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Angesichts der jetzigen internationalen Finanzkrise und der sich ausweitenden globalen Kriegsgefahr stellt sich die Frage, welchen Weg wir an diesem Punkt der Geschichte einschlagen wollen: Wird man weiterhin die Finanzinteressen verteidigen und das bankrotte imperiale System der Globalisierung durch „Farbige Revolutionen“ und Kriege zu erhalten suchen, oder werden wir uns eine Finanzarchitektur schaffen, die den Menschen dient und die eine Politik des Aufbaus und der Zusammenarbeit unterstützt? Ersteres wird unser unausweichlicher Untergang sein, aber der zweite Weg bietet die Aussicht in eine vielversprechende Zukunft.
Daher gilt es dieses Jahr zur Landtagswahl in Sachsen, die Weichen für den richtigen Weg in die Zukunft unserer Nation zu stellen. Bei der Europawahl zeigte sich bereits, daß ein großer Teil der Menschen in Europa nicht mehr hinter der Bürokratie in Brüssel und den Finanzmachenschaften der EZB steht. Denn diese beiden Punkte, zusammen mit der Tatsache, daß die Staaten jedes Jahr mehr Souveränität an die EU verlieren, sind das einzige, was die EU in den Augen der Bevölkerung ausmacht. Wollen wir also den supranationalen imperialen Staat „EU“, oder greifen wir die in Asien viel diskutierte Idee einer Eurasischen Wirtschaftsunion auf und verbinden sie mit dem Konzept des Europas der Vaterländer, für das de Gaulle und Adenauer standen? Dies ist die Entscheidung, die wir zu treffen haben.
Nur die BüSo hat in den letzten Jahren den Mut gehabt, die Realitäten anzusprechen. So sagten wir seit den 1990er Jahren, daß es große Übel erzeugen wird, wenn man den Staaten ihre Souveränitätsrechte weitestgehend entzieht. Als Gegensatz zur postindustriellen Gesellschaft schlugen wir den Dialog der Kulturen, verbunden mit Aufbauprogrammen vor.
So hat die BüSo seit dem Ende der 80er Jahre zuerst mit dem „Produktiven Dreieck: Berlin-Paris-Wien“ und dann seit Beginn der 90er Jahre mit dem Konzept des Aufbaus der Eurasischen Landbrücke und der Neuen Seidenstraße mobilisiert und dabei immer betont, daß langfristiger Friede auf der Welt nur durch Entwicklung der einzelnen Nationen möglich ist.
Inzwischen sind diese Projekte zur Politik Rußlands und Chinas geworden. Sie stellen für Deutschland und besonders auch für Sachsen eine ungeheure Möglichkeit dar, die Krise durch produktiven Aufbau und wirkliche internationale Zusammenarbeit zu überwinden.
Doch viele werden jetzt sagen: „Was haben wir mit Rußland und China zu tun, und warum sollten wir ausgerechnet mit diesen Ländern zusammenarbeiten?“
Das - und mehr - werden Sie in Kürze in unserem Wahlprogramm für Sachsen nachlesen können, aber ich möchte Sie selbst schon jetzt dazu einladen, sich die sächsische Geschichte zu vergegenwärtigen. Denn kennt man unsere Geschichte, so stellt man fest, daß Sachsen bereits im 16. und 17. Jahrhundert Kontakte zu Rußland und China knüpfte und diese im Falle Rußlands über 300 Jahre konstant aufrechterhielt. Daher lautet im kulturhistorischen Kontext die Frage nicht: „Warum sollten wir mit Rußland und China zusammenarbeiten?“, sondern die Frage lautet vielmehr: „Warum sollten wir das nicht tun?“
Die Grundlage der sächsisch-russischen Beziehungen waren von Anfang an Technologietransfer und Wissenschaft, was somit auch für die künftige Zusammenarbeit wegweisend ist.
Zum ersten Mal wurde in Freiberg im Jahre 1168 Silber gefunden, und Sachsen entwickelte sich dadurch bis ins 13. Jh. zum größten Silberlieferanten Europas. Trotz des Rückgangs der Produktion im folgenden finsteren Zeitalter erblühte im 15. Jh. der sächsische Bergbau erneut, so daß wir heute von einer über 800 Jahre alten Bergbauerfahrung im sächsisch-böhmischen Erzgebirge sprechen können. Es gibt also hier vor Ort Archive, Institutionen, Schulen - eine Entwicklungsgeschichte und Erfahrungen, die für jede sich im Bergbau und den damit zusammenhängenden Wissenschaften entwickelnde Nation von größtem Wert sind. Diese Errungenschaften repräsentieren einen wesentlich höheren Wert für eine Nation, als es je in Geld ausgedrückt werden könnte. Genau das realisierten auch andere Nationen schon früh und suchten daher die Zusammenarbeit mit Sachsen.
Von 1500-1556 setzte in Sachsen eine Systematisierungswelle im Bergbauwesen ein. Zuvor war das Wissen lediglich innerhalb der Familien weitergegeben worden, doch nun wollte man einem größeren Teil der Bevölkerung diese Ausbildung zugute kommen lassen. Gekrönt wurde dieser Prozeß durch die Schrift des Chemnitzer Bürgermeisters Georgius Agricola, der 1556 sein Werk De re metallica libri XII vollendete, das in den folgenden Jahren auch in deutsch, italienisch und sogar chinesisch übersetzt wurde. Dieses Buch gilt zu Recht als das Gründungswerk der Montanwissenschaften und führte direkt zum Aufbau des Montanwesens in Rußland, sowie der USA.
Durch diese systematische Bildungsmöglichkeit entstand eine Schicht ausgebildeter Bergleute, die anschließend die ersten Entwicklungshelfer der Welt waren und dabei halfen, unzählige Länder zu entwickeln - so zum Beispiel: England und das spätere Gebiet der USA, Mexiko, Peru, Schlesien, Polen, Rußland, Ungarn, Serbien, Bosnien, Italien, Tirol und Skandinavien. So kam es dann auch, daß mit dem Entstehen der russischen Nation unter Zar Peter dem Großen die Nachfrage nach sächsischen Bergleuten und der Ausbildung der russischen Bevölkerung wuchs und Sachsen zu einem der „Geburtshelfer“ der russischen Nation wurde.
Peter der Große führte erstmals 1698 - zeitgleich zu seinen Diskussionen mit dem deutschen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz - auch Verhandlungen mit August dem Starken, König von Sachsen, über die Entsendung sächsischer Bergleute nach Rußland. Denn Peter „kaufte“ nicht nur Bergleute im Ausland ein, sondern wollte, daß diese seine Bevölkerung ausbildeten, um selbst ein nationales Bergwesen aufbauen zu können. 1711 besuchte Peter dann sogar Freiberg; er fuhr in eine Grube ein und besichtigte eine der Hütten vor Ort. Sein Credo lautete: „Man muß sich mühen, den Staatsruhm auf dem Wege über die Kunst und die Wissenschaft zu suchen“, und so versuchte er, auch sich selbst zu bilden.
Die Entsendung sächsischer Spezialisten aus dem Hütten- und Bergwesen hielt bis zum Ende des 19. Jh. an. Seit 1706 bis heute besuchen russische Studenten regelmäßig für ihre Ausbildung die Freiberger Bergakademie. So hatte diese Akademie zwischen 1765 und 1835 801 russische Schüler, und 1902-03 waren sogar in der Bergakademie 74 Sachsen, 122 weitere Deutsche und 161 Russen immatrikuliert. Aber nicht nur die Anwesenheit von Studenten und der Austausch von Spezialisten zeugen vom sächsisch-russischen Erbe, auch ausgesprochen große Geister verkörpern diese Zusammenarbeit.
Bereits 1702 gründete König August der Starke eine Stipendiatenkasse für ausländische Studenten, die damit zwei Jahre unterrichtet wurden. Dabei fuhr man gemeinsam in die Gruben ein, und Unterricht wurde in Mineralogie, metallurgischer Chemie, Hüttenkunde, Markscheiden, Probierkunde, Bergbaukunde und Aufbereitung erteilt. Die beiden wohl bekanntesten russischen Absolventen der Bergakademie sind M. W. Lomonossow und D. I. Winogradow. Beide gelten als Begründer der russischen Montanwissenschaft. Lomonossow ist aber darüber hinaus auch der Begründer der modernen physikalischen Chemie. Er übersetzte Benjamin Franklins Werk über Elektrizität ins russische, was weitere Grundlagen für die Untersuchung elektrischer Phänomene legte. Es gäbe viel über ihn zu sagen, aber dazu möchte ich an dieser Stelle auf die Artikelserie von Caroline Hartmann in der Zeitung Neue Solidarität verweisen.1
Ein anderer großer Geist, diesmal auf deutscher Seite, ist Christlieb Ehregott Gellert aus Hainichen, der größte Metallurg seiner Zeit. Er absolvierte mit 24 Jahren ein Studium in Leipzig im Jahre 1737, ging anschließend zehn Jahre nach St. Petersburg, lehrte dort an einem Gymnasium und als Adjunkt auch an der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Er kehrte anschließend nach Freiberg zurück, wo er 1765 einer der ersten Professoren der Bergakademie und Nachfolger von Bergrat Henckel wurde, dem Lehrer Lomonossows. Gellert war auch ausschlaggebend dafür, den Lehrplan für das Berginstitut in St. Petersburg zu erstellen, eine der wichtigsten Institutionen bei der Schaffung des russischen Montanwesens.
Dies ist nur ein kleiner, aber wichtiger repräsentativer Ausschnitt aus der gemeinsamen Arbeit und Geschichte mit Rußland. Diese Beispiele zeigen, daß wir uns doch näher stehen, als die meisten vielleicht denken mögen. Daher sollten wir an der heutigen strategischen Weggabelung unserer Zivilisation die Geschichte dieses gemeinsamen Weges bejahen und in Deutschland daran anknüpfen - denn dann können wir vernünftig in eine gemeinsame Zukunft eurasischer Entwicklung starten und neue Rahmenbedingungen für die internationale Zusammenarbeit definieren.
Toni Kästner
Anmerkung
1. Caroline Hartmann, „Der Freiberger Student Lomonossow und die Begründung der Naturwissenschaften in Rußland“, Teil 1-3, Neue Solidarität 20-22/2014.