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Neue Solidarität
Nr. 21, 26. Mai 2016

Afrika fehlt die grundlegende Infrastruktur

Ein Interview mit Helga Zepp-LaRouche

Helga Zepp-LaRouche beantwortete am 6. Mai Fragen des New Yorker Korrespondenten der kamerunischen Zeitschrift „Intégration“,1 Celestin Ngoa Balla, der am 7. April an der New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts teilgenommen hatte.

Helga Zepp-LaRouche: Im Mittelpunkt dieser Konferenz in New York standen die Kriegsgefahr, die phantastischen Durchbrüche beim Aufbau der Neuen Seidenstraße in verschiedenen Ländern, Wissenschaft für die Zukunft und Dialog der Kulturen. Am besten gehen Sie auf unsere Internetseiten und schauen sich es selbst an (www.schillerinstitute.org, newparadigm.schillerinstitute.com). Und wir werden noch weitere solche Veranstaltungen durchführen.

Zepp-LaRouche: Ich war bereits bei Konferenzen in Khartum (Sudan) und Abuja (Nigeria), und ich arbeite seit Anfang der 1970er Jahre an einem Entwicklungsprogramm für Afrika. Es liegt also nicht am Mangel an Interesse, sondern an Gelegenheiten.

Zepp-LaRouche: Weil die gegenwärtige Weltordnung, die im allgemeinen „Globalisierung“ genannt wird, vollkommen bankrott ist - finanziell ebenso wie moralisch. Die Notwendigkeit einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung ist heute noch viel dringender als vor 50 Jahren, als die Blockfreien-Bewegung eine Neue Weltwirtschaftsordnung gefordert hat. Die große humanitäre Krise, die darin zum Ausdruck kommt, daß heute viele Millionen Menschen vor Krieg, Hunger und Armut aus Südwestasien und Afrika fliehen und ihr Leben riskieren, um zu versuchen, nach Europa zu gelangen, das seine Grenzen verschließt, ist ein niederschmetterndes Urteil über alle, die versuchen, ein System zu erhalten, das nur wenigen Menschen dient und Milliarden Menschen schadet. Die Menschheit ist an eine Wegscheide gekommen, wo wir entweder ein neues Paradigma finden, das die Interessen aller Menschen berücksichtigt, die auf diesem Planeten leben, oder wir werden noch tiefer in ein Finsteres Zeitalter oder sogar in einen Dritten Weltkrieg stürzen.

Zepp-LaRouche: Ich sehe nicht, daß diese Konferenz in der Praxis irgend etwas geleistet hätte, um an der Korruption des gegenwärtigen Systems etwas zu ändern. Denken Sie nur an die ungeheure Menge der Verbrechen, an denen das transatlantische Finanzsystem beteiligt ist, was die sog. „Panama Papers“ enthüllen, wo die Banken systematisch Steuerhinterziehung und andere illegale Aktivitäten organisierten, was nur die Spitze des Eisbergs ist, oder die Manipulation des LIBOR-Zinssatzes, mit der die Menschen um dreistellige Milliardensummen betrogen wurden, oder die Geldwäsche von Banken wie der HSBC. Diese Richtlinien sind bisher nur leere Worte.

Zepp-LaRouche: Die Tragödie ist, daß in Afrika viele Staatsmänner, die für das Gemeinwohl ihrer Völker gekämpft haben, ermordet wurden und durch Laufburschen des kolonialen Systems ersetzt wurden, das immer noch existiert, beispielsweise in Form der Kreditauflagen des Weltwährungsfonds. In seinem Buch Bekenntnisse eines Economic Hitman beschreibt John Perkins sehr gut, wie dieses System bis heute arbeitet. Und man muß auch sehen, daß solche wohlklingenden Worte wie „Demokratie“ und „Menschenrechte“ oft zum Synonym für ausländische Interventionen geworden sind, um solche Leute an die Macht zu bringen, die dem Interesse des transatlantischen Finanzsystems dienen.

Zepp-LaRouche: Absolut! Es ist mehr als notwendig, angesichts der extremen Armut in vielen Regionen und Ländern Afrikas. Und es ist eine realistische Möglichkeit für die nahe Zukunft. China hat angefangen, die Neue Seidenstraße und die Maritime Seidenstraße aufzubauen, woran bereits mehr als 60 Länder mitarbeiten. Meine Organisation, das Schiller-Institut, hat eine 370 Seiten lange Studie darüber erstellt, wie aus der Neuen Seidenstraße die Weltlandbrücke wird, und sie enthält einen großen Abschnitt über entscheidende Entwicklungsprojekte für Afrika, die die Lage vollkommen verwandeln würden. Das sind vor allem große Infrastrukturprojekte als unverzichtbare Voraussetzung für die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie, aber auch Wasserprojekte, Energieproduktion und -verteilung und neue Städte.

Allerdings würde ich das nicht „Marshallplan“ nennen, denn die Verlängerung der Neuen Seidenstraße nach Afrika sollte nicht den Beigeschmack des Kalten Krieges haben, sondern eine Win-Win-Perspektive für alle Beteiligten sein.

Zepp-LaRouche: Ich denke, ich habe diesen Spitznamen bekommen, weil ich mich seit 25 Jahren für die Neue Seidenstraße einsetze, denn das war es, was mein Ehemann und ich vorgeschlagen haben, als 1991 die Sowjetunion auseinanderbrach. Damals bezeichneten wir es als die Eurasische Landbrücke oder die Neue Seidenstraße, und das war der Vorschlag, die Bevölkerungs- und Industriezentren Europas und Asiens durch Entwicklungskorridore miteinander zu verbinden und so die landeingeschlossenen Gebiete des eurasischen Kontinents zu erschließen. Wir haben seither buchstäblich Hunderte von Konferenzen und Seminaren in aller Welt über dieses Thema veranstaltet.

Die gute Nachricht ist, daß Chinas Präsident Xi Jinping 2013 die Neue Seidenstraße zur offiziellen Politik Chinas erklärt hat, um in der Tradition der antiken Seidenstraße die Völker durch den Austausch von Waren, Technologien, Kulturen und Ideen miteinander zu verbinden. In den zweieinhalb Jahren seitdem hat das Projekt ein enormes Tempo erreicht, und es ist derzeit die einzige positive Perspektive auf dem Planeten.

Zepp-LaRouche: Wenn man sich eine Landkarte von Afrika anschaut, dann sieht man, daß die grundlegende Infrastruktur fehlt. Die wenigen Eisenbahnlinien und Straßen sind nicht viel besser als in der Kolonialzeit, wo sie nur zu dem Zweck gebaut wurden, Rohstoffe auszubeuten.

Im wesentlichen bedeutet es also den Bau integrierter Hochgeschwindigkeitsbahnen, Schnellstraßen, Wasserstraßen, aber auch Investitionen in fortgeschrittene Technologien und Bildung. Das würde nicht nur in sehr kurzer Zeit Armut, Hunger und Krankheiten überwinden, sondern auch bedeuten, so schnell wie möglich den Sprung zu modernsten Technologien zu machen und vom Vorbild des chinesischen Wirtschaftsmodells zu lernen, das in den letzten 25 Jahren dieses spektakuläre Wirtschaftswunder hervorgebracht hat.

Dieses Modell beruht genau auf der gleichen Wirtschaftstheorie, die auch die Grundlage für das deutsche Wirtschaftsmodell der Nachkriegszeit bildete. Im Prinzip kann dieses Modell überall nachvollzogen werden, wenn man sich auf die bestmögliche Ausbildung der Bevölkerung konzentriert und die Kreativität fördert.

Afrika kann sein enormes menschliches Kapital zur Entwicklung der gesamten Menschheit einbringen. Je mehr Menschen die Projekte und das Denken hinter der Neuen Seidenstraße studieren, desto schneller kann sie auf die Tagesordnung gesetzt werden. In einigen Ländern gibt es bereits Studiengruppen, die ein- oder zweimal pro Woche zusammenkommen und die Theorie der physischen Ökonomie studieren, die auf Gottfried Wilhelm Leibniz zurückgeht und von meinem Ehemann Lyndon LaRouche weiterentwickelt wurde.

Zepp-LaRouche: Wie jeder leicht erkennen kann, betreiben die Vereinigten Staaten und die NATO derzeit eine Einkreisungsstrategie gegen Rußland und China, die einen sehr gefährlichen Punkt erreicht hat. Der Grund dafür ist, daß das transatlantische Finanzsystem vollkommen bankrott ist und einige oligarchische Kreise ihre Macht durch Chinas Aufstieg bedroht sehen.

Profitieren würde davon niemand, ein Dritter Weltkrieg mit thermonuklearen Waffen würde zur Auslöschung der menschlichen Gattung führen.

Zepp-LaRouche: Nun, man braucht auch ein neues Finanzsystem, um das gegenwärtige, bankrotte System durch ein Kreditsystem zu ersetzen, mit einer Glass-Steagall-Bankentrennung, wie Franklin Roosevelt sie einführte.

Aber die neue Wirtschaftsordnung wird nur dann funktionieren, wenn es uns gelingt, die gegenwärtige bösartige und häßliche Kultur, die das Denken der Menschen auf eine sehr destruktive Weise prägt, zu verändern.

Wir müssen die besten Traditionen jeder Kultur wiederbeleben und dann einen Dialog zwischen den besten Errungenschaften jeder Zivilisation und Kultur führen. Auf diese Weise fangen die Menschen an voneinander zu lernen, Chauvinismus und Fremdenhaß verschwinden, und durch diese Wiederbelebung wird dann der Boden bereitet für die Schaffung einer neuen Renaissance.

Zepp-LaRouche: Es gibt klar ersichtliche Pionierbereiche der Wissenschaft, die zu einer völlig neuen Plattform der wirtschaftlichen Aktivität führen werden. Ein solches Gebiet ist die Erforschung der Kernfusion. Durchbrüche sind schon bald zu erwarten, sowohl beim Stellarator-Modell in Greifswald in Deutschland - wo es im Februar Wissenschaftlern gelang, ein mehrere Millionen Grad heißes Plasma für eine Zehntelsekunde aufrechtzuerhalten, und das Ziel ist, bis 2020 ein stabiles Plasma für 30 Minuten zu erreichen, das viel heißer ist als unsere Sonne - als auch in Bezug auf einen neuen Durchbruch bei einem anderen Reaktortyp in China, dem Experimentellen Fortgeschrittenen Supraleitenden Tokamak (Experimental Advanced Superconducting Tokamak, EAST) im Institut für physikalische Wissenschaften in Hefei. Eine Wirtschaft auf der Grundlage von Kernfusion bedeutet Energie- und Rohstoffsicherheit für die gesamte Menschheit. Ein weiterer Bereich ist die Weltraumforschung und Weltraumfahrt.

Eine kulturelle Renaissance bedeutet, daß die Gesellschaft endlich wieder menschlich wird, was in der Vergangenheit immer nur für kurze Perioden der Fall war: die Gupta-Periode in Indien, bestimmte Dynastien in China wie die Song-Dynastie, die Periode der Abbasiden in der arabischen Welt, die italienische Renaissance, das goldene Zeitalter von Timbuktu oder die Periode der deutschen Klassik. Eine neue Renaissance würde bedeuten, daß diese Art des Denkens der Maßstab und die Grundlage für neue Durchbrüche der Kreativität in allen Bereichen der Wissenschaft und der Kultur wird.


Anmerkung

1. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und erschien am 16. Mai in französischer Übersetzung in Integration, siehe http://www.journalintegration.com/index.php/dossier/item/477-helga-zepp-larouche-en-regardant-la-carte-de-l-afrique-on-observe-un-manque-flagrant-d-infrastructures-essentielles