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Auszüge aus der Eröffnungsrede des indonesischen Präsidenten Sukarno bei der Bandung-Konferenz am 17. April 1955.
Zwischen Nationen und Gruppen von Nationen tun sich große Abgründe auf. Unsere unglückliche Welt wird zerrissen und gemartert, und die Menschen aller Länder leben ohne Schuld in der Furcht, daß die Hunde des Krieges wieder entfesselt werden.
Aber es gab tatsächlich einen „Sturm über Asien“ - und auch über Afrika. In den letzten Jahren sah man gewaltige Veränderungen. Nationen und Staaten sind aus einem jahrhundertelangen Schlaf erwacht. Die Passivität der Menschen ist vorbei, die äußerliche Ruhe hat Platz gemacht für Kämpfe und Aktivität. Unwiderstehliche Kräfte fegten durch die beiden zwei Kontinente. Das geistige, seelische und politische Antlitz der ganzen Welt hat sich verändert, und dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt neue Bedingungen, neue Konzepte, neue Probleme, neue Ideale in der übrigen Welt. Wirbelstürme des nationalen Erwachens und Wiedererwachens sind über die Länder gezogen, haben sie erschüttert und verändert - zum besseren...
Heute müssen die Gesellschaft, die Regierung und die Staatskunst vielleicht mehr als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der Weltgeschichte auf die höchsten Maßstäbe von Moral und Ethik gegründet werden. Und was ist, politisch betrachtet, der höchste Maßstab der Moral? Es ist der, alles dem Wohl der Menschheit unterzuordnen.
Aber heute stehen wir vor der Situation, daß das Wohl der Menschheit nicht immer die oberste Priorität ist. Viele, die in hohen Machtpositionen sind, denken vielmehr daran, die Welt zu beherrschen.
Ja, wir leben in einer Welt der Angst. Das Leben der Menschen wird heute korrumpiert und verbittert durch Angst - Angst vor der Zukunft, Angst vor der Wasserstoffbombe, Angst vor Ideologien. Vielleicht ist diese Angst eine größere Gefahr als die Gefahr selbst, weil Angst die Menschen dazu verleitet, dumm zu handeln, gedankenlos zu handeln, gefährlich zu handeln. Ich bitte euch, meine Schwestern und Brüder, laßt euch in euren Beratungen nicht von der Angst leiten, denn die Angst ist eine Säure, die dem Handeln der Menschen seltsame Muster einätzt. Laßt euch von Hoffung und Entschlossenheit leiten, von Idealen, und, jawohl, laßt euch von euren Träumen leiten! ...
Der Kampf gegen den Kolonialismus hat lange gedauert. Wissen Sie, daß heute der Jahrestag einer berühmten Schlacht ist? Am 18. April 1775 - gerade erst vor 180 Jahren - ritt Paul Revere um Mitternacht durch das ländliche Neuengland und warnte vor dem Anmarsch der britischen Truppen und dem Beginn des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, des ersten erfolgreichen antikolonialen Krieges der Geschichte. Über diesen nächtlichen Ritt schrieb der Dichter Longfellow:
„Ein Schrei des Trotzes und nicht der Angst, eine Stimm’ in der Nacht, ein Pochen am Tor. Und ein Wort, das nimmer verhallen soll...“
Ja, es soll niemals verhallen, so wie die anderen antikolonialen Worte, die uns in den finstersten Tagen unseres Kampfes Trost und Stärke gaben, niemals verhallen sollen. Aber bedenken wir auch, daß dieser Kampf, der vor 180 Jahren begann, immer noch nicht vollständig gewonnen ist, und er wird nicht vollständig gewonnen sein, bis wir unsere Welt überblicken können und sagen können: der Kolonialismus ist tot...
Krieg wäre nicht nur eine Bedrohung für unsere Unabhängigkeit, er kann das Ende der Zivilisation oder sogar des menschlichen Lebens bedeuten. Es ist eine Kraft in der Welt entfesselt worden, deren Potential zum Bösen niemand wirklich kennt. Selbst bei den Kriegsübungen und Manövern könnten sich die Wirkungen zu einem nie gekannten Schrecken auftürmen.
Was können wir tun? Wir können sehr viel tun! Wir können die Stimme der Vernunft in die Angelegenheiten der Welt tragen. Wir können alle geistigen, alle moralischen und alle politischen Kräfte Asiens und Afrikas auf der Seite des Friedens mobilisieren. Ja, wir! Wir, die Völker Asiens und Afrikas, 1,4 Milliarden stark, weit mehr als die Hälfte der Menschheit, wir können die „moralische Gewalt der Nationen“, wie ich es nenne, auf der Seite des Friedens mobilisieren. Wir können der Minderheit der Welt auf den anderen Kontinenten demonstrieren, daß wir, die Mehrheit, für den Frieden sind und nicht für den Krieg, und daß wir alle unsere Kräfte immer auf die Seite des Friedens werfen werden.
Unsere Aufgabe ist, zuerst ein Verständnis füreinander anzustreben, dann wird aus diesem Verständnis eine größere gegenseitige Anerkennung hervorgehen, und aus der Anerkennung wird gemeinsames Handeln folgen. Denken Sie an das Wort eines der größten Söhne Asiens: „Reden ist leicht. Handeln ist schwer. Verstehen ist am schwersten. Wenn man versteht, ist das Handeln leicht.“ (Sun Yat-sen).