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Die Nationalbankreform - Schlüssel zur Lösung der Weltwirtschaftskrise

von Dr. Jonathan Tennenbaum


Einleitung
Hamiltons Nationalbank

Hamiltonische Prinzipien im allgemeinen

Der interessante Fall Deutschland

Hamiltonische Nationalbankpolitik

Der Roosevelt-Aufschwung

Jüngere Reformvorschläge

Häufige Einwände gegen Hamiltonische Methoden

Einleitung

Die schwere Wirtschaftskrise in den Entwicklungs- und Industrieländern gibt Anlaß zur Suche nach Alternativen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein zentrales Problem stellt dabei die Finanzierung umfangreicher Infrastrukturprojekte und anderer Verbesserungen im produktiven Sektor dar, welche für die Wiederherstellung eines gesunden Wirtschaftswachstums und für die Beschäftigungssicherung dringend notwendig sind.

Alexander Hamilton, der erste Finanzminister der Vereinigten Staaten von Amerika, entwickelte in Verbindung mit einer Nationalbank die staatliche Kreditschöpfung im großen Maßstab zur landwirtschaftlichen, industriellen und infrastrukturellen Entwicklung der neugeborenen Nation. Ähnliche Methoden wurden von zahlreichen Nationen an entscheidenden Punkten ihrer Geschichte angewandt, so in den Vereinigten Staaten bei dem industriellen Aufschwung, der auf die Große Depression der frühen 30er Jahre folgte, und in Westeuropa beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Heute steht Hamiltons Werk wieder im Zentrum der Debatte über die zukünftige Finanz- und Wirtschaftspolitik. In den USA hat ein Vorschlag für die Reform der Federal Reserve (Zentralbank) entlang Hamiltonischer Grundsätze weite Verbreitung gefunden. In Frankreich wurde im vergangenen Jahr von einer Gruppe bekannter Wirtschaftswissenschaftler unter E. Malinvaud ein Plan für eine wirtschaftliche Erholung durch Infrastrukturprojekte vorgelegt, die über eine indirekte Form der Kreditschöpfung finanziert würden. Auf der Ebene der Europäischen Union könnte ein großer Teil der Finanzierung des Plans für europäische Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetze, wie im Weißbuch von Jacques Delors vorgeschlagen, bereitgestellt werden, indem man die Europäische Investitionsbank nach Hamiltonischen Prinzipien operieren läßt.

Im folgenden wollen wir die Grundsätze Hamiltonischer Nationalbankpolitik und Kreditschöpfung anhand historischer Beispiele analysieren. Die historische Sicht ist notwendig, weil das Hamiltonische Nationalbanksystem kein formales Schema darstellt, sondern praktisches Herangehen an konkrete Situationen. Weiter behandeln wir die Aussichten für eine Rückkehr zu Hamiltonischen Grundsätzen im Kontext einer Finanzreform auf nationaler und internationaler Ebene. Schließlich wenden wir uns einigen häufig vorgebrachten Einwänden von Kritikern der Hamiltonischen Methode zu, u.a. der Frage möglicher inflationärer Effekte der Kreditschöpfung.

Hamiltons Nationalbank

Das beste Beispiel für die Anwendung Hamiltonischer Nationalbankprinzipien ist wahrscheinlich immer noch Hamiltons eigene Tätigkeit als erster Finanzminister (Schatzminister) der Vereinigten Staaten, was seine entscheidende Rolle bei der Einrichtung der Ersten Nationalbank der USA beinhaltet. Es ist deshalb nützlich, einige interessante Details dieses historischen Falls, die als Beispiel für nationale Wirtschaftspolitik bis heute von Bedeutung sind, etwas genauer zu schildern.

Die Erste Nationalbank der Vereinigten Staaten wurde formal im Februar 1791 durch ein Gesetz des Kongresses gegründet und arbeitete 20 Jahre lang als größte Geschäftsbank der USA. Mit ihrer Hilfe konnte Hamilton innerhalb kurzer Zeit das gewaltige Schuldenproblem der jungen Nation bewältigen und ein schnelles Wirtschaftswachstum in Gang setzen.

Um die Bedeutung der Ersten Nationalbank zu verstehen, müssen wir zunächst Hamiltons Gesamtstrategie betrachten - eine kühne und geniale Strategie. Sein Ziel war, auf der Basis einer institutionalisierten Politik zur Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des Wohlstands des Landes die amerikanische Föderation als echten Nationalstaat zu konsolidieren.

Im Jahr 1790 hatte das Land etwa drei Millionen Einwohner, saß aber auf einem Schuldenberg von 79 Millionen Dollar, für die damalige Zeit eine gewaltige Summe. Ein großer Teil davon waren Auslandsschulden, die sich in der Folge des Unabhängigkeitskriegs angehäuft hatten. Hamilton handelte entschlossen im Sinne des zukünftigen Wohls der USA und entschied, daß die Bundesregierung die Verantwortung für alle Schulden im In- und Ausland, einschließlich der Kriegsschulden der einzelnen Bundesstaaten, übernehmen würde.

Zu diesem Zweck wurden mit dem Funding Act (Finanzierungsgesetz) vom August 1790 Bundesanleihen in Höhe der gesamten Schulden ausgegeben. Dabei handelte es sich hauptsächlich um langfristige Anleihen mit niedrigen, festen Zinssätzen. Für ein Drittel der Schulden wurden die Zinszahlungen für zehn Jahre ausgesetzt. Die akkumulierten ausstehenden Schulden wurden durch die Ausgabe von dreiprozentigen Anleihen abgedeckt.

Die in- und ausländischen Gläubiger waren de facto gezwungen, einen niedrigeren Zinssatz als zuvor zu akzeptieren; dafür waren die Schulden aber nun von einer Zentralregierung abgesichert, die auf Grundlage einer Politik der realwirtschaftlichen Expansion entschlossen war, die notwendigen Gelder zu erwirtschaften und schließlich zurückzuzahlen. Die Gläubiger im In- und Ausland waren allgemein recht froh über diese Regelung, denn in ihrer ursprünglichen Form waren die Schulden buchstäblich unbezahlbar.

Das Finanzierungsgesetz von 1790 wies nicht nur bestimmte Einnahmen des Schatzministeriums den Zinszahlungen für die neuen Bundesschulden zu, sondern sah auch einen Purchase Fund (Einkaufsfonds) vor, der den Preis der Bundesanleihen - die nach dem Willen Hamiltons frei übertragbar waren - stützen sollte, indem diese nötigenfalls mit Mitteln aus dem Fonds auf dem freien Markt angekauft wurden. Als die verfügbaren Mittel sich als zu diesem Zweck nicht hinreichend herausstellten, wurden weitere Methoden zur Preisstützung erfunden. Der Erhalt des Marktwerts der Bundesanleihen war ein wesentlicher Teil von Hamiltons genialer Strategie, die Schulden de facto in Kredite zur Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit umzuwandeln. Da ein vorteilhafter Marktwert der Anleihen garantiert wurde, konnten diese als Zahlungsmittel in der Wirtschaft, als eine Art Währung verwendet werden, zumindest bei sehr umfangreichen Geschäften. Vor der Gründung der Nationalbank gab es keine nationale Papierwährung; als allgemeines Zahlungsmittel dienten Gold (Goldmünzen), dazu Banknoten unterschiedlicher Qualität, die von den Banken der einzelnen Bundesstaaten ausgegeben wurden.

Im Dezember 1790 übergab Hamilton dem Kongreß seinen berühmten Bericht über eine Nationalbank. Darin schlägt er die Gründung einer nationalen Geschäftsbank vor, die "die Erhöhung des aktiven oder produktiven Kapitals des Landes über die durch die Tätigkeit der Bank geschaffenen Kreditwerte" ermöglichen soll. Formal sollte die Bank u.a. folgende Funktionen haben:

Mit der Schaffung einer solchen Nationalbank wollte Hamilton das Finanzsystem der Vereinigten Staaten konsolidieren und von der Abhängigkeit von Sonderinteressen in- und ausländischer Bankiers befreien, Guthaben des Schatzministeriums in aktive Kreditquellen umwandeln und die rasch wachsende Wirtschaft mit einer adäquaten Geldmenge in einer stabilen Währung versorgen.

Tatsächlich erfüllte die Erste Nationalbank der USA diesen Zweck zu einem hohen Grade. Allerdings hätte dieser Erfolg nicht allein durch finanzielle Manöver zustande kommen können. Entscheidend war Hamiltons Politik zur schnellen Steigerung der realen, physischen Produktivität der amerikanischen Wirtschaft durch Verbesserungen in Infrastruktur, Landwirtschaft und Manufakturwesen. Diese Politik wird in seinem berühmten Bericht über das Manufakturwesen zusammengefaßt, den er dem Kongreß im Dezember 1791 übergab. Tatsächlich wird das Wesen der Hamiltonischen Nationalbankpolitik erst dann deutlich, wenn wir den Bericht über die Nationalbank mit dem Bericht über das Manufakturwesen kombinieren.

Es ist für Hamiltons Herangehensweise typisch, daß er als Finanzminister - ein Posten, von dem gewöhnlich angenommen wird, er habe hauptsächlich mit Geldangelegenheiten zu tun - auch die Hauptverantwortung für die Entwicklung der physischen, produktiven Seite der Wirtschaft übernahm.

Der Bericht über das Manufakturwesen hebt zwei zentrale Punkte hervor: Erstens bewies Hamilton, daß die Entwicklung der Manufakturen (Industrie) der Schlüssel zur Erhöhung der Produktivität der Wirtschaft insgesamt war. Zweitens stellte er fest, daß es ein äußerst wichtiges Ziel der Regierung ist, selektiv jene produktiven und anderen Tätigkeiten zu fördern und zu stützen, die dem Allgemeinwohl und der Gesamtwirtschaft am meisten dienen. Die Nationalbank war ein mächtiges Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.

Nachdem er grundsätzlich festgestellt hat, daß die Regierung die Manufakturen gezielt fördern müsse, schlägt Hamilton eine Reihe praktischer Maßnahmen vor. Eine der wichtigsten war die selektive Ausgabe billiger Kredite durch die Nationalbank für Aktivitäten, die für die Nation insgesamt als wünschenswert angesehen wurden, besonders auch für den Aufbau neuer Manufakturzweige. Zusätzlich schlug Hamilton Subventionen für einheimische Produkte sowie die Erhebung von Schutzzöllen auf importierte Manufakturwaren vor, um die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Waren auf dem Inlandsmarkt zu sichern. Er spricht auch von Maßnahmen, die den Rohstoffexport reduzieren und statt dessen die Fertigung höherwertiger Güter im eigenen Land fördern. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen sollen neue Erfindungen und Verbesserungen durch Vergabe von Prämien sowie Unterstützung und Schutz durch den Staat stimulieren. Schließlich wird den staatlichen Verbesserungen der Transportwesens, die einen Schlüssel zum Wachstum von Landwirtschaft und Industrie darstellen, große Aufmerksamkeit gewidmet.

Hamiltons Strategie war, wie gesagt, äußerst erfolgreich. In den ersten zehn Jahren nach Gründung der Ersten Nationalbank der Vereinigten Staaten erlebte das Land ein außerordentliches Wirtschaftswachstum. Die Regierungseinnahmen, zunächst hauptsächlich aus Zöllen und später zunehmend aus Steuern, verdoppelten sich zwischen 1792 und 1796, und ein weiteres Mal zwischen 1796 und 1808. Das Schatzministerium erwirtschaftete große Überschüsse, und die Staatsschulden wurden in der Zeit bis zur Auflösung der Ersten Nationalbank 1811 und dem zweiten Krieg gegen Großbritannien 1812 um 50% abgebaut. Obwohl sich die in Umlauf befindliche Geldmenge drastisch erhöhte, gab es offenbar nur eine äußerst geringe bzw. keine Inflation.

Hamiltonische Prinzipien im allgemeinen

Wenn wir von den besonderen historischen Umständen abstrahieren, können wir den Kern der Hamiltonischen Nationalbankpolitik in folgenden zwei Punkten zusammenfassen:

1. Ein nationales Finanzinstitut unter Aufsicht der Regierung wird eingerichtet, das einen beherrschenden, stabilisierenden Einfluß auf das Finanzsystem des Landes ausübt, und das die Möglichkeit einer kontrollierten Ausweitung von Kredit und Geldumlauf sowie die Kanalisierung von billigen Krediten in die für die Gesamtwirtschaft am nützlichsten befundenen Bereiche staatlicher und privater Investitionen schafft.

2. Die Ausweitung von Kredit und Geldumlauf muß unmittelbar mit Investitionen verknüpft sein, welche die Produktivität der Wirtschaft, d.h. die Erzeugung nützlicher materieller Werte pro Person und pro Einheit bewohnter Fläche erhöhen. Dazu müssen die Bereiche bevorzugter Investition auf der Grundlage einer Analyse der gesamten (Real-)Wirtschaft festgestellt werden.

Wir können Hamiltons praktischen historischen Nachweis hinzufügen, daß es aufgrund der Macht der Regierung und der Autorität des souveränen Nationalstaates mittels der beiden eben genannten Prinzipien möglich ist, selbst einen großen Schuldenberg zu überwinden und diesen sogar in Kredite zur realwirtschaftlichen Expansion zu verwandeln. Der Erfolg einer solchen Maßnahme ist größtenteils eine politische, keine technische Frage.

In dieser Hinsicht ist Hamiltons Methode völlig verschieden von den "Strukturanpassungen" und der damit verbundenen Austeritätspolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF). Tatsächlich unterscheiden sich beide wie Tag und Nacht. Der IWF verlangt z.B. drastische Kürzungen der Regierungsausgaben, legt den Schwerpunkt auf die Schuldenrückzahlung statt auf interne Investitionen, verhindert große staatliche Infrastrukturinvestitionen, befürwortet wucherisch hohe Zinsen und verbietet protektionistische Maßnahmen zur Förderung der einheimischen Produktion. Alles in allem diktiert er Bedingungen, die es Nationen ganz unmöglich machen, die Maßnahmen zu ergreifen, welche Alexander Hamilton in den entscheidenden frühen Jahren der Vereinigten Staaten anwandte.

Das Resultat der IWF-Politik ist allgemein Stagnation und Verfall der Realwirtschaft und somit eine wachsende Unfähigkeit, Schulden abzutragen. Die Hamiltonische Methode dagegen ermöglicht selbst die Rückzahlung sehr großer Summen, indem die Schulden für einige Zeit "eingefroren" werden und gleichzeitig der Schwerpunkt auf interne Verbesserungen und reales Wirtschaftswachstum gelegt wird.

Zur Rechtfertigung der IWF-/Weltbankpolitik wird heute oft argumentiert, diese sei so angelegt, daß sie die maximale Entwicklung privaten Unternehmertums fördert, indem alle Hindernisse perfekter Freiheit in der "Marktwirtschaft" aus dem Weg geräumt werden. Dabei wird jedoch absichtlich die Tatsache vergessen, daß gerade Hamiltons Politik - bei der die Regierung eine sehr starke Rolle in der Wirtschaft spielte - , in den USA zur größten Ausweitung privaten Unternehmertums und privater Initiative in der Weltgeschichte führte! Der "Trick" ist, daß eine florierende private Wirtschaft und eine starke Regierung Hand in Hand gehen, solange beide das Verständnis teilen, wie reales, physisches Wirtschaftswachstum tatsächlich zustande kommt.

Im Endeffekt liegt die Quelle realen Wachstums in den kreativen geistigen Fähigkeiten des Individuums, durch die wissenschaftliche Entdeckungen gemacht, weitervermittelt und in Form neuer Technologien angewendet werden, welche die physisch-produktive Arbeitskraft erhöhen. Damit aber Individuen auf diese Weise frei am Reichtum der Gesellschaft teilhaben können, brauchen sie eine Transport-, Energie-, Wasser- und Kommunikationsinfrastruktur, brauchen sie ein Gesundheits- und Erziehungssystem sowie ein Finanz- und Kreditsystem, das produktive Beiträge fördert und exzessive Vergeudung und Spekulation bestraft. Die allgemeine Verantwortung für solche günstigen "Rahmenbedingungen" liegt bei der Regierung.

Der interessante Fall Deutschland

Wenn man die historische Rolle der "Hamiltonischen" Politik und ihre Anwendung auf die heutigen Probleme studiert, muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß die richtige Beziehung zwischen privatem Unternehmertum und den Aufgaben der Regierung variabel ist und nicht streng formal definiert werden kann. Das gleiche gilt für die Beziehung zwischen der Geld-/Kreditpolitik und der Realwirtschaft.

So sehen wir beim Studium der Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert, daß eine echte Nationalbankpolitik erst relativ spät in diesem Prozeß auftritt - Deutschland war zu Beginn des Jahrhunderts in 300 Staaten gespalten - ; die Hauptrolle spielten eine gewisse Form privaten Industriebankwesens und einige außergewöhnliche Privatunternehmer. So organisierte Friedrich List den Deutschen Zollverein und den Aufbau des deutschen Eisenbahnnetzes als Privatperson ohne formale Regierungsfunktion. Harkort und Mewissen bauten die große Kohle- und Stahlregion an der Ruhr im wesentlichen auf der Grundlage der Arbeit von Privatbanken auf. Und Raiffeisen begründete das Netz landwirtschaftlicher Sparkassen, das für die bemerkenswerte Entwicklung der deutschen Landwirtschaft in der zweiten Jahrhunderthälfte sorgte, in privater Initiative.

Andererseits merken wir bei genauerem Hinsehen, daß im Falle Deutschlands private Initiativen fast immer mit offiziellen Einrichtungen in einer engmaschigen "Verschwörung" zusammenarbeiteten, und daß die führenden Persönlichkeiten stark von den Ideen Hamiltons und der sogenannten "Amerikanischen Schule" der politischen Ökonomie beeinflußt waren.

Das wird besonders deutlich daran, wie der Freiherr vom Stein, der große Reformer der preußischen Verwaltung, und der preußische Erziehungsminister Wilhelm von Humboldt in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts die Grundlage für die Industrialisierung Deutschlands legten. Vom Stein befreite die Bauern und etablierte die privaten bäuerlichen Familienbetriebe. Gleichzeitig war er ab 1806 Direktor der Königlich Preußischen Giro- und Kreditbank, die 1765 gegründet worden war und für einen begrenzten Zeitraum für den preußischen Staat eine ähnliche Funktion ausübte wie eine Hamiltonische Nationalbank.

Vom Stein setzte die berühmte "Technische Kommission für Manufakturen" ein, deren Direktor ab 1819 Christian Beuth war, der auch als "Vater der preußischen Industrie" bezeichnet wird. 1821 gründete Beuth zusätzlich den "Gewerbeverein", eine Vereinigung von Industriellen, Wissenschaftlern, Militärs und politischen Denkern, die sich zusammentaten, um die industrielle Entwicklung Deutschlands zu planen und durchzuführen. Eine der wichtigsten Bemühungen Beuths diente der Organisation direkter staatlicher Hilfen bei der Gründung privater Manufakturen. Eine einzigartige und sehr erfolgreiche Praxis war, daß der Staat jungen Unternehmern Maschinen schenkte, die auf dem neuesten Stand der Technik waren. Daran war im allgemeinen die Bedingung verknüpft, daß der Empfänger für den Staat eine oder mehrere Kopien der Maschine anfertigte und außerdem die Tore seines Unternehmens allen Interessierten öffnete, die diese Maschine bei der Arbeit studieren wollten. So wurden aus den neuen Fabriken Modellfabriken, die zur Verbreitung technischen Wissens beitrugen.

Friedrich List, ein erklärter Anhänger Hamiltons, arbeitete zunächst im baden-württembergischen Staatsdienst, reiste dann 1825 mit dem Marquis de Lafayette in die Vereinigten Staaten und wurde dort mit Mathew Carey und anderen führenden Vertretern des "Amerikanischen Systems" bekannt. Er wurde amerikanischer Staatsbürger und schließlich amerikanischer Konsul in Leipzig, bevor er 1834 den Deutschen Zollverein gründete. Lists Zollverein und das von ihm begründete Eisenbahnnetz waren das wichtigste Fundament für die Einigung der deutschen Staaten.

Gustav Mewissen, der zum großen Teil die Finanzierung der industriellen Entwicklung des Ruhrgebiets organisierte, ist eine weitere sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Er trat für eine zentrale Institution im Sinne einer Hamiltonischen Nationalbank ein, welche an industrielle und technologische Entwicklung gebundene, niedrigverzinste Kredite ausgab. Er betonte: "Nur von einer Zentralstelle aus kann der Bewegung des großen Ganzen die nötige Richtung gegeben werden, nach Umständen der Unternehmergeist der Nation stärker angeregt oder gefährlichem Schwindel eine Schranke gezogen werden." Als die politische Lage die Verwirklichung dieses Plans unmöglich machte, gab Mewissen nicht auf, sondern setzte eine lange Reihe von Privatinitiativen in Gang, um ein ähnliches Resultat zu erreichen.

Zusammen mit Hansemann, der während der stürmischen Revolutionsperiode von 1848 für kurze Zeit preußischer Finanzminister wurde, half Mewissen bei der Gründung von Diskontkreditbanken für industrielle Entwicklung, die in 13 preußischen Provinzen Banknoten ausgaben. Später wurde ihm die Reorganisation der bankrotten Schaffhausener Bank-Union anvertraut, die er in ein zentralisiertes Bankinstitut umwandelte, dessen Zweck nicht die Profitmaximierung war, sondern in seinen Worten "die Überwältigung und Nutzbarmachung der Naturkräfte durch die Macht des menschlichen Geistes, die vernunftmäßige Gestaltung der materiellen Güterversorgung, die Entfesselung der produktiven Kräfte des Vaterlandes". In den 50er Jahren war sein wichtigstes Projekt die Entwicklung der berühmten Bank für Handel und Industrie, die ihren Sitz ursprünglich in Darmstadt hatte und Zweigstellen und Kooperationsvorhaben in ganz Europa und sogar den USA gründete.

Hamiltonische Nationalbankpolitik

Mewissen stand vor dem Problem - und ähnlich eingestellten Menschen geht es in vielen Ländern bis heute so - , daß es Privatbanken so gut wie unmöglich ist, bevorzugt reale, produktive Investitionen in Industrie, Landwirtschaft und Infrastruktur zu tätigen und damit längere Zeit zu bestehen, wenn die Regierung nicht ein günstiges, unterstützendes Klima dafür schafft. Ohne die aktive Rolle einer Hamiltonischen Nationalbank oder anderer staatlicher Interventionen, die eine gesunde allgemeine Orientierung der Wirtschaft sicherstellen, werden die Banken und das Finanzsystem bald vom "Gesetz des Dschungels" regiert, wo kurzfristige spekulative Operationen weit profitabler scheinen als langfristige produktive Investitionen.

Der stürmische Lebensweg Lists, Mewissens und anderer illustriert, wie umstritten die Hamiltonische Nationalbankpolitik von Anfang an war. Der Grund ist nicht schwer zu erraten. So gut wie nichts entscheidet mehr über zukünftige Stärke oder Schwäche einer Nation als ihr Kreditsystem. Die Fähigkeit "Hamiltonischer" Methoden, die Produktivkraft einer Nation rasch zu steigern, macht sie in Augen der Mächte, die die Welt mittels Wucher und Geopolitik zu manipulieren und zu kontrollieren suchen, zu einer gefährlichen Waffe. Daher betrachtete der Premierminister und Stratege des britischen Imperiums Lord Palmerston List als den gefährlichsten Mann auf dem europäischen Kontinent, und wahrscheinlich wurde List sogar während eines Besuches in London 1846 vergiftet. Mewissen befand sich praktisch im dauernden Kriegszustand mit Metternich, den Rothschilds usw. Hamilton selbst kam bei einem Duell mit Aaron Burr, einem bekannten britischen Spion, ums Leben. Wohin wir auch schauen, immer war das Hamiltonische Bankwesen umstritten und sein Schicksal höchst stürmisch. Die Zweite Nationalbank der Vereinigten Staaten wurde 1817 gegründet, 1833 jedoch wieder geschlossen, nachdem Präsident Andrew Jackson, ein Gegner Hamiltonischer Prinzipien, den Abzug der Einlagen der Regierung aus ihr angeordnet hatte. Eine Dritte Nationalbank der USA hat es bisher nicht gegeben.

Andererseits gab es in Amerika immer die Tendenz, in Krisenzeiten in irgendeiner Form auf Hamiltonische Prinzipien zurückzugreifen. Diese Tendenz könnte sich in der gegenwärtigen Lage als entscheidender Faktor herausstellen. Insbesondere behielt das US-Schatzministerium in den 200 Jahren seiner Existenz seit Hamilton die Macht und die Tendenz, gewisse Schlüsselfunktionen einer Zentralbank zu übernehmen. Hamiltonische Prinzipien traten während des Bürgerkriegs hervor, als der Ökonom der "Amerikanischen Schule" Henry Carey als Berater Abraham Lincolns tätig war, wofür die berühmten Greenbacks, mit denen die Union den Krieg finanzierte, bezeichnend sind. Nach der Ermordung Lincolns 1865 wurde die Kreditschöpfung für Landwirtschaft und Industrie durch die Greenbacks jedoch politisch scharf attackiert. Der Specie Resumption Act von 1875 übertrug dann die staatliche Finanzmacht auf die New Yorker Privatbanken.

Der Roosevelt-Aufschwung

Das 1913 gegründete Federal-Reserve-System war von Anfang das Gegenteil einer Hamiltonischen Nationalbank und von den Finanzinteressen der Wall Street stark beeinflußt. Dennoch erwuchs aus der Reaktion auf die Große Depression der frühen 30er Jahre ein Wiedererstarken "Hamiltonischer" Methoden. Die wirtschaftliche Erholung, die Amerika aus der Großen Depression herausbrachte, entstand aus einer Kombination massiver staatlicher Kreditschöpfung mit dirigistischen Maßnahmen der Roosevelt-Administration zum Wiederaufbau von Schlüsselindustrien und zur Beschäftigung ungenutzter Arbeitskräfte in großen, staatlich finanzierten Infrastrukturprojekten. Wir bemerken die Kombination des ersten und des zweiten Hamiltonischen Grundprinzips, wie wir sie oben beschrieben haben.

Typisch für die eine Seite dieser Politik war die Gründung der Reconstruction Finance Corporation (RFC) im Januar 1932, die auf Empfehlung des US-Schatzministeriums erfolgte. Die RFC war als eine Art Bank konzipiert, ähnlich den großen Handels- und Investmentbanken, mit der Ausnahme, daß sie im wesentlichen als Vertreter der amerikanischen Regierung handelte. Sie war zur Ausgabe von Banknoten, Anleihen und anderen Obligationen autorisiert, die von der Regierung garantiert wurden. Diese summierten sich anfänglich auf 500 Mio. Dollar, wuchsen aber innerhalb weniger Monate auf 2,3 Mrd. Dollar an, was einem Drittel der gesamten damals in Umlauf befindlichen Geldmenge entsprach. Der Finanzminister war autorisiert, auf Wunsch der RFC jede ihrer Obligationen zu übernehmen. Die der RFC so zugänglich gemachten Gelder wurden direkt an Eisenbahnen, Banken und Unternehmen verliehen, und über das Landwirtschaftsministerium auch an den Agrarsektor, der stark unter der Depression zu leiden hatte.

Weiter wurden trotz des Widerspruchs der Federal Reserve das Federal-Reserve-Gesetz geändert und andere Maßnahmen ergriffen, um die Ausgabe von Federal-Reserve-Banknoten stark auszuweiten. Diese Banknoten wurden über Regierungsanleihen mit 3 3/8% Zinsen oder weniger abgesichert.

Für die andere, realwirtschaftliche Seite der Aufschwungspolitik ist z.B. die Gründung der Tennessee Valley Authority (TVA) 1933 typisch. Die TVA war ein grandioses Entwicklungsprojekt und mit 200000 unmittelbar daran Beschäftigten seinerzeit das größte der Welt. Innerhalb zweier Jahrzehnte wurde das Tennessee-Tal durch den Bau von ca. 20 Stau- und Hochwasserdämmen sowie der Elektrifizierung weiter ländlicher Gebiete umgestaltet. Der billige Strom wurde für den Aufbau agrochemischer und anderer Industrieunternehmen mit zusammen einer halben Million Arbeitern genutzt. Trotz der enorm hohen Investitionskosten der TVA zahlten sich die Investitionen mehrfach aus, weil die Steuereinnahmen aufgrund des sich entwickelnden Reichtums der Region drastisch anstiegen. Hamiltons frühe diesbezügliche Aussage wurde völlig bestätigt.

Natürlich beschleunigte die Wirtschaftsmobilisierung für den Zweiten Weltkrieg die Erholung der US-Wirtschaftskraft. Deshalb wird manchmal gesagt, "der Krieg hat die USA von der Depression befreit". Dabei wird ignoriert, daß der Aufschwung schon vor dem Beginn der Kriegsmobilisierung in vollem Gange war.

Es muß gesagt werden, daß Roosevelts "New Deal" keineswegs Hamiltonische Grundsätze in ihrer reinen Form repräsentiert; es gab dabei Aspekte, gegen die Hamilton große Einwände gehabt hätte. Trotzdem ist die Kombination von staatlicher Kreditschöpfung und "dirigistischer" Kanalisierung von Investitionen in Bereiche und Projekte, welche die physische Produktivität der Wirtschaft erhöhen, typisch für das Hamiltonische Nationalbankwesen, und deshalb brachte sie ein relativ positives Ergebnis.

Jüngere Reformvorschläge

Diese historische Beschäftigung mit Hamiltonischer Politik in den Vereinigten Staaten und in Deutschland hat für die gegenwärtige Weltlage unmittelbare Bedeutung. Die Weltwirtschaft insgesamt ist von einer schweren Krise und einem unmittelbar drohenden katastrophalen Finanzkollaps, schlimmer als der von 1929, erfaßt. Die reale Arbeitslosigkeit - einschließlich der sog. "versteckten" Arbeitslosigkeit - in den USA und mehreren anderen Industrieländern ist bereits so hoch oder höher als beim höchsten Stand in den 30er Jahren. Die bereits katastrophale Lage in der früheren Sowjetunion und Teilen Osteuropas, die verheerende Lage im größten Teile Afrikas usw. muß noch hinzugenommen werden.

Diese Krisenlage wird zu unterschiedlichem Grade in führenden Kreisen in einer Reihe von Ländern verstanden, und es wird immer dringender nach Lösungen gesucht. Insbesondere in den USA wird die Lage zunehmend mit der Großen Depression verglichen und der Roosevelt-Aufschwung als mögliches Modell für die heutige Zeit gesehen. Könnte Präsident Clinton trotz seiner Schwächen ein neuer "F.D.R." werden?

Eine andere, entgegengesetzte "Lösung", die in gewissen Machtzirkeln debattiert wird, ist eine Art globaler Faschismus, der sich an Elementen von Hitler und Mussolini orientiert, aber noch weit mehr Bertrand Russells Traum von einer diktatorischen Weltregierung ähnelt, die eine Bevölkerungsreduktion großen Ausmaßes notfalls mit Gewalt durchsetzen soll. Dieses Denken ist an der Spitze der UN-Bürokratie und besonders bei den Organisatoren der berüchtigten Kairoer Weltbevölkerungskonferenz sehr verbreitet.

Die klarste und verständlichste Lösung hat der amerikanische Ökonom Lyndon LaRouche vorgelegt, der schon vor mehreren Jahrzehnten die heutige Finanzkrise kommen sah. LaRouches Lösung ist programmatischer Natur und berücksichtigt die großen Unterschiede, in Ausmaß und Schwere ebenso wie bezüglich des politischen und kulturellen Kontexts, zwischen der heutigen Krise und jener der 30er Jahre. Vor allem kann die Krise nicht auf der Ebene einzelner Nationen gelöst werden, sondern sie erfordert nichts geringeres als eine grundlegende Reform des Weltwährungssystems und ein Ende der mit dem IWF verbundenen Politik.

Den Hamiltonischen Kern von LaRouches Politik kann man schon seinem Vorschlag von 1975 für eine neue "Internationale Entwicklungsbank" (IDB) entnehmen, die den Technologietransfer (hauptsächlich) über große Infrastruktur- und agroindustrielle Entwicklungsprojekte in die sogenannte Dritte Welt finanzieren sollte. Die IDB war als Herzstück eines neuen, goldgestützten Weltwährungssystems gedacht. LaRouche schlug vor, die Schulden der Entwicklungsländer ähnlich handzuhaben, wie Hamilton damals mit den ursprünglichen Schulden der USA verfuhr. Der Außenminister Guyanas stellte diesen Vorschlag im September 1976 auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen offiziell zur Diskussion, und er wurde auf verschiedenen Treffen der Bewegung der Blockfreien Staaten aufgegriffen. In vielen Nationen wurde die Unterstützung für LaRouches Vorschlag von den hinter dem IWF stehenden Kräften mit brutalen Methoden unterdrückt, dennoch wirkt er bis heute nach. Ein Echo von ihm war etwa der Vorschlag des japanischen Mitsubishi-Forschungsinstituts für einen Globalen Infrastrukturfonds (GIF), der noch heute in der Debatte ist.

Der IDB-Vorschlag besitzt zwar noch Gültigkeit, aber in der Zwischenzeit hat LaRouche ebenso die entscheidende Rolle "Hamiltonischer" Reformen in den einzelnen souveränen Nationen betont, einschließlich der Vereinigten Staaten, Europa, den Entwicklungsländern und jüngst Rußland und die anderen ehemals sozialistischen Staaten. Das benötigte neue Weltwährungssystem wird in der Folge kooperativer Vereinbarungen zwischen Regierungen entstehen, die in ihren Volkswirtschaften nach Hamiltonischen Nationalbankprinzipien arbeiten.

Schon 1977 brachten Mitarbeiter LaRouches einen ersten Vorschlag zur Auflösung der Federal Reserve und ihrem Ersatz durch eine "Dritte Nationalbank der Vereinigten Staaten" nach dem Modell von Hamiltons Erster Nationalbank in Umlauf. Es scheint, daß damals wenige Personen in offiziellen Positionen die Notwendigkeit einer so drastischen Reform sahen. Dies ändert sich jedoch, weil sich die Krise ausweitet und die Praktiken der Federal Reserve und ihre Begünstigung der katastrophalen Spekulationsblase immer mehr in Frage gestellt werden.

Der bislang detaillierteste, von LaRouches Mitarbeitern verbreitete Vorschlag ist die Gesetzesinitiative zur Nationalisierung der Federal Reserve 1992. Diese beginnt wie folgt:

"Laut Artikel I der Verfassung über das Monopol der US-Regierung bei der Ausgabe gesetzlicher Zahlungsmittel wird das Federal-Reserve-System hiermit nationalisiert und unter Verwaltung des Schatzministeriums der Vereinigten Staaten gestellt. Sein Name wird hiermit in ,Nationalbank der Vereinigten Staaten' geändert..."

Der wesentliche Unterschied zwischen der neuen Nationalbank und der Federal Reserve läge diesem Gesetzesvorschlag zufolge in der Art der Kredit- und Geldschöpfung. Dieser Unterschied wird in dem begleitenden erläuternden Text wie folgt beschrieben:

"Das Problem bei der Federal Reserve ist die Methode, wie sie Geld schafft. Heute bringt die Fed zusätzliches ,fiat money' (Buchgeld ohne Gegenwert) in Umlauf, indem sie neue Federal-Reserve-Banknoten druckt, mit denen ein gewisser Teil der Schulden des US-Schatzministeriums aufgekauft wird - jenen Anteil, der sonst nicht mit bereits in Umlauf befindlichem Geld erworben würde... Aber die Federal Reserve erwirbt diese Schulden des Schatzministeriums nicht vom Schatzministerium selbst, sondern von den zwei Dutzend im Handel mit Staatsschulden führenden Wall-Street-Häusern wie Solomon Brothers und Goldman Sachs, welche die Schulden des Schatzministeriums im Vorfeld kaufen... Die Wertpapierhändler legen dann die Einkünfte aus den Verkäufen von Schulden des Schatzministeriums - das neue Papiergeld, das die Federal Reserve gerade gedruckt hat - auf Konten bei den 20 New Yorker Handelsbanken an... So werden für diese Handelsbanken aus dem Nichts neue Einlagen geschaffen. Dann demonstrieren diese Banken das Prinzip des ,keynesianischen Multiplikators': Sie schaffen mehr Geld aus dem Nichts, indem sie diese Einlagen an einen Kunden verleihen, der Kredit des Kunden wieder angelegt wird, usw. Die schrittweise, völlige Abschaffung von Mindestreserven im Zuge der Deregulierung der 80er Jahre hat es erlaubt, daß der Multiplikator unendlich wächst."

Der Text erklärt weiter, wie diese Praxis zu einer sich selbst vergrößernden Spekulationsblase führte, welche das amerikanische Finanzsystem unterminiert und die Wirtschaft ruiniert hat. Nach dem vorgeschlagenen neuen Gesetz unterläge die Ausmünzung der Staatsschulden durch die Nationalbank einer vorgeschriebenen Obergrenze. Federal-Reserve-Banknoten würden nach und nach aus dem Verkehr gezogen und durch Noten des US-Schatzministeriums ersetzt, die bei der Bank eingelegt und vor allem über Diskontgeschäfte der Nationalbank in Umlauf gebracht werden.

"Das Gesetz schlägt vor, daß das US-Schatzministerium über die Nationalbank neue langfristige, niedrig verzinste Kredite in Höhe von 300 Mrd. Dollar jährlich ausgibt. Die Nationalbank wird ihr Diskontfenster für die neue Vergabe zielgerichteter Kredite an Industrie, Infrastruktur und die damit verbundenen realwirtschaftlichen Sektoren weit öffnen. Die Bank kann ohne Angst vor Inflation unbegrenzt Kredit ausgeben, solange dieser der Bildung neuen, produktiven Reichtums dient. Von den jährlich ausgegebenen 300 Mrd. Dollar gibt das Schatzministerium selbst etwa 100 Mrd. Dollar in Form von grundlegenden Infrastrukturprojekten aus, ausgeführt von Bundes-, Bundesstaats- und lokalen Behörden und Vertragsfirmen. Das Ziel ist die Beschäftigung von etwa drei Millionen Menschen direkt in Wasserprojekten, der Energieerzeugung und -verteilung, Transport, städtischer Infrastruktur, dem Bau medizinischer Einrichtungen, Schulen usw.

Diese Regierungsprojekte werden einen zusätzlichen Kreditbedarf für Anschaffungen und Investitionen privater Zulieferer dieser Projekte in der Größenordnung von 200 Mrd. Dollar jährlich erzeugen... Der Privatsektor wird die Beschäftigung ebenfalls um drei Millionen Beschäftigte erhöhen, was zusammen einen Anstieg der produktiven Beschäftigung um sechs Millionen Menschen ausmacht. Das Schatzministerium wird über die Steuern das ausgegebene Geld mehr als zurückerhalten.

Der Vorteil dabei, alle Nationalbankkredite über das Diskontfenster abzuwickeln, ist, daß man umfangreiche Warenwechsel leicht diskontieren kann. Diese Wechsel, in der Form von Bankkrediten an produktive Unternehmen, stehen für die reale Produktion von Gütern und Dienstleistungen... Damit wird es ein System gerichteten Kredits, das sogenannte ,zweigleisige Kreditsystem' geben. Private Unternehmen werden gefördert, aber produktive mehr als andere. Unternehmen, die bei den Banken Kredite für produktive Zwecke aufnehmen wollen, werden feststellen, daß die Banken diese Papiere bereitwillig für billigen Kredit diskontieren. Wer für eher spekulative Zwecke Geld leihen will, wird feststellen, daß sein Kredit nur zu höheren Zinsen oder gar nicht diskontiert wird."

Der Vorschlag enthält außerdem die Wiedereinführung verschiedener Mindestreserven und Regulierungen von Bankgeschäften, die bis vor wenigen Jahrzehnten Standard waren und vor allem in den 80er abgeschafft wurden.

LaRouches Nationalbankvorschlag wäre unter der Bush-Administration als völlig undurchführbar betrachtet worden. Jetzt aber haben sich die Zeiten geändert.

Bemerkenwerterweise hat Präsident Clinton sich in einem Fall offiziell für eine quasi Hamiltonische Lösung ausgesprochen - nicht in Amerika, aber in Europa. Er gab seine besondere Unterstützung für den als Weißbuch bekannten Infrastrukturplan des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors zu verstehen.

Das Weißbuch schätzt, daß in der Europäischen Gemeinschaft für Transport-, Energie- und Kommunikationsprojekte bis zum Jahr 2010 etwa 500 Mrd. Dollar an Investitionen notwendig sind. Es listet 26 Projekte höchster Priorität auf, wozu die umfangreiche Entwicklung eines europaweiten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes gehört. Die EU diskutiert weiter den Bau einer modernen Bahnverbindung von Berlin über Warschau nach Moskau; dies bedeutete eine wichtige Verbesserung der "Kontinentalbrücke" zum asiatischen Teil Rußlands und nach China.

Bei der Finanzierung der vorgeschlagenen Projekte schlägt Delors eine wichtige Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB) vor, die bereits mit etwa 80 Mrd. ECU an europäischen Investitionen beteiligt ist. Nach Delors soll Kredit für die neuen Projekte über neue Finanzinstrumente geschaffen werden, darunter Anleihen, die von der EIB, oder über sie, ausgegeben und auf den Kapitalmärkten verkauft werden. Zusätzlich wurde ein Europäischer Investitionsfonds eingerichtet; in Verbindung mit diesem Fonds gibt die EU Garantien für private Investitionen in bestimmte Infrastruktur- und andere Projekte.

Das Weißbuch ist Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen der britischen Regierung, die das Konzept insgesamt ablehnt, und den kontinentaleuropäischen Nationen, besonders Deutschland und Frankreich, die es im Grundsatz unterstützen. Man bedenke, daß Delors für eine Fraktion im französischen Establishment steht, die ihre Erfahrung ursprünglich in der "dirigistischen" Wiederaufbauperiode unter de Gaulle sammelte und ähnliche Methoden zur Lösung der gegenwärtigen Krise befürwortet. Sie glauben, daß große staatliche Investitionen nötig sind, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die produktive Aktivität wiederzubeleben.

Eine Gruppe von 13 französischen Ökonomen unter Führung Edmond Malinvauds, eines bekannten Veteranen des gaullistischen Wiederaufbaus nach dem Kriege, ist mit ihrem Vorschlag eines "europäischen New Deal" noch bedeutend weiter gegangen als Delors. Sie riefen die EU auf, allein in den kommenden vier Jahren ca. 300 Mrd. Dollar in staatliche Infrastrukturprojekte und Erziehungsprogramme zu investieren. Einen Teil dieser Summe sollen die europäischen Nationen über niedrig verzinste Anleihen finanzieren, welche in Verbindung mit der EIB ausgegeben werden. Ein anderer von Malinvauds Gruppe vorgeschlagener Plan sieht vor, daß die Regierungen einen Teil der Zahlungen für die Gesundheitsversicherung übernehmen, den zur Zeit die Arbeitgeber zahlen, und diese dann die entsprechenden Summen in zuvor genehmigte Projekte investieren müssen. Diese Finanzierungsvorschläge sind offenbar so konzipiert, daß sie eine direkte staatliche Kreditschöpfung - die von den Briten und ihren Freunden für "tabu" erklärt wurde - vermeiden, aber im Endeffekt ungefähr zu dem gleichen Resultat führen. Vom britischen Standpunkt gesehen ist die "Fratze des Hamiltonismus" wieder auferstanden.

Häufige Einwände gegen Hamiltonische Methoden

Es gibt zwei typische Einwände, die in der Vergangenheit und heute immer wieder gegen die Hamiltonischen Methoden vorgebracht wurden und werden. Erstens heißt es, sie seien "dirigistisch", "interventionistisch" oder gar "totalitär", weil sie in die Freiheit des Marktes eingreifen und dem Staat enorme wirtschaftliche Macht geben. Der zweite Haupteinwand ist, daß die Erzeugung von "Fiat-Kredit" für produktive Investitionen zu Inflation führt.

Es ist sicher richtig, daß Hamiltonische Methoden Eingriffe des Staates in die Wirtschaft in großem Ausmaß beinhalten. Aber diejenigen, welche in diesem Zusammenhang das Schreckgespenst des Kommunismus oder Stalinismus an die Wand malen, unterschlagen dabei geflissentlich, daß die Vereinigten Staaten von Amerika - das "Land der Freiheit" - mit Hilfe von Schutzzöllen und "dirigistischen" Hamiltonischen Methoden aufgebaut wurden. Das gleiche gilt in etwas abgewandelter Form für Frankreich, Deutschland, Japan und die anderen Industrienationen. Selbst im Falle Englands war es weitgehend so, auch wenn die britischen Thatcheristen gegenüber anderen immer gerne den "Freihandel" predigen.

Die zweite Entgegnung auf den Einwand des "Dirigismus" ist, daß eine schwere Wirtschaftskrise, wie die der 30er Jahre oder die heutige, unweigerlich zu starken Eingriffen der Regierung führt. Die Frage ist nicht, ob eine solche Intervention geschieht, sondern welche Form sie annimmt. Die Tragödie der Weimarer Republik kann uns hier eine Lehre sein. 1931-32 traten in Deutschland eine Reihe einflußreicher Leute, u.a. der Industrielle Heinrich Dräger und Wilhelm Lautenbach vom Wirtschaftsministerium, mit detaillierten Plänen zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit auf. Die wirtschaftliche Aktivität sollte auf der Grundlage großer Infrastruktur- und ähnlicher staatlicher Investitionen wiederbelebt werden, finanziert über verschiedene Mechanismen produktiver Kreditschöpfung. Diese Vorschläge wurden auf höchster Ebene diskutiert. Unglücklicherweise lehnte die vorherrschende anglo-amerikanische Fraktion hinter dem Versailler Vertrag eine wirtschaftliche Erholung Deutschlands mit solchen Methoden vehement ab. Hjalmar Schacht, ein enger Freund des Chefs der Bank von England Montagu Norman, war es, der die Lautenbach-Dräger-Pläne am lautesten als "inakzeptabel" und "inflationär" abwies.

Die Ironie ist natürlich, daß Schacht später selbst, nachdem er Hitlers Finanzminister geworden war, sehr ähnliche Methoden der Kreditschöpfung anwandte, um den Aufbau der Kriegsmaschinerie der Nazis zu finanzieren (die berühmten "Mefo-Wechsel"). Der Unterschied war, daß Lautenbach und Dräger Hitler stoppen und die Weimarer Republik retten wollten, indem sie die Depression beenden, während Schacht und seine anglo-amerikanischen Freunde Hitler an die Macht bringen wollten. Hitlers "Erfolg" bei der Beendigung der Massenarbeitslosigkeit und dem Neubeginn der Produktion in den frühen Jahren seines Regimes beruhte ausschließlich auf Programmen und Methoden, die seine politischen Gegner vor der Machtübernahme ausgearbeitet hatten. Allerdings benutzte Hitler Polizeistaatsmethoden und machte aus dem ursprünglich produktiv orientierten Plan ein Programm zur Kriegsmobilisierung durch Sklavenarbeit. Die massenhafte Ausgabe von Mefo-Wechseln und anderen Instrumenten der Kreditschöpfung für den nutzlosen Zweck der Rüstungsproduktion wurde nicht mit realem, gesundem Wirtschaftswachstum, sondern mit dem Fleisch und Blut der Millionen Opfer "bezahlt".

Bezüglich der Inflation ist die entscheidende Frage, wie der "Fiat-Kredit" verwendet wird. Was ist der Effekt der Kreditschöpfung auf die Realwirtschaft - wird die Erzeugung realer, materieller Werte ausgeweitet, und in welchem Maße?

Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Hamiltonischen Politik ist, daß neues Geld nur über Kredite und staatliche Investitionen in Umlauf gebracht wird, die unmittelbar zu einer ausgeweiteten Produktion materieller Werte führen. Anders gesagt, wenn ein neuer Dollar in Umlauf kommt, muß die Wirkung derart sein, daß der materielle Ausstoß der Wirtschaft im Gegenwert von einem Dollar oder mehr gesteigert wird. Das impliziert z.B., daß wir kein neues Geld ausgeben dürfen, um laufende Verwaltungskosten der Regierung zu begleichen, und es nicht für rein finanzielle Operationen verwenden. Natürlich fließt neu ausgegebenes Geld im Endeffekt in den allgemeinen Pool der finanziellen Aktivitäten und erhöht so die für produktive wie für nichtproduktive Zwecke verfügbare Gesamtsumme. Wichtig ist, daß neu geschaffener Kredit mindestens einmal einen Zyklus erweiterter realer Produktion durchläuft und dort seine Arbeit tut, bevor er in diesen allgemeinen "Pool" einfließt. Auch eine Anzahl anderer Maßnahmen im Bereich von Steuern, Zöllen und Zinspolitik sind notwendig, aber sie alle gehen aus diesem gleichen entscheidenden Grundsatz hervor.

In der Großen Depression war es sehr leicht zu arrangieren, daß der neu ausgegebene Kredit eine unmittelbare realwirtschaftliche Erweiterung bewirkte. Damals gab es gewaltige Reserven an nicht beschäftigten Arbeitskräften und nicht ausgelastete Produktionskapazitäten, die sofort wieder arbeiten konnten. Wie Dräger und Lautenbach zeigten, hätte dies sogar einen deflationären Effekt. Insbesondere würde der Staat große Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung sparen, und diese würden sich in Löhne für die Produktion realer Güter verwandeln.

Interessanter wird es, wenn Hamiltonische Methoden unter Bedingungen angewandt werden, wo kein großer ungenutzter Pool für die Produktion da ist. In diesem Fall ist die physische Expansion eine direkte Funktion des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Die Hamiltonische Politik ist daher direkt mit der Förderung von Erziehung und wissenschaftlicher Forschung verknüpft sowie mit staatlich gestützten Projekten - wie heutzutage High-Tech-Infrastruktur, Erforschung und Kolonisierung des Weltraums, Entwicklung der Kernenergie etc. - , die den technischen Fortschritt beschleunigen und zur "Injektion" neuer Technologien in die Gesamtwirtschaft führen. Das führt uns in den Bereich der physikalischen Ökonomie, worüber an anderer Stelle gesprochen werden soll.

 

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