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Neue Solidarität
Nr. 33, 18. August 2016

Produktivität sinkt, Armut wächst

Das US-Arbeitsministerium meldete am 9. August, daß die Arbeitsproduktivität in der US-Wirtschaft im zweiten Quartal 2016 um 0,5% gefallen ist - das dritte Quartal in Folge, in dem die Produktivität sank. Die Arbeitsproduktivität ist inzwischen um 0,9% geringer als vor einem Jahr.

In den Fachmedien heißt es, diese Entwicklung komme „unerwartet“, da in einer Umfrage Ökonomen im Durchschnitt noch einen Anstieg um 0,4% prognostiziert hatten, wie Bloomberg News schreibt. In Wirklichkeit kann es wohl kaum „unerwartet“ sein, da die Phase stagnierender oder sinkender Produktivität nunmehr schon fast sechs Jahre andauert.

Eine der Hauptursachen des Produktivitätsverlusts ist der Rückgang der Kapitalinvestitionen der Unternehmen in neue oder modernisierte Fabriken, Anlagen und Technologien. Bloomberg führt dies auf einen Rückgang der Nachfrage und sinkende Unternehmensgewinne zurück. Tatsächlich liegt die Ursache der Stagnation der Arbeitsproduktivität jedoch in den fehlenden Investitionen in neue Infrastrukturplattformen und neue Technologiemissionen, wie etwa vor 50 Jahren die Herausforderungen des Apollo-Mondlandeprogramms. Und die Gelddruckorgien der Federal Reserve und anderer Zentralbanken seit dem Krach 2008, die nur die Spekulation mit Aktien und Wertpapieren anheizen, haben die Produktivität nur noch weiter absinken lassen.

Nach dem Bericht des Arbeitsministeriums sind die durchschnittlichen Wochenlöhne 2,5% höher als im Vorjahr, aber die Arbeitskosten der Wirtschaft – Löhne und Gehälter, Leistungen und Sozialversicherungskosten – nur um 2%.

„Ärmer als ihre Eltern?“

Nicht nur in den Vereinigten Staaten, in der gesamten transatlantischen Welt sind die Einkommen seit einem Jahrzehnt tendenziell gesunken. Dies ergab eine Langzeitstudie des mit der Unternehmensberatung McKinsey verbundenen McKinsey Global Institute (MGI), an der viele führende Ökonomen mitwirkten. Die Haushaltseinkommen in 25 entwickelten Ländern stagnierten oder fielen demnach in dem Jahrzehnt von 2005-15 fast überall. Die Studie zeigt auch, daß der Anteil der Löhne und Zusatzleistungen am BIP in diesem Jahrzehnt in fast allen entwickelten Ländern zurückgegangen ist – eine typische Folge der Globalisierung und Freihandelsabkommen.

Die erschreckendste Feststellung ist, daß 65-70% aller Haushalte in den „entwickelten Ländern“ 2015 weniger Geld verdienen als 2005. Ihr „verdientes Einkommen“ aus Löhnen, Gehältern und Leistungen, Gewinnen aus Unternehmen und Vermögen etc. ist im Lauf des Jahrzehnts gesunken. Dieses „Problem der stagnierenden und sinkenden Einkommen in den entwickelten Ländern“, wie MGI es bezeichnet, trifft zwischen 540 und 580 Millionen Menschen. Besonders auffällig ist das im Kontrast zu China, wo die Einkommen der Bevölkerung seit Ende des 20. Jahrhunderts so stark angestiegen sind, daß 600 Millionen Menschen aus der Armut befreit wurden.

MGI berichtet auch, daß diese Verarmung in den westlichen Ländern zwischen 2005 und 2015 ganz im Gegensatz zu der Entwicklung in denselben Ländern im Jahrzehnt 1993-2003 steht, als nur 2% der Haushalte einen Einkommensverlust hinnehmen mußten.

McKinsey betrachtete auch die staatlichen „Transferzahlungen“ wie Sozialhilfe, Zuschüsse zu Mieten, Nahrungsmitteln, Krankenversicherungen, Lebensmittelmarken etc. Diese Leistungen sind in den meisten westlichen Ländern nach dem globalen Finanzkrach 2007-08 drastisch angestiegen. Zählt man diese staatlichen Leistungen zum „verdienten Einkommen“ hinzu, dann ist das „verfügbare Einkommen“ nur für 25% der Haushalte gesunken, aber das sind immer noch 170-200 Millionen Menschen.

Der Rückgang der „verdienten Einkommen“ von 65-70% der Haushalte zwischen 2005 und 2015 ist ein klarer Ausdruck des Rückgangs der realen wirtschaftlichen Aktivität und Produktivität in diesen Ländern. Noch schlimmer ist, daß rund 40% der Haushalte von Personen zwischen 30 und 40 Jahren („Generation Y“) gemessen am „verfügbaren Einkommen“ sogar einen Verlust erlitten. Der jüngere Teil der Bevölkerung ist also besonders stark von der Verarmung betroffen. Deshalb lautet der Titel dieser schockierenden Untersuchung auch: „Ärmer als ihre Eltern?“

pbg