|
|
Von Alexander Hartmann
In einer britischen Bankenzeitschrift beschreibt der Bundesfinanzminister den europäischen Plan, bei Bankenpleiten Aktionäre und Konteninhaber zahlen zu lassen, aber wegen der „Systemrelevanz“ die Spekulation zu verschonen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble veröffentlichte am 1. Oktober im englischsprachigen Magazin The Banker einen ausführlichen Artikel mit dem Titel „The Case for European Banking Union“, zu deutsch: „Argumente für die europäische Bankenunion“.1 Interessant ist, daß Schäuble seine Äußerungen in einer Londoner Bankenzeitschrift macht, die zum Verlag der Financial Times gehört, aber sein Artikel weder auf Deutsch vorliegt noch in Deutschland ein Gesprächsthema ist. Die Deutschen sollen offenbar über die Bail-in-Pläne weiterhin sowenig erfahren wie im Wahlkampf. Wir fassen die Aussagen des Artikels in eigener Übersetzung zusammen.
Schäuble berücksichtigt zwar auch die Befürchtungen der Deutschen über mögliche Stützungsmaßnahmen für europäische Banken, doch der Schwerpunkt des Artikels liegt darauf, den Bail-in-Mechanismus (d.h. das Zypern-Modell) zu rechtfertigen.
Er schreibt, die Bankenunion sei „die beeindruckendste Strukturveränderung, die derzeit in Europa im Gang ist“ und der „ehrgeizigste Schritt zur europäischen Integration seit dem Start des Euros“, mit dem „die Schaffung des einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen, die 1999 begann, ihren Abschluß findet“. Dann lobt er sein eigenes Pseudo-Trennbankengesetz, das die Fortsetzung von Bank- und Spekulationsgeschäften innerhalb eines Bankkonzerns erlaubt und das für den Fall einer Pleite den Bail-in-Mechanismus nach dem Vorbild der Dodd-Frank-Bankenreform in den USA vorsieht. Das Gesetz wurde in enger Abstimmung mit dem Entwurf der französischen Regierung ausgearbeitet und soll einen Präzedenzfall für die europäischen Regelungen setzen.
Schäuble rühmt sich in dem Artikel:
„Vor kaum mehr als einem Jahr gehörte meine Regierung zu den ersten, die vorschlugen, daß Europa zur Erreichung dieses Zieles eine Bankenunion braucht, die aus zwei Kernelementen besteht: einer supranationalen Aufsichtsbehörde für die größten Banken der Region sowie einheitlichen Regeln und wirksamen Mechanismen für die Abwicklung in Not geratener Finanzinstitute. Eine bindende Bail-in-Regelung würde sicherstellen, daß diejenigen, die die Banken finanzieren, in Zukunft die Kosten von deren Fehlern mittragen müssen“ und dies auch vorher wüßten. Man müsse Chancen und Risiken wieder zusammenführen und falsche Anreize abstellen.
„Eine supranationale Bankaufsicht mit effizienten Ressourcen und klarer Verantwortung für die Überwachung der größten Banken des Kontinents“, behauptet Schäuble, „würde wahrscheinlich Probleme nicht so lange schleifen lassen, bis sie zu sehr eingerissen sind, um sie noch leicht zu bewältigen. Gleichzeitig schüfe eine Abwicklungsregelung auf der Grundlage klarer Bail-in-Vorschriften einen stärkeren Anreiz für die Banken, ihre Besitzer und ihre Gläubiger, übermäßige Risiken weder einzugehen noch hinzunehmen. Und sie würde die Steuerzahler schützen, wenn trotzdem eine Bank scheitern sollte.“
Schäuble stellt dazu die folgenden Anforderungen an die Konstruktion des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM):
„Auf breitestmöglicher Ebene sollte ein gut konstruierter SRM für alle, deren Handeln einen Einfluß auf die Solidität einer Bank haben kann (Manager, Besitzer, Gläubiger, aber auch Regierungen, Gesetzgeber und Zentralbanken), so weit wie möglich die Anreize beseitigen, eine Häufung exzessiver Risiken in den Bilanzen zuzulassen oder die Beseitigung der entstehenden Probleme zu verzögern.
In Fällen, wo eine grenzüberschreitende Abwicklung, Umstrukturierung oder Insolvenz unvermeidlich geworden ist, sollte der SRM faire und vernünftige Vereinbarungen zwischen den nationalen Behörden vermitteln und sicherstellen, daß der Prozeß nicht in Zuständigkeitsstreitigkeiten oder Interessenskonflikten steckenbleibt. Schließlich sollte er auf rechtlichen Grundlagen beruhen, die sicherstellen, daß seine Entscheidungen nicht mit Erfolg vor Gericht angefochten werden können.“
Ganz emphatisch fordert Schäuble dabei die Einführung des Bail-in-Zypern-Mechanismus, den er selbst und die übrigen Vertreter der Bundestagsparteien im gerade zuende gegangenen Bundestagswahlkampf tunlichst unter den Teppich gekehrt hatten, um die Wähler nicht kopfscheu zu machen:
„Wenn man sich auf diese Ziele einigt, ergeben sich eine Reihe von Schlußfolgerungen.
Die erste ist, daß jede Abwicklung, die in Gang gesetzt wird, als Abschreckung gegen das Eingehen übermäßiger Risiken ein Bail-in-Element enthalten sollte, entlang der Maßgaben, die in der kürzlich beschlossenen [EU-]Richtlinie für die Rettung und Abwicklung von Banken beschrieben sind. Von der Branche finanzierte Fonds, gefolgt von nationalen und europäischen fiskalischen Rückhalten, sollten im Interesse der Stärkung der Glaubwürdigkeit des Mechanismus nur die zweite, dritte und vierte Verteidigungslinie bilden. Manager, Besitzer und Gläubiger der Banken werden die Risiken nicht realistisch bewerten, solange sie noch einen Grund haben, zu erwarten, daß der Steuerzahler ihre Gehälter, ihren Besitz oder ihre Investitionen schützt, wenn eine Insolvenz droht.“
Tatsache ist jedoch, daß es nach allen diesbezüglichen Entwürfen die höchste Priorität der supranationalen Bankaufsicht wäre, sicherzustellen, daß die Derivatgeschäfte der „systemisch relevanten Banken“ ungestört weiterlaufen können, da diese Blase selbst als systemrelevant betrachtet wird. Diesem Ziel sollen im Zweifelsfall die Forderungen der nicht als systemrelevant geltenden Stellen - kleinere Banken, Unternehmen, Privatpersonen - geopfert werden. Und solange diese Spekulationsblase als solche erhalten bleibt, bleibt auch das Risiko - oder besser gesagt, die Gewißheit - erhalten, daß diese Blase irgendwann platzt. In diesem Fall ginge es mit Sicherheit nicht bloß um überschaubare Summen und einzelne Banken, sondern um das gesamte System und um Beträge, die alle Kundeneinlagen sämtlicher Banken zusammengenommen bei weitem übersteigen werden.
Im Fall einer Bankinsolvenz würden die Aktionäre und Gläubiger einer Bank ja auch schon jetzt zur Kasse gebeten - aber ein großer Teil der Forderungen von Gläubigern aus den Derivatspekulationen, insbesondere Forderungen aus außerbilanzlichen Geschäften, würde in der Hierarchie der Forderungen hintangestellt und diese damit zum großen Teil hinfällig werden. Hat jedoch die Erhaltung der Finanzblase Priorität, müssen sich die Spekulanten - jedenfalls, sofern sie selbst groß genug sind, um „systemrelevant“ zu sein - weit weniger Gedanken über die Risiken machen als die normalen Kontenbesitzer, wie z.B. Firmen, die in einer Bank ihre Lohn- oder Rentenkasse haben.
Der Bail-in verringert die Risiken der Spekulanten und überträgt sie auf die normalen Bankkunden. Das muß Herr Schäuble wissen - oder er sollte es jedenfalls, wenn er die notwendige Kompetenz für sein Amt mitbrächte.
Für die Erhaltung der Derivatblase ist der ungehinderte Zustrom von Geld in die internationalen Finanzmärkte ganz entscheidend. Das ist es, was sich im Bankenjargon hinter der Forderung nach „Kohärenz und Homogenität des einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen“ verbirgt. Schäuble:
„Eine Menge wurde bereits auf nationaler Ebene erreicht. Deutschland beispielsweise hat sich mit seinem eigenen Abwicklungsregime und einer Bankenabgabe gerüstet. Aber eine andere Reaktion auf die Krise war es, daß sich Banken auf ihr Inlandsgeschäft zurückgezogen haben und so der bisher integrierte, einheitliche Markt für Finanzdienstleistungen wieder zersplittert wurde. Auch wenn wir derzeit eine vorsichtige Umkehrung dieses beunruhigenden Trends sehen, könnte eine Bankenunion helfen, die Kohärenz und Homogenität des einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen wiederherzustellen.“
Der eigentliche Zweck der Errichtung einer supranationalen Bankaufsicht ist, auch wenn Schäuble dies nicht sagt, diese Bankaufsicht von der Notwendigkeit zu befreien, auf nationale Interessen der Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen, damit man Regelungen gegebenenfalls auch gegen nationale Widerstände durchsetzen kann. Schäuble versucht natürlich, hiervon abzulenken, indem er behauptet, die neue Bankaufsicht wäre für „Altlasten“ gar nicht zuständig:
„Die Bankenunion ist somit auf dem besten Weg, zu einer Säule der EU zu werden. Im Idealfall soll sie zukünftige Bankenkrisen verhindern oder wenigstens deutlich abmildern, nicht nur in den kommenden fünf Jahren, sondern auf Jahrzehnte hinaus. Aber sie ist und kann ganz entschieden kein Mechanismus sein, die Lasten der Krisen von gestern auf alle Teilnehmer zu verteilen. Welche Altlastenfragen auch immer noch ans Licht kommen werden, man wird sie auf nationaler Ebene regeln müssen.
Und auch wenn zur Bankenunion ein begrenzter gemeinsamer Rückhalt für die Mitgliedstaaten in Form von Krediten oder Kapital aus dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus gehören wird, werden dies bloß letzte Mittel sein, die nur unter extremen Bedingungen verwendet werden, nachdem alle anderen Kapitalquellen (Aktionäre, Gläubiger, branchenfinanzierte Rückhalte, nationale Rückhalte durch den Fiskus usw.) erschöpft sind, und dies auch nur unter angemessenen politischen Konditionen. Die Bankenunion wird kein Vehikel sein, um bloß die bestehenden Verbindlichkeiten zu vergemeinschaften oder die Kosten der bisherigen Rettungsaktionen auf mehr Schultern zu verteilen.“
Wie oft haben wir von unseren Regierungen derlei Versprechungen zu hören bekommen - nur um zu erleben, wie sie nach und nach und immer wieder gebrochen wurden? Tatsache ist, daß sich kaum abgrenzen läßt, was denn eigentlich als „Altlasten“ zu betrachten ist. Denn um die bisherigen Rettungspakete zu finanzieren, wurde den Volkswirtschaften in Griechenland, Zypern, Spanien, Italien, Irland etc. schwerer Schaden zugefügt, der die nächsten Krisen geradezu programmiert. Wird man diese dann als Altlasten betrachten - oder nicht vielmehr die neuen Regelungen anwenden, schon um sicherzustellen, daß die Derivatblase erhalten bleibt?
Schließlich propagiert Schäuble auch eine Änderung der Europäischen Verträge, um die Bankenunion noch weiter voranzutreiben, angeblich als Schritt zur weiteren Integration Europas:
„Eine solche Bankenunion - eine supranationale Bankaufsicht, flankiert von einem eng koordinierten System von Abwicklungsbehörden mit einem zentralen Rat, der eine konsistente und effiziente Umsetzung der grenzüberschreitenden Abwicklung sicherstellt, und einem System nationaler Abwicklungsfonds, unterstützt durch klare Bail-in-Regeln und verstärkt durch nationale und gemeinschaftliche Rückhalte als letztem Mittel - geht soweit, wie es im Rahmen der existierenden Verträge möglich ist.
Sorgfältig ausgearbeitet, würde es funktionieren. Aber wenn sich alle EU-Mitgliedstaaten auf eine kleine Zahl eng begrenzter Vertragsänderungen einigen könnten, dann könnte sie noch weiter gehen. Solche Änderungen ermöglichten nicht nur die Schaffung einer wirklich zentralisierten Abwicklungsbehörde, sondern auch eine weit effizientere und klarere Trennung zwischen den Aufsichts- und Geldfunktionen der EZB. Dies würde es den EU-Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone sehr erleichtern, sich anzuschließen und so eine Aufsplitterung des Einheitlichen Europäischen Marktes für Finanzdienstleistungen zu vermeiden.
Eine solche Bankenunion könnte letztendlich so anwachsen, daß sie die Grenzen des einheitlichen Marktes ganz ausfüllt, und das sollte sie nach der Logik der europäischen Integration auch tun.“
Dabei übersieht - oder wahrscheinlicher, übergeht - Schäuble die Tatsache, daß es praktisch unmöglich ist, eine derartige Ausweitung der Kompetenzen der EU mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Das sollte niemanden überraschen, denn Schäuble hat in seiner gesamten Karriere nur wenig Rücksicht auf das Grundgesetz genommen und erfahrungsgemäß oft genug nach der Maxime gehandelt: „Verfassungen sind dazu da, daß man sie ändert.“ Genau so lautete nach Aussage eines zypriotischen Ministers die Antwort eines Vertreters der Eurogruppe auf den Einwand, daß die von der Troika geforderten Maßnahmen mit der zypriotischen Verfassung nicht vereinbar waren. Und leider hat sich gezeigt, daß die Parteien, die derzeit im Bundestag über die Bildung der nächsten Bundesregierung verhandeln, im Zweifelsfall auch dann bereit sind, die EU-Vorlagen durchzuwinken, wenn sich Konflikte mit dem Grundgesetz abzeichnen.
Schäubles ganzer Aufsatz ist ein neuerlicher Beweis dafür, daß von der derzeitigen politischen Führung Europas und Deutschlands keine Lösung der Bankenkrise zu erwarten ist - jedenfalls keine, die den Interessen der Spekulanten zuwiderlaufen würde. Die einzige Lösung, die die Interessen und Vermögen der Bürger vor der Enteignung zugunsten der weltweiten Finanzblase schützt, ist genau das, was die Regierungen und die EU-Kommission bisher strikt ablehnen:
1. Die „chirurgische“ Herauslösung und Abtrennung der normalen Bankgeschäfte aus den bisherigen Universalbanken, die Errichtung einer sicheren „Brandmauer“ zwischen den verschiedenen Banksparten, die Beschränkung der staatlichen Schutzschirme auf die normalen Geschäftsbanken und die Beseitigung der Finanzblase durch ein Insolvenzverfahren für diejenigen Investmentbanken, die ihren Zahlungsverpflichtungen aus ihren Spekulationsgeschäften nicht nachkommen können.
2. Die Schaffung nationaler Kreditsysteme nach dem Vorbild der Kreditanstalt für Wiederaufbau und internationaler, projektgebundener Kreditvereinbarungen, um die Liquidität der produzierenden Wirtschaft sicherzustellen.
3. Vereinbarungen über die Verwirklichung transkontinentaler Infrastrukturprojekte, wie der Eurasischen Landbrücke und der Projekte, die im „Programm für ein Wirtschaftswunder für Südeuropa, den Mittelmeerraum und Afrika“2 aufgeführt sind, die den notwendigen Schub für einen globalen, dauerhaften Wirtschaftsaufschwung liefern würden.
Nur wenn diese drei Schritte sehr bald vollzogen werden, werden uns das Platzen der Finanzblase und die mit dem Bail-in geplante Enteignung der Bankkunden erspart bleiben. Es liegt am Bürger, dies den neugewählten Abgeordneten des Bundestags begreiflich zu machen und es von ihnen einzufordern.
Anmerkungen