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Nr. 41, 8. Oktober 2014
„Dichter sind die nicht anerkannten Gesetzgeber der Welt“
„Die Poesie ist der getreueste Herold, Begleiter und Gefolgsmann, wenn es
gilt, ein großes Volk wachzurütteln, damit es eine Veränderung zum Besseren in
seinen Anschauungen und Einrichtungen bewirke. In solchen Zeiten zeigt sich
eine gesteigerte Kraft, tiefe und glühende Ideen über den Menschen und die
Natur mitzuteilen und zu empfangen. Die Menschen, denen diese Kraft innewohnt,
mögen oftmals in vielen Zügen ihres Wesens wenig augenfällige Übereinstimmung
mit jenem Geist des Guten zeigen, dessen Werkzeug sie sind. Aber selbst
während sie ihn verneinen und ihm abschwören, sind sie doch gezwungen, der
Macht zu dienen, die auf dem Thron ihrer eigenen Seele sitzt. Es ist
unmöglich, die Werke der berühmtesten Autoren der Gegenwart zu lesen, ohne von
jenem elektrischen Funken ergriffen zu werden, der in ihren Worten glüht. Sie
messen den Umfang und loten die Tiefe der menschlichen Natur mit einem alles
umfassenden, alles durchdringenden Geist und sind selbst vielleicht am
aufrichtigsten erstaunt über seine Offenbarungen; denn es handelt sich weniger
um ihren eigenen als vielmehr um den Geist der Zeit. Dichter sind Priester
einer unbegriffenen Inspiration; Spiegel riesenhafter Schatten, die die
Zukunft auf die Gegenwart wirft; Worte, die sagen, was sie selbst nicht
verstehen; Trompeten, die zum Kampfe blasen und nicht empfinden, was sie
eingeben; sie sind die Kraft, die selbst nicht bewegt wird, aber andere
bewegt. Dichter sind die nicht anerkannten Gesetzgeber der Welt.“
Percy Bysshe Shelley, Verteidigung der Poesie