|
|
Von Alexander Hartmann
Die Landung der chinesischen Mondsonde Chang’e-4 auf der erdabgewandten Seite des Mondes am 2. Januar markiert den Beginn einer neuen Ära in der Geschichte der Menschheit. „Dies ist ein historischer Schritt in der internationalen wissenschaftlichen Erforschung des Mondes, der die luna incognita auf der erdfernen Seite des Mondes erstmals für die Erforschung seiner Oberfläche zugänglich macht“, kommentierte der Mondwissenschaftler James Head von der Brown University in Providence/Rhode Island den Erfolg.
Chinas staatlicher Fernsehsender CGTN sendete anläßlich der Landung eine Reihe kurzer pädagogischer Videos, in denen die Chang’e-4-Mission erklärt und in Chinas Mondforschungsprogramm eingeordnet wurde. Ouyang Ziyuan, der wissenschaftliche Leiter und Vater des chinesischen Mondforschungsprogramms, sprach in einem Interview über das Programm und über seine Entdeckung, daß das im Staub an der Mondoberfläche enthaltene Helium-3 ausreichen würde, um die Menschheit mit Hilfe der Kernfusion 10.000 Jahre lang mit Energie zu versorgen.
Zu diesem Zeitpunkt wurden die großen Vorteile, die die erdabgewandte Seite des Mondes für die Niederfrequenz-Radioastronomie bietet, bereits genutzt, als die chinesische Landesonde mit dem Queqiao-Satelliten zu einem Radioteleskop zusammengeschaltet wurde, das weit über unsere Galaxis hinausreicht und gegen Störungen von der Erde abgeschirmt ist. Gleichzeitig maß die Mondsonde auch die lokale Wasserkonzentration, im Hinblick auf zukünftige bemannte Landungen.
Die Führung der NASA reagierte begeistert und machte deutlich, daß sie sich von der chinesischen Mission eine Revolution im Verständnis des Ursprungs und der Evolution des Mondes und des Sonnensystems verspricht. NASA-Administrator Jim Bridenstine schrieb in einer Twitter-Mitteilung: „Glückwunsch an Chinas Chang’e-4-Team für die offenbar erfolgreiche Landung auf der erdfernen Seite des Mondes. Dies ist etwas Neues für die Menschheit und eine beeindruckende Leistung“, und der wissenschaftliche Leiter der NASA, Dr. Thomas Zurbuchen, twitterte: „Als Teil der internationalen Wissenschaftsgemeinde freuen wir uns darauf, mehr über diesen ziemlich unerforschten Teil unseres Mondes zu erfahren.“
Aber noch wichtiger ist die Rolle von Chang’e-4 im Fortschritt der Menschheit auf dem Weg, über die Erde hinaus in das Sonnensystem, in die Galaxis und in das übrige Universum vorzudringen, wozu die Menschheit im 20. Jahrhundert durch die großartigen Leistungen deutscher, amerikanischer und russischer Forscher aufgebrochen war, bevor die weiterreichenden Pläne nach den amerikanischen Mondlandungen 1969-72 abgebrochen wurden. Nun, zwei Generationen später, wird diese großartige Mission der Menschheit endlich wieder aufgegriffen. Man sollte sich dabei an die Worte des großen russischen Weltraumforschers Sergej Pawlowitsch Koroljow erinnern, der seinem Team in Baikonur nach dem erfolgreichen Start des Sputnik am 4. Oktober 1957 sagte: „Die Träume der besten Söhne der Menschheit wurden verwirklicht – der Vormarsch in den Weltraum hat begonnen.“
Während der chinesische Erfolg in der globalen Wissenschaftsgemeinde große Freude und Optimismus ausgelöst hat, zeigt er durch den Kontrast gleichzeitig auf, was in der westlichen Welt verloren gegangen ist, wo sich die Weltraumfahrt in den letzten Jahrzehnten zu einem politischen Fremdkörper entwickelt hat: Im Freund-Feind-Denken der Geopolitik hat die Kooperation mit dem Gegner keinen Platz, die Finanzwelt lenkt die Gelder lieber in Spekulationen als in nützliche Investitionen, und grüne Ideologen lehnen es ab, nach der Erde auch noch den Mond und den Mars durch eine menschliche Präsenz zu „verschmutzen“.
Alle diese Haltungen sind Ausdruck der Denkweise der westlichen Eliten, die in den letzten Jahrzehnten, seit dem Tod von Präsident Kennedy und erst recht seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, fast überall auf der Welt durchgesetzt wurde. Man glaubte, das „Amerikanische Jahrhundert“ sei angebrochen, es gebe nur noch eine Weltmacht – die anglo-amerikanische –, und das werde auch so bleiben; man müsse nur dafür sorgen, daß keine andere Macht oder Mächtegruppe jemals in die Lage käme, die Vorherrschaft des Westens in Frage zu stellen. Daran sollte sich nichts ändern – man glaubte, „das Ende der Geschichte“ erreicht zu haben, und deshalb war auch technologischer Fortschritt nicht mehr erwünscht.
Diese krankhafte Sichtweise hatte zur Folge, daß die Weltraumforschung ebenso wie andere Hochtechnologiebereiche nicht die Unterstützung erhalten hat, die sie verdient. So kritisierte Frank Borman, der Kommandeur der Apollo-8-Mission der NASA, die vor genau 50 Jahren erstmals den Mond auf einer Umlaufbahn umrundete, jüngst in einem Interview mit dem Magazin Politico, daß „die NASA nicht in der Lage war, eine konsistente Mission zu definieren“. Sämtliche Präsidenten hätten sich seitdem zwar zur Weltraumforschung bekannt, „aber keiner von ihnen hat sie ausreichend finanziert“.
Inzwischen zeigt sich, daß sich der Westen mit seiner Haltung in eine Sackgasse begeben hat. Rußland und China haben sich der Dominanz des Westens entzogen und sind dabei, ihn technologisch und wirtschaftlich zu überflügeln. Die Idee einiger westlicher Geopolitiker, diese Konkurrenz mit militärischen Mitteln niederzuhalten, ist angesichts der thermonuklearen Waffen absurd und undurchführbar.
Schon US-Präsident John F. Kennedy hatte dies erkannt. Im Juni 1963 sagte er in einer Rede an der American University in Washington:
„Von welcher Art Frieden spreche ich? Welche Art Frieden streben wir an? Es geht hier nicht um eine Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Auch geht es nicht um den Frieden des Grabes oder um die Sicherheit der Sklaven. Ich spreche von echtem Frieden, von der Art Frieden, die das Leben auf der Erde lebenswert macht, von der Art Frieden, durch die Menschen und Nationen wachsen, hoffen und für ihre Kinder die Grundlage einer besseren Zukunft legen können. Ich spreche nicht nur von Frieden für Amerikaner, sondern von Frieden für alle Männer und Frauen. Auch geht es nicht nur darum, daß in unserer Zeit Frieden herrscht, sondern für alle Zeiten.
Ich spreche von Frieden, weil sich das Gesicht des Krieges verändert hat. Totaler Krieg ist in einem Zeitalter sinnlos, in dem Großmächte viele und relativ unbezwingbare Atomwaffen unterhalten können und sich weigern, ohne Einsatz dieser Waffen zu kapitulieren. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die Explosion einer einzigen Atomwaffe nahezu zehnmal so stark ausfällt wie die Waffen aller alliierten Luftstreitkräfte des Zweiten Weltkriegs zusammen. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die tödlichen Gifte, die bei einem atomaren Austausch freigesetzt werden, mit Wind, Wasser, Erde und Saatgut in die entlegensten Winkel dieser Erde gebracht und Generationen, die noch nicht einmal geboren wurden, davon in Mitleidenschaft gezogen werden würden.“
Die Ironie ist, daß der Westen nur dann mit Rußland und China mithalten kann, wenn er sich ganz von seinem geopolitischen Konkurrenzdenken verabschiedet und erkennt, daß die Lösung nicht in der Konfrontation liegt, sondern in der Kooperation – einer Kooperation, wie sie in der Weltraumforschung schon heute praktiziert wird, und wie sie China mit seiner Seidenstraßen-Initiative der ganzen Welt anbietet.
Helga Zepp-LaRouche hat die notwendige, neue Herangehensweise im Oktober 2014 in ihrer Rede bei der Konferenz zum 30jährigen Bestehen des Schiller-Instituts beschrieben:
„Wir müssen die Lösung für die heutigen Probleme der Welt vom Standpunkt der Zukunft aus definieren: Wo wollen wir als Menschheit in zwei Generationen oder in hundert Jahren stehen? Wenn wir nicht in einem finsteren Zeitalter enden wollen, wo nur ein paar Millionen Menschen elendiglich in Höhlen vor sich hin vegetieren oder die Menschheit ganz untergeht, weil wir uns nicht rechtzeitig vom Britischen Empire befreien konnten, um die thermonukleare Auslöschung zu verhindern – dann müssen wir uns auf die Identität der Menschheit als einzige bisher bekannte kreative Gattung in diesem Universum zurückbesinnen.
Schaffen wir deshalb eine Massenbewegung für die gemeinsamen Ziele der Menschheit, für eine Vision der Zukunft – eine Welt, in der wir die Energie- und Rohstoffversorgung für die gesamte Menschheit gesichert haben, weil es inzwischen eine industrielle Basis auf dem Mond zum Abbau von Helium-3 für die Kernfusionsenergie gibt, für die Herstellung von Rohstoffen, mit denen wir eine Isotopenökonomie aufbauen können, für gezielte medizinische Therapien und für die Erzeugung einer Beschleunigung von 1 G im Weltraum, um mit konstanter Beschleunigung zu entfernten Himmelskörpern wie dem Mars und Asteroiden zu reisen. Und dann werden wir auch in der Lage sein, die Erde vor Asteroiden, Meteoriten und Kometen zu schützen.
Es wird neue wissenschaftliche Revolutionen geben, um herauszufinden, was unser Sonnensystem, unsere Galaxis und das Universum mit seinen Milliarden Galaxien wirklich ist. Die neue Sicherheitsarchitektur muß auf dieser Perspektive beruhen. Die Neue Seidenstraße ist nicht nur eine Verbindung zwischen den Ländern auf der Erde wie die alte Seidenstraße, sondern sie wird eine Weltlandbrücke sein, die alle Kontinente miteinander verbindet, aber sie wird die Menschheit auch zu den Sternen erheben, zu einem Denken auf der Ebene der coincidentia oppositorum, dem Zusammenfall der Gegensätze, wie es Nikolaus von Kues entwickelt hat.
Das muß die Identität der Menschheit in der Neuen Seidenstraße werden: Eine kreative Gattung, die in Übereinstimmung mit den Gesetzen der kosmischen Ordnung lebt.“
Die Weltraumfahrt und vor allem ihre Erfolge sind selbst wahrscheinlich das beste Mittel, ein solches Umdenken herbeizuführen. In ihrem Interview antworteten die beiden inzwischen 90jährigen Astronauten Borman und Lovell auf die Frage, ob wir so etwas wie die von Apollo-8 am Weihnachtstag 1968 aufgenommenen Bilder des Erdaufgangs brauchen, um die Menschen zusammenzubringen: „So etwas wie das wäre jetzt sehr hilfreich... Es war eine Art Geschenk der Apollo-8-Mannschaft an die Menschen auf der Erde... Wir mögen ein Planet von vielen, vielen Nationen sein, aber wir sind nur eine Welt.“