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Von Alexander Hartmann
„Der Gipfel der G7-Zwerge“ - so charakterisierte die Bild-Zeitung das Treffen der Staats- und Regierungschefs der G7-Nationen in Ise-Shima in Japan, und damit lag das Blatt diesmal ausnahmsweise ziemlich richtig. Aber das lag nicht bloß daran - wie Ralf Schuler seine Überschrift rechtfertigt -, daß praktisch alle dort versammelten Regierungschefs immer mehr an Einfluß verlieren. Die Charakterisierung ist vor allem deshalb richtig, weil wieder einmal, wie Friedrich Schiller es einst in Bezug auf die Französische Revolution formulierte, „der große Moment... ein kleines Geschlecht“ gefunden hat. Denn anstatt Rußland und China die Hand zu reichen zum wirtschaftlichen Aufbau der Welt im gemeinsamen Interesse der Menschheit, beharrten die G-7 auf ihrer bisherigen Politik, die immer tiefer in eine Konfrontation gegen Rußland und China und in die Wirtschaftskrise hineinführt.
Dies zu erkennen, ist natürlich nicht Sache der Bild-Zeitung, die sicherlich vieles von dem, was die G7-Chefs in ihrer Abschlußerklärung sagen, bedenkenlos unterschreiben würde. Tatsächlich ist diese Abschlußerklärung Ausdruck eben jenes Denkens, das nicht zu Lösungen führen kann, weil es selbst das eigentliche Problem ist, das es zu überwinden gilt.
Dies gilt für die Konfrontationshaltung gegenüber Rußland und China ebenso wie für das meiste, was zu Fragen der Wirtschaft gesagt wird. Angesichts der wachsenden Gefahr einer thermonuklearen Konfrontation zwischen West und Ost, vor der immer mehr Experten warnen, wirkt es geradezu lächerlich, daß sich im vorderen Teil der Erklärung volle sechs (!) der insgesamt 41 Seiten mit Fragen des Gesundheit und jeweils zwei weitere mit dem angeblich vom Menschen gemachten Klimawandel und der Rolle der Frauen befassen, während die außenpolitischen Fragen erst in der hinteren Hälfte der Erklärung behandelt werden. Und noch dazu gießen die Passagen über Rußland und die Ukraine sowie den Inselkonflikt im Südchinesischen Meer noch mehr Öl ins Feuer, anstatt es zu löschen.
Meine Damen und Herren Regierungschefs: Wenn es nicht gelingt, die Kriegsgefahr abzuwenden, dann brauchen wir uns über die Gesundheit, den Klimawandel und die Rolle der Frauen keine Gedanken mehr zu machen!
Natürlich ist klar, daß das, was in solchen Abschlußerklärungen zu Papier gebracht wird, stets nur ein Kompromiß ist, und es ist davon auszugehen, daß hinter den verschlossenen Türen des Gipfels vieles gesagt wurde, was sich nicht in der Erklärung wiederfindet, weil es nicht gelang, einen Konsens darüber zu finden.
Das dürfte beispielsweise bei den wirtschaftlichen Fragen der Fall gewesen sein. Japans Premierminister Abe sagte in der Pressekonferenz nach dem ersten Tag der Gespräche bezüglich der weltwirtschaftlichen Lage: „Wir stehen vor einer großen Krise und großen Risiken.“ Die Tageszeitung Yomiuri Shimbun berichtete: „Der Premierminister verglich die gegenwärtige Lage mit der vor der globalen Finanzkrise, die durch den Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers ausgelöst wurde, und die G7-Führer teilten die Sicht, daß die Weltwirtschaft sich an einer Wegscheide befinde, sagte eine Quelle in der Regierung nach der Sitzung.“
In der Abschlußerklärung heißt es jedoch zur Lage der Weltwirtschaft: „Der Aufschwung der Weltwirtschaft hält an.“ Reuters zufolge denkt Präsident Obama offenbar, daß es der Wirtschaft recht gut geht: „Herr Obama wies auf den Aufschwung hin, der sich in den USA vollziehe, und auf einige Fortschritte in der europäischen Wirtschaft und sagte, eine Vereinbarung, die am Mittwoch bezüglich der griechischen Schuldenkrise getroffen wurde, sollte hilfreich sein.“
In der Abschlußerklärung heißt es zwar: „Das weltweite Wirtschaftswachstum ist von höchster Priorität“, und es müßten alle zur Verfügung stehenden politischen Mittel genutzt werden, um die weltweite Nachfrage anzukurbeln. Aber was sind diese Mittel? „Geld-, Fiskal- und Strukturpolitik“. Quasi noch im gleichen Atemzug wird dann betont, der Schuldenstand sei „auf einen tragfähigen Pfad zu führen“, nur wenige Absätze später heißt es: „Wir ermutigen auch zu Anstrengungen zur Handelsliberalisierung durch regionale Handelsabkommen wie die Transpazifische Partnerschaft (TPP), das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen Japan und der EU, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA).“ Und anstatt die beklagten „globalen Überkapazitäten in Industriezweigen, insbesondere in der Stahlindustrie“ durch weltweite große Infrastrukturinitiativen nach dem Vorbild der chinesischen Seidenstraßen-Initiativen auszulasten, wird gefordert, diese Überkapazitäten abzubauen, „indem marktverzerrende Maßnahmen abgebaut werden und auf diese Weise die Funktionsfähigkeit der Märkte gestärkt wird“.
Mit anderen Worten: Man hält am bisherigen Kurs in der Wirtschaftspolitik fest und will diesen, wenn überhaupt, nur verstärken. Es ist klar, daß immer das Gleiche auch immer nur immer das Gleiche erzeugen wird.
Wenn Abe bei dem G7-Gipfel etwas lernen konnte, dann das, daß er tatsächliche Partner für die Revitalisierung der japanischen Wirtschaft nicht unter den G7 finden wird, solange diese an ihrem bisherigen Denken festhalten. Dabei mußte ihm der starke Kontrast zu seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin Anfang des Monats in Sotschi sicher auffallen. Bei diesen Gesprächen stand die wirtschaftliche Kooperation in Eurasien und speziell im russischen Fernen Osten im Mittelpunkt, ebenso wie beim anschließenden Rußland-ASEAN-Gipfel (ebenfalls in Sotschi), der unter dem Motto stand „Auf dem Weg zu einer strategischen Partnerschaft im Interesse des Gemeinwohls“.
Chinas Außenminister Wang Yi, der bei einer Pressekonferenz in Beijing auf den G7-Gipfel angesprochen wurde, brachte es auf den Punkt und riet der japanischen Führung, lieber mit China zusammenarbeiten, um die asiatische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, anstatt sich Sorgen über Dinge zu machen, die Japan nicht betreffen. Chinadaily.com zitierte Wang: „Wenn Japan sich beim G7-Gipfel auf Entwicklungsfragen konzentriert, die die Welt betreffen, insbesondere die Länder in der Region, und sich mit den G20 koordiniert und mit China kooperiert, dann können wir bei der Revitalisierung der asiatischen Wirtschaft zusammenarbeiten. Ich denke, das ist es, was die asiatischen Länder wollen.“
Der Verstärkung der Zusammenarbeit zur Lösung der globalen Probleme zwischen den asiatischen Ländern diente auch der viertägige Besuch des indischen Staatspräsidenten Pranab Mukherjee in China. In einer Rede vor Studenten und Lehrkräften der Universität Beijing über das Thema „Die indisch-chinesischen Beziehungen: acht Schritte zu einer bevölkerungszentrierten Partnerschaft“ sagte Präsident Mukherjee am 26. Mai: „Indien und China sind dazu bestimmt, eine bedeutende und konstruktive Rolle im 21. Jahrhundert zu spielen. Wenn Inder und Chinesen zusammenkommen, um globale Herausforderungen anzugehen und auf unseren gemeinsamen Interessen aufzubauen, dann wird es keine Grenzen dafür geben, was unsere beiden Völker gemeinsam erreichen können“, zitierte ihn Press Trust of India (PTI).
Mukherjee, der in Indien schon lange vor seinem Aufstieg ins Präsidentenamt eine zentrale Rolle in den Beziehungen zu China spielte, betonte in seiner Rede, direkte Begegnungen zwischen den Menschen der beiden Länder seien wichtig, um Vorurteile zu überwinden, die die bilateralen Beziehungen stören könnten. „Beide Seiten sollten darauf hinarbeiten, sicherzustellen, daß wir unsere kommenden Generationen nicht belasten, indem wir ihnen ungelöste Probleme hinterlassen“, sagte Mukherjee, aber „sowohl Indien wie China sind ,junge’ Gesellschaften. Unsere Jugend teilt gemeinsame Hoffnungen und Eindrücke... Ein größerer Austausch zwischen den Instituten der höheren Bildung, mehr Kulturfestivals und gemeinsame Forschungs- und Stipendienprogramme können dazu beitragen, die Vorstellung zu beseitigen, daß wir auf den Westen und nicht aufeinander schauen müssen, um Fortschritte in Bildung, Wissenschaft und Technik zu machen.“
Als Vorbild für diese Zusammenarbeit verwies Mukherjee auf den kulturellen Austausch in der Geschichte: „Schon im 6. Jahrhundert zogen Orte der Gelehrsamkeit auf dem Indischen Subkontinent - wie Nalanda, Takshashila, Vikramashila, Vallabhi, Somapura und Odantapuri - Gelehrte an und pflegten Kontakte und akademischen Austausch mit den berühmten Institutionen anderer Länder der Region und darüber hinaus. Takshashila war unter den indischen Universitäten sozusagen die ,bestvernetzte’, ein Treffpunkt von vier Zivilisationen: der indischen, persischen, griechischen und chinesischen. Viele bekannte Persönlichkeiten kamen nach Takshashila: Panini, Alexander, Chandragupta Maurya, Chanakya, Charaka und die chinesischen buddhistischen Mönche Faxian und Xuangzang.“
Gleichzeitig kündigte das russische Außenministerium eine zweitägige Sonderkonferenz in Moskau am 30.-31. Mai an, mit dem Titel „Rußland und China: auf dem Weg zu einer neuen Qualität der bilateralen Beziehungen“. Dabei wird es, wie die Sprecherin des Außenministeriums sagte, insbesondere darum gehen, „die Eurasische Wirtschaftsunion und den Wirtschaftsgürtel der Seidenstraße miteinander zu verbinden. Sie werden auch darüber beraten, optimale Voraussetzungen für die Bildung eines wirtschaftlichen und politischen Umfelds im eurasischen Raum zu schaffen, das auf neuen Prinzipien beruht.“
Wenn Japan tatsächlich in diese Richtung mitgeht, dann besteht, wie Lyndon LaRouche in den letzten Tagen mehrfach betonte, die Aussicht auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Rußland, Indien, China und Japan in Asien, vom politischen und wirtschaftlichen bis zum Sicherheitsbereich. Es wäre praktisch eine Revolution für Asien und die Welt. „Dies ist eine große, mächtige Kraft, die immer mehr zum Ausdruck kommt, und sie wird der entscheidende Faktor sein, wenn die Menschheit überlebt.“
Ob sich Europa in einen neuen Krieg gegen Rußland zwingen läßt (der dann der letzte wäre), oder ob es sich den eurasischen Bemühungen für wirtschaftliche Entwicklung anschließt, in deren Mittelpunkt China und Rußland stehen, ist derzeit eine Frage, um deren Antwort intensiv gerungen wird. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, sie richtig zu beantworten, denn der Weg, den die G7 in ihrer Abschlußerklärung vorzeichnet, führt jedenfalls nur noch tiefer in die Wirtschaftskrise hinein, die das eigentliche Motiv für Obamas Konfrontationspolitik gegenüber Rußland und China ist, auch wenn er die Existenz dieser Krise bestreitet.