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In einem Exklusivinterview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia am 16. Juni verurteilte Papst Franziskus in harten Worten das sterbende imperiale Finanzsystem, das in seiner Agonie die Zukunft der Menschheit zerstört:
„Ich glaube, wir sind in einem Weltwirtschaftssystem, das nicht gut ist... Im Mittelpunkt eines jeden Wirtschaftssystems muß der Mensch stehen, Mann und Frau, und alles andere muß dem Menschen zu Diensten sein. Doch wir haben das Geld in den Mittelpunkt gestellt, den Gott des Geldes. Wir sind einer Götzenanbetung verfallen, dem Götzendienst des Geldes. Die Wirtschaft wird durch das Streben nach Mehr-haben-wollen bestimmt, was paradoxerweise eine Wegwerfkultur fördert. Junge Menschen werden weggeworfen zu einer Zeit, in der die Geburtenrate begrenzt ist. Die Älteren werden ebenso ausrangiert, weil sie keinem Nutzen mehr dienen, sie stehen nicht mehr in der Produktion, diese passive Schicht... Wenn man die Kinder und die Älteren wegwirft, dann wirft man die Zukunft eines Volkes weg, denn die jungen Menschen treiben uns voran und die Älteren geben uns Weisheit. Sie haben die Erinnerungen dieses Volkes und sie müssen sie an die jungen Menschen weitergeben...
Ebenso ist es heutzutage Mode, die Jungen durch die Arbeitslosigkeit auszumustern. Die Arbeitslosenrate, die in einigen Ländern mehr als 50% beträgt, beunruhigt mich sehr. Jemand sagte mir, daß 75 Millionen junge Europäer unter 25 Jahren arbeitslos sind. Das ist schrecklich. Wir geben eine ganze Generation auf, um ein Wirtschaftssystem zu erhalten, das nicht mehr hält, ein System, das zu seinem Überleben Krieg führen muß, wie es die großen Imperien immer getan haben. Aber weil man keinen Dritten Weltkrieg führen kann, führt man eben regionale Kriege.
Was bedeutet das? Sie produzieren und verkaufen Waffen, und mit dieser Bilanz wirtschaftlichen Götzendienstes werden die großen Volkswirtschaften der Welt, die den Menschen dem Geld opfern, offensichtlich über Wasser gehalten. Dieses eindimensionale Denken nimmt den Reichtum der Vielfalt des Denkens und damit den Reichtum des Dialoges zwischen den Völkern.“
Dank des neuen Bilanzierungssystems der Europäischen Union „SEC 2010“ wird sich das Wirtschaftsprodukt (BIP) der Mitgliedstaaten im September wie von Zauberhand plötzlich vermehren. Die Staaten haben noch zehn Wochen Zeit, der Statistikbehörde Eurostat die neuen Zahlen zu übermitteln, die auch die sog. „nicht beobachtete Wirtschaft“ enthalten, einschließlich der „illegalen Wirtschaft“ von Drogenhandel, Schmuggel und Prostitution.
Was soll man von einem Wirtschaftssystem halten, das Rauschgift und Prostitution als Teil der produktiven Wirtschaft auffaßt? Schon jetzt sagt das BIP nichts über die Realwirtschaft aus, weil es finanzielle und andere Dienstleistungen einschließt. So verbirgt sich hinter gemeldeten Wachstumszahlen in Wirklichkeit häufig ein Rückgang produktiver Bereiche wie der Industrie.
Die Regierungen hoffen nun opportunistisch darauf, daß die neuen Regeln mehr Ausgaben nach den EU-Schuldenvorschriften zulassen werden, weil das Haushaltsdefizit im Verhältnis zum BIP automatisch schrumpft. Spanien hat schon einen BIP-Anstieg um 4,5% angekündigt. Für Italien berechneten die Autoren Mario Centorrino, Piero David und Antonella Gangemi in La Voce einen BIP-Anstieg um 24 bis 60 Mrd.€ aus Drogenhandel, 7,5 Mrd.€ aus Prostitution und 841 Mio.€ aus Zigarettenschmuggel. Dies reduziert das Verhältnis von Verschuldung zum BIP um 0,03-0,05 Punkte, und die Regierung darf dann in diesem Jahr 15-31 Mrd.€ mehr ausgeben.
Hinzu kommen bei SEC 2010 noch zwei weitere große Bilanztricks: Rüstungsausgaben werden nicht mehr als „Zwischenprodukt“, sondern als „Investitionen“ gerechnet, Forschung und Entwicklung als „Kapital“. Das verhilft auch Ländern mit einer weniger großen illegalen Wirtschaft zu einer besseren Position. La Voce zufolge werden Finnland und Schweden um 4-5% wachsen, Belgien, Dänemark, Deutschland und Frankreich um 2-3% und Österreich, die Niederlande und Großbritannien um ca. 3-4%.
Natürlich sind höhere Forschungsausgaben an sich sehr sinnvoll, aber angesichts der NATO-EU-Pläne für die Ausweitung der militärischen Aktivitäten könnte ein beträchtlicher Teil davon auf die Rüstung entfallen. Und der Löwenanteil der zusätzlich erlaubten Ausgaben dürfte, wie sollte es anders sein, in Bankenrettungen fließen.