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Neue Solidarität
Nr. 42-43, 16. Oktober 2013

Schäuble rührt die Werbetrommel für Bail-in und Bankenunion

Von Alexander Hartmann

In einer britischen Bankenzeitschrift beschreibt der Bundesfinanzminister den europäischen Plan, bei Bankenpleiten Aktionäre und Konteninhaber zahlen zu lassen, aber wegen der „Systemrelevanz“ die Spekulation zu verschonen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble veröffentlichte am 1. Oktober im englischsprachigen Magazin The Banker einen ausführlichen Artikel mit dem Titel „The Case for European Banking Union“, zu deutsch: „Argumente für die europäische Bankenunion“.1 Interessant ist, daß Schäuble seine Äußerungen in einer Londoner Bankenzeitschrift macht, die zum Verlag der Financial Times gehört, aber sein Artikel weder auf Deutsch vorliegt noch in Deutschland ein Gesprächsthema ist. Die Deutschen sollen offenbar über die Bail-in-Pläne weiterhin sowenig erfahren wie im Wahlkampf. Wir fassen die Aussagen des Artikels in eigener Übersetzung zusammen.

Schäuble berücksichtigt zwar auch die Befürchtungen der Deutschen über mögliche Stützungsmaßnahmen für europäische Banken, doch der Schwerpunkt des Artikels liegt darauf, den Bail-in-Mechanismus (d.h. das Zypern-Modell) zu rechtfertigen.

Er schreibt, die Bankenunion sei „die beeindruckendste Strukturveränderung, die derzeit in Europa im Gang ist“ und der „ehrgeizigste Schritt zur europäischen Integration seit dem Start des Euros“, mit dem „die Schaffung des einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen, die 1999 begann, ihren Abschluß findet“. Dann lobt er sein eigenes Pseudo-Trennbankengesetz, das die Fortsetzung von Bank- und Spekulationsgeschäften innerhalb eines Bankkonzerns erlaubt und das für den Fall einer Pleite den Bail-in-Mechanismus nach dem Vorbild der Dodd-Frank-Bankenreform in den USA vorsieht. Das Gesetz wurde in enger Abstimmung mit dem Entwurf der französischen Regierung ausgearbeitet und soll einen Präzedenzfall für die europäischen Regelungen setzen.

Supranationale Bankaufsicht und Bail-in-Regelung

Schäuble rühmt sich in dem Artikel:

Schäuble stellt dazu die folgenden Anforderungen an die Konstruktion des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM):

Ganz emphatisch fordert Schäuble dabei die Einführung des Bail-in-Zypern-Mechanismus, den er selbst und die übrigen Vertreter der Bundestagsparteien im gerade zuende gegangenen Bundestagswahlkampf tunlichst unter den Teppich gekehrt hatten, um die Wähler nicht kopfscheu zu machen:

Bail-in schützt nur die Spekulanten

Tatsache ist jedoch, daß es nach allen diesbezüglichen Entwürfen die höchste Priorität der supranationalen Bankaufsicht wäre, sicherzustellen, daß die Derivatgeschäfte der „systemisch relevanten Banken“ ungestört weiterlaufen können, da diese Blase selbst als systemrelevant betrachtet wird. Diesem Ziel sollen im Zweifelsfall die Forderungen der nicht als systemrelevant geltenden Stellen - kleinere Banken, Unternehmen, Privatpersonen - geopfert werden. Und solange diese Spekulationsblase als solche erhalten bleibt, bleibt auch das Risiko - oder besser gesagt, die Gewißheit - erhalten, daß diese Blase irgendwann platzt. In diesem Fall ginge es mit Sicherheit nicht bloß um überschaubare Summen und einzelne Banken, sondern um das gesamte System und um Beträge, die alle Kundeneinlagen sämtlicher Banken zusammengenommen bei weitem übersteigen werden.

Im Fall einer Bankinsolvenz würden die Aktionäre und Gläubiger einer Bank ja auch schon jetzt zur Kasse gebeten - aber ein großer Teil der Forderungen von Gläubigern aus den Derivatspekulationen, insbesondere Forderungen aus außerbilanzlichen Geschäften, würde in der Hierarchie der Forderungen hintangestellt und diese damit zum großen Teil hinfällig werden. Hat jedoch die Erhaltung der Finanzblase Priorität, müssen sich die Spekulanten - jedenfalls, sofern sie selbst groß genug sind, um „systemrelevant“ zu sein - weit weniger Gedanken über die Risiken machen als die normalen Kontenbesitzer, wie z.B. Firmen, die in einer Bank ihre Lohn- oder Rentenkasse haben.

Der Bail-in verringert die Risiken der Spekulanten und überträgt sie auf die normalen Bankkunden. Das muß Herr Schäuble wissen - oder er sollte es jedenfalls, wenn er die notwendige Kompetenz für sein Amt mitbrächte.

Kohärenz des Finanzmarktes

Für die Erhaltung der Derivatblase ist der ungehinderte Zustrom von Geld in die internationalen Finanzmärkte ganz entscheidend. Das ist es, was sich im Bankenjargon hinter der Forderung nach „Kohärenz und Homogenität des einheitlichen Marktes für Finanzdienstleistungen“ verbirgt. Schäuble:

Der eigentliche Zweck der Errichtung einer supranationalen Bankaufsicht ist, auch wenn Schäuble dies nicht sagt, diese Bankaufsicht von der Notwendigkeit zu befreien, auf nationale Interessen der Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen, damit man Regelungen gegebenenfalls auch gegen nationale Widerstände durchsetzen kann. Schäuble versucht natürlich, hiervon abzulenken, indem er behauptet, die neue Bankaufsicht wäre für „Altlasten“ gar nicht zuständig:

Wie oft haben wir von unseren Regierungen derlei Versprechungen zu hören bekommen - nur um zu erleben, wie sie nach und nach und immer wieder gebrochen wurden? Tatsache ist, daß sich kaum abgrenzen läßt, was denn eigentlich als „Altlasten“ zu betrachten ist. Denn um die bisherigen Rettungspakete zu finanzieren, wurde den Volkswirtschaften in Griechenland, Zypern, Spanien, Italien, Irland etc. schwerer Schaden zugefügt, der die nächsten Krisen geradezu programmiert. Wird man diese dann als Altlasten betrachten - oder nicht vielmehr die neuen Regelungen anwenden, schon um sicherzustellen, daß die Derivatblase erhalten bleibt?

Änderung der EU-Verträge - und der Verfassungen?

Schließlich propagiert Schäuble auch eine Änderung der Europäischen Verträge, um die Bankenunion noch weiter voranzutreiben, angeblich als Schritt zur weiteren Integration Europas:

Dabei übersieht - oder wahrscheinlicher, übergeht - Schäuble die Tatsache, daß es praktisch unmöglich ist, eine derartige Ausweitung der Kompetenzen der EU mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Das sollte niemanden überraschen, denn Schäuble hat in seiner gesamten Karriere nur wenig Rücksicht auf das Grundgesetz genommen und erfahrungsgemäß oft genug nach der Maxime gehandelt: „Verfassungen sind dazu da, daß man sie ändert.“ Genau so lautete nach Aussage eines zypriotischen Ministers die Antwort eines Vertreters der Eurogruppe auf den Einwand, daß die von der Troika geforderten Maßnahmen mit der zypriotischen Verfassung nicht vereinbar waren. Und leider hat sich gezeigt, daß die Parteien, die derzeit im Bundestag über die Bildung der nächsten Bundesregierung verhandeln, im Zweifelsfall auch dann bereit sind, die EU-Vorlagen durchzuwinken, wenn sich Konflikte mit dem Grundgesetz abzeichnen.

Die wirkliche Lösung

Schäubles ganzer Aufsatz ist ein neuerlicher Beweis dafür, daß von der derzeitigen politischen Führung Europas und Deutschlands keine Lösung der Bankenkrise zu erwarten ist - jedenfalls keine, die den Interessen der Spekulanten zuwiderlaufen würde. Die einzige Lösung, die die Interessen und Vermögen der Bürger vor der Enteignung zugunsten der weltweiten Finanzblase schützt, ist genau das, was die Regierungen und die EU-Kommission bisher strikt ablehnen:

Nur wenn diese drei Schritte sehr bald vollzogen werden, werden uns das Platzen der Finanzblase und die mit dem Bail-in geplante Enteignung der Bankkunden erspart bleiben. Es liegt am Bürger, dies den neugewählten Abgeordneten des Bundestags begreiflich zu machen und es von ihnen einzufordern.


Anmerkungen

1. Siehe http://www.thebanker.com/Profiles/People/Big-Interview/Germany-s-finance-minister-the-case-for-European-banking-union

2. Siehe http://www.bueso.de/wirtschaftswunder