Nr. 22, 27. Mai 2015
Aus Platons Timaios
„So wollen wir denn sagen, welcher Grund den, der dieses All, das Reich des
Werdens, zusammenfügte, zu dieser seiner Wirksamkeit bewogen hat. Er war gut,
und in einem Guten entsteht niemals Neid, worauf sich derselbe auch immer
beziehen könnte, und, weil frei von diesem, wollte er denn auch, daß alles ihm
selbst so ähnlich als möglich werde. Diesen Ausgangspunkt des Werdens und der
Welt dürfte man daher wohl mit dem größten Rechte einsichtigen Männern als den
eigentlichsten zugestehen. Da nämlich Gott wollte, daß, soweit es möglich,
alles gut und nichts schlecht sei, da er aber alles, was sichtbar war, nicht
in Ruhe, sondern in regelloser und ungeordneter Bewegung vorfand, so führte er
es denn aus der Unordnung in die Ordnung hinüber, weil er der Ansicht war, daß
dieser Zustand schlechthin besser als jener sei. Es war aber und ist recht,
daß der Beste nichts anderes als das Schönste vollbringe, und da fand er nun,
indem er es bei sich erwog, daß unter den ihrer Natur nach sichtbaren Dingen
kein vernunftloses Werk jemals schöner sein werde als ein vernunftbegabtes,
wenn man beide als Ganze einander gegenüberstellt, daß aber wiederum Vernunft
ohne Seele unmöglich irgend einem Gegenstande zuteil werden könne. In dieser
Erwägung bildete er die Vernunft in eine Seele und die Seele in einen Körper
ein und fügte so aus ihnen den Bau des Weltalls zusammen, um so naturgemäß das
möglichst schönste und beste Werk vollendet zu sehen. Und so darf man es denn
mit Wahrscheinlichkeit aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes
und vernünftiges Wiesen durch Gottes Vorsehung entstanden ist.“ (Quelle:
http://www.zeno.org/nid/20009262717, Platon: Sämtliche Werke.
Band 3, Berlin 1940, S. 91-192. Der Text folgt der Übersetzung durch Franz
Susemihl von 1856.)