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Neue Solidarität
Nr. 15, 13. April 2017

Wofür steht Jacques Cheminade?

Das Wahlprogramm des Präsidentschaftskandidaten

Wie schon in der vergangenen Woche angekündigt, beleuchten wir in dieser Ausgabe die „Projekte“ des französischen Präsidentschaftskandidaten.

Cheminade identifiziert in seinem „Projekt“ – er benutzt dieses Wort anstelle von „Programm“ – drei Bereiche, die für Frankreich und seine Zusammenarbeit mit anderen Ländern – also für die gesamte Menschheit – von vorrangiger Bedeutung sind. Dies sind die Entwicklung Afrikas, Meereswirtschaft und -forschung sowie die Erforschung und Entwicklung des Weltraums.

Die Entwicklung Afrikas

Bei der Entwicklung Afrikas plädiert Cheminade für eine französisch-deutsch-italienisch-chinesische Zusammenarbeit, etwa bei dem großen Wasser- und Energieprojekt zum Wiederauffüllen des Tschadsees, dessen Austrocknen die Lebensgrundlage von 20 Millionen Menschen zerstört. Cheminade, der die Gegend des Tschadsees bereist hat (er war 2010 als Gast der Regierung zur 50-Jahrfeier der Republik Niger eingeladen, einem der vier Anliegerstaaten des Tschadsees), verweist auf den Transaqua-Plan des italienischen Ingenieurbüros Bonifica, durch dessen Anwendung das Problem gelöst werden kann. Nachdem Cheminade auf der Essener Konferenz des Schiller-Instituts im Oktober 2016 diesen Vorschlag gemacht hatte, kam es etwas später zur Unterzeichnung des Vertrages über die Erstellung einer Machbarkeitsstudie des Transaqua-Plans durch das chinesische Staatsunternehmen POWERCHINA, das auch beim Bau des gigantischen Drei-Schluchten-Staudamms in den Tälern des Jangtsekiang in Zentralchina federführend war. Die französisch-italienisch-chinesische Zusammenarbeit wäre damit gegeben. Doch wo bleibt die Unterstützung dafür aus Deutschland?

Die „blaue Ökonomie“

Unter „blauer Ökonomie“ ist die Bewirtschaftung des Meeres zu verstehen. Cheminade weist darauf hin, daß Frankreich mit seinen 11 Mio. km2 an eigenen Wirtschaftszonen in den Weltmeeren eine schlafende Meeressupermacht ist. Deshalb fordert er die Schaffung eines Ministeriums für maritime Angelegenheiten als nationale Priorität, in dessen Verantwortungsbereich Forschung, Fischfang bzw. -aufzucht, Meeresreinigung (z.B. von Plastikabfällen) und unterseeischer Bergbau fallen.

Das Gesamtgewicht der Mikropartikel aus Plastik wird nach Einschätzung von Forschern bis 2050 auf mehr als das Gesamtgewicht aller Fische in den Weltmeeren anwachsen! Cheminade glaubt, daß nur eine bio-geo-chemische Herangehensweise entsprechend Wernadskij das Problem im großen Maßstab lösen kann, mit biologischen statt mechanischen Methoden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Entdeckung  plastikfressender Bakterien durch japanische Forscher.

Was Fischfang bzw. -aufzucht betrifft, ist er für ein Verbot der Schleppnetzfischerei und für die Fischproduktion in Aquakulturen, die bereits jetzt anfängt, die Ergebnisse des freien Fischfangs mengenmäßig zu übertreffen. Die weiterhin bestehenden freien Fischfangkapazitäten der französischen Fischereiflotte bedürfen einer Modernisierung ihrer Motorausstattung (Flüssiggas- bzw. Hybridmotoren), und genau wie für die Landwirtschaft, ist für diese Modernisierung und Qualitätsverbesserung der Fischereiwirtschaft eine Anhebung des Einkommensniveaus der gesamten französischen Bevölkerung notwendig.

Der unterseeische Bergbau stellt angesichts der Tatsache, daß in den Tiefen der Weltmeere geschätzte 90% der Weltreserven an Mineralöl und 84% der Reserven an seltenen Metallen liegen, eine bedeutende Aufgabe dar.

Ein großer Bereich wird die maritime Forschung sein. Obwohl das Meer der am dichtesten mit Leben besiedelte Bereich des Planeten ist, sind uns kaum 1% seiner Flora und Fauna bekannt! Die Biodiversität der Meere ist eine Schatzkammer für die Gesundheit. Schon heute arbeiten Wissenschaftler in der Krebsbekämpfung mit 66 Molekülen maritimen Ursprungs, und das erste Mittel gegen AIDS (AZT) wurde aus dem Hering gewonnen. Mikroalgen wie Spirulina bieten sich als komplementäre Nahrungs- und Düngemittel bzw. Medikamente an, die auch in der Weltraumfahrt Anwendung finden.

Erforschung und Entwicklung des Weltraums

Der Bereich der Weltraumforschung ist der bei weitem umfangreichste in Cheminades Programm. Er stellt von vornherein fest, daß ein Weltraumprogramm einen langfristigen Charakter haben muß und nicht der kurzfristigen Gewinnmaximierung unterworfen sein darf, und auch nicht in einer gesellschaftlichen Umgebung stattfinden kann, die von allgemeinem Niedergang und Verfall charakterisiert ist. Denn es geht um die Lebensgrundlage der Menschheit der Zukunft. Deshalb spricht er in diesem Zusammenhang auch von der grundlegenden wirtschaftlichen Entwicklung der Dritten Welt als notwendiger Startrampe für die Erforschung des Weltraums.

Als technische und wirtschaftliche Etappen, ausgehend vom heutigen Stand, legt er folgende Schritte fest:

Um diese Schritte unternehmen zu können, bedarf es einer langfristigen Perspektive mit einer

Außerdem fordert Cheminade die Schaffung eines satellitengestützten Überwachungssystems für Himmelskörper, die sich möglicherweise auf Kollisionskurs mit der Erde befinden.

Zuguterletzt weist er nochmals darauf hin, daß ein derartiges, notwendiges Weltraumprogramm nur geschaffen werden kann, wenn die dafür notwendige „Mutation“ der Wirtschaft weg von heute bestehenden unnützen Dienstleistungen (unterqualifizierter Arbeit mit geringer Kapitalintensität und unmoralischen oder sogar kriminellen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Finanzspekulation, wie auch der Arbeitslosigkeit) bewerkstelligt wird. An deren Stelle muß die Höherqualifizierung der Beschäftigten in der Volkswirtschaft treten.

Unter all diesen Aspekten betrachtet, ist das Weltraumprogramm der entschiedenste Ausdruck des Willens, eine politische Veränderung herbeizuführen und jene Männer und Frauen den Taktstock übernehmen zu lassen, die eine Perspektive des Lebens für ihre unmittelbare Umgebung und die Menschheit als ganzer haben.

Europäische Union, Euro und Sanktionen gegen Rußland

Was die EU und den Euro betrifft, plädiert Cheminade für eine Ablösung der EU in ihrer heutigen supranationalen Form durch ein gaullistisches „Europa der Vaterländer“. In seiner beruflichen Karriere war er u.a. als „haut fonctionnaire“ Repräsentant Frankreichs in Brüssel und kennt die Mechanismen der EU-Bürokratie und den ausufernden Einfluß des Lobbyismus. Natürlich will er ein Band von Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen Staaten erhalten wissen - allerdings eines der Zusammenarbeit, und nicht eines der Aufgabe und Unterordnung der jeweiligen nationalen Souveränität unter die supranationale Brüsseler Bürokratie.

Der Euro als europäische Währung muß aufgegeben werden, denn auch er ist nur ein Ausdruck der nicht mehr vorhandenen nationalen Souveränität und der Abhängigkeit von Wall Street und Londoner City, was sich personell u.a. am Einfluß der Wall-Street-Bank Goldman Sachs in relevanten politischen Positionen zeigt. Statt des Euro würde es dann einen Euro-Franc, eine Euro-Mark usw. geben, die untereinander ihre Währungsbeziehungen aushandeln müßten. Eine verbindende Rolle als Verrechnungseinheit  könnte die früher schon benutzte ECU spielen.

Cheminade bezeichnet sich selbst als „linken Gaullisten“ und ist in dieser Tradition für eine Zusammenarbeit vom Atlantik nicht nur bis zum Ural, sondern bis zum Chinesischen Meer. Die chinesische Win-Win-Politik einer Neuen Seidenstraße bzw. von „Gürtel und Straße“ wie auch die Entwicklungsperspektive der BRICS-Staaten finden seine begeisterte Zustimmung.

In den Beziehungen zu Rußland ist Cheminade für eine Beendigung der Sanktionen, die in ihren negativen Auswirkungen letzten Endes nur die französische Wirtschaft bzw. die anderen westlichen Volkswirtschaften treffen. Außerdem sieht er in der von Obama und der britischen Regierung eingeschlagenen Politik gegenüber Rußland die große Gefahr einer Zuspitzung der Lage, die sich in einem dritten, diesmal atomaren Weltkrieg entladen könnte. In dieser Hinsicht zögert er keinen Augenblick, sich für ein Verlassen der NATO auszusprechen, ein Schritt, den DeGaulle 1966 selbst vollzog.

Sicherheitspolitik

Die Frage der nationalen Sicherheit betrachtet Cheminade nicht primär unter dem militärischen Aspekt, sondern in Hinsicht auf den sozialen Frieden und der Förderung des französischen Entwicklungspotentials. Sie ist somit in erster Linie der Kampf gegen den Finanzliberalismus, der die soziale Lage der Arbeitnehmer immer weiter verschlechtert.

Um auf diesem Gebiet in sozialer Hinsicht erfolgreich zu sein, braucht der Staat wieder die Souveränität über die eigene Währung, „denn der Staat und seine Nationalbank, in Verbindung mit anderen Staaten, sind die einzigen Institutionen, die über die Mittel verfügen, die Diktatur [des Finanzliberalismus] zu bekämpfen, unter der Bedingung, daß es sich um einen Staat handelt, bei dem die politische, wirtschaftliche und soziale Beteiligung des Bürgers inbegriffen ist.“ Hier schließt sich der Kreis zu seiner schon weiter oben dargestellten Haltung gegenüber EU und Euro.

Zur Frage der nationalen Sicherheit gehören auch soziale Sicherheit und Sicherheit der Arbeitsplätze. In Bezug auf erstere plädiert Cheminade für die Krankenversicherung für jeden  mit 100prozentiger Kostenerstattung. Arbeitsplatzsicherheit impliziert die beständige Weiterbildung der Bevölkerung in Zukunftstechnologien.

Kultur und Erziehung

Cheminade fordert die Klassische Kultur für alle als wesentliche Grundlage der Republik! Diese ästhetische Erziehung muß dazu führen, daß der einzelne Bürger im allgemeinen Interesse handeln kann, aber nicht durch äußeren Zwang, sondern aufgrund innerer Überzeugung.

Schon im Kindergarten muß eine Spracherziehung mit der Ausbildung der Liebe für die Muttersprache und der Erweiterung des Wortschatzes einsetzen, um möglichst weitgehend die Unterschiede von sozialer Herkunft und damit zusammenhängenden Bildungschancen auszugleichen. Das ist die wesentliche Grundlage für alles darauf Folgende. Im weiteren Bildungsgang geht es um das Vertrautmachen der Schüler mit dem Besten, was der menschliche Geist in seiner Geschichte hervorgebracht hat.

In der Sekundarstufe I  (d.h. ab elf Jahren) sollten die Schüler mit dem Prinzip der Entdeckung bekannt gemacht werden, und in der Sekundarstufe II sollte ihnen in Ansätzen auch schon die spätere berufliche Bildung vermittelt werden.

Öffentliche Sicherheit

Rechtsfreie Räume darf es in einem Staat nicht geben; Polizei und Aufklärung von Straftaten vor Ort müssen in der Bevölkerung  verankert sein. Besonders der Kampf gegen den Terrorismus muss als gemeinsame Aufgabe gesehen werden, wie ein Dienst am Staat. Diese Teilnahme der gesamten Bevölkerung ist Garant der öffentlichen Sicherheit, entlastet Polizei und Militär für andere Aufgaben und verschafft ihnen eine Atempause von der ständigen Überbeanspruchung.

Hans Peter Müller