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In den USA schrumpft die Produktion, die Blase der Technologiewerte steht vor dem Platzen und der Ölsektor bricht zusammen. Aber die eigentliche Gefahr liegt bei den Finanzderivaten.
Befürworter des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP malen gern ein rosiges Bild des Zustands und der Aussichten der amerikanischen Wirtschaft, doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
Der als Guru der Finanzwelt bekannte Megaspekulant Warren Buffett hat bei der jährlichen Aktionärsversammlung seines Unternehmens Berkshire Hathaway in Omaha/Nebraska - manchmal ironisch „Woodstock für Kapitalisten“ genannt - am 30. April erneut vor der „Zeitbombe“ der Finanzderivate gewarnt. Auf eine Frage nach den Derivatgeschäften der Banken antwortete Buffett, im Falle einer Störung der Finanzmärkte sei das Ausmaß der offenen Derivatpositionen der Großbanken immer noch eine große Gefahr. „Derivate sind immer noch in hohem Maße gefährlich“, bei einem Zwischenfall wie einer größeren Attacke auf das Land, der eine schwere Störung des Finanzsystems auslöst, kämen gefährliche Derivatpositionen zutage. „Das ist immer noch eine potentielle Zeitbombe im System.“ Berkshire würde sich niemals auf gefährliche Derivatanlagen mit verpfändeten Werten einlassen. Buffett ist berühmt dafür, daß er Derivate auch schon als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat.
Buffetts geringes Vertrauen in die Großbanken zeigte auch seine Äußerung darüber, in welche er investieren würde: „Wenn Sie die 50 größten Banken der Welt nehmen - davon würden wir wahrscheinlich 45 gar nicht erst in Betracht ziehen.“
Tatsächlich schreitet die Störung der Finanzmärkte, die laut Buffett zu erwarten ist, bereits voran. Schon im vergangenen Jahr mußten 77 Unternehmen des Öl- und Gassektors in den Vereinigten Staaten Insolvenz anmelden, im laufenden Jahr folgten bereits 40 weitere. Die jüngsten Fälle waren am 2. Mai der Schiefergasförderer Ultra Petroleum und die Firma Midstates Petroleum, die 2015 in Texas, Louisiana und Oklahoma 12 Mio. Faß Öl förderte. Alleine diese beiden Firmen hatten zusammen fast 6 Mrd. $ Schulden.
Der Energiespekulant T. Boone Pickens kommentierte die Lage in einem Gespräch, über das die Washington Post am 27. April berichtete: die amerikanische Ölindustrie sei dead in the water, was man als „absolut erledigt“ (oder weniger fein als „im Arsch“) übersetzen kann.
Da in den letzten fünf Jahren etwa 5400 Milliarden Dollar in die Exploration und Förderung von Schieferöl und -gas (Fracking) investiert wurden und davon ein hoher Anteil Bankkredite und hochverzinste Ramschanleihen sind, bedeutet dies über kurz oder lang für den Finanzsektor Verluste in einer ähnlichen Größenordnung wie bei den minderwertigen Hypothekenkrediten nach 2007.
Aber nicht nur die Energiebranche macht Verluste, auch die Blase im Technologiesektor könnte bald platzen, wie die „Dot-com-Blase“ im Jahr 2000. Das Wall Street Journal (WSJ) berichtete in einem Artikel am 2. Mai, es habe seit Mitte April praktisch keine neuen Börsengänge mehr gegeben. Risikokapitalanleger hätten zwar im ersten Quartal enorm viel Geld eingesammelt - aber „nicht weil sie das Geld brauchen, sondern weil sie selbst davon überzeugt sind, daß ihre gegenwärtigen Zahlen inflationiert sind, und sie wollen an dieses Geld, bevor Unternehmen in ihren Portfolios anfangen, abzustürzen und ihr Kapital aufzubrauchen“. Viele Unternehmen kürzen schon die Ausgaben, entlassen Mitarbeiter und bereiten sich auf das Schlimmste vor, und viele Neugründungen drohen aus Kapitalmangel unterzugehen.
Das WSJ beruft sich auf Keith Rabois von Khosla Ventures, einer berüchtigten kalifornischen Risikokapitalfirma. Rabois warnt, daß die Investitionen in Neugründungen zurückgehen und der Wert der Unternehmen falle, aber wie im Jahr 2000 hätten viele Investoren diese Realität noch nicht erkannt. Doch sobald sie das tun, werde „die Hölle losbrechen“.
Besonders verwundbar seien kapitalintensive Gründungen, die anfangs eine günstige Finanzierung erhalten konnten. Weil die Risikokapitalfirmen eng miteinander verwoben sind, sagt Rabois voraus, werde es einen allgemeinen katastrophalen Absturz bei den Investitionen in Neugründungen geben. Ein anderer Risikokapitalanleger von der Firma Artiman Ventures in Palo Alto/Kalifornien sagte dem WSJ: „Wir durchleben derzeit zweifellos einen Angstzyklus.“
Das eigentliche Problem, das dem voranschreitenden Kollaps des amerikanischen Ölsektors und dem drohenden Platzen der Technologieblase zugrunde liegt, ist der Rückgang des amerikanischen Produktionssektors, auch wenn in monetaristischen Kreisen immer noch verzweifelt von einer „Erholung“ gesprochen wird. Wie Zero-Hedge berichtet, hat die Firma Markit, die Finanzdaten erhebt, den Einkäuferindex PMI für April auf 50,8 gesetzt - das ist der niedrigste Stand seit September 2009. Gleichzeitig sind auch die Neuaufträge und die Schaffung neuer Arbeitsplätze auf den tiefsten Stand seit drei Jahren gefallen.
Das Wall Street Journal berichtete am 27. April unter Berufung auf einen Bericht des Arbeitsministeriums, daß der produzierende Sektor in den USA im Februar und März 47.000 Arbeitsplätze abgebaut hat.
Auch der Produktionsindex des Institute for Supply Management (ISM) lag im April bei 50,8, anstatt wie gehofft auf 51,4. Aber da er immer noch knapp über 50 liegt, der Grenze zwischen Wachstum und Rückgang, erklärte der Leiter der ISM-Studie Bradley Holcomb, gegenüber dem WSJ: „Das Schlimmste ist vorüber.“ Markit hingegen gelangt zu dem Schluß: „Für den Rückgang der Produktionsaktivität ist kein Ende in Sicht.“ Die PMI-Erhebung deute darauf hin, daß der Produktionsausstoß aufs Jahr hochgerechnet um 3% sinkt.
„Die Belegschaften in den Werken werden derzeit um etwa 10.000 pro Monat abgebaut“, schreibt Tyler Durden in Zero-Hedge. „Auch der Abbau der Lagerbestände ist deutlich sichtbar; die Unternehmen melden eine schwächere Nachfrage als erwartet, und die Exporte sinken schneller als in den letzten anderthalb Jahren.“ Zusätzlich „scheinen sich die Daten im zweiten Quartal zu verschlimmern“.
Zu den großen Namen der Firmen, die Werke schließen und Arbeitsplätze abbauen, gehört der Baumaschinenhersteller Caterpillar. Die Firma legte im Herbst 2015 einen Schrumpfungsplan vor, unter dem 2016-17 insgesamt 20 Werke stillgelegt und 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Bisher wurden bereits 5000 Arbeitsplätze gestrichen und mehrere Standorte zur Schließung angemeldet.
Am 27. April nannte Caterpillar weitere sechs Fabriken, die geschlossen werden sollen: Das Werk in Oxford/Mississippi - ein Preßwerk, in dem Kupplungen für Schläuche hergestellt werden - soll 2017 geschlossen werden, 100 Beschäftigte wurden bereits entlassen, weitere 240 werden folgen. Im Motorenwerk Morgantown/North Carolina sollen 110 Arbeiter gehen, 70 in Jacksonville/Florida, wo Kübel und Werkzeuge hergestellt werden, in Newberry/South Carolina, wo Gehäuse für elektrische Generatoren hergestellt werden, werden 325 Arbeiter entlassen, und im Generatorenwerk in Ridgeway/South Carolina 75.
Das ist also das „Erfolgsmodell“, daß Obama der Welt über TPP und TTIP als Gegenentwurf zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative verkaufen will.
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