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Rußland und China vereinbarten beim Besuch des russischen Präsidenten in China eine massive Ausweitung der wirtschaftlichen und politischen Kooperation.
Das Gipfeltreffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Shanghai am 20. Mai war ein Beleg dafür, daß die beiden Großmächte den wirtschaftlichen Aufbau der Welt vorantreiben und sich dabei von der westlichen Empire-Fraktion nicht aufhalten lassen werden.
Putin besuchte China anläßlich des 4. Gipfels der Konferenz über Interaktion und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA), die am 21. Mai in Shanghai stattfand, und verband dies auf Präsident Xi Jinpings Einladung hin am Vortag mit diesem Staatsbesuch. Die beiden Staatschefs legten umfangreiche Pläne für die unmittelbare und zukünftige Zusammenarbeit der beiden großen eurasischen Nationen vor. Im auffälligen Gegensatz dazu steht bei den Gipfeltreffen der transatlantischen Staaten unausweichlich immer im Mittelpunkt, wie die Realwirtschaft weiter ausgeschlachtet werden kann, um das bankrotte Finanzsystem zu retten.
Im Rahmen des Gipfels wurden ein historisches, auf 30 Jahre angelegtes Erdgasgeschäft und weitere 46 russisch-chinesische Einzelabkommen unterzeichnet. Außerdem nahmen Xi und Putin an einer Eröffnungszeremonie für einwöchige chinesisch-russische Marinemanöver im Ostchinesischen Meer teil. (Lesen Sie dazu die Kolumne „Neues von der Seidenstraße“ in dieser Ausgabe.)
Die am Ende des Gipfels veröffentlichte gemeinsame Erklärung unterstreicht, daß die beiden Länder eine neue Wirtschaftsarchitektur in der Asien-Pazifik-Region schaffen wollen. Sie bekräftigen, daß sie Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ablehnen, und wollen ihre Reaktion in wichtigen außenpolitischen Fragen, in denen sie übereinstimmen, möglichst weitgehend koordinieren. Die Ministerien, Parlamente und Regionen beider Länder werden neue Mechanismen der Zusammenarbeit einrichten.
Die Zusammenarbeit bei Infrastruktur, Wirtschaft, Finanzen und Forschung soll massiv erweitert werden. Als Ziele werden u.a. genannt: „Steigerung der Wirksamkeit der Zusammenarbeit in Hochtechnologiebereichen, Weiterentwicklung der Zusammenarbeit bei der Verwirklichung der Prioritätsprojekte bei der internationalen Nutzung der Kernenergie, der zivilen Luftfahrt und im Kooperationsprogramm über Raumfahrt-Grundlagenforschung, Satellitenbeobachtung der Erde, Satellitennavigation sowie der Erforschung der Tiefen des Alls und der bemannten Raumfahrt“. Eine weitere Militarisierung des Weltalls soll dagegen verhindert werden. Die einseitige Stationierung von Raketenabwehranlagen wird als „destabilisierender Faktor auf der Welt“ verurteilt.
Weitere Ziele sind gemeinsame Investitionen in innovative Forschung, Verbesserung der Agrartechnik und Steigerung des landwirtschaftlichen Erzeugung. Außerdem sollen über den Amur, einen Grenzfluß zwischen beiden Ländern, neue Brücken gebaut werden.
Die beiden Regierungen fordern auch eine Reform der internationalen Finanzarchitektur und mehr Mitwirkung der politischen und juristischen Institutionen der Länder bei der Regelung finanzieller Angelegenheiten.
Rußland und China seien sich in vielen wichtigen internationalen Fragen einig, u.a. Korea, Iran, Syrien und Afghanistan. Die Krise in der Ukraine müsse mit diplomatischen, friedlichen Mitteln gelöst werden, dazu müsse ein nationaler Dialog aller Parteien in der Ukraine beginnen. Die Arbeit multilateraler Institutionen wie ASEAN, SCO (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) und CICA soll aufgewertet werden.
Ein weiteres Ziel ist die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in der Asien-Pazifik-Region. Schließlich heißt es, der kommende APEC-Gipfel in Beijing solle sich um die Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aller Staaten in Asien bemühen.
Ein Höhepunkt des Gipfels war (nach langen, zähen Verhandlungen) die Unterzeichnung des auf 30 Jahre angelegten, historischen Erdgasabkommens in einem Gesamtumfang von 400 Mrd.$. Allgemein soll der bilaterale Handel innerhalb von gut fünf Jahren verdoppelt werden - von nicht ganz 90 Mrd.$ im letzten Jahr auf 100 Mrd.$ 2015 und 200 Mrd.$ im Jahr 2020. Die beiden Länder werden bilateralen Handel und grenzüberschreitende Investitionen zunehmend in den Landeswährungen - also nicht mehr in Dollar - tätigen und die Planung der makroökonomischen Politik mehr koordinieren. Sie zielen auf einen ausgeglichenen Handel, eine Optimierung der Handelsstruktur und höhere gegenseitige Investitionen in Bereichen wie Verkehrsinfrastruktur, Bergbau sowie Wohnungsbau in Rußland, heißt es in der Erklärung.
Beide Seiten wollen außerdem die Zusammenarbeit in der Erdölbranche vertiefen, möglichst bald die russischen Erdgaslieferungen an China aufnehmen und gemeinsam Kohleminen in Rußland erschließen. Erwogen wird zudem der Bau von Kraftwerken in Rußland, damit es China mehr Strom liefern kann. Rußland will China die Nutzung seiner Eisenbahnen, Häfen und des Nördlichen Seewegs für den Gütertransport erleichtern. Geplant ist weiterhin eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Nutzung und dem Schutz des Wassers grenzüberschreitender Flüsse und der Einrichtung grenzüberschreitender Naturreservate.
Putin unterstützt den von Xi Jinping vorangetriebenen Bau von wirtschaftlichen Entwicklungskorridoren entlang der Neuen Seidenstraße. Dazu heißt es: „Rußland erkennt die enorme Bedeutung der chinesischen Initiative für den Bau des ‚Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels‘ und besonders zu schätzen weiß es die Bereitschaft der chinesischen Seite, die russischen Interessen bei dessen Entwicklung und Realisierung zu berücksichtigen. Beide Seiten suchen weiter nach Möglichkeiten, die Perspektive des Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels mit der Konzeption der Eurasischen Wirtschaftsunion zu verbinden. Zu diesem Zweck beabsichtigen sie, die Zusammenarbeit der relevanten Behörden bei der Realisierung beider Projekte zu vertiefen, insbesondere beim Ausbau von Verkehrswegen und Infrastruktur.“
Die Entwicklung der gesamteurasischen Verkehrsinfrastruktur eröffnet auch für die Nationen Europas die Möglichkeit, die gegenwärtige geopolitische Konfrontationshaltung der NATO-Länder zu durchbrechen und so die gemeinsamen Interessen aller Nationen wieder als Bezugspunkt der Außenpolitik zu etablieren. Schon heute existieren mehrere Güterzuganbindungen von China über Rußland nach Europa, so u.a. Chongqing-Duisburg und Chengdu-Lodz.
Vor seiner Abreise hatte Putin führenden chinesischen Medien ein großes Interview gegeben: dem chinesischen Staatsfernsehen, den Nachrichtenagenturen Xinhua und China News Service, der Zeitung People's Daily, China Radio International und Phoenix Television. Darin hatte er bereits die „überragende Bedeutung“ der Ausweitung der russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen für beide Länder und die Stabilität der Weltwirtschaft betont. Putin sagte:
„Im Kontext der turbulenten Weltwirtschaft ist die Stärkung von gegenseitig nützlichen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie die Erhöhung der Investitionsströme zwischen Rußland und China von überragender Bedeutung. Das ist nicht nur ein entscheidendes Element der sozioökonomischen Entwicklung unserer Länder, sondern auch ein Beitrag zu den Bemühungen um die Stabilisierung des gesamten Weltmarkts.“
Am 20.-21. Mai traf Putin in Shanghai weitere Staatschefs auf der 4. Gipfelkonferenz über Interaktion und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA). Auch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) beschloß dort eine gemeinsame Erklärung.
In dem Interview mit den chinesischen Medien war auch die Ukraine-Krise angesprochen worden. Ein Reporter fragte: 2015 „werden beide Länder den 70. Jahrestag des Sieges über den Faschismus begehen. Welchen Erfolg haben die gemeinsamen russisch-chinesischen Bemühungen gegen Versuche, das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs zu revidieren?” Putin antwortete:
„Die Versuche, die Geschichte umzuschreiben und zu verzerren, werden immer häufiger. Vor vier Jahren gaben Rußland und China eine Gemeinsame Erklärung zum 65. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg ab. Wir teilen die Vorstellung, daß es inakzeptabel ist, die Ergebnisse des Krieges zu revidieren, weil die Folgen extrem schwerwiegend wären. Das ist klar ersichtlich aus den tragischen Ereignissen, die sich gegenwärtig in der Ukraine entfalten, wo gewalttätige Neonazis eine wahre Terrorkampagne gegen Zivilisten führen... Wir werden uns mit Sicherheit weiter gegen Versuche stellen, die Geschichte zu fälschen, Faschisten und ihre Komplizen zu Helden zu machen, das Gedenken und den Ruf heroischer Befreier zu beschmutzen.“
Putin lud besonders zu chinesischen Wirtschaftsinvestitionen zur Entwicklung des Fernen Ostens ein: „Dieses riesige Gebiet leidet seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion vor fast 25 Jahren ernsthaft unter stagnierenden Infrastrukturinvestitionen und Verlust der ohnehin spärlichen Bevölkerung. Beide Nationen verhandeln über eine Zusammenarbeit zur Entwicklung dieser Region, die u.a. als nordöstliche eurasische Basis für das Projekt des Beringstraßentunnels zur Verbindung Eurasiens mit dem amerikanischen Kontinent unverzichtbar ist. Allerdings sind die realen Investitionen bisher viel zu begrenzt. Wir sind sicherlich daran interessiert, daß chinesische Unternehmen diese Gelegenheiten ergreifen und sich dort mit an die Spitze setzen, denn eine beschleunigte Entwicklung des Fernen Osten ist vorteilhaft für Rußland und für China.“ Die Entwicklung Sibiriens und des Fernen Ostens „wurde zu einer der obersten nationalen Prioritäten Rußlands im 21. Jahrhundert erklärt“.
Zusammenfassend sagte Putin: „Die Schaffung engerer Beziehungen zur Volksrepublik China - unserem vertrauten Freund - ist Rußlands bedingungslose außenpolitische Priorität. Die Zusammenarbeit Rußlands und Chinas nähert sich einem neuen Stadium umfassender Partnerschaft und strategischer Interaktion. Es wäre nicht falsch, zu sagen, daß sie die höchste Stufe in ihrer gesamten, jahrhundertelangen Geschichte erreicht hat.“
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