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Von Alexander Hartmann
Vor 24 Jahren, am 30. November 1989, wurde Alfred Herrhausen, der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank und enge Freund und Berater des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, durch einen professionell durchgeführten Bombenanschlag ermordet. Wie später bekannt wurde, hatte Herrhausen schon eine Rede vorbereitet, die er wenige Tage später, am 4. Dezember 1989, in New York hätte halten sollen. Darin wollte er den geradezu revolutionären Vorschlag unterbreiten, eine Entwicklungsbank für Polen zu gründen, nach dem Vorbild der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutschland aus dem Marshallplan zufließenden Finanzmittel sehr wirkungsvoll zur Wirtschaftsförderung verteilt hatte. Die neue Entwicklungsbank sollte mit Finanzmitteln westlicher Banken ausgestattet und das ganze mit einem massiven Schuldenerlaß verbunden sein. Dadurch sollte Polen ein Wirtschaftsaufschwung ermöglicht werden.
Diese Idee deckte sich in wesentlichen Aspekten mit den Vorschlägen des amerikanischen Ökonomen Lyndon LaRouche, der den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung schon ein Jahr zuvor, in einer Pressekonferenz in Berlin am 12. Oktober 1988, vorhergesagt hatte. LaRouche hatte vorgeschlagen, Polen gewissermaßen zum Exempel einer gezielten Aufbaupolitik zu machen. Er sagte:
„Wir werden uns dafür einsetzen, daß internationale Abkommen im Sinne der Politik ,Nahrungsmittel für den Frieden’ geschlossen werden, deren Ziel es ist, daß weder die Menschen im Ostblock noch in den Entwicklungsländern hungern...
Als Zeichen unseres guten Willens sollten wir dann gemeinsam etwas tun, um beispielhaft die wirtschaftliche Krise im gesamten Sowjetblock lösen zu helfen. Die Vereinigten Staaten und Westeuropa sollten deshalb beim erfolgreichen Wiederaufbau der polnischen Wirtschaft zusammenarbeiten. Es wird keine Einmischung in das polnische Regierungssystem geben, sondern lediglich eine Art Marshallplanhilfe für die polnische Industrie und Landwirtschaft...“
Dieses Beispiel sollte dann die Grundlage für eine entsprechende Aufbaupolitik für ganz Osteuropa bilden. Nach dem Fall der Mauer schlug LaRouche dann als ersten konkreten Schritt eine Hochgeschwindigkeitsbahn von Paris über Berlin und Warschau nach Moskau vor, woraus sich sehr schnell die Konzepte des „Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien“, der „Eurasischen Landbrücke“ und der „Weltlandbrücke“ entwickelten.
Es kam jedoch, wie wir heute wissen, leider ganz anders. Lyndon LaRouche wurde nach einem politischen Schauprozeß unter US-Präsident Bush senior fünf Jahre lang inhaftiert, Herrhausen wurde ermordet und anstelle eines Schuldenerlasses und eines neuen Marshallplans für einen wirtschaftlichen Aufschwung wurden Osteuropa und die ehemalige Sowjetunion einer „Schocktherapie“ unterzogen, die die Bevölkerung dieser Region ins Elend stieß und ihre Lebenserwartung drastisch - um bis zu zehn Jahre - reduzierte.
Gleichzeitig wurde die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Kohl gezwungen, sich die Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung durch den Verzicht auf die D-Mark und die wirtschaftliche Souveränität gewissermaßen zu „erkaufen“.
Helga Zepp-LaRouche warnte damals immer wieder, man dürfe nicht nur die Wirtschaft aufbauen, sondern man müsse das in Ost und West vorherrschende materialistische Weltbild überwinden und an die besten Perioden der jeweiligen Kulturen anknüpfen. Wenn man dem bankrotten sozialistischen System ein nicht minder bankrottes Freihandelssystem überstülpe, dann könne man wohl diese Region eine Zeit lang plündern, aber es werde dann früher oder später zu einem noch viel gewaltigeren Zusammenbruch kommen, der die gesamte westliche Welt zerstören werde.
Genau dies ist seit 2007 weitgehend eingetreten, und die Bankenrettungspolitik der westlichen Regierungen hat inzwischen, insbesondere in Südeuropa und den USA, genau die gleiche Wirkung wie die „Schocktherapie“, die vor über 20 Jahren Osteuropa und Rußland ausgezwungen wurde. Am deutlichsten zeigt sich dies am Absinken der Lebenserwartung infolge von Inflation, Rentenkürzungen, Einsparungen im Gesundheitssystem etc. Ganze Bevölkerungsschichten - die Armen, Alten, Kranken - werden als „nutzlose Esser“ betrachtet und dem System geopfert.
Das ist schon jetzt der Fall, und man mag kaum darüber nachdenken, wie scham- und hemmungslos die für diese Politik verantwortlichen Kreise vorgehen werden, wenn das mit Mühe und Not aufrechterhaltene Kartenhaus der Finanzspekulation ganz in sich zusammenbricht. Informierte Kreise in der Finanzwelt befürchten, daß es noch vor Jahresende zu einer solchen Krise kommen könnte, sobald der Konflikt zwischen dem Weißen Haus und dem US-Kongreß über die Schuldenobergrenze und die Einsparungen im US-Staatshaushalt, der vor wenigen Wochen nur aufgeschoben worden war, erwartungsgemäß wieder aufbricht.
In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium1 an die Kirche und die gläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums hat Papst Franziskus zu den „Herausforderungen der Welt von heute“ Stellung genommen, und wie aus seinem Schreiben hervorgeht, meint er damit insbesondere genau jene menschenfeindliche, westliche Wirtschaftspolitik, die im heute wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Der Papst schreibt darin:
„Ebenso wie das Gebot ,du sollst nicht töten’ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ,Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen’ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, daß es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, daß Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit...
Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann… Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht ,Ausgebeutete’, sondern Müll, ,Abfall’....
Während die Einkommen einiger Weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt…
Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden...“
Tatsächlich liegt in der heutigen Krise aber genauso wie in der Krise von 1989 eine große Chance, nämlich die Möglichkeit, eben dieses Welt- und Menschenbild zu überwinden. Denn gerade jene Mächte, die uns in den letzten Jahrzehnten ihre bestialische Philosophie aufgezwungen haben, sind heute schwächer denn je. Das transatlantische Finanzempire steht vor seinem „Mauerfall“ - dem finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch. Nun liegt es an den „gefangenen Nationen“ dieses Finanzempires, sich selbst zu befreien und einen anderen Weg einzuschlagen.
Es ist sicher kein Zufall, daß gerade China in diesem Moment zunehmend eine führende Rolle übernimmt, den anderen Nationen die Hand zu reichen und ihnen eine Alternative aufzuzeigen, denn China hat aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gelernt. Es hat sich intensiv mit LaRouches Konzept der Eurasischen Landbrücke beschäftigt und geht nun daran, es in Form der „Neuen Seidenstraße“ zu realisieren.
Es wirkt wie ein Spiegelbild und verspätetes Echo der Vorschläge von LaRouche und Herrhausen, was Chinas Premierminister Li Keqiang anläßlich seiner jüngsten Reise durch Mittel- und Osteuropa vorschlug. In einem Offenen Brief an die Regierungen und Völker Mittel- und Osteuropas (CEE) schreibt Li:
„Die meisten CEE-Länder sehen die Notwendigkeit, ihre Eisenbahnen, Straßen, Häfen und andere Verkehrseinrichtungen auszubauen und zu erneuern. China macht schnelle Fortschritte bei der Herstellung von Verkehrsmitteln, insbesondere im Bereich der Hochgeschwindigkeitsbahnen. Wir haben starke Baukapazitäten und Hochqualitätsausrüstung, und die Gesamtlänge der in China in Betrieb befindlichen Hochgeschwindigkeitsbahnen liegt jetzt bei über 10.000 km. Wir sind voll und ganz in der Lage, Verkehrsinfrastrukturprojekte mit hoher Qualität in den CEE-Ländern durchzuführen.
Auch die Kraftwerke in den CEE-Ländern müssen dringend ausgebaut werden. China hat inzwischen Weltstandards in Bezug auf die Herstellung und Installation von Kraftwerksanlagen für Kohle- und Wasserkraftwerke, darunter Pumpspeicherkraftwerke, erreicht. Wir haben auch ausgereifte Technologien und Weltklasse-Produktionskapazitäten für die Entwicklung der Kern-, Wind- und Solarenergie. Die Anlagen, die wir anbieten, sind billig und von hoher Qualität, was China zu einem idealen Partner für die CEE-Länder macht.
Die CEE-Länder brauchen finanzielle Unterstützung für den Bau von Infrastruktur. China ist bereit, mit den CEE-Ländern flexible Wege zu untersuchen, um einen 10-Mrd.$-Sonderfonds für Kreditlinien für die Zusammenarbeit zwischen China und CEE-Staaten zur Unterstützung großer Projekte in der CEE-Region zu gründen. China ist bereit, mit den CEE-Ländern zusammenzuarbeiten, um die Eröffnung von Zweigstellen von Finanzinstituten in den jeweils anderen Ländern zu fördern, mehr Abkommen über den Austausch und die Verwendung der lokalen Währungen zu unterzeichnen und mehr Einrichtungen für Handel- und Investitionsaktivitäten unserer Unternehmen zu schaffen.
Ich grüße Sie über die Flüsse und Berge.“
China bietet Osteuropa (und uns) also genau das an, was der Westen Osteruropa vor 24 Jahren verweigert hat. Nun liegt es an uns, die ausgestreckte Hand zu ergreifen, die uns helfen will, dem wirtschaftlichen Untergang zu entgehen. Und der erste Schritt hierzu muß sein, uns durch die Einführung eines Trennbankensystems nach dem Vorbild des amerikanischen Glass-Steagall-Gesetzes von der Last der spekulativen Schulden zu befreien und den Zusammenbruch auf die Investmentbanken des Finanzempires zu begrenzen.
Anmerkung
1. Den vollen Wortlaut des Apostolischen Schreibens finden Sie auf der Internetseite des Heiligen Stuhls unter http://www.vatican.va/holy_father/francesco/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium_ge.html