Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken
» » » Internetforum mit Helga Zepp-LaRouche « « «
Neue Solidarität
Nr. 12, 19. März 2014

Das Mackinder-Mantra hinter der Konfrontationspolitik gegen Rußland

Roger Moore vom Nachrichtenmagazin EIR führte am 13. März das folgende Interview mit dem italienischen Europa-Abgeordneten Pino Arlacchi.

EIR: Im Februar und später bei Ihren Auftritten in der Ukraine-Debatte (im Europaparlament, Red.) sagten Sie sehr dramatisch, die EU mache einen sehr schweren und strategischen Fehler, indem sie Rußland als Feind behandle, was offenbar immer noch der Fall ist. Können Sie erklären, wie sich das entwickelt hat, denn nun stehen wir am Rande einer Konfrontation zwischen den USA, der EU und Rußland mit militärischen strategischen Konsequenzen - wie sind wir in diesen Schlamassel hineingeraten?

Arlacchi: Ich bin überrascht und auch empört über diesen plötzlichen Richtungswechsel der EU. Mit Rußland haben wir eine strategische Partnerschaft im Energiebereich und wir standen unmittelbar davor, ein umfassenderes Abkommen auszuhandeln, das auch andere Bereiche umfassen sollte. Dann schwenkten wir um auf eine Konflikt- und Konfrontationshaltung gegenüber Rußland. Den Fehler haben wir schon gemacht, aber es war und ist möglich, ihn zu korrigieren, wenn wir nun diese östliche Partnerschaft ausformulieren, die sich bisher auf alle Länder, die Rußland umgeben, aber nicht auf Rußland selbst konzentrierte. Das war der Ausgangspunkt des ganzen Fehlers und eine der Ursachen der derzeitigen Krise. Wir entwickelten diese Reihe von Assoziierungsabkommen und Freihandelsbeziehungen zu allen Ländern zwischen Europa und Rußland, haben das gleichzeitig aber nicht auch Rußland selbst angeboten oder einfach ein anderes Ziel verfolgt, nämlich die Schaffung einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, die irgendwelche besonderen Assoziierungsabkommen von Land zu Land überflüssig gemacht hätte.

Dieser plötzliche Wechsel beruht meiner Meinung nach auf dem Druck der USA, der zwar nicht offensichtlich ist und nicht offen erkannt wird, aber ich kann keine andere Erklärung finden. Denn die langfristige Strategie der USA ist es, jede Annäherung, jede Verbesserung der Beziehungen zwischen Europa - insbesondere dem östlichen Teil - und Rußland zu verhindern.

Ich nenne dies das Mackinder-Mantra,1 das von allen amerikanischen Regierungen getreulich angewandt wird und das Brzezinski in seinen Büchern theoretisch ausgearbeitet und aktualisiert hat. Und ich sehe darin ein Resultat dieser Mackinder-Strategie, um jeden Preis die Zusammenarbeit oder sogar den langfristigen Zusammenschluß zwischen Europa und Rußland zu verhindern.

EIR: Vor zwei Tagen haben der Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, Prof. Fortow, und der Chef der staatlichen russischen Eisenbahnen, Wladimir Jakunin, vor dem Präsidium der Akademie der Wissenschaft einen aufsehenerregenden Vortrag gehalten, sie forderten eine massive Ausweitung der sog. Eurasischen Landbrücke, der Entwicklungskorridore vom Atlantik zum Pazifik in Asien und China, durch den Aufbau von Eisenbahnnetzen sowie die Förderung der Industrie in Rußland. Sie haben die Ukraine nicht erwähnt, aber ein großes, auf 10-20 Jahre angelegtes Infrastruktur-Entwicklungsprogramm sollte für Rußland auf der Tagesordnung stehen, das haben sie der russischen Regierung vorgeschlagen. Was halten Sie von einem großen Entwicklungsprojekt, das Westeuropa durch Mitteleuropa mit Rußland und Asien verbindet?

Arlacchi: Das wäre ein großartiges Projekt, und es könnte eine Infrastruktur für Frieden und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Rußland sein. Aber es gibt auch noch andere Ideen, die wir entwickeln könnten, insbesondere die große Freihandelszone, auch Reisefreiheit, Abschaffung der Visumspflicht für alle Länder im Geltungsbereich dieses Freihandelsabkommens - Rußland, alle Länder dazwischen und alle europäischen Länder. Das sollten die Ideen sein, über die man reden sollte, wenn die Leute an die langfristigen Ziele und auch an die europäischen Interessen denken würden. Niemand hier (im Europaparlament, Red.) achtet darauf, was kurz- und langfristig unsere Interessen sind. Europa hat alle erdenklichen Interessen an der Zusammenarbeit mit Rußland, von der Wirtschaft über die Kultur, bis zu allem anderen. Denn Rußland ist Europa.

Unsere Volkswirtschaften beispielsweise könnten von einer Menge zusätzlicher Entwicklungschancen profitieren. Wir haben alle nur Vorteile von diesem Abkommen. Wir könnten bekommen, was Rußland hat, es bedeutet Rohstoffe, Energie und einen riesigen Markt. Rußland kann Technologien bekommen, es bekäme finanzielle Mittel, es könnte technische Hilfe bekommen, wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, und umgekehrt... Ich habe alle meine antirussischen Kollegen gefragt: Können Sie bitte ein einziges wichtiges Thema nennen, das uns von Rußland trennen sollte - nur ein einziges? Und die Antwort ist dann „LGBT-Rechte“2 (lacht) oder so etwas.

EIR: Ein guter Grund für einen dritten Weltkrieg!

Arlacchi: Es hat eine gewisse Bedeutung, ist aber mit Sicherheit nicht als langfristige strategische Frage zu betrachten, nicht als etwas, was immer bleiben wird.

EIR: Eine letzte Frage, Herr Professor, von meiner Seite. In den letzten Monaten haben führende Ökonomen wie Simon Johnson oder Joseph Stiglitz betont, daß die transatlantische Bankenkrise, die Krise der Megabanken, die wir auch als Kasinobanken bezeichnen, nicht gelöst ist - das Problem von „Too big to fail“. Und sie fordern sehr nachdrücklich, diese Banken aufzuspalten und das umzusetzen, was man in den Vereinigten Staaten das Glass-Steagall-Gesetz nennt; hier würde man es ein Trennbankensystem nennen, es hat verschiedene Namen in verschiedenen Ländern. Wenn Westeuropa mit Rußland zusammenarbeiten würde, bräuchte es ein Kreditsystem, das die Realwirtschaft finanzieren kann. Was denken Sie hier in Europa über diese Debatte oder darüber, die Möglichkeit dieser Zusammenarbeit mit Rußland zu nutzen, um eine Änderung im Finanzsystem zu erzwingen, das führende Ökonomen immer noch als gescheitert betrachten?

Arlacchi: Ja, das ist eine absolut gute Idee, aber es gibt in Europa keine Diskussion über diese Frage auf politischer Ebene. Ich glaube, diese Trennung existierte in einigen europäischen Ländern und wurde in Italien abgelehnt - sie existierte, wurde aber aufgehoben.

EIR: Ich glaube, Mario Draghi hatte etwas damit zu tun.

Arlacchi: Nun, ich bin da wirklich kein Experte, aber ich denke, es ist eine gute Idee. Es wurde in der Großen Depression in den USA in Gesetzesform gebracht und erwies sich als ein sehr wirksames Instrument zur Stabilisierung der Weltwirtschaft, zur Minderung des Risikos eines Bankenkrachs, und gab auch Impulse für die richtige, produktive Nutzung des Finanzsystems, das dazu da sein sollte, den Ausbau von Industrie und Produktion zu fördern, und nicht bloß dazu, seine Macht auf Kosten der übrigen Teile der Wirtschaft zu erhalten.

EIR: Möchte Sie sonst noch etwas sagen, Herr Professor?

Arlacchi: Ich denke nicht, daß wir vor einem Krieg stehen. Ich denke nicht, daß es einen Krieg zwischen der EU und Rußland geben wird, aber ich glaube, daß wir diese Krise zum Anlaß nehmen sollten, nachzudenken und unsere langfristigen Interessen und Freundschaft mit Rußland wieder in Gang zu bringen.

EIR: Vielen Dank, Herr Professor Arlacchi.

Arlacchi: Vielen Dank.


Anmerkungen

1. Harold Mackinder, der Begründer der britischen Geopolitik um 1900, argumentierte, das Empire müsse Rußland so eindämmen, daß dieses nicht durch die Beherrschung des „eurasischen Kernlands“ die Weltmacht übernehmen könne.

2. Rechte für Lesbierinnen, Schwule, Bi- und Transsexuelle.