in diesem Frühjahr. Ob diese Krise das ganze System aus den Angeln heben wird oder nicht, wissen wir nicht. Es gibt zu viele kurzfristige Unwägbarkeiten, als daß man einen genauen zeitlichen Verlauf vorhersagen könnte. Aber fest steht: Wir befinden uns mitten in einer Folge von Krisen, von denen eine - wahrscheinlich noch 1998 - das gesamte System zum Bersten bringen wird, wenn wir nicht vorher die Spielregeln von Grund auf ändern.

Die bevorstehenden Treffen Mitte April hier in Washington und anderswo, das muß jeder ernsthafte Staatsmann erkennen, sind wahrscheinlich die letzte Chance zu verhindern, daß der ganze Planet in ein finsteres Zeitalter stürzt, wie Europa in der Mitte des 14. Jahrhunderts

. In den hundert Jahren vom Tode Friedrichs II. bis zum Bankrott der lombardischen Finanzhäuser Bardi und Peruzzi erlebte Europa einen tiefen moralischen, kulturellen und wirtschaftlichen Niedergang. Den Folgen der Wirtschaftskrise und den damit einhergehenden Seuchen fiel fast ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer. Die Hälfte der europäischen Gemeinden verschwand von der Landkarte, und in den Straßen herrschte der Wahnsinn. Wir überlebten, weil es im nachfolgenden Jahrhundert zu einer Renaissance kam.

Ebenso wie Europa durch den Bankenkollaps im 14. Jahrhundert in einem finsteren Zeitalter versank, droht heute durch einen Zusammenbruch des Bankensystems ein neues finsteres Zeitalter. Und derzeit sieht es so aus, als verfüge keine einzige Regierung der Welt über das Wissen und den Willen, dem Ernst der Lage durch verständige Vorschläge gerecht zu werden.

Ich möchte dazu eine relevante Passage aus einem neuen Artikel von mir zitieren, der im Nachrichtenmagazin EIR erschienen ist:

"Die Welt wartet auf das Ergebnis der ,Willard'-Konferenz der 22 Staaten in Washington zu Fragen der internationalen Finanz- und Währungsangelegenheiten, die am 16. April stattfinden soll. Alle vernünftigen Teilnehmer an den Vorbereitungen und der Durchführung dieser Konferenz sollten darin übereinstimmen, daß es drei zentrale Tagesordnungspunkte im Zusammenhang mit Fragen der Gestaltung der miteinander verwobenen Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik gibt, die als wesentlich angesehen werden müssen, um zu einer wahren Lösung der globalen Systemkrise zu kommen, die die Welt an den Rand eines weltweiten neues finsteren Zeitalters gebracht hat.

Erstens muß man erkennen, daß die Krise keine regionale oder zyklische Krise ist, sondern eine globale Systemkrise. Dies ist die unverzichtbare Grundannahme für jede rationale Diskussion über die einzuschlagende Politik. In diesem Rahmen müssen die institutionalisierten Veränderungen der Politik, die dafür verantwortlich sind, daß sich in den vergangenen 30 Jahren, insbesondere seit August 1971 diese Krise zusammengebraut hat, ausnahmslos zurückgenommen werden."

Die Veränderungen in der Politik der amerikanischen und britischen Regierung seit etwa 1966-67 - die sich ausdrückten in der Krise des Pfund Sterling 1967, den darauffolgenden Turbulenzen des Dollars, dem ersten Schritt in Richtung eines Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems im März 1968 und schließlich dem Kollaps des gesamten Bretton-Woods-Systems Mitte August 1971 - die Veränderungen im Verlauf dieses Prozesses sind die Ursachen der heutigen globalen Systemkrise. Dies ist weder eine Krise im Konjunkturzyklus, noch ist sie regional begrenzt. Sie ist global. Das ganze System hat sich selbst zerstört. Der Auflösungsprozeß, der sich drei Jahrzehnte hinzog, ist jetzt an einem Endpunkt angelangt, einer typischen Grenzschicht mit außergewöhnlichen Turbulenzen. Entweder, wir machen diese politischen Veränderungen, die über 30 Jahre institutionalisiert und verinnerlicht wurden, rückgängig, oder aber die Welt, wie wir sie jetzt kennen, wird nicht mehr lange existieren.

Nichts weniger als eine solche radikale Entfernung dieser heute allgemein anerkannten und institutionalisierten Praxis kann diese Krise stoppen.

Zweitens muß das derzeitige tödlich erkrankte Weltwährungs- und Finanzsystem einer radikalen Reorganisation unterzogen werden. Es ist nicht zu reformieren, es muß reorganisiert werden. Eine Gruppe von Regierungen muß dabei den Anfang machen und handeln. Das Währungssystem muß einem Konkursverfahren unterzogen werden, aber nicht unter der Kontrolle internationaler Organisationen, sondern unter der Aufsicht souveräner Regierungen. Das angemessene Vorbild des reorganisierten Weltwährungs- und Finanzsystems ist das alte Bretton-Woods-System der Zeit vor 1959, das allem überlegen war, was nach den axiomatischen Veränderungen in der Politik der anglo-amerikanischen Elite 1966-72 kam.

Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören:

a) Von Zeit zu Zeit neu festzulegende feste Wechselkurse der Landeswährungen,

b) (falls erforderlich) begrenzte Konvertibilität,

c) Devisen- und Kapitalkontrollen,

d) notwendige protektionistische Maßnahmen in Form von Zöllen und Handelsbestimmungen,

e) ein Verbot von Märkten, die der Spekulation gegen Währungen dienen.

Drittens weist die Weltwirtschaft heute - gemessen an physikalischen Maßstäben anstelle der üblichen monetären Parameter - hinsichtlich ihrer "freien Energie" ein negatives Wachstum weit unterhalb des break even auf. Der derzeitige physische Ausstoß reicht nicht aus, die heutige Weltbevölkerung und die einzelnen Volkswirtschaften vor einer Abwärtsspirale beschleunigter allgemeiner Kontraktionen der Realwirtschaft bis hin zum endgültigen physischen Zusammenbruch zu bewahren.

Solange dieses Defizit an realer Gütererzeugung nicht behoben ist, kann kein Finanzsystem funktionieren, wie gut es auch sonst immer entworfen sein mag. Wenn ein Mensch dabei ist zu verhungern, kann ihn keine rein medikamentöse Behandlung retten. Jedes Finanz- und Währungssystem, das Erfolg haben soll, muß mit einem Programm zur forcierten realwirtschaftlichen Erholung einhergehen, das schnellstmöglich für immer wieder neue freie Energie sorgt. Man braucht einen Wirtschaftsaufschwung, der in wesentlichen Aspekten dem Wiederaufbau der amerikanischen Wirtschaft durch Franklin Delano Roosevelt entsprechen muß.

F.D. Roosevelt und das Amerikanische System

Im März 1933 erklärte Präsident Roosevelt in seiner ersten Regierungserklärung nach der Amtseinführung: Die USA und die restliche Welt befinden sich in einer tiefen Krise. Er sei bereit, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um diese Krise zu bewältigen. Wenn der Kongreß nicht handeln wolle, werde er als Präsident die Initiative ergreifen, um die USA aus dieser Krise zu führen. Und das hat er dann auch getan.

Allerdings tat er es nicht blindlings. Roosevelt hatte seine Zielrichtung schon in einer Schrift dargelegt, die 1928 in Foreign Affairs, der Zeitschrift des New Yorker Council on Foreign Relations, veröffentlicht wurde. Dort verkündete er - diplomatisch formuliert - den völligen Bruch mit der widersinnigen, verbrecherischen Politik seiner Vorgänger Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson gegenüber anderen Nationen, vor allem gegenüber Iberoamerika. Die USA dürften sich nicht zum Schuldeneintreiber degradieren, sondern müßten die Meinung der Menschheit als Ganzer respektieren. Amerika sei aufgerufen, diesen Nationen zu helfen.

Wir dürfen nicht zulassen, daß die Finanzhaie der Wall Street - die Roosevelt ebensowenig schätzten wie das Wall Street Journal heute Clinton oder mich - die Politik fortsetzen, die Amerika unter schlechten Präsidenten wie Theodore Roosevelt und dem Ku-Klux-Klan-Freund Woodrow Wilson aufgezwungen wurde. Wilson initiierte 1915 direkt vom Weißen Haus aus die Neugründung des Ku-Klux-Klan, dem sich immerhin 5% der erwachsenen Amerikaner anschlossen; Wilson war der Ideologe, der dies vom Weißen Haus aus maßgeblich unterstützte. Ein schlechter Mensch.

In den 20er Jahren kam ein Präsident, der nicht besser war, Calvin Coolidge. Noch schlimmer war Finanzminister Andrew Mellon. Nicht Herbert Hoover hat die Depression verursacht, sondern Andrew Mellon und Coolidge mit Hilfe Woodrow Wilsons. Deren Politik wies Roosevelt kategorisch zurück und griff statt dessen die Tradition des Amerikanischen Systems wieder auf. Das beste Beispiel für diese Tradition war die Politik von Abraham Lincoln und Henry Carey, dem führenden Ökonomen seiner Zeit, in den Jahren 1861-76, als die USA zur mächtigsten und technisch fortschrittlichsten Wirtschaft der Erde wurden. Einen Höhepunkt bildete die Jahrhundertausstellung in Philadelphia 1876 zum Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung.

Das einzig erfolgreiche Wirtschaftsmodell

Dieses Modell des "Amerikanischen Systems", das u.a. von der Ausstellung in Philadelphia 1876 ausstrahlte, wurde in vielen Ländern aufgegriffen. Es bildete die Grundlage der Industrialisierung Japans. Auch die Deutschen übernahmen es, z.B. Siemens und Emil Rathenau, Walter Rathenaus Vater. Sie stützten sich auf den Rat Henry Careys.

Auch Rußland, das im Unabhängigkeitskrieg gegen England und im Bürgerkrieg gegen die Konföderierten mit den USA verbündet war, orientierte sich an diesem Vorbild. Für dieses Rußland stehen Zar Alexander II. und der große Chemiker Dimitrij Mendelejew. Mendelejew besuchte persönlich die Ausstellung 1876 und organisierte später maßgeblich den Aufbau des Eisenbahnnetzes und der Industrie in Rußland. Er versuchte, das Amerikanische System so weit wie möglich in Rußland zu verankern - wobei er unter Alexander II. erfolgreicher war als unter dessen Nachfolgern.

Graf Sergej Witte, der in Rußland Außenminister, Finanzminister und für kurze Zeit Ministerpräsident, war, vertrat die gleiche Politik. Witte war ein profunder Kenner der Schriften von Friedrich List, dem bekannten deutsch-amerikanischen Vorkämpfer des Amerikanischen Systems.

Alle erfolgreichen Volkswirtschaften des 19. und 20. Jahrhunderts gründeten auf dem Amerikanischen System, wie es von Alexander Hamilton, Benjamin Franklin und John Quincy Adams ausging und 1861-76 von Lincoln und Carey weiterentwickelt wurde. Dieses letztere ist das eigentliche Amerikanische System.

Damit wurde das wirtschaftspolitische Erbe Franklins und der Regierung von George Washington und Finanzminister Alexander Hamilton weitergeführt. Das ist es, was die Vereinigten Staaten besonders auszeichnet und was sie groß gemacht hat. Wir waren die einzige Nation der Welt, die in ihrer Verfassung die Überzeugung verankerte, daß alle Menschen als Ebenbild des Schöpfers geschaffen sind, und daß die Gesellschaft die Verantwortung hat, jedem Menschen die Rahmenbedingungen und Chancen zu geben, die der Würde eines solchen Individuums entsprechen.

Auf diesem Prinzip gründet unsere Nation, und daraus erwuchsen das Prinzip der Selbstregierung und das Amerikanische System. Das wirtschaftliche und politische Leben folgte dieser Verpflichtung auf die Heiligkeit und Unantastbarkeit des menschlichen Individuums, das im Unterschied zum Tier mit schöpferischer Vernunft begabt ist und daher physikalische Gesetze bzw. entsprechende Prinzipien der Kunst entdecken und anwenden und aus der Geschichte lernen kann.

Das war der besondere Genius der besten Amerikaner. Dieses Wirtschaftsmodell unseres großen Präsidenten Lincoln, der dieses Verfassungsprinzip verstanden und verwirklicht hat, hat uns groß gemacht. Und alle Nationen, deren Bürger die Vorteile suchten, die sie bei uns verwirklicht sahen, versuchten dieses Modell nachzuahmen oder in ihre Institutionen einzubringen. So hat z.B. Chinas Präsident Jiang Zemin erklärt, seine Reformen habe "chinesische Eigenheiten", aber China wolle gerne alles Gute aus den Vereinigten Staaten annehmen, was es nutzen könne.

Wille zum Handeln

Wir brauchen jetzt einen zweiten Roosevelt, jemanden, der klare Entscheidungen trifft und nicht die typischen Wischiwaschi-Entscheidungen unserer heutigen Politiker.

Viele Kritiker werden sagen: Was Sie vorschlagen, so plötzlich und radikal, ist politisch nicht durchsetzbar. Vielleicht haben diese Kritiker recht. Vielleicht ist es wirklich unmöglich, genügend Regierungen zu finden, die bereit sind, solche radikalen Maßnahmen in kurzer Zeit durchzusetzen. Aber wenn diese Kritiker recht behalten, wird die menschliche Zivilisation in ihrer derzeitigen Form das Jahrhundert nicht überleben, und die erste Generation des kommenden Jahrhunderts wird ein weltweites neues finsteres Zeitalter erleben, eine Katastrophe globalen Ausmaßes, nur noch mit den Zuständen in Europa Mitte des 14. Jahrhunderts vergleichbar.

Deshalb antworte ich diesen Kritikern, so wie Franklin Roosevelt in seiner Antrittsrede den Kongreß warnte: Die Politiker, denen es am Willen mangelt, diese vorgeschlagenen Maßnahmen rasch und entschlossen durchzusetzen, sollen den Weg frei machen und die Entscheidungsvollmacht an diejenigen übergeben, die dazu willens und in der Lage sind.

Die unmittelbare Zukunft der Zivilisation, wenn sie denn eine hat, hängt von denen ab, die bereit sind, mit aller Schärfe und Kraft den hier umrissenen Konzepten zu folgen.

Dennoch: Seien wir optimistisch. Vergessen wir die Stimmen jener unnützen Kritiker und konzentrieren uns auf die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um diesen katastrophalen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der uns in naher Zukunft zu verschlingen droht, abzuwenden.

Es gibt ein Beispiel dafür, wie man vorgehen muß, im Werk des berühmten deutschen Militärstrategen Alfred Graf von Schlieffen, der bis 1905 Chef des deutschen Generalstabs war.

1891 erkannte von Schlieffen, daß die Briten entschlossen waren, die Verwirklichung der "eurasischen Landbrücke", wie wir heute sagen würden - d.h. den Bau von Eisenbahnverbindungen durch ganz Eurasien zum Indischen und zum Pazifischen Ozean - zu verhindern und Deutschland niederzuringen. Man mußte damit rechnen, daß Frankreich dem Druck aus England nachgibt und sich der revanchistischen Allianz anschließt, und dann beide gemeinsam Rußland mit Hilfe der Panslawisten im Militär u.a. zu einer Tripelallianz gegen Deutschland bewegen; auch würde Belgien in diesem Szenario wahrscheinlich als britische Marionette fungieren. Ab 1891 beauftragte Schlieffen daher seinen Generalstab, eingehend zu untersuchen, wie Deutschland auf einen gleichzeitigen Angriff Frankreichs, Englands und Rußlands reagieren müsse. Das Ergebnis war der "Schlieffen-Plan".

Wäre der Schlieffen-Plan durchgeführt worden, als England, Frankreich und Rußland dann tatsächlich aus geopolitischen Gründen einen Krieg gegen Deutschland anzettelten, wären Frankreich und das britische Expeditionskorps schon in den ersten Wochen der Kampfhandlungen durch eine deutsche Flankenbewegung von Norden her geschlagen worden.

Aber Schlieffen schied Ende 1905 aus dem Amt und wurde durch den jüngeren Helmuth von Moltke, einen Mann mit geringeren Fähigkeiten, ersetzt. Moltke diente einem ängstlichen und geistig eher schwachen Kaiser, der noch dazu ein Verwandter Königin Viktorias war, ebenso wie auch Zar Nikolaus II. Der britische König Edward VII. nutzte die Geistesschwäche seiner beiden Verwandten aus und hetzte sie gegeneinander auf. Durch diese Manipulationen Edward VII. wurden Rußland und Deutschland zerstört und beide Kaiser entmachtet.

Der entscheidende Unterschied zwischen Schlieffen und Moltke war: Schlieffen hatte verstanden - so wie vor ihm Hannibal bei Cannae, Alexander der Große bei Arbela oder andere große Feldherrn wie William Sherman - , daß man ein Risiko eingehen muß, um einen Krieg zu gewinnen. Wer versucht, die Risiken zu "minimieren", der verliert den Krieg. Der Schlieffen-Plan konzentrierte die begrenzten deutschen Kräfte auf die Punkte, an denen ein entscheidender Sieg möglich war. Nicht als impulsive Aktion, sondern als kalkuliertes, ausgearbeitetes Vorgehen. Moltke aber verwässerte den Schlieffen-Plan immer mehr, weil er so wenig wie möglich riskieren wollte.

Genauso ist heute die Schwäche Präsident Clintons zu sehen. Er versucht, seine politischen Risiken so gering wie möglich zu halten, aber gerade damit wird es wahrscheinlicher, daß er scheitert wie der jüngere Moltke. Eine politische Führungspersönlichkeit muß jemand sein - gerade dafür braucht man ja solche Menschen - , der bereit und willens ist, die moralische Verantwortung für ein Risiko auf sich zu nehmen. Nicht unkalkulierbare, gefährliche Risiken, sondern die Bereitschaft, ein Risiko zu wagen, um zu gewinnen. Wer dagegen auf Zeit spielt, allen alles verspricht und um jeden Preis den Konsens sucht, der scheitert.

Nachindustrieller Wandel der Axiome

Jede rationale Diskussion der beschriebenen wesentlichen Fragen heute hängt von einem klaren Verständnis des folgenden Punkts ab. Die Beteiligten an diesen und den nachfolgenden Verhandlungen (über ein neues Bretton Woods) müssen erkennen: Die Tatsache, daß es sich heute nicht um eine zyklische Krise, sondern um eine Krise des Systems handelt, ist ein hinreichender Beweis dafür, daß diese Krise durch grundsätzliche Irrtümer in Theorie und Praxis verursacht wurde, die im Rahmen der axiomatischen Änderungen der letzten 30 Jahre im Denken in der Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik entstanden.

Gemeint sind die axiomatischen Veränderungen, der sog. kulturelle Paradigmenwandel, der zuerst bei der 68er oder Vietnam-Generation ("Babyboomer") in den Jahren 1966-72 eingeführt wurde. Ziele wie systematisches Investieren in wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, Infrastrukturaufbau und Erforschung des Weltraums wurden aufgegeben. Wir landeten auf dem Mond, und dann war plötzlich Schluß. Wir sind nie mehr dorthin zurückgekehrt. Und vergessen Sie nicht, daß wir bei Kennedys Raumfahrt-Crashprogramm für jeden Penny, den die Regierung darin investierte, mindestens 15 Cents Gewinn machten: in Form verbesserter Technologien, neuer Designs, neuer Wirtschaftszweige, höherer Produktivität und höheren Lebensstandards.

Das amerikanische Militär der Nachkriegszeit als "Technologiemotor" und das noch weit effektivere Raumfahrtprogramm unter Kennedy sorgten zusammengenommen dafür, daß Amerika die höchste Wachstumsrate seiner Geschichte, mindestens aber seit der Zeit 1861-76, erreichte. Doch dann kamen die 68er-Studenten und riefen: "Schluß damit! Keine Investitionen in Technologie! Vergeudet kein Geld für Infrastruktur! Gebt das Geld hier aus, statt auf dem Mond!" Aber das Geld ist niemals "hier" unten angekommen, wie die meisten aus eigener Erfahrung wissen.

Es kam eine neue Politik. Die Wirtschaft gründete nicht mehr auf konkreten Resultaten, auf Produktionszahlen usw., sondern auf psychotherapeutischen Sitzungen. Entscheidend war nur noch, "wie man sich fühlt". Alle wurden politisch korrekt. Ob etwas wahr ist, wurde unwichtig, wichtig war nur noch, wie sich die anderen bei dem, was man sagt, "fühlen". Die Gerechtigkeit war uns egal, wichtig war nur, ob uns vielleicht jemand schief anblicken könnte.

Wir waren kein Volk mehr, es gab keine Gleichheit mehr. Alle mußten verschieden sein. Wer ein emotionales Problem hatte, brauchte eine Vertrauensgruppe - jeder eine andere. Wir wurden eine Art Zoo, eine Ansammlung unterschiedlicher Spezies, die man "Regenbogenkoalition" nannte. Die Menschen waren nicht gleich. Es gab nicht mehr das gleiche Recht für alle auf Bildung, auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit. Statt dessen wurden wir in einen Zoo unterteilt: Dem einen gab man das, dem anderen etwas ganz anderes.

Technischer Fortschritt ist schlecht, hieß es, wir brauchen Nullwachstum. Und als dieses Denken immer mehr Einfluß in den politischen Institutionen und in der ganzen Gesellschaft gewann, wurde die Politik in allen Einzelheiten so geändert und ausgeformt, daß sie diesen neuen Kriterien entsprach.

Die Wirklichkeit setzt sich durch

Aber das kommt jetzt an sein Ende. Man konnte das erstmals gegen Ende letzten Jahres bemerken, z.B. in Südostasien. Dort zeigt sich ein (neuer) kultureller Paradigmenwandel, der zuerst vom malaysischen Ministerpräsidenten Mahathir bin Mohamad eingeläutet wurde, den aber auch die Bewegung um Minister Habibie in Indonesien, der thailändische König u.a. zum Ausdruck gebracht haben. "Dieser Quatsch funktioniert nicht", sagen sie, "der IWF funktioniert nicht. Das ist alles Schwindel. Alle die politisch korrekten Dinge sind falsch, denn sie machen uns kaputt. Wir wollen Realität."

In den USA gibt es die Auseinandersetzung um die sog. HMOs (profitorientierte private Firmen anstelle der staatlichen Gesundheitsversorgung). Nicht nur Demokraten, auch Republikaner machen bei den Kongreßwahlen im November den Widerstand gegen die HMOs zum Hauptthema ihres Wahlkampfs. Sie fordern ein Ende des "freien Marktes" im Gesundheitswesen.

Die Wirklichkeit setzt sich durch.

Doch leider besetzen die Leute, die 1966-72 aus den Universitäten kamen und in die Institutionen gingen, heute die Spitzen der Regierung, der Wirtschaft, der Medien, Berufsverbände usw. An der Spitze der Macht sitzt also diese besondere psychologische Interessengruppe. Und die noch jüngeren, die "Generation X", weiß überhaupt nichts, weil man es ihnen gar nicht erst gestattet hat, etwas zu lernen.

Rückkehr zur Gütenorm

Diesem Problem müssen wir uns stellen. Wir müssen zu Funktions- und Leistungsfähigkeit zurückkehren. Die Frage ist nicht, was politisch korrekt, sondern was notwendig ist, damit Menschen und Nationen überleben können. Wer schert sich um den IWF? Indonesien ist nach Bevölkerung gemessen das viertgrößte Land der Erde. Will man es umbringen?

Was ist mit Ostasien, Südostasien, Südasien, der asiatischen Inselwelt - dort lebt die Mehrheit der Menschheit! Was tun wir der Mehrheit der Weltbevölkerung mit diesen IWF-Bedingungen an? Wir morden sie hin, so wie Hitler die Menschen in den Arbeitslagern hingemordet hat. Wir machen aus ganzen Ländern Arbeitslager. Wir zerstören den Lebensstandard und erhöhen die Krankheitshäufigkeit.

Man muß nur den Zusammenbruch in Rußland im Zuge der "Reformen" nach Kriterien der Lebenserwartung betrachten. Die Lebenserwartung ist um mehr als 15 Jahre zurückgegangen. Die Krankheitshäufigkeit, die Sterblichkeit - wir bekommen es mit neuen Seuchen zu tun, während alte Krankheiten sich wieder weltweit ausbreiten. Man braucht gar nicht von Chemiewaffen oder biologischen Waffen zu sprechen, wir führen bereits einen biologischen Krieg, und der heißt IWF. Mit IWF-Konditionalitäten werden mehr Menschen getötet, als es ein Chemiker jemals in einem Labor für Biowaffen könnte - einfach indem den Menschen Nahrungsmittel, sanitäre Versorgung, Erziehung und all die anderen Dinge vorenthalten werden, die ihnen ein längeres Leben ermöglichen würden.

Man muß daher die generell abwärts zeigenden Trends der Zeit von 1966 bis 1998 den Aufwärtstrends während des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit von 1946 bis 1966 gegenüberstellen. Angesichts dessen muß der Versuch, das gegenwärtige System des Freihandels, gleitender Wechselkurse und Globalisierung durch ein paar äußerliche Reförmchen zu retten, als gefährliches Wunschdenken betrachtet werden.

Die gegenwärtige Finanz- und Geldpolitik gleitender Wechselkurse darf nicht beibehalten werden. Sie ist ja gerade die Krankheit, die beseitigt werden muß. Wenn dies nicht radikal geschieht, dann werden die heutigen Nationen und Volkswirtschaften das Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr erleben.

In der Ausgabe des Magazins EIR vom 20. März beschäftigen wir uns mit zwei politischen Konzepten. Das eine ist die Politik Franklin Roosevelts, auf die sich der Aufschwung in den USA und die Nachkriegspläne Roosevelts stützte. Das andere ist einem Memorandum zu entnehmen, das Dr. Wilhelm Lautenbach auf einem Geheimtreffen der Friedrich-List-Gesellschaft 1931 vorgestellt hat. Lautenbach sagt in seinem Papier einige Dinge, die heute von jedem in Washington und anderswo gelesen werden müssen.

Er sagt, die Produktion zu drosseln, um das Finanzsystem zu stabilisieren, sei die größte Dummheit, die man sich vorstellen kann. Der Trick in einer Krise sei es, Kredite selektiv und dirigistisch zu mobilisieren, so wie Roosevelt es tat und wie es jeder vernünftige Staatsführer in einer vergleichbaren Lage tun würde. Kredite müssen gebündelt werden, damit Arbeitslose wieder in produktive Beschäftigung kommen; damit Investitionen in die grundlegende Infrastruktur, in technisch fortschrittliche Industrien und andere Projekte fließen, die die durchschnittliche Arbeitsproduktivität erhöhen. Und das private Finanzsystem - nicht die produktive Wirtschaft - muß ausgehungert werden. Das ist der Grund, weshalb Roosevelt bei den Bankiers der Wall Street in den 30er Jahren und später nicht sehr beliebt war. Sie haben ihm nie verziehen.

Die Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten

Kommen wir zurück zu der Frage, was sind die USA? Amerika ist eine sehr wichtige Nation. Es gibt keine andere Nation, die für die ganze Welt insgesamt so bedeutsam ist wie die USA. Die Amerikaner sehen vielleicht nicht so aus und werden dem derzeit nicht unbedingt gerecht, aber das ist unser Erbe, und alle großen Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten, zu denen Roosevelt gerechnet werden kann, hatten ein Verständnis von diesem nationalen Erbe.

Amerika ist eigentlich eine europäische Nation. Wir sind eine Nation der europäischen Renaissance des 15. Jahrhunderts. Wir sind im Grunde eine Nation, die in dem langen Kampf der christlichen Zivilisation geboren wurde, eine Gesellschaftsform zu verbessern, die mit der Vorstellung übereinstimmt, daß alle Menschen nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen sind. Daher können wir kein System tolerieren, in dem Menschen, unter Umständen sogar die Mehrheit der Bevölkerung, unter oligarchischer Herrschaft als menschliches Vieh leben, um einer herrschenden Oligarchie zu dienen - sei es einem Landadel, einer Staatsbürokratie wie im antiken Babylon (Akkader) oder einem Finanzadel wie jenem Venedigs oder Londons heute. Es ist nicht richtig, wenn Menschen, die in Würde leben sollten, zu Vieh für eine kleine Herrschaftsschicht degradiert werden.

Es sollte eine Gesellschaftsform geschaffen werden, die der Natur des Menschen entspricht, der Fähigkeit, die kein Tier besitzt, physikalische Prinzipien zu entdecken und zu nutzen. Diese gleiche Fähigkeit auf dem Gebiet der Kunst nennt sich Metapher, und von einer solchen Metapher leitet sich ein neues Konzept ab, ein neues Prinzip der Wahrnehmung, welches die Beziehungen der Menschen untereinander ermöglicht. Dies zusammen mit dem Studium der Geschichte vom Standpunkt der klassischen Kunst sagt unserem Verstand etwas darüber, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte: immer für den einzigen Zweck, eine Gesellschaftsform zu schaffen, die mit der Natur des Menschen übereinstimmt, wie die westliche Christenheit den Menschen sieht, wie Christus den Menschen sieht. Das Christentum hat zum ersten Mal auf diesem Planeten das Prinzip etabliert, daß alle Menschen ungeachtet ihrer rassischen oder ethnischen Herkunft gleich sind, da sie dank der Eigenschaft, die den Menschen vom Tier unterscheidet, nach dem Bilde des Schöpfers erschaffen wurden.

Und das Ziel der Gesellschaft muß es sein, diese Natur des Individuums von der Geburt an zu bewahren und die Entwicklung jedes Einzelnen in entsprechender Weise zu fördern: Dieses Kind wurde nach dem Bilde Gottes geschaffen: Behandelt es entsprechend! Entwickelt es! Entwickelt die Fähigkeiten, die in ihm liegen! Gibt diesem Geschöpf die Möglichkeit, Gutes zu tun, als Engel zu leben, der in das Leben eintrat, sich entwickelte und das Gute tat, das notwendig war - so wie der gute Samariter - und am Ende seines Lebens als ein Mensch wieder abtrat, der notwendig war. Sorgen wir dafür, daß jedes Kind potentiell ein solcher Mensch, ein solcher Engel wird, und wir in einer Gesellschaft leben, wo man einander und sich selbst in dieser Weise achtet.

Aus diesem großen Ferment in Europa, das eine lange Geschichte hat, entsteht in der Zeit der Renaissance schließlich der moderne europäische Nationalstaat. Aber in Europa war das kein voller Erfolg, denn die Macht des Landadels und des venezianischen Finanzadels war dort noch immer sehr stark. Parasiten saugten weiter das Blut der Menschen aus, mächtig und entschlossen, jeden zu vernichten, der ihnen dieses Privileg wegnehmen wollte. In Europa hat sich der Nationalstaat nie wirklich durchsetzen können. Aber die größten Denker Europas brachten ihre Ideen nach Amerika, wo wir es in gehöriger Entfernung zu dem langen Arm der europäischen Oligarchie schafften, eine Nation, eine Republik zu gründen, die gewillt war, sich in den Dienst dieses Prinzip zu stellen. Damals, am Ende des 18. Jahrhunderts, bewunderten alle guten Menschen in Europa die Vereinigten Staaten und sahen in der Amerikanischen Revolution das große Experiment der Befreiung, das, wie sie hofften, sich auch nach Europa ausbreiten würde.

In der folgenden Periode wurden viele Reformen in Europa eingeführt, die auf die Errichtung von Nationalstaaten abzielten. Meistens verfolgte man damit das Ziel, die parlamentarische Vertretung des Volkes zu erweitern, weswegen es in Europa traditionell parlamentarische Regierungen gibt, die aber die alten Oligarchien nie wirklich stürzten, sondern ihr nur eine wachsende Machtbeteiligung abverhandelten.

Großbritannien ist dafür ein besonderes Beispiel: Das Vereinigte Königreich hat keine Verfassung! Im Vereinigten Königreich gibt es lediglich ein verfassungsmäßiges Recht, vor allem den Act of Settlement, der diesen nördlichen Zweig des Welfenhauses auf den englischen Thron brachte, wo er bis heute sitzt. Und es gibt eine typisch heidnische Institution, womit die Monarchie bzw. Oligarchie die gesellschaftlichen und religiösen Gepflogenheiten lenkt. Der Oligarchie und Monarchie wurde gesagt: "Verstoßt nicht zu sehr gegen den alten Brauch!" In den alten Tagen der Imperien konnte das einen Herrscher das Leben kosten: Wenn er die Bräuche eines seiner Untertanenvölker zu sehr schmähte oder sogar die Götter beleidigte, gegen die Vorschriften des Pantheon verstieß, konnte er als Verbrecher verstoßen werden. Aber es gab keine Verfassung in Sinne einer positiven Hervorhebung des menschlichen Individuums, einem Begriff des Einzelnen als Grundlage für die ganze Gesellschaft, woran man Entwicklung und Funktion der Gesellschaft messen konnte.

Das ist Amerikas besonderes Verdienst.

Mit der Korruption aufräumen

Unter diesen Umständen fanden einige der größten Ideen Europas in den Vereinigten Staaten den Boden, auf dem sie gedeihen konnten. Allerdings nicht immer, denn auch wir haben in den USA unsere Oligarchie. Wir haben sie aus den Opiumhändlern Neuenglands herangezüchtet, die während des 19. Jahrhunderts als Partner der britischen Ostindien-Kompanie China mit Opium aus Indien und der Türkei überschwemmten und mit diesen "noblen" Geschäften zu Reichtum und Macht kamen.

Bankiers in Manhattan, wie Aaron Burr, traten als Agenten des britischen Außenamts oder britischer Banken auf. Sie haben nie besonderen Patriotismus für die USA gezeigt (sie fühlten sich mehr von den US-Dollars angezogen, aber nicht von den amerikanischen Bürgern). Die Sklavenhalter im Süden und Leute wie John Crowe Ransom und andere Leute aus Nashville, die Nashville-Agrarier, repräsentieren die gleiche oligarchische Dekadenz und Morallosigkeit wie die Hinterleute des Ku-Klux-Klan.

Ja, es gibt einige Mängel in diesem Land. Es gab und gibt noch heute Korruption. Große Teile der Bürokratie sind korrupt. Die Kriminalabteilung des Justizministeriums ist ein monströser Pfuhl der Korruption, der gesäubert werden muß.

Die ganze Regierung ist mit Korruption durchsetzt, vor allem die permanente Bürokratie, die nicht durch die Volksvertreter kontrolliert wird. Die Bürger wählen zwar den Präsidenten, dieser kontrolliert aber nicht die Exekutive. Die permanente Bürokratie kontrolliert die Exekutive, vor allem das Justiz-, das Finanz- und das Außenministerium.

Die Frage der Führung

Wie ganz allgemein in der Geschichte war es nur in Krisenzeiten, wo sich die Vereinigten Staaten auf sich selbst besonnen haben. Das beste Beispiel dafür war Abraham Lincoln, ohne Zweifel der größte Präsident, einer der größten Geister, den wir jemals im höchsten Amt der Vereinigten Staaten hatten, trotz aller Gerüchte und Verleumdungen gegen ihn. Man betrachte seine Arbeit, lese seine Schriften, so wie ich es getan habe. Dieser Mann war großartig, er war begabt, ein nobler Geist, den man selten trifft, und der meistens umgebracht wird, wenn er auftaucht.

Franklin Roosevelt war von viel geringerem Kaliber als Lincoln, aber zu seiner Zeit diente er, wie ein Engel, der Sache unserer Nation. Er erkannte zumindest teilweise unser Erbe und handelte entsprechend trotz Kongreß und trotz Opposition. Er war ein Präsident, der diese Welt verändert hätte, wenn er länger gelebt hätte; nichts Geringeres hatte er Churchill angedroht, denn er wollte gleich nach Ende des Krieges die Kolonialreiche auflösen - das britische, französische, holländische und portugiesische. Die Völker in diesen Kolonien sollten unmittelbar das Recht auf Unabhängigkeit sowie den gleichen freien Zugang zu Wirtschaftsformen und Technologien erhalten, die wir für uns in Anspruch nehmen. Und wir hätten mit ihnen zusammengearbeitet.

Das geschah nicht. Im Frühjahr 1945 starb Roosevelt, und geringere Menschen, viel geringere, kamen an die Macht: Die Freunde Harrimans, die Freunde Teddy Roosevelts wie Stimson beispielsweise. Sie kamen ans Ruder, und wir schlugen den falschen Weg ein.

Es gab zwar seither auch einige gute Dinge, aber wir waren nicht mehr wir selbst. Jetzt hat sich eine große Krise breitgemacht, wo die Menschen angerührt werden müssen, um ihr Werk wie Helden zu vollbringen, die sich erst in der Schlacht beweisen. Sie werden nur dann gewinnen können, wenn sie an die große Geschichte der Vereinigten Staaten anknüpfen.

Ich habe es selbst erlebt, als mich 1940, inmitten des Zweiten Weltkrieges, Menschen in Indien ansprachen, und sagten: "Wenn der Krieg vorbei ist, werden uns dann die Amerikaner helfen, die Freiheit zu erlangen? Werden sie uns helfen, unsere Wirtschaft zu entwickeln und eine Gesellschaft wie die Vereinigten Staaten zu werden?" Wir wurden als Soldaten bewundert, wir wurden geliebt. Doch die Politik Trumans und Churchills, die am Ende des Krieges Roosevelts Politik ablöste, ließ viel von dieser Bewunderung verloren gehen. Wie ein Ehemann, der seine Frau betrügt, haben wir dieses Vertrauen und diese Liebe hintergangen.

Aber die Zeit ist gekommen, wo wir erneut gefordert sind.

Eine Systemkrise

Der Grund, warum ich dies anspreche, ist folgender: Es ist entscheidend, den Unterschied zwischen einer zyklischen Krise und einer Systemkrise zu verstehen.

In der Wirtschaft gibt es eigentlich keinen Grund für Konjunkturkrisen. Diese kommen nicht von der Wirtschaft, sondern von der Politik. Die Gesellschaft in den USA, wie auch in Europa, basiert auf zwei sich bekämpfenden Kräften. Auf der einen Seite stehen die Kräfte der Nationalwirtschaft. Das sind die Unternehmer, die Leute, die tatsächlich produzieren. Das sind die Arbeiter, die normalen Leute, die Freiberufler, Leute deren Interesse im wissenschaftlich-technologischen Fortschritt liegt, um das Leben zu verbessern und die nationale Sicherheit zu erhöhen. Sie wollen die Dinge besser machen, sie wollen die Produktivität erhöhen, Probleme lösen. Wir nennen dies die gesellschaftlichen Kräfte der Nationalwirtschaft.

Wenn wir es nur mit diesen gesellschaftlichen Kräften zu tun hätten, gäbe es gar keine Konjunkturzyklen. Konjunkturzyklen entstehen ganz einfach deshalb, weil uns ein Parasit im Nacken sitzt. Der Parasit ist die Finanzoligarchie, die heute als Klon des antiken Venedig fortbesteht. Sie kontrolliert unser Zentralbanksystem, unsere privaten Finanzinstitutionen und übt große und korrumpierende Macht aus, mit Hilfe derer sie Wucher gegenüber der Realwirtschaft treibt. In dem Maße, wie diese Leute in Zeiten der Prosperität reichen werden, steigt auch die Rate, mit der sie Blut aus der Wirtschaft saugen. An einem gewissen Punkt wird die Summe an Pacht, Zinsen und anderen finanziellen Forderungen gegen die Wirtschaft sehr groß. Deswegen fließt der Reichtum aus der Produktion nicht in die Gesellschaft oder die Produktion zurück, sondern fließt statt dessen in die Hände dieser finanzoligarchischen Interessen, die für ihre eigene mentale und moralische Gesundheit viel zu reich sind, wie man an ihrem manchmal in der Öffentlichkeit vorgeführten degenerierten Gebaren erkennt.

Deshalb stecken wir jetzt in der Krise.

In früheren Zeiten, als die nationale Sicherheit noch ein Thema war, gab es in den USA oder Europa Depressionen oder Rezessionen, die ausschließlich auf den Einfluß und die Interessen dieses parasitären Etwas an der Spitze der Gesellschaft, genannt Finanzoligarchie, zurückzuführen waren. Kredithaie und Billiglohn-Ausbeuter: Sie saugen Blut. Wenn sie dreist und ungewaschen daherkamen, nannte man sie Kredithaie; wenn sie reich und mächtig, waren, nannte man sie "Finanziers". Ein Kredithai ist einfach ein Dieb ohne Büro in der Wall Street.

In Europa und den Vereinigten Staaten war im 18., 19. und 20. Jahrhundert (bis etwa zur Zeit Kennedys) eine gewisse Regelmäßigkeit typisch, in der die Ausbeuter, die Finanzoligarchie, der Gesellschaft bis zu einem bestimmten Punkt das Blut aussaugten, und die Wirtschaft dann wegen finanzieller Ausplünderung in eine Rezession oder Depression eintrat.

Doch stellte sich dann eine Krise in Form von Kriegsgefahr ein, ergab es sich, daß die Kräfte der Nationalökonomie wieder Fuß faßten. Sie bauten die Wirtschaft wieder auf, entweder um sich auf einen drohenden Krieg vorzubereiten, einen Krieg zu führen oder um mit anderen Notfällen fertig zu werden. Daraus entstand dann eine Wachstumsperiode. Wenn man sich die Geschichte der USA und Europas ansieht, erkennt man dieses Muster.

Das war bis etwa 1962 so; was war dann anders? 1962 inszenierten gewisse Leute die sogenannte Kubakrise: Bertrand Russell und seine Mitverschwörer, aber auch Chruschtschow, der in gewissem Sinne in die Verschwörung einbezogen war. Sie verfolgten das Ziel, den Nationalstaat auszulöschen.

Sie inszenierten die Krise um die Atomraketen, welche einen großen kulturellen Schock auslöste, der das möglich machte, was wir als das Phänomen der "Babyboomer" oder "68er" kennen. In den Menschen baute sich eine gesteigerte Furcht vor einem Atomkrieg auf, vor allem bei den junge Leuten, die entweder während des Krieges oder in der Nachkriegszeit geboren wurden und die in ihrem gesamten bewußten Leben mit der Angst lebten, die USA könnten in einen Atomkrieg verwickelt werden. Dieser Terror saß tief. Und an einem Tag im Jahre 1962 kam es plötzlich wie ein Schlag! Über mehrere Wochen waren die Leute wie gelähmt; sie gingen zum Stammtisch, in die Kirchen, weil sie dachten, die Welt werde am nächsten Tag untergehen. Terror, nackte Angst!

Kennedy tat im Grunde das Richtige. Nur was über diesen Konflikt berichtet wurde, war etwas ganz anderes. In der Folge erklärten die Leute in der Oligarchie - McGeorge Bundy, Henry Kissinger und andere, die daran beteiligt waren - , die USA, Großbritannien und die Sowjetunion seien sich jetzt einig, in einen Prozeß der Entspannung einzutreten, denn wegen der allgemeinen Angst vor einem Atomkrieg bzw. den Erfahrungen an der Schwelle zu einem Atomkrieg denke niemand mehr daran, einen allgemeinen Atomkrieg zu beginnen. Es könne weiterhin Kriege geben, aber sie werden begrenzt sein. Es werde eher Stellvertreterkriege geben, wie den Vietnamkrieg. Oder es werde andere Konfliktformen geben, wie Kleinkrieg, Terrorismus oder Kabinettskriege als Mittel der diplomatischen Abstimmung. Aber die Gefahr eines allgemeinen Atomkrieges bestehe nicht mehr.

Von deren Standpunkt folgt daraus, daß es nicht länger notwendig sei, wie früher für die nationale ökonomische Sicherheit zu sorgen. Man könne sich einer anderen Politik zuwenden und die Industriegesellschaft abschaffen. Man könne daran gehen, den Einfluß der Kräfte der Nationalökonomie auszuschalten. Eine Gesellschaft könne entstehen, in der die Menschen wieder zu Knechten oder menschlichem Vieh werden, die Oligarchen allerdings nicht mehr zu Pferde, sondern im Cadillac auftreten.

Von der Realität zur Utopie

Der Wertewandel wurde eingeleitet. Der britische Brigadegeneral Dr. John Rawlings Rees erstellte eine Studie über sogenannte Kriegsneurosen von Soldaten des Zweiten Weltkrieges, worin festgestellt wurde, daß diese traumatisierten Personen in hohem Maße beeinflußbar sind und ein labiles Verhalten zeigen. Die Frage war: Wie kann man diese gleiche Beeinflußbarkeit und Labilität künstlich in einer großen Bevölkerung auslösen, ohne sie in wirkliche Grabenkämpfe zu verwickeln? Das wurde zum erklärten praktischen Forschungsanliegen des Tavistock-Instituts.

Die Kubakrise mit ihrer langen Vorgeschichte, dann die Ermordung Kennedys, die Ermordung Martin Luther Kings, das Attentat auf Bobby Kennedy und der Vietnamkriegs, das alles erzeugte tatsächlich einen Schockzustand vor allem in der jungen Generation, die wegen der Lebensumstände in den 40er und 50er Jahren auf den Umgang mit diesen Ereignissen denkbar schlecht vorbereitet war. Wie verhalten sich Menschen mit derartigen moralischen und charakterlichen Schwächen, wenn sie mit solchen Schocks konfrontiert sind? Sie fliehen in die verschiedensten Formen der virtuellen Realität.

Es entwickelte sich eine extreme Labilität und Beeinflußbarkeit. Man konnte die Studenten fragen, wie ich es tat, um herauszufinden, was in ihren Köpfen vor sich ging: Es war die Flucht in eine reine Phantasiewelt. Die gesamte Rock-Drogen-Sex-Gegenkultur war eine einzige Flucht ins kurzfristiges Vergnügen und Wunschdenken.

Die Vorstellung von Glück, wie wir es früher verstanden, verschwand. Glück war einmal eine Anschauung: Ich leiste etwas, und ich freue mich darüber, was ich für die Menschheit tue. Ich weiß, daß mein Leben etwas wert ist. Ich erweise jemandem einen Dienst. Ich bin ein Engel mit einer Aufgabe hier auf Erden. Das nannte sich Glück: Die nachfolgenden Generationen zu sehen, denen es besser geht; sein Land zu sehen, in dem es aufwärts geht; sich an schöner Kunst zu erfreuen; Glück darüber zu empfinden, einen Gedanken zu haben, der ein Problem löst. Das ist Glück.

Aber diese jungen Menschen wußten nicht mehr, was Glück bedeutet. Sie kannten nur den Ersatz, genannt "momentane Befriedigung", die eben nur augenblicklich ist. Nachdem man sie hatte, was kommt danach? Es sind immer nur kurze Reisen bis zum nächsten Lustmoment. Und eine extreme Beeinflußbarkeit breitete sich aus.

Der Schockeffekt hat in den USA eine saturierte Bevölkerung hervorgebracht, wie die Unterhaltungsmedien zeigen. Die meisten Fernsehunterhaltungen sind völlig inhaltsleer - eine Welt des Wunschdenkens, der Vergnügungssucht und der Sinneseffekte - Pyrotechnik für eine Welt der Meinungsmache.

Man betrachte sich die Arbeitsmoral und die Anforderungen in den Firmen oder öffentlichen Ämtern heute mit der Zeit von 1950 oder den frühen 60er Jahren. Die Menschen sind nicht mehr ergebnis- oder güteorientiert, was die Resultate ihrer Arbeit angeht. Sie sind an politischer Korrektheit orientiert, an Vorurteilen und vorgefertigten Meinungen.

Jetzt kommen wir in die Lage, wo die Leute sagen: "In der Politik muß man sich einem Konsens fügen." Was ist der Konsens? Das Konstrukt der Meinungsmacher.

Aber wir sind in einer echten Krise. Man muß die Reaktion in Asien und andernorts und auch in den USA ansehen, wo ein umgekehrter kultureller Paradigmawechsel stattfindet. Es geschieht schon in den USA. In der Demokratischen Partei kämpfen die alten Demokraten, die den Fragen des wirklichen Lebens näher stehen, die sogenannten neuen Demokraten, die völlig von Phantasien geleitet werden.

Kollaps der amerikanischen Realwirtschaft

Betrachten wir uns nun einige Graphiken, die einen Anhalt dafür geben, was mit der US-Wirtschaft zwischen 1946 und 1966 geschehen ist, und wie sich die seit etwa 1972 einsetzende Degeneration abgespielt hat.

[Abbildung 1]


Abbildung 1

Von 1956 bis etwa 1971 standen etwas über 71% des Devisenumsatzes mit Importen und Exporten in Beziehung. Als dann aber am 15. April 1971 Nixon den Dollar vom Gold löste und die gleitenden Wechselkurse eingeführt wurden, ging es steil bergab. Inzwischen hat nur noch ein halbes Prozent des realen Handels etwas mit dem Devisenumsatz zu tun. Die allermeisten Devisengeschäfte sind reine Spekulation: die Falltür zum Bankrott.
[Abbildung 2]


Abbildung 2

1946 waren noch etwa 50% der Amerikaner mit der Erzeugung realen Reichtums befaßt. In den 60er Jahren fiel dieser Anteil auf 30-40%, und er beträgt heute nur noch etwa 25%.
[Abbildung 3]


Abbildung 3

Im Schnitt braucht ein Amerikaner heute 1,7 Arbeitsplätze, um sich den gleichen Lebensstandard wie 1965 leisten zu können.
[Abbildung 4]


Abbildung 4

Die Lasten, die der einzelne Bürger an den Staatsausgaben zu tragen hat, steigt unabdingbar, wenn immer weniger Menschen produzieren.
[Abbildung 5]


Abbildung 5

Das Steueraufkommen schrumpft bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. Wenn die Wirtschaft nur noch 50% der früheren Produktivleistung erbringt, ist es kein Wunder, wenn alles mehr kostet, denn immer weniger Leute produzieren, aber die tatsächlichen Kosten zur Erhaltung der Gesellschaft bleiben etwa gleich.
[Abbildung 6]


Abbildung 6

Was passiert, wenn ein 100 kg schwerer Floh einen 10 kg schweren Hund aussaugt? Derivate sind reine Wettgeschäfte auf den Finanzmärkten und keine Investitionen.
[Abbildung 7]


Abbildung 7

Im ganzen gesehen läuft es darauf hinaus, daß die Welt bankrott ist. Die Zentralbanksysteme der Welt sind hoffnungslos bankrott. Warum? Der wichtigste Indikator dafür ist die Tatsache, daß mindestens 130 Billionen Dollar an sogenannten Derivaten in der Welt herumvagabundieren. Der größere Teil dieser Summe ist außerbilanzlich und völlig unreguliert. Niemand weiß Genaues, denn diese Geschäfte laufen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche über elektronische Verbindungen. Leute sitzen an ihren Computern, gehen ins Internet oder benutzen ähnliche Einrichtungen und machen Geschäfte mit allen möglichen Leuten mit allen möglichen Dingen. Sie gehen Verpflichtungen ein, die sie dann handeln oder verkaufen. Sie bauen Finanzpyramiden auf. Der größte finanzielle Umsatz weltweit pro Tag wird so abgewickelt!

Wenn nun die laufenden Zahlungsverpflichtungen das Jahreseinkommen um ein Vielfaches übersteigt - wie nennt man das dann? Bankrott! Jedes Bankensystem, jedes Finanzsystem in der Welt ist bankrott. Deshalb mußte US-Finanzminister Rubin bereits sagen: "Keinen Heller, um die Banken retten!" Denn was geschieht, wenn man die Banken freikaufen will? Ein bodenloser Abgrund tut sich auf. Was ist in Japan los? In Japan setzt jetzt eine Hyperinflation wie in Weimar ein; Gelddrucken ist angesagt, um die Banken freizukaufen. Auch an der Wall Street wird Geld in hyperinflationärem Stil in das Finanzsystem gepumpt, um die Aktienkuse noch weiter hochzutreiben. So werden die Aktienbörsen politisch manipuliert, damit die tumben Amerikaner noch ein letztes Mal ihr Geld für Aktien locker machen. Und die Leute fallen darauf herein!

Letztlich, wenn es zum Schwur kommt und alles kollabiert, wird niemand mehr etwas zurückbekommen.

Was kann man tun? Es gibt einen Präzedenzfall: Man muß eine allgemeine Reorganisation der Banken vornehmen. Ist die Bank von Kleinkleckersheim notwendig? Ja, also halten wir sie offen. Aber es heißt: "Sie ist bankrott." Nein, wir halten sie offen, sie wird unter staatliche Aufsicht gestellt und reorganisiert. Die Bankangestellten bleiben, den Einlegern wird versichert, daß ihre Einlagen sicher sind. Die Bank steht der Kommune weiter zur Verfügung. Sie erhält Zentralbankkredite, um ihre Liquidität sicherzustellen, damit sie mithelfen kann, die Kommune am Leben zu erhalten. Die Frage ist, sollen die Kommunen erhalten bleiben oder die Menschen abgeschrieben werden?

Roosevelt hat das gleiche schon in den 30er Jahren getan. Es wurden Wege gefunden, wie Leute beschäftigt bleiben, um sich ernähren zu können, und die Dinge weiterlaufen. Währenddessen wird mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft begonnen, wodurch das Problem gelöst wird. Genau das gleiche müssen wir heute erneut tun.

Doch die Leute in Washington und auch die Leute in Japan haben nicht den Mut dazu. Sie sind politisch derart fanatisch darauf erpicht, die Banken freizukaufen, daß sie eher die ganze Wirtschaft vor die Hunde gehen lassen. In Japan begeht man lieber Massen-Seppuku, um das Bankensystem zu erhalten. Dabei gehen sie nicht nur selbst zugrunde, sondern reißen ganz Südostasien und mehr mit sich in den Abgrund.

Hier liegt der Unterschied zwischen einer entschlossenen Führungspersönlichkeit und einem Schwächling; hier liegt der Unterschied zwischen einem Befehlshaber in der Tradition von Schlieffens und einem Zauderer, der das Risiko abwägt und dabei Kriege verliert, wie der junge von Moltke.

Wiederaufbauprogramm

Der Schlüssel hierbei ist das Wiederaufbauprogramm. Wir haben daran lange gearbeitet. Ich habe immer gewußt, wie man es machen muß, denn ich habe mein ganzes Leben, zumindest mein Erwachsenenleben, dieser Frage gewidmet.

Das Geheimnis einer modernen Industriewirtschaft ist der wissenschaftlich-technologische Fortschritt. Das funktioniert so: Man muß die Infrastruktur verbessern, man muß die Wasserversorgung aufbauen, die Energieversorgung, das Transportwesen, was überwiegend die Verantwortung des Staates ist. Wenn dies nicht auf Initiative des Staates geschieht, wird daraus nie etwas. Man kann kein Verkehrssystem, keine Energieversorgung aufbauen, keine Wasserversorgung, die den Ansprüchen einer modernen Gesellschaft entspricht, wenn nicht der Staat wirtschaftlich tätig wird. Einiges davon kann an private Interessen ausgelagert werden, wie wir es bei den Versorgungsunternehmen machen. Aber der Staat trägt die Verantwortung dafür, daß alles läuft und überwacht wird. Anderenfalls gibt es keine Wirtschaft.

Der Staat hat auch die Verantwortung für das Erziehungssystem und die wissenschaftliche Forschung, welche den wissenschaftlichen Fortschritt erzeugt. Er muß eine Bevölkerung hervorbringen, die fähig ist, technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt wirksam umzusetzen. Das ist nicht so einfach.

Drittens muß der Staat die Mittel zur Verfügung stellen, um die Ergebnisse von wissenschaftlicher Forschung und Ausbildung auch zu realisieren, d.h. diese Technologien in die Landwirtschaft, Industrie usw. investieren.

Das wird dazu führen, daß die Arbeitsproduktivkraft pro Kopf ansteigt. Der Trick dabei ist, einen genügend hohen Produktivitätzuwachs zu erreichen, um die ebenfall ansteigenden Kapitalkosten des Beschäftigungsprogramms wettzumachen.

Die Landbrücke

Das von mir vorgeschlagene Projekt, welches all diese Aspekte in sich vereinigt, nennt sich "Eurasische Landbrücke". Manchmal wird es auch das Seidenstraßen-Projekt genannt. Wir haben es über mehrere Schritte in den 70er und 80er Jahren entwickelt. 1989 haben meine Frau und ich sowie einige andere diese Politik zunächst als "Produktives Dreieck" in Europa vorgestellt. Dann führte meine Frau Helga Zepp-LaRouche 1992 Gespräche in China, wo diese Politik diskutiert wurde. Die Grundlage der Betrachtungen waren damals die Probleme in der ehemaligen Sowjetunion mit Blick auf China und die Feststellung: Hier bestehen gemeinsame Interessen, die unterentwickelten und wenig genutzten riesigen Gebiete Zentralasiens zu erschließen, was nur mit dieser Methode gelingen kann. Dies liegt auch im gemeinsamen Interesse Chinas, Europas, der ehemaligen Sowjetunion und auch der Vereinigten Staaten. Deswegen muß dieser Prozeß, der die größten Teile der Weltbevölkerung mit der industriellen Entwicklung verbindet und die größten unterentwickelten Gebiete außerhalb Afrikas in eine globale Wachstumsregion verwandelt, in Gang gesetzt werden.

Wir brauchen Hochgeschwindigkeitstransport und zwar über Tausende Kilometer. Wir reden über ein transkontinentales Eisenbahnnetz, wie es Lincoln verstanden hatte, um Eurasien zu entwickeln, was nicht Millionen oder Hunderte Millionen Menschen sind, sondern Milliarden. Wir sprechen über das größte Wirtschaftswachstum auf diesem Planeten für das nächste Jahrhundert, wenn wir es richtig machen.

Deswegen brauchen wir neue Verkehrssysteme wie die Magnetbahn, die das Rad-Schiene-System ablösen muß. Das erfordert ungeheure Mengen Energie. Dafür brauchen wir den Hochtemperaturreaktor vom Typ des deutschen HTR, der in China und in anderen Ländern in Serie hergestellt werden muß. Mit Kernkraft hat man genug Energie.

Wir brauchen riesige Wasserprojekte. Viele Gebiete Eurasiens sind wasserarm. Einige der Probleme kann man durch Wasserumleitung lösen. Auch die Ökologie des Planeten wird sich ändern. Wir müssen große Mengen Meerwasser in den Küstengebieten entsalzen und die Niederschläge an den Oberläufen der Flüsse für den dortigen Bedarf sammeln. Süßwasser, aus den Ozeanen wie auch aus Flüssen gewonnen, muß in die Wüstengebiete Zentralsiens geleitet werden. Das gleiche muß auch in Afrika geschehen.

Das sind Großprojekte, die von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung mit der Mobilmachung für einen Krieg vergleichbar sind. Wir müssen den Werkzeugmaschinenbereich in vielen Ländern transformieren und ausweiten. Wir müssen unser Erziehungssystem revolutionieren, damit wir uns wieder auf Wissenschaft und Technik orientieren können. Wir werden Werkzeugmaschinenindustrien in all jenen Ländern aufbauen, die sie benötigen.

Vor uns liegen zwei Alternativen. Wenn wir nicht tun, was notwendig ist, wird sich ein finsteres Zeitalter über die ganze Menschheit senken. Wenn wir jedoch mit den Ländern Asiens zusammenarbeiten, um auf den Ruinen eines bankrotten Systems eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung zu errichten, besteht die Aussicht, daß das 21. Jahrhundert zum schönsten Jahrhundert der Menschheitsgeschichte wird. Das nächste Jahrhundert kann das großartigste in der bisherigen menschlichen Existenz werden - oder das grausamste. Die Entscheidung liegt an uns im Jahre 1998. Können wir die Führungskraft entwickeln und die Regierungen von etwas überzeugen, was zu diesem Zeitpunkt viele Menschen für undenkbar halten?